Im Kino gibt es einerseits die großen Blockbuster, die mit Millionen, Stars und digitalen Effekten nach ihren Zuschauern schreien, billige und böse Horrorfilme, die gelegentlich Medienpädagogen, Moralphilosophen und Soziologen ins Grübeln bringen, und transgressive Komödien, die ein offensichtlich ewiges Bedürfnis nach Furzen, Sex-Missgeschicken und anderen Peinlichkeiten befriedigen. Mittendrin dürfen alte Meister und junge Wilde gelegentlich eigenwillige und vom Feuilleton nachdenklich begrüßte Werke vorstellen. Für den Kino-Abend zu zweit sorgen ›Romantic Comedies‹, und spätestens am Wochenende ist Zeit für ›Family Entertainment‹, Filme also, die das Kunststück fertig bringen, Vater, Mutter und Kinder gleich gut zu unterhalten, wenn auch mit unterschiedlichen Zutaten.
Diese Ordnung des Kinos ist weitgehend akzeptiert und vermessen, man hat seine Fan-Foren und Spezialzeitschriften, und man weiß, was man als Produzent produzieren muss, damit der Verbraucher im Kino verbrauchen kann, was er gebrauchen kann.
Aber dann gibt es eine weitere cineastische Formel, die man gern belächelt und diskursiv beiseiteschiebt und die deswegen immer für gewaltige Überraschungen sorgt, an den Kinokassen und in der Psychosoziographie des Kinopublikums. Man hat ihr den Namen ›Feelgood Movie‹ gegeben. Und bei jedem Sensationserfolg eines Feelgood Movie reibt sich die Kritik kurz die Augen. Filme für den braven, gutmeinenden, trostsüchtigen, bescheidenen und politisch korrekten Mainstream geben nicht wirklich viel her.
Gerade war es einmal wieder so weit: Ein eigentlich eher ›kleiner‹ Film aus Frankreich mit einer einfachen, menschlichen und irgendwie herzerwärmenden Geschichte um einen nach einem Unfall schwer behinderten Mann aus der Elite-Klasse, der durch seinen afrikanischen Betreuer neuen Lebensmut erhält, »Ziemlich beste Freunde«, schlägt an den Kinokassen alle möglichen Blockbuster und Star-Vehikel. Das passiert immer einmal wieder.
Gute Feelgood Movies kommen zur rechten Zeit; »Intouchables«, wie »Ziemlich beste Freunde« von Eric Toledano und Olivier Nakache im Original heißt, ist nicht nur ein Buddie-Film und ein Behinderten-Film, zwei Formeln zum Wohlfühlen im Kino seit langem, sondern konterkariert auch eine wachsende soziale Spannung, jene Stimmung, auf der Rechtspopulisten und Neonazis ihre Suppen kochen. So wird der Kinobesuch auch zu einem niederschwelligen, gut belohnten und wenig kostenden politisch-moralischen Statement. Das positive Feelgood Movie will immer auch humanistisches Bekenntnis sein. Es hilft nicht nur dem einzelnen Zuschauer beim Sich-gut-Fühlen, sondern auch dem Mittelstand beim Gut-Sein.
Niemand lässt sich gern in einem Feelgood Movie erwischen. Sie haben wohl die Erbschaft dessen angetreten, was man früher ›Kitsch‹ nannte. Sehr spezifisch war das auch damals nicht. Welche Meisterwerke mussten später aus der Kitsch-Zone befreit werden, man denke nur an die Melodramen von Douglas Sirk. Es gibt derzeit wahrscheinlich kein Film-Format, was so viel Spott auf sich zieht und was so viel Erfolg hat. Das ist das Kino, in das der Lehrer seine Schüler schickt und Menschen mit Gesundheitssandalen und Wolljacken nicht weiter auffallen. Oder Menschen, die ›sonst‹ eher nicht ins Kino gehen, so wie es mittlerweile ist. Wenn es keine Feelgood Movies gäbe, hätte vermutlich die Mehrzahl der Programmkinos und Arthouse-Abteilungen in den Multiplexen längst die Pforten geschlossen.
