Das  Kino hat in seiner weit über 100-jährigen Geschichte bemerkenswert wenig technische Umbrüche erfahren. Doch derzeit steht es vor großen Herausforderungen. Mit dem Verschwinden der Filmrolle und der digitalen Umrüstung der Lichtspieltheater vollziehen sich massive Veränderungen. Diese sind den Zuschauern kaum bewusst.

Über den Stand der Digitalisierung, die Innovationen und Probleme der Kinobranche sprach Daniela Kloock mit dem stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden des Hauptverbands deutscher Filmtheater (HDF) Andreas Kramer:

 

Herr Kramer der HDF ist der größte nationale Kinoverband,  wie viele Leinwände sind mittlerweile digital umgerüstet?

Insgesamt kommen wir auf 4.100 stationäre Leinwände in Deutschland, davon sind derzeit 3.700 digital. Aber Ende 2013 sind wir durch.

Und wie viele Kinos sind auf dem Weg zur Digitalisierung verschwunden?

Da kann ich keine endgültige Zahl nennen. Fakt ist, dass in Orten unter 20.000 Einwohnern Kinos für immer verschwinden. Das ist eine dramatische Entwicklung. Doch sie hat ganz verschiedene Gründe. Zum Beispiel, wer übernimmt ein Haus, wenn die ältere Generation ausscheidet? Wie stemmt man insgesamt die Investitionen? Da ist ja nicht nur die digitale Projektion, sondern der Bereich Concession, also Speise- und Getränkeangebote, dann die gesamte Atmosphäre, also das Herstellen eines gehobenen Kinoambientes. Das alles kostet Geld.

Dabei wird gerne behauptet, die Digitalisierung sei eine gute Möglichkeit das Überleben gerade auch der kleineren Kinos an kleineren Standorten zu sichern.

Es gibt ja jede Menge Förderung vom BKM und der FFA, Kinos bekommen dann unter bestimmten Bedingungen Zuschüsse, aber nur für die Digitalisierung und auch nur zur Erstumrüstung.

Wird jetzt die Filmrolle komplett verschwinden?

Viele, die noch nicht digitalisiert haben, merken das jetzt schon massiv. Die Verleiher sparen sich die enormen Kosten, wenn sie einen Film digital und auf 35mm vorhalten müssen. Da findet eine massive Verknappung statt. Und in den USA werden einige Majors dieses Jahre 35mm komplett einstellen. Und dann zieht Asien nach. Das sind Riesen-Märkte. In China wird jeden Tag ein Multiplex gebaut, also täglich kommen acht Leinwände dazu, da redet doch keiner mehr über 35mm!

Ein 35mm Projektor funktioniert  30, 40, 50 Jahre klaglos und jetzt hält so ein digital Projektor gerade mal 5 bis 8 Jahre. Das ist doch eigentlich ein Skandal, dass ein solcher Druck über technologische Innovation ausgeübt wird. Daran verdient eine ganz bestimmte Industrie.

Ich bin im Prinzip d’accord mit Ihnen, aber das Kino ist möglicherweise die einzige Branche, wo das Arbeitsmaterial vierzig oder fünfzig Jahre hält. Es geht auch nicht darum, ob man das möchte oder nicht, sondern wenn ich diese Entscheidung nicht treffe verschwinde ich vom Markt. Punkt.

Was kostet eigentlich ein digital Projektor?

Zwischen 50 und 60 Tausend Euro. Und wenn Sie jetzt ein Multiplex Kino haben mit 10 Leinwänden, und Sie müssen da alle paar Jahre umrüsten – wir haben ja jetzt schon die zweite oder dritte Generation an Geräten – dann sind Sie schnell bei ganz hohen Summen. Und die müssen sie wieder einspielen, weil die Förderung ist, wie gesagt, nur für eine Erstumrüstung. Die neue Generation der Kinobetreiber denkt sowieso viel betriebswirtschaftlicher.

