„Seit über 30 Jahren nerve ich nun die Nation mit meinen über 70 Filmen, endlosen Talkshows, vielen Büchern, Hörspielen und Theaterstücken.“ So heißt es auf der Webseite von Rosa von Praunheim. Und da ist was dran. Rosa von Praunheim gehört zu den wenigen Künstlern dieser Republik, die es verstanden haben, die Gesellschaft so lange zu nerven, bis sie sich geändert hat. Ein bisschen jedenfalls. Ein Zeit lang jedenfalls. Mit einer eigentlich ziemlich einfachen Botschaft: „Der Homosexuelle kann sich nur helfen, wenn er mithilft, die Gesellschaft zu verändern.“ Man braucht das nur einmal umzudrehen, um zu kapieren, was einmal Politik war: Eine Gesellschaft kann man nicht verändern, ohne die sexuellen Ordnungen des Mainstream in Frage zu stellen.
Aber nicht nur deshalb war Rosa von Praunheim mehr als ein schwuler Filmemacher und mehr als ein Filmemacher für Schwule. Weil er die Diskurse, die Bilder nicht verengt sondern erweitert hat. Außerdem kann er wunderbar komisch und poetisch sein. Eines seiner bekanntesten Bücher, „Sex und Karriere“ aus dem Jahr 1976 hat einen klaren Aufbau: 1. Teil – die sexuelle Autobiographie, 2. Teil – das Filmemachen als künstlerische Technik und als soziale Geste, 3. Teil – das Erkennen der Welt in einer Suchbewegung, Essay nennt man das wohl. Die drei Elemente lassen sich in Rosa von Praunheims Arbeit insgesamt verfolgen, mal mehr in die eine, mal mehr in die andere Richtung. Am interessantesten sind seine Filme an den Schnittstellen.
Rosa von Praunheim machte keine Filme für den kulturellen Untergrund, auch wenn er Techniken und Produktionsweisen des „dritten Kinos“ übernahm. Seine Filme waren immer zu einem Segment der Gesellschaft geöffnet, in dem über Veränderungen nachgedacht wird. Übrigens war von Anfang an der Witz von Verfremdungen und Übertragungen eine seiner schärfsten Waffen, so wie in „Schwestern der Revolution“, wo Schwule und Frauen, utopisch und realistisch genug, zusammen kämpfen. Die Poetik des Rosa von Praunheim besteht aus einem sehr eigenwilligen Ineinander von Groteske, Pathos, Sentimentalität und Kritik.
Der Film aber, mit dem Rosa von Praunheim so etwas wie ein echter Eingriff gelang, war einigermaßen diskursiv, „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ (1971). Bei der Ausstrahlung des Films in der ARD schaltete sich der Bayerische Rundfunk aus dem ARD-Gemeinschaftsprogramm aus, was damals immer das untrügliche Zeichen dafür war, dass jemand etwas Wahres gedacht, gesagt und gezeigt hatte. Rosa von Praunheim selber beschreibt den Film: „Ich teile ihn in Story und Kommentar. Und das ganze spielt sich in fünf Episoden ab. Da sind die Stationen der Subkultur, die eine durchgehende Figur durchwandert: ‚Sentimentalität’, ‚Luxus’, ‚Konsum’, ‚Triebhaftigkeit’, ‚Komune’. ‚Komune’ ist dabei nicht als das Klischee gemeint, zu dem der Begriff geworden ist. Diese letzte Station ist im Grunde genommen der Anfang: fünf Leute leben in einer homosexuellen Gemeinschaft. Sie analysieren den Hauptdarsteller, sie sind also gewissermaßen der Kommentar des Ganzen“. Das, was „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt“ von anderen Filmen unterscheidet, ist der Verzicht auf alle Strategien der Idylle, des Opfers und der heroischen Ästhetisierung. Wenn dieser Film noch eine Suchbewegung war (der allerdings immerhin etliche folgten, die ihn sahen), hatten spätere Arbeiten wie „Armee der Liebenden“ über die Selbstorganisation der Schwulen in den USA durchaus strategische und historische Leitlinien. Aber immer gibt es die erwähnte Dreiteilung, die intimistische sexuelle Biographie, die Selbstreflexion des Mediums und die
Über 70 Filme kann man nicht in wenigen Zeilen sprechen, und einige davon herauszuholen ist ungerecht. Soviel immerhin: Rosa von Praunheims Filme waren am großartigsten, wenn sie sich von allen Regeln und Konventionen befreiten, sie waren am erfolgreichsten, wenn sie sich an sehr konkrete Menschen (seine liebevollen Portraits starker alter Frauen zum Beispiel) oder sehr konkrete Orte (Berlin und New York vor allem) und an sehr konkrete Bewegungen (die Suche nach seinen Müttern und ihren Welten), und sie scheiterten grandios, wenn sie mit dem Mainstream flirteten oder Biopics werden wollten (über Alexandra Kollontai oder Wilhelm Reich). Außerdem wurde Rosa von Praunheim zu einem Film-Lehrer, der seine Studenten und Kollegen damit überzeugte, dass er die Grenzen zwischen Lecture und Performance ignorierte.
