BÜCHERBRIEF AN BETTINA
Liebe Bettina,
bist Du zurück aus Paris? Ich weiß, ich hab Dir versprochen, den Text für die Zeitung bis dahin fertig zu haben: aber Sjöbergs ‚Rosinenkönig‘ ist kein Ding für Rezensionen. Viel eher und angenehmer läßt es sich darüber plaudern, an warmen Sommerabenden zum Beispiel (von denen es dieses Jahr so wenige gibt). Darüber schreiben, hieße: das Buch unangemessen ernst nehmen, hieße: es eine Rumpelkammer nennen, in der man lustvoll stöbern kann, aber über dem Stöbern vergißt, was man eigentlich suchen wollte. Hieße, hauptsächlich: mit dem Finger auf Sjöbergs Eitelkeit zeigen, ein wenig ungehalten über sein Bedürfnis, sich immer wieder und vor allem selbst ins Spiel zu bringen, seine Kindheit, seine Zweifel an der Klimakatastrophe, seine Beziehung zu Regenwürmern. Sammler, der er ist, läßt er sich im Wesentlichen übers Sammeln aus und über andere Sammler, wie schon in seinem ersten Buch, in dem es um Schwebfliegen ging und um René Malaise. Diesmal sind es Sequoias, Séancen und ein silberner Kelch: alles Obsessionen des Entomologen Gustaf Eisen, dem Sjöberg vorgeblich seine Aufmerksamkeit widmet. Vorgeblich: denn ganz gleich, ob Sjöberg von Eisens Vorliebe für Rosenzucht oder Rosinen anfängt: über kurz oder lang landet er wieder bei seiner eigenen Person. Solche Leute kennt jeder, gestern saß ich mit einer Freundin im ‚Eberts‘, die hat sich genau über so jemanden beklagt: eine Nachbarin, „und jedesmal, wenn ich was von meiner Tochter erzählen will, unterbricht sie mich und redet von ihrer Tochter. Oder wenn ich sag, ich hab heut so Kopfweh, da kommt sie sofort mit ihrem Kopfweh an, das natürlich viel stärker ist. Und das Wort Urlaub hab ich kaum ausgesprochen, zack, haut sie mir ihren Urlaub um die Ohren, mit Vollpension und allem.“ Die eigenen Tapetenmuster sind eben um so Vieles interessanter als die der anderen. In Sjöbergs Fall wirft das immerhin auch spaßige Momente ab: es gibt eine Episode, da ist er noch jung, 1976, und hats mit den Straßenlaternen: und findet die Fotozelle, die das mit der Beleuchtung regelt. Zentral, für die gesamte Stadt (Västervik ist offenbar nicht sehr groß). Und kaum sind die Laternen nach Anbruch der Dämmerung angegangen, richtet er den Strahl seiner Taschenlampe auf diesen Sensor. Klar, was passiert: mit einem Schlag liegt ganz Västervik im Dunkeln. Und wird wieder hell, sobald Sjöberg die Taschenlampe ausknipst. Der Spaß ist groß und ausbaufähig: mit einem Freund klaut er einen Spiegel aus einer öffentlichen Toilette und platziert ihn so, daß er das Licht einer Laterne in die Fotozelle lenkt: und die Straßenlampen spielen verrückt. Eine Endlosschleife, solange die Nacht dauert.
Wenn Sjöberg nicht von sich redet, wirds meist kurios: Strindberg als Maler, ein Käfer, der Hitler heißt (und deshalb fast ausgerottet ist), Zinsen und Zoologie, die Kunst als Zirkus, eine abwegige Einatmungstheorie, nach der sich angeblich die Werke griechischer Künstler datieren lassen. Und die unterirdischen Gärten von Baldassare Forestiere, die nix zu tun haben mit der Knopfologie (wie Strindberg das Sammeln abfällig nannte) und nix mit Gustaf Eisen, sie werden nur beschrieben, weil Sjöbergs Frau auf dem Weg zum Sequoia National Park ein Schild entdeckt hat, das auf sie hinweist. Du siehst, wie durcheinander das alles geht, Assoziationen im freien Fall, keine logische Abfolge, und hinten kein Register: man findet, was man noch mal nachlesen will, oft nicht wieder. Und versuch mal, die unzähligen skurilen Stellen mit Zetteln zu markieren: das Buch sieht danach aus wie ein gespickter Rehrücken: und die Sucherei geht von vorn los. Dafür erinnert man sich an einen Trick, der in Sjöbergs anderem Buch steht: wie leicht Schwebfliegen zu kriegen sind. Sie fallen auf alles rein, was gelb ist, also genügt eine gelbe, mit Wasser gefüllte Schüssel: und sie gehen baden. Könnte Martin begeistern, hab ich gedacht, er hat ein Faible für abseitiges Wissen. Seine Reaktion war ein gelassenes „Ich weiß.“ Also kannte er Sjöberg, hatte schon von Malaise gehört? „Nö, aber ich saß mal mit einem gelben Hemd im Garten.“
Von Martin erfährst du übrigens mindestens ebenso schöne Nutzlosigkeiten wie von Sjöberg, Dinge, die dich nicht unbedingt weiser machen, aber höchst unterhaltsam sind. Wußtest du zum Beispiel, daß ein Claude Elwood Shannon etwas erfunden hat, was ‚The Ultimate Machine‘ heißt: und sobald du seinen Apparat eingeschaltet hast, greift eine Hand aus dem Deckel und schaltet ihn wieder aus. You may play that for years, wie Groucho Marx sagen würde. Paßt zum Übrigen. Plaudereien vor dem Grillfeuer, hab ichs nicht gesagt?
Also komm vorbei, solange die Chance auf ein Stückchen Sommer besteht:
dann kriegst du von noch ganz anderen sonderbaren Vorkommnissen zu hören.
Herzlich
Ingrid
© 2011 ingrid mylo
Fredrik Sjöberg: Der Rosinenkönig
Von der bedingungslosen Hingabe an seltsame Passionen
Verlag Galiani Berlin
Aus dem Schwedischen von Paul Berf
240 Seiten
Euro 18,99 (D) / sFr 27,90 / Euro 19,50 (A)
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