Balancen
Die Oscars: Link und Polanski als Gegengewicht zu „Chicago“
Ging es denn um Kunst? Durfte es denn darum gehen? Die Veranstalter dieser 75. Oscar-Gala hatten kein anderes Problem, als jeder beliebige Mensch, der am Abend, derweil die Bomben fielen, essen gehen will, und sich fragt, ob das rechtens sei. Der Satz „The show must go on“ ist nicht nur das Credo dieser Branche, er steht, schließlich und endlich, über beinahe jedem Leben.
Sowohl die Veranstalter dieser Nacht als auch ihre Akteure hatten die Balance zu finden zwischen dem Explodieren der Bomben und dem des Jubels. Und sie fanden sie, die Situation wurde weder ausgeblendet noch zum alleinigen Thema. Und es war wohl kein Zufall, dass die radikalste Äußerung (Schande über Sie, Mr. Bush!) von jenem Mann kam, der sich in seiner Arbeit unmittelbar mit der Wirklichkeit konfrontiert. Einer Wirklichkeit, die erfüllt ist vom Mythos der Waffen, wie ihn Michael Moore in Bowling for Columbine zeigt. Womöglich hätte Moore, wenn die Abstimmung erst in den letzten Tagen stattgefunden hätte, diesen Oscar nicht erhalten, seiner bekannten Radikalität wegen. Andere, wie die Sieger Adrien Brody oder Pedro Almodovar, gingen weniger auf den Mann, waren in ihrer Dezenz aber dennochunzweideutig in der Haltung zu diesem Krieg.
Dieser Balance von Krieg und Glamour der Veranstaltung entsprach eine der Preise ein Umstand, dem es sich auch, nicht nur, aber auch, verdankt, dass der deutsche Film seinen größten Erfolg seit 23 Jahren, seit der Blechtrommel, feiern kann. Schlöndorff hatte diesen Oscar gewonnen, Frank Beyer war dafür nominiert. Und nun hat ihn Caroline Link. Ihr tatsächlich schöner, sehenswerter Film Nirgendwo in Afrika ist ein leises, sanftes Plädoyer, dass einen jeweils wohl tuenden Abstand zu bodenlosem Kitsch und multikultischarfem Eifern hält. Link war, allein das hebt sie schon heraus, bereits 1998 für Jenseits der Stille nominiert, dem, künstlerisch gesehen, intensiveren Film. Pedro Almodovars Arbeit Sprich mit ihr ist ohne jeden Zweifel der bessere Film, doch wurde er überraschend nicht nominiert und gewann dafür den Preis des besten Orginaldrehbuches, auch das war ein Glücksfall für die deutsche Konkurrentin. Außerdem hat Link mit großer Wahrscheinlichkeit vom Thema ihres Filmes profitiert: Die deutschen Juden, die während des Nationalsozialismus ins kenianische Exil gehen und sich, selbst Fremde im eigenen Land, nun auf eine fremde Kultur einzustellen haben. Diese Einschränkungen wollen die umgehende Freude über und den Respekt für diesen Preis nicht trüben, sie wollen lediglich darauf verweisen, dass die Konkretheit der Umstände und Interessen auch dann nicht aufgehoben ist, wenn sie einen deutscher Film den Weg ebnen.
Auch Roman Polanskis Der Pianist über das Leben im Ghetto, hat mit dem deutschen Nationalsozialismus und dem Holocaust zu tun, allerdings bestehen Polanski und sein intensiver Hauptdarsteller Adrien Brody die filmische Reifeprüfung auch vollkommen aus eigenem Recht und ohne Hilfskonstruktionen auch wenn diese immer zu vermuten sind. Immerhin hat Brody hier Jack Nicholson geschlagen, der About Schmidt auf eine wirklich sensationell zu nennende Weise erzählte und dabei ein Niveau von Schauspielkunst definierte, auf das ihn nicht sehr viele zu folgen vermögen. Dies spricht für eine gewisse Gewichtigkeit des Sujets, von dem eben auch der deutsche Beitrag profitierte. Nicht auszuschließen, dass die Academy in den Zeiten des erwartbaren Krieges einen Film nobilitieren wollte, der hinreichend ernsthaft ist, um sich gleichsam auf Augenhöhe mit der Welt zu befinden. Und, auch hier die Balance, im Gegenzug feiert Hollywood sich und seine Geschichte. Denn das Musical Chicago ist mit sechs Oscars klar überschätzt, dieser Film wird vergessen sein in kurzer Zeit. Keineswegs ist das ein bester Film, doch steht das Genre für beinahe alles, was Hollywood groß machte und nichts beschreibt die Traumfabrik so wie das Singen im Regen. Und wenn Catherine Zeta-Jones als beste Nebendarstellerin die wunderbare Meryl Streep in Adaption schlägt (der zum Ausgleich den besten Nebendarsteller erhielt), dann sind hier rein künstlerische Kriterien sichtlich außer Kraft gesetzt.
Hingegen hat kaum je ein Preis den Preisträger so genau beschrieben, wie der, den Frida erhielt: bestes Make up.
Diese glimmernde Nacht war weder jenseits der Welt noch, im Ganzen, der Kunst und das war der eigentliche Gewinn. Hollywood ist immer ein wenig wie Singen im Regen aber sie haben dort auch ein Gefühl für die leisen Töne.
Autor: Henryk Goldberg
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