Aber was zum Teufel ist ein Feelgood Movie?
Es beschreibt menschliche Probleme, die man in der einen oder anderen Form kennt, wenn auch nicht immer in der geballten Weise, die das Kino uns vorhält. Es geht, schlicht gesagt, um die Ungerechtigkeit, ja die Grausamkeit des Lebens. Gewiss gibt es religiöse Feelgood Movies, aber selbst in ihnen müssen die Menschen ohne die Hilfe der Götter auskommen. Mit Tapferkeit, Willen, Humor und Solidarität zum Beispiel.
In einem Feelgood Movie kommen Konflikte zu einer Lösung, erweisen sich Menschen als lernfähig, trotzen andere, die von der Gesellschaft schon aufgegeben worden sind, dem Leben noch Liebe und Glück ab. Es geht nicht darum, die Welt zu verbessern, sondern darum, die Inseln des Guten anzusteuern.
Ein Feelgood Movie lässt den Zuschauer sich selbst als besseren Menschen erleben, er imitiert gewissermaßen einen sozialen Akt des Sich-Kümmerns. Je brutaler die Lebenspraxis in einer Gesellschaft, desto größer das Bedürfnis nach Feelgood Movies. Die Protagonisten und die Zuschauer tauschen symbolische Module von Glück und Unglück aus. Es ist, mit anderen Worten, ein in Fiktion verpacktes Ritual von Geben und Nehmen, Opfer und Erlösung.
Feelgood Movies dürfen sich eine sehr genau bemessene Portion von Frechheit leisten. Es geht an den Rand dessen, was gute Bürger sich an Sex & Drugs & Rock’n’Roll leisten oder es wenigstens anderen zubilligen.
Das Feelgood Movie bleibt in der Regel in der Sphäre der Realität, die Grenze zur White Fantasy, wo Engel und Geister bemüht werden müssen, um ein Menschenschicksal einzurenken, bleibt gewahrt. Man muss wenigstens die Illusion mitnehmen können, einen Teil der Botschaft des Films im wirklichen Leben praktiziert zu erleben.
Das Feelgood Movie ist immer ein wenig appellativ. Es lässt sich lesen als Appell zur Mitmenschlichkeit, ein Manifest, das man durch den Erlös der Kinokarte unterzeichnet.
Das Feelgood Movie, obwohl es eine gewisse Aura der Peinlichkeit des Intimen aufweist, schweißt das Publikum zusammen, erzeugt ein wohliges Wir-Gefühl. So ist ein Fernseh-Feelgood Movie schon etwas anderes, auch wenn dort das Genre nicht minder verbreitet ist. Im deutschen Fernsehen nennt man es denn auch ›Wohlfühl-Film‹, und entsprechend schert man sich nicht nur um die Grenze zum Kitsch nicht, sondern auch nicht um die Grenzen im Kitsch. Das gute Kino-Feelgood-Movie steuert auf den entscheidenden Satz in der Kritik zu: Es sei, soll da stehen, frei sein von Kitsch und Klischee.
Feelgood Movies handeln nicht von Menschen wie du und ich, sondern von Menschen, die schwächer, behinderter, unglücklicher sind. Die Filme leben von dem Wissen um diesen Abstand; sie handeln von Kranken, Behinderten, Ausgestoßenen, Unglücklichen; deren Rebellion gegen das Unglück bleibt individuell und familiär. So wie der Zuschauer im Horrorfilm im Sicheren bleibt, wenn die Körper zerfetzt werden, so bleibt er im Feelgood Movie im Sicheren, wenn es um das Unglück geht, das gleichsam durch die gemeinsame Anstrengung von Protagonist und Zuschauer ertragen und gemildert wird.
Das Feelgood Movie feiert die verlorenen ›Werte‹: Freundschaft, Verständnis, Respekt, Kreativität… Es entdeckt das Gute im Menschen. Feelgood Movies sind gegen die falschen Institutionen, die falschen Autoritäten, die falschen Ziele (vor allem sind sie gegen Geld).