Dabei hat Rosa von Praunheim, in stetem Kampf dagegen, sich vom Establishment auffressen zu lassen, wie kaum ein anderer wunderbare Bilder aus den Höllenidyllen des deutschen Kleinbürgertums und ihrem kulturellen Unterbau gefunden. Lange vor den ökonomischen Höhenflügen der Kitschkunst eines Jeff Koons machte Rosa von Praunheim durch cineastische Rearrangements von Kitsch wie in den „Bettwurst“-Filmen Gebrauch, von einer „Gartenzwerg-Wohnung, die einem den Sehnerv abklemmt“ sprach damals die Kritikerin ponkie. Nur dass der Kitsch bei Praunheim nicht selbstgefällige Ikonographie bleibt. Die Geschichte eines (dauerquasselnden) Kleinbürger-Ehepaares, von den Laiendarstellern Dietmar Kracht und Lucie Kryn gespielt, illustrierte die These „Jeder von uns ist eine Parodie, wenn er versucht, so zu leben wie die anderen“. Muss man wieder einmal umdrehen: „Jeder kann sein Leben finden, wenn er damit aufhört, so leben zu wollen wie die anderen“. Davon handeln, so oder so, alle Filme des Regisseurs. Jeder Film ist eine Geste der Selbstbehauptung, aber auch eine Suche nach der Ästhetik der Selbstbehauptung. Von Rosa von Praunheim lernen, heißt sich behaupten lernen. Und scheitern lernen heißt es natürlich auch.
Eines der Instrumente der Ästhetik der Selbstbehauptung ist Drastik. Das überschreitet nicht selten die Geschmacksgrenzen. Und es führte, auch nach „Nicht der Homosexuelle…“, zu etlichen Zensureingriffen. Das ZDF schnitt aus „Axel von Auersperg“ die Szenen, in denen Evelyn Künecke einen Bischof spielt, während die Äbtissin von einem Mann dargestellt wird, da man fürchtete, die „religiösen Gefühle“ der Zuschauer zu verletzen. Und so ging das weiter, von den Finanzierungsproblemen von Filmen ganz zu schweigen. Rosa von Praunheim lernte und lehrte die Kunst, Filme unter eigentlich ganz und gar unmöglichen Bedingungen zu machen. Und er hört nicht auf, genauer hinzusehen, nie kommt ihm das Projekt der Selbstbehauptung mit der cineastischen Empathie überquer. Einer seiner letzten Filme geht zu den „Jungs vom Bahnhof Zoo“. Und gleich darauf portraitiert er Ralph König, den Comic-Künstler, der etwas vergleichbares geschafft hat: Schwules Selbstbewusstsein (und Selbstkritik der „Szenen“) zu schaffen und zugleich dem Mainstream etwas zu sagen. Wenn die Welt besser werden soll, dann müssen Schwule, Heteros und alle anderen zusammen darum kämpfen. Und zusammen lachen dürfen sie auch. Auch in Zeiten, wo das wieder schwieriger wird.
Georg Seeßlen, Spex
Bild: CC BY-SA 2.5, Rosa von Praunheim
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29. Juni 2014 um 18:50 Uhr
Wunderbar zu lesen. Danke