Was heißt das nun konkret für all die Filme, die es nur auf Rolle gibt? Und die niemals digitalisiert werden, weil sie kein Geld einspielen?

Hier muss man genau unterscheiden. Was das Filmerbe angeht, also die wirklich kulturprägenden Werke aus den 1920er Jahren und davor, da gilt es zunächst den Film zu erhalten – unabhängig von einer Spielbarkeit. Das sind ja zum Teil noch Nitrofilme. Aber das Problem ist, wie wir Repertoire-Filme abspielen wollen. Wenn Sie heute einen zehn Jahre alten 35mm Film haben, können Sie den nicht mehr spielen. Es sei denn, es gibt eine DVD- oder Blue Ray Version, aber das ist natürlich eine Krücke.

Kommen wir zum Thema Vollautomatisierung aller Abläufe. In England gibt es bereits Kinos auf Knopfdruck, ohne Personal, ohne Filmvorführer, mit Eingangsschleusen wie in modernen Flughäfen. Und die Filme werden über zentral gesteuerte Computersysteme abgespielt. Wird das auch bei uns bald kommen?

In England mag das funktionieren. Das sind jedoch bisher meistens an Ketten gebundene Häuser. In Deutschland gehen wir eigentlich genau den umgekehrten Weg, hin zu einer stärkeren Personalisierung. Hier habe ich eine Verlagerung von der Technik zum kulturellen Raum Kino. Wenn ich mir zum Beispiel die Astor Film Lounge in Berlin oder das Gloria in München anschaue, dann sind das Kinos, die sehr personalintensiv sind.

Screenshot (Detail) website berlin.astor-filmlounge.de

Moment, das heißt doch im wesentlichen Personal  im gastronomischen Bereich. Und wenn wir bei der Astor Film Lounge bleiben, heißt das auch ziemlich satte Eintrittspreise!

Interessant ist doch, dass Leute den gleichen Film, den sie woanders in Berlin viel billiger sehen könnten, in der Astor Film Lounge anschauen. Vor allem die ältere Generation. Die möchte eben bestimmte Dinge nicht und ist dafür auch bereit höhere Eintrittspreise zu bezahlen.

Das Gute ist doch, dass wir eine wahnsinnige Vielfalt in Deutschland und natürlich auch in Berlin haben. Und natürlich nimmt die jüngere Generation Kino ganz anders wahr. Durch die neuen Medien wird die audiovisuelle Fixiertheit auf das Kino, wie wir sie jahrzehntelang hatten, erweitert. Hier müssen wir eher den Event Charakter bedienen.

Warum tut sich die Branche so schwer bezogen auf flexiblere Preisgestaltung?

Ganz heißes Thema! Aber ich glaube auch, hier muss sich etwas ändern. Zum Beispiel könnte man für den neuen James Bond Film mehr Eintritt verlangen als für irgendeine Schmonzette. Derzeit kostet ja alles gleich viel. Außerdem könnte man sagen, wir haben pro Jahr fünf bis zehn absolute top Highlights, von über 500 Filmen, die wir jetzt haben. Und diese Filme hebe ich durch eine andere Preisgestaltung hervor. Oder: unterschiedliche Preise nach Tageszeit, das habe ich von einem Kollegen aus dem Ausland gehört. Der öffnet sein Kino auch vormittags, und dann kostet der Film 4 Euro und nachmittags 6 und abends dann 10 Euro. Vormittags kommen dann verstärkt Rentner und Studenten und nachmittags und abends das andere Klientel. Da sehe ich noch viel Spielraum, aber das dauert, denn man hat Angst. Aber in Zeiten, wo ich für ein iPhone drei Wochen mit dem Schlafsack vor dem Laden liege und dann noch 1.000 Euro zahle, da kann ich auch was an der Preisspirale des Kinos machen.

Daniela Kloock

www.zukunftkino.com