Feelgood Movies behandeln zwar soziale und ökonomische Probleme, sie werden aber auf einer Ebene des ›Menschlichen‹ abgehandelt; wenn sie überhaupt an eine konkrete historische Situation gebunden sind, dann wird diese vor allem als Bühne der Metapher verwendet. Feelgood Movies sind für die Schwachen, aber sie sind nicht parteilich.
Feelgood Movies werden von Schauspielern getragen, vor allem sie sind es, die die Grenze zum Kitsch bestimmen. Diese Schauspieler sind entweder ›betroffene‹ Laien, einfühlsame und wandlungsfähige Profis oder, derzeit besonders beliebt, Kollektive von ›Schauspieler-Legenden‹. In Feelgood Movies muss man Nähe fühlen.
Vom Feelgood Movie strikt zu unterscheiden ist das klassische Melodrama, das nicht am Leitfaden des Glücks, sondern an dem der Moral erzählt, des Weiteren die sozialen Dramen, die statt eine (mehr oder weniger märchenhafte) Lösung anzubieten, der Anklage bis zum bitteren Ende folgen, unterschieden auch von den romantischen Komödien (in denen nur Scheinprobleme behandelt werden) und natürlich von jenen Schenkelklopfern, die Vorurteile und komische Formen des unerklärten Bürgerkriegs am Ende sentimental auflösen (wie, sagen wir, »Nichts zu verzollen«, der in seiner Boshaftigkeit anders als sein Vorgänger, »Willkommen bei den Sch’tis«, die Grenze des Feelgood Movies weit überschreitet).
Diese Grenzen sind natürlich weithin fließend. In den Filmen von Mike Leigh, wie »All or Nothing« (2002), wo eine Familie aus der Unterschicht, Kassiererin und Taxifahrer, durch den Herzinfarkt des Sohnes aus der Lethargie des Alltags gerissen wird, oder von Robert Guédiguian (wie jüngst »Les neiges du Kilimandjaro« – Der Schnee am Kilimandscharo – 2011) mischen sich immer wieder Elemente des Feelgood Movie in den sozialen Realismus, vor allem wenn es darum geht, Liebe, Freundschaft, Solidarität als Waffe der ›kleinen Leute‹ gegen die Bosse und Konzerne und Korruptionen des Alltags zu feiern. Mit »Le Havre« übrigens gelang Aki Kaurismäki wohl zugleich die Apotheose und die perfekte Parodie eines Feelgood Movies. Und auch »Le gamin au vélo« (»Der Junge mit dem Fahrrad«) von den Gebrüdern Dardenne lebt von dem unerschütterlichen Glauben daran, dass die Verhältnisse zu verbessern sind. Diese ›linken‹ Feelgood Movies glauben nicht an Wunder, aber sie glauben an die Menschen, vor allem an die Menschen, die am unteren Ende der Hierarchien Solidarität und Achtsamkeit untereinander gelernt haben.
Jede Klasse, jedes Geschlecht, jede Generation bekommt das Feelgood Movie, das es verdient. Selbst die gestresste doppelbelastete Frau im Haifischbecken des Finanzkapitalismus bekommt ihr Feelgood Movie, etwa in »I Don’t Know How She Does It« (Der ganz normale Wahnsinn – 2011 – Regie: Douglas McGrath), wo Sarah Jessica Parker eine Investmentmanagerin ist, die so ihre Schwierigkeiten hat, auch noch Kuchen für die Kindergartenparty ihrer Tochter backt, sich mit To-Do-Listen behilft, sich gegen die Vorzeigemütter behaupten muss und glücklicherweise einen dermaßen netten und verständnisvollen Mann mit eigenen Karriereplänen hat. Der Film behauptet zwar, Powerfrau und gute Mutter sei am Ende doch unter einen Hut zu bekommen, aber nur indem er alle wirklichen Probleme dabei ausblendet (und auch von Geld wird eigentlich nicht gesprochen).
