Das Summen-Spiel
Die Oscars beglaubigen eine schwache Show
Habt ihr euch gut unterhalten? ruft der Gladiator die Ränge hinauf, da hat er seine Mitbewerber im Sand gerade geschlachtet. Der Imperator, den die Todgeweihten grüßen mit dem alten Wort war wohl nicht der Herrscher Roms, vielmehr der des Kinos: Der zahlende Zuschauer. Und der hatte den Daumen deutlich oben.
Das Nicken dieses globalen Souveräns prägte die Oscar-Nacht: Der Gladiator von Ridley Scott wurde mit fünf Auszeichnungen der erfolgreichste Film der Saison, unter seinen Oscars der für die Königsdisziplin „Bester Film“ und der prestigeträchtige für den besten Schauspieler, für Russel Crowe. Und kein Mensch wird in einigem Ernst anzunehemn bereit sein, dies könne tatsächlich der beste Film eine Jahrganges sein. Erklärlich ist dies nur durch die Schwäche einer Saison, die einen zweifelsfrei alle übrigen überragenden Film nicht hervor gebracht hat. Das Piano, es wäre nun der einsame Gipfel gewesen, erhielt den Preis einst nicht, weil es in einem Jahrgang gegen Schindlers Liste anspielen musste. Einem solchen Luxusproblem, die Entscheidung zwischen mehreren gleichwertigen Arbeiten finden zu müssen, war die Academy in diesem Jahr nicht konfrontiert. Bis auf Steve Soderberghs Traffic, der gemeinsam mit Ang Lees Tiger & Dragon den zweiten Platz im Ranking der erfolgreichsten Filme belegte, scheint es kaum einen Film gegeben zu haben, der die hohen Würden dieser Kategorie zu tragen vermag.
Denn selbst die bezaubernd-beschwingte Kung-Fu-Hommage Tiger & Dragon (beste nichtenglischsprachige Produktion) ist dieser Film nicht. Dazu ist dieses Märchen, bei allem Charme, schon im Ansatz zu klein. Allerdings, das spricht für den Film, er wohl auch nicht mehr sein. Doch ist diese Würdigung des Gladiator, wie beinahe alle Preise, über die sich hier in Deutschland eine Meinung bilden läßt Traffic gehört nicht dazu, ehe er hier zu sehen war , eher das Resultat einer Summe denn das Ergebnis einer einzelnen Position. Weithin uneingeschränkt darf man, wenigstens tut es der Autor, der besten Schauspielerin Julia Roberts als Erin Brocovich zustimmen. Ohne Zweifel bewegt sich Roberts nicht in der Liga, in der Jodie Foster, Meryl Streep oder Holly Hunter spielen. Als Schauspielerin, gemessen an den eigentlichen Maßgaben dieser Kunst, dürfte sie eher der kultivierten Mittelklasse angehören. Doch ist das, was sie dem amerikanischen Kino und damit einem weltweiten Publikum gegeben hat mit ihrem Charme, der etwas anderes ist als eine bestimmte Konfektionsgröße, diesen Preis wohl wert. Sie hätte ihm im Grunde schon verdient gehabt nach Pretty Woman. Dieser Oscar ist die Summe ihres Strahlens um die Welt.
Von einer anderen Summe dürfte die Dominanz des Gladiators bestimmt sein, der seines globalen Einspielergebnisses. Denn wenn die künstlerischen Kriterien nicht greifen, spätestens dann, erinnert sich Hollywood der eigentlichen Bestimmung seiner Existenz, der Bilanzen. Gewiss lässt sich gegen diesen Film wenig vorbringen, er ist handwerklich überzeugendes Unterhaltungskino: aber eben doch, bei aller ästhetischen Monumentalität, ein wenig schlicht, kaum aufgeladen durch etwas, was sich mit einigem guten Willen ein Gedanke nennen ließe. Und immerhin verdanken sie in Hollywood Ridley Scott einen Mythos wie Blade Runner und einen guten Film wie Thelma & Louise. Da kann man schon einmal eine Summe ziehen und einen Oscar reichen.
Ähnliches gilt wohl auch für den Neuseeländer Russel Crowe, dem besten Schauspieler. Denn sein einziger Konkurrent, Tom Hanks, hätte diesen Preis für eine tadelsfreie Leistung in dem nicht so überzeugenden Verschollen , bereits zum dritten mal erhalten. Und diese Summe, dieses endgültige Siedeln auf dem Olymp, wollte man für den erst 44jährigen wohl noch ein wenig hinauszögern. Und, Russel Crowe war bereits einmal nominiert, für die bessere Leistung als Insider.
Selbst für einen Mann wie den herausragenden Ang Lee kann dieses Summen-Spiel nicht ausgeschlossen werden, denn seine beiden Filme Eat, Drink, Man, Women und Icestorm waren, wiewohl nicht so spektakulär, doch deutlich stärker, in der Substanz, im Ansatz.
Bob Dylan ist vermutlich der Geehrte mit der größten Gelassenheit, den alles, was diesem Mann über seine Musik gesagt werden kann, ist ihm bereits gesagt worden. Diese Gelassenheit wird dem jungen Deutschen Florian Gallenberger gegenüber seinem Oscar wohl fehlen. Möglichweise auch deshalb, weil für den jungen deutschen Regisseur und seinen Kurzfilm Ich will sein auch die Frage steht: Was werde ich sein? Denn falls er Geschmack gefunden hat an dieser Trophäe, dann lebt er vermutlich im falschen Land. Das Summen-Spiel führt hier kaum je in die schwarzen Zahlen.
Autor: Henryk Goldberg
Text geschrieben 2001
Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine
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