Die Freiwillige Selbstkontrolle feiert ihren 50. Geburtstag
Nach einer nicht ganz tausendjährigen Geschichte von Verbrechen, Schrecken und Krieg, in der es in den deutschen Kinos neben einigen Filmen voll perfider Propaganda und Rassismus vor allem arglos scheinenden Frohsinn gegeben hatte, suchte das bundesdeutsche Volk Entspannung von harter Wiederaufbauarbeit im Kino. Dort gab es nun neben einigen Filmen voller perfider „Vergangenheitsbewältigung“ vor allem wieder arglos scheinenden Frohsinn. Und diesen wollte man sich unter keinen Umständen stören lassen. Weil aber einem Bollwerk gegen Sex & Crime & kommunstischer Unterwanderung ein Verfassungsauftrag „Eine Zensur findet nicht statt“ entgegenstand, mußte ein anderer Weg gefunden werden. Eine „Freiwillige Selbstkontrolle“ (SFK), das klingt nicht nur freundlicher, sondern setzt auch auf eine feinere Balance zwischen den Erfordernissen des Marktes und den Interessen einer Gesellschaft, sich unliebsame Bilder vom Hals zu halten, als es „Zensur“ vermochte.
Am 17./18. Juni 1949 wurde das Instrumentarium der FSK begründet als ein Selbstverwaltungsorgan, in dem Vertreter der Filmwirtschaft neben Repräsentanten der Kirchen, der Jugendverbände und der politischen Öffentlichkeit von Bund und Ländern zu bestimmen haben über Freigabe, Altersbeschränkungen und Schnittauflagen. Am Ende des Jahres waren drei Verbote ausgesprochen; zwei Filme wurden wegen „Romantisierung des Krieges“ („Stradivari“) bzw. „militaristischer Tendenzen“ („Vier Federn“) untersagt, einer („Der Leberfleck“) wegen „teilweiser Verletzung des natürlichen Schamgefühls“. Ein vierter, der Aufklärungsfilm „Schleichendes Gift“, wurde nur unter der Auflage freigegeben, daß das Publikum bei seiner Aufführung streng nach Geschlechtern geteilt wurde.
Das System funktionierte auf recht symbiotische Weise in einer Kinokultur, in der sowieso am liebsten vom Förster vom Silberwald und der Kaiserin Sissi geträumt wurde. Die „Skandale“, die die FSK in den fünfziger Jahren machte, waren daher nicht so sehr die Eingriffe und Verbote, von denen die Öffentlichkeit sowieso nicht allzu viel Kenntnis nahm, als vielmehr die Freigaben, und beinah regelmäßig wurde schon in ihrer Anfangszeit in der Kritik gefragt, ob diese Institution denn noch zu retten sei. Der erste dieser Skandale war 1951 die Freigabe des Films „Die Sünderin“ von Willi Forst, in dem Hildegard Knef nicht nur für kurze Augenblicke nackt zu sehen war, sondern auch Verständnis für den Selbstmord der Filmheldin gezeigt wurde. Die kirchlichen Vertreter traten aus der Kommission aus, ein Vorgang, der sich wiederholen sollte, und statt dessen mobilisierte man den öffentlichen Protest, wobei katholische Jugendgruppen auch vor dem Einsatz von Stinkbomben nicht zurückschreckten. Jedes Jahrzehnt hatte dann seine diesbezüglichen FSK-Skandale: 1962 stellte sich die FSK gegen die Katholische Filmkommission und ein bayerisches Amtsgericht, die Ingmar Bergmans „Die Jungfrauenquelle“ verboten sehen wollten. Im Jahr 1964 erging es ihr nicht viel besser, als man Bergmans „Das Schweigen“ freigab, einschließlich jener Szene, die ein konservativer Journalist als „geradezu viehischen Geschlechtsakt“ beschrieb. 1971 ging es dann um die Freilassung eines Aufklärungsfilms von Oswald Kolle, und diesmal führte der Skandal zur endgültigen Spaltung. Die Kirchen und die Anstalten der öffentlichen Hand zogen sich aus der Arbeit der Freiwilligen Selbstkontrolle zurück. Sie sind seitdem nur noch an der gesetzlichen Aufgabe beteiligt, den Jugendschutz zu gewährleisten.
Viel weniger öffentlichen Aufruhr als Sex & Crime verursachte die politische Zensur. So wurde zunächst Roberto Rosselinis Film „Rom, offene Stadt“ von der FSK blockiert und erst 1961 freigegeben. Es war gang und gäbe, Hinweise auf den deutschen Faschismus entweder ganz zu eliminieren (wie in „Casablanca“ oder in Hitchcocks „Notorious“, in dem aus einer faschistischen Geheimorganisation eine Rauschgiftbande werden mußte) oder zumindest abzuschwächen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen Veit Harlans „Jud Süß“ oder Leni Riefenstahls Reichsparteitagsfilm passierten andererseits die nationalsozialistischen Filme selbst recht reibungslos die FSK. In der Regel genügte es, alle Szenen mit sichtbaren Symbolen des Nationalsozialismus zu entfernen.
Einer dieser Fälle von politischer Blindheit der FSK führte immerhin zur Intervention von höchster Stelle: 1953 gibt die FSK den Hitler-Film „Bis fünf nach zwölf“ nach zwei Ablehnungen doch noch frei; Bundeskanzler Konrad Adenauer erklärte den Fall daraufhin zur Chefsache und berief schließlich eine Konferenz der Landesinnenminister ein, um den Film wegen seiner „NS-Tendenzen“ verbieten zu lassen. Bis dahin hatte er, nebenbei gesagt, fünf Millionen DM eingespielt und ließ damit alle Hollywood-Produktionen dieses Jahres hinter sich. Die Opposition argwöhnte indes wohl nicht zu Unrecht, die Bonner Regierung hätte den Film wohl hauptsächlich deswegen ins Visier genommen, weil er einen unerwünschten Vergleich zwischen der Armee des nationalsozialistischen Deutschland und der Bundeswehr gezogen hätte.
Aber schnell verlegte sich die Unzufriedenheit der staatlichen Stellen mit der laxen Handhabung des Auftrags der Freiwilligen Selbstkontrolle wieder auf die bettmoralische Gesundheit des deutschen Volkes. 1954 waren von 8095 der FSK vorgelegten Filmen „nur“ 48 zur Aufführung nicht freigegeben worden. Im selben Jahr aber erklärt Familienminister Wuermeling das Kino zum Hauptverantwortlichen für die „Zerstörung von Ehe und Familie“ und stellte die Wiedereinführung einer