Generell lassen sich wohl ›linke‹ von ›rechten‹ Feelgood Movies unterscheiden, also solche, die von der Kraft des Widerstands und der Gemeinschaft handeln, und solche, die von der Aura des Einzelnen und der Familie als Lösung handeln. Wirklich erfolgreich sind indes jene Feelgood Movies, denen es gelingt, auch noch die Spannung innerhalb einer Gesellschaft zu heilen (womit wir wieder bei »Ziemlich beste Freunde« wären).
Eines der Subgenres des Feelgood Movie handelt von der ›Erlösung‹ der bürgerlich-urbanen Welt, mit ihrem Materialismus und sinnlichen Verklemmung, durch das Land, durch die ›mediterrane‹ Leichtigkeit, durch ›das Volk‹, das mittlerweile in den Industriegesellschaften selber nicht mehr zu finden ist und darum durch Menschen ›mit Migrationshintergrund‹ ersetzt werden muss. In »Les femmes du 6ème étage« (Nur für Personal – 2010 – Regie: Philippe Le Guay) geht es an die Wurzeln dieser ›Erlösung‹ in den 1960er Jahren in der Geschichte eines Anlageberaters und eines spanischen Dienstmädchens.
Ansonsten gibt es für die Feelgood Movies einige todsichere Themen, wie zum Beispiel ›Seniorenfreundschaften‹. Die Alten, die noch einmal Glück und Abenteuer finden, wie in »Best Exotic Marigold Hotel« (2011 – Regie: John Madden), noch dazu in einer ›fremden‹, der indischen Kultur in diesem Fall, wo Respekt und Würde groß geschrieben werden (wiederum natürlich mit Hilfe einer beachtlichen Schauspielerriege von Judy Dench bis Bill Nighy). »Et si on vivait ensemble?« (Und wenn wir alle zusammenziehen? – 2011 – Regie: Stéphane Robelin) erzählt von einer Alters-WG um fünf alte Menschen, und die Schauspieler wie Geraldine Chaplin, Jane Fonda, Claude Rich oder Pierre Richard geben der Komödie eben das, was ein gutes von einem schlechten Feelgood Movie unterscheidet, eine Seele. Zunächst wird Claude (Claude Rich) aus dem Altersheim entführt, in das ihn der Sohn nach der Herzattacke (nach dem Besuch einer Prostituierten) gesteckt hat, und schließlich ist man zu fünft in der bislang nur von Jean (Guy Bedos) und Annie (Geraldine Chaplin) bewohnten Wohnung. Doch in das Idyll fällt auch der Schatten des Todes mit dem Krebstod von Alberts (Jean Richard) Frau Jeanne (Jane Fonda), der das Drehbuch allerdings auch noch eine Romanze mit einem jungen Mann, dem Studenten Dirk (Daniel Brühl), zuschreibt. Ein filmisches Denkmal des Alterns, das die positive Seite des Feelgood Movie erfüllt: den hoffnungsfrohen Realismus. Den Schleier der Barmherzigkeit wollen wir in diesem Zusammenhang über die Senioren-Wohlfühlfilme des deutschen Fernsehens legen.
Die ›Multikultikomödie‹. Dazu gehören hierzulande etwa »Russendisko« (2012 – Regie: Oliver Ziegenbalg), ein Film, der, nach Wladimir Kaminers Erfolgsbuch, ausgesprochen harmlos und unspezifisch mit den verschiedenen nationalen und religiösen Identitäten umgeht, oder »Türkisch für Anfänger« (2012 – Regie: Bora Dagtekin), wo sich nach einer Flugzeugnotlandung ein deutsches Mädchen, ein junge Türke und seine strenggläubige Schwester und ein (stotternder) Grieche auf einer einsamen Insel wiederfinden. »Dreiviertelmond« (2011 – Regie: Christian Zübert) erzählt von einem grantigen Taxler (Elmar Wepper), der noch menschenfeindlicher wird, nachdem ihn seine Frau verlassen hat; auf einer Fahrt zum Flughafen transportiert er eine Türkin und deren kleine Tochter, die einen Urlaub bei der Großmutter verbringen soll. Als die jedoch ins Koma fällt (und die Mutter schon wieder bei ihrem Job auf hoher See ist), hängt sich Hayat, die kein Wort deutsch spricht und in Nürnberg außer dem unfreundlichen Taxifahrer niemanden kennt, an ihn. Wir kennen das Motiv von Heidi und dem menschenfeindlichen Alm-Öhi…
Was direkt zu einem Sonderfall des deutschen Feelgood Movie führt, zur ›Heimatkomödie‹. Sie darf, grenzgängerisch immerhin, auch mal etwas schräger sein wie in »Was weg is, is weg« (2012 – Regie: Christian Lerch), der von drei einander entfremdeten Brüdern erzählt, die sich in den 1980er Jahren nach einem Unfall auf dem elterlichen Hof wiedertreffen. Nicht immer muss es sich das Feelgood Movie leicht machen bei seinem Versöhnungswerk – in diesem Zusammenhang sei auch daran erinnert, dass es keine schlechten und guten Genres gibt, sondern nur schlechte und gute Filme.
