BÜCHERBRIEF AN ALF

Lieber Alf,

heut ist kein Sommertag, kalter Regen und Wind, verfrorene Gesichter, weil die Leute in zu dünnen Hemden rumlaufen: ist schließlich Anfang Juli, da packt man sich nicht mehr in Wolle, auch wenn die Haut aussieht, als hätte sie die Pimpelgicht. Ein Tag zum Verkriechen, „manchmal“, hat David Albahari geschrieben, „ist es besser, nichts zu unternehmen“. Wobei das ‚manchmal‘ bei ihm an wilder Übertreibung grenzt: wann hätte dieser Schriftsteller je große Sprünge gemacht. In seinen Geschichten sitzen die Leute da, stundenlang, und starren irgendwohin, meist Männer: die Frauen haben am ehesten noch sowas wie Unruhe im Leib. Die Frauen wollen auch reden. Unterhaltungen führen, was wissen von jenem, mit dem sie zusammen sind: der überlegt lange, bevor er antwortet. Ob er das überhaupt soll: antworten. Warum über etwas reden, wenn man auch über etwas schweigen kann. Schweigen hat mehr Potential: da stecken, schreibt Albahari ein ums andere Mal, die perfekten Geschichten drin. Eine bestürzende Vision für einen Schriftsteller: sie bringt ihn um seinen Beruf. Wie kann man weiterschreiben, wenn man glaubt, im Schweigen liegen die besseren Sätze? Und es ist ja was Wahres dran: dieses Große Schweigen hat etwas ungemein Verlockendes, nicht nur, wenn man Trintignant heißt und Kinski als Gegenspieler hat. Die Männer, die nicht geredet haben: das waren immer die, an denen die Mädchenblicke hängengeblieben sind. Die Angeber haben eh nur die Muskeln spielen lassen, und die Wortkaskadeure haben halt die abgekriegt, die dumm genug waren, sich mit Blendwerk zufriedenzugeben, Katzengold. Wer dagegen den Mund hielt, konnte abräumen in großem Stil: die Stille hat alles verheißen, hat die Träume bestätigt, die man von jenem Mann hatte oder von sich selbst.

Übrigens Träume: schau dir mal das Foto von Albahari an auf der Umschlagklappe seines Erzählbandes ‚Fünf Wörter‘: so sanft, sein Gesicht, so sensibel, so scheu. Da ist etwas zutiefst Verletzliches, er sieht aus wie einer, der seine Tränen mit Rehen teilt, einer, der sich in den Vorhangfalten des Lebens versteckt, bereit zur Flucht, sollte ein Ton zu laut, eine Bewegung zu schnell sein. Ein Traumtänzer, ein Balletteleve, einer, den ganz junge Mädchen anhimmeln: weil sie wissen, bei ihm sind sie sicher, so einer tritt ihnen nicht zu nahe. Das Buch ist 2005 erschienen. Sechs Jahre später, auf dem 2011 erschienenen Buch ‚Die Kuh ist ein einsames Tier‘, sieht Albahari 47 Jahre älter aus, verfroren, zersorgt: als hätten ihn selbst die Rehe enttäuscht. Als sei ihm die Flucht vor der Wirklichkeit zu oft nicht gelungen: und er mußte Dinge mitansehen, die man nicht erträgt, ohne bitter zu werden. Jetzt murmelt er Sätze wie „Der Blitz schlägt nie in die Brennesseln“. Jetzt gehört er zu denen, die Stöckchen vom Wegrand aufheben und in der Wunde herumstochern und sie zur Entzündung bringen. Und die Flucht gelingt nur noch mithilfe der Flasche. Die, die sich ihm jetzt noch nähern, sind keine Mädchen mehr, eher ungnädige Trinkerinnen, die aus Rache für verpaßtes Glück nichts anderes mehr im Sinn haben, als ihn zu trietzen. Vielleicht ist er auch zu häufig im Schweigen verschwunden: und dort vergeht die Zeit auf turbulentere Art, und wenn man dann wieder zum Vorschein kommt, ist man den anderen Jahre voraus. Und von den Freunden, von den Weggefährten, von früher, kennt einen keiner mehr.

Schweig du also nicht zu lange, laß von dir hören

und sei herzlich gegrüßt.

Ingrid

© 2011  ingrid mylo

David Albahari: Fünf Wörter

Erzählungen. Übersetzt von Mirjana und Klaus Wittmann

184 Seiten , 18.90 Euro, 27.50 sFr

erschienen Februar 2005

Die Kuh ist ein einsames Tier: Kurze Geschichten und dauerhafte Wahrheiten über Liebe, Traurigkeit und den ganzen Rest

David Albahari

Gebundene Ausgabe: 144 Seiten

Verlag: Eichborn (22. Februar 2011)

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