Politischer wird es mit den ›Friedenskomödien‹. »Et maintenant, on va où?« (Wer weiss, wohin? – 2011 – Regie: Nadine Labaki) erzählt von einem Dorf, in dem es zwischen Christen und Moslems einen heftigen Konflikt gibt, den schließlich die Frauen mit unorthodoxen Mitteln beilegen. Sie engagieren ausgerechnet einen Bus voll ukrainischer Stripperinnen. Es ist die Balance zwischen märchenhafter Hoffnung, Ironie und dem Wissen um den ernsten, tragischen Hintergrund, die die Harmonie eines gelungenen Feelgood Movie ausmacht. Menschlichkeit ist stärker als alles, so lautet seine Botschaft. Man kann sie unterschreiben, ohne dass sich viel ändert. Und es gilt das etwas desillusionierende Motiv: Je weiter der Ursprungsort eines Feelgood Movie von der eigenen Lebenswirklichkeit entfernt ist, desto unkritischer wird es gesehen. Deswegen gehören zu den Feelgood Movies auch Reise- und Märchenfilme, die von Menschen hinter sieben Bergen erzählen, die noch ganzheitlich, lebensglücklich und ökologisch leben.
Auch das ›Family Entertainment‹ nimmt Züge des Feelgood Movie an, wo es das Fantastische eher als Vorwand nimmt und es vor allem um die Neuordnung familiärer Rollenverteilungen und Verhaltensweisen geht wie in den Sams-Filmen nach Paul Maar: »Sams im Glück« (2012 – Peter Gersina) ist der dritte Film nach der Jugendbuch-Serie: Das Wunschwesen Sams und der verklemmte Herr Taschenbier beginnen so nach und nach die Eigenschaften zu vertauschen. Ein Kapitel in der Befreiung des verklemmten Kleinbürgers.
Wie in »Les émotifs anonyms« (Die anonymen Romantiker – 2010 – Regie: Jean-Pierre Améris) geht es um berufliches und persönliches Glück, hier projiziert in die Geschichte einer schüchternen, aber genialen Chocolatière. »Ma part du gateau« (Mein Stück vom Kuchen – 2011 – Regie: Cédric Klapisch) erzählt die Liebesgeschichte zwischen einer geschassten Angestellten, die drei Töchter zu versorgen hat, und einem Börsenmakler, bei dem sie sich als Putzfrau verdingt und der für das berufliche Dilemma verantwortlich ist.
Nostalgische Verklärung, auch und gerade der ›bitteren Zeiten‹, ist ein wesentlicher Bestandteil des Genres. Auch in »La guerre des boutons« (Der Krieg der Knöpfe – 2011 – Regie: Christophe Barratier), der Neuauflage eines veritablen Klassikers des Genres, wird, wie in der milden Verfilmung von Sempés »Der kleine Nick», eine Kindheit beschworen, die es so nicht mehr gibt. Stattdessen freilich wird in diesem Film versucht, in den Kämpfen der Kinder die der Erwachsenen zu spiegeln – es ist die Zeit der deutschen Besatzung, und aus dem Spiel wird rasch Ernst. Einmal mehr setzt Barratier nach »Die Kinder des Monsieur Mathieu« und »Paris, Paris« auf eine Mischung aus Warmherzigkeit und Hoffnung.
Zu den Standards des Feelgood Movie gehören die geglückten Schulexperimente und Außenseitergeschichten wie die von »Monsieur Lazhar« (2011 – Regie: Philippe Falardeau) aus Kanada, die Geschichte eines vom islamistischen Terror gezeichneten Mannes (Mohamed Fellag), der sich als Lehrer in eine Schule schmuggelt, aus Liebe zur Literatur und zu den Kindern. Ein starres soziales System wie die Schule reagiert dabei auf eine emotionale Katastrophe, den Selbstmord einer Lehrerin. Aber letztlich geht es darum, wie Lehrer und Schüler sich gegenseitig Trost spenden in einer Institution, die nicht zu retten ist. Für ein echtes Feelgood Movie lassen Filme wie dieser vielleicht zu viele Fragen offen. Aber das Hauptkriterium, die Lösung der gesellschaftlichen Probleme durch die Akkumulation des Menschlichen, wird in jedem Fall erfüllt.
Die Behinderten und Kranken spielen eine große Rolle im Feelgood Movie. In »Ein Tick anders« (2011 – Regie: Andi Rogenhagen) geht es um ein Mädchen mit Tourette-Syndrom, das mit ihren Eltern und der Großmutter beschaulich auf dem Land lebt. Aber der Vater bekommt einen neuen Job in Berlin, und sie versucht alles, um in ihrem Dorf bleiben zu können. In »Die Zeit, die man Leben nennt« (2007 – Regie: Sharon von Wietersheim) wird der Pianist Luca (Kostja Ullmann) durch einen Unfall aller Karrierehoffnungen beraubt und leidet an Depressionen; in der Reha-Klinik trifft er auf Roderick (Hinnerl Schönemann), der todkrank ist und trotzdem voll Lebensmut steckt. Im Feelgood Movie wird Krankheit offen zur Metapher. In den Schwächen des Leinwand-Charakters sieht der Zuschauer seine relative Stärke ebenso wie seine eigenen relativen Schwächen; das Mitleid, das er der Leinwand-Persona gegenüber aufbringt, meint immer auch sich selbst.
Bis zu einem gewissen Grad kann man dieses Spiel auch unterlaufen; auch das Feelgood Movie ist schon ins Stadium der Selbstreflexion getreten. Das gilt natürlich vor allem für Filme, die sich an realen Personen und Fällen orientieren. »Yo también« (Me Too – Wer will schon normal sein? – 2009 – Regie: Antonio Naharro) erzählt von dem 34-jährigen Daniel (Pablo Pineda) mit Down-Syndrom, der als erster in Spanien die Lehrerprüfung schafft und sich im Büro der Behindertenbehörde in Laura (Lola Duenas) verliebt. »The Music Never Stopped« (2011 – Regie: Jim Kohlberg) handelt von den Selbstfindungsprozessen eines jungen Mannes in den 50er Jahren, seiner späten Versöhnung mit der Familie und von der Musiktherapie, die ihm hilft, Erinnerungen zurückzuholen, die er wegen eines Gehirntumors verloren hat. All das wird im Film in eine geschickte mythische Einheit gebracht.
»When Did You Last See Your Father?« (Die Zeit, die uns noch bleibt – 2007 – Regie: Anand Tucker) ist die Geschichte (nach einem Roman von Blake Morrison) eines Vaters, der sich »aus allem rausreden konnte«, und seines Sohnes. Die Aussprache, die erhofft wird, findet nicht statt, aber es gibt die erlaubte Trauer nach dem Krebstod des Vaters. Das Feelgood Movie – in der Variante: Vater/Sohn- oder auch Mutter/Tochter-Geschichten mit einer Versöhnung vor dem Tod – arbeitet sich an den Tod heran und von ihm fort.
Im deutschen ›Wohlfühlfilm‹ des Fernsehens geht das natürlich anders, da gelingt die Versöhnung, und umso besser wenn gleich Vater und Sohn, Howard und Wayne Carpendale, die Hauptrollen spielen: »Lebe dein Leben« (2011 – Regie: Peter Sämann), wo es, wie immer im deutschen Film, neben der Familie selber auch gleich um die Rettung des Familienunternehmens geht. Wenn es kritischer wird wie in »Komm, schöner Tod« (2011 – Regie: Friedemann Fromm), wo es um ein Sterbehilfe-Institut geht und eine Seniorin (Katharina Matz), die wegen ihrer Demenz als erste modellhaft freiwillig in den Tod gehen will, da versteckt man (hier das ZDF) den Film gern im Nachtprogramm (auch wenn man noch genügend Elemente der Senioren-Feelgood-Komödie eingebaut hat). Der Abend dagegen gehört der Schmonzette. Und dem bedingungslosen ›Ja zum Leben‹ à la »Manche mögen’s glücklich« (2011 – Regie: Florian Gärtner), wo der übliche verbitterte Witwer (Stephan Luca) von der lebenslustigen Frau (Juli Brendler) ›erlöst‹ wird. Ein klassisches Feelgood Movie etwa ist »Fischer fischt Frau« (2012 – Regie: Lars Jessen), das von den Nöten der Krabbenfischer in Ostfriesland und den Modernisierungs- und Globalisierungskrisen erzählt. Der Krabbenfischer Hein (Heinrich Brix) wird von seiner Frau verlassen, sein Kutter streikt, und so fährt er mit einem Freund nach Marokko, um eine neue Frau zu suchen, doch statt der willfährigen und unterwürfigen Fatima findet er (ohne dass diese Beziehung recht eigentlich erklärt wird) eine selbstbewusste junge Frau namens Mona, die dort drüben das Geschäft des Krabbenpuhlens besorgen muss, für das einst Heins Mutter zuständig war. Eine weitere Seniorenkomödie, »Das Glück ist ein Kaktus« (2011 – Regie: Stephan Meyer), handelt von einem Neuanfang zweier älterer Damen (Christiane Hörbiger, Heidelinde Weis) auf Mallorca, wo sie ein Restaurant gegen alle Widerstände errichten. Was diese Filme im Trostangebot haben, ist vor allem eine ökonomische Form des Glücks. Wider besseres Wissen, nebenbei.
Ein gutes Feelgood Movie darf sehr vieles, Verstöße gegen Logik, Ästhetik und Kohärenz eingeschlossen. Doch eines darf es nicht: lügen. Nur ein bisschen schummeln, etwa in Bezug auf die Beziehung von Mainstream und Außenseiter. In »Our Idiot Brother« (2011 – Regie: Jesse Peretz) spielt Paul Rudd den einfältigen Hippie Ned, der mit seiner Arglosigkeit immer wieder in Bredouille gerät, etwa weil er einem Polizisten Gras verkauft hat. Danach sucht er Unterschlupf bei seinen drei Schwestern, die ihrerseits Klischees ausfüllen: die Karrieristin, das Hausmütterchen und die Rebellin. Durch seine Art bringt er deren Leben durcheinander, aber die tiefe Nettigkeit des Hippies wird dann doch akzeptiert, ohne dass irgendetwas tiefer in Frage gestellt würde.
Feelgood Movies gestatten sich eine Portion Melancholie und Rebellion, bleiben aber im Kern immer optimistisch. Entscheidend ist, dass sie ein geschlossenes System bilden. Lösungen werden immer in der Geschichte selbst geliefert, der Zuschauer wird entlassen mit einer Aussage und Botschaft, an der nichts zweifelhaft bleibt (auch wenn sie durchaus vage formuliert sein kann). Der Zuschauer eines Feelgood Movie verlässt das Kino mit einem Lächeln, vielleicht. In aller Regel verschwindet es, sobald er wieder in die Wirklichkeit eintaucht. Ein sehr gutes Feelgood Movie erkennt man daran, dass es ein wenig länger bleibt.
Georg Seeßlen, 10.09.2012
[dies ist die erweiterte Version eines Artikels der Zeitschrift „Pop. Kultur und Kritik«, Heft 1, September 2012, S. 15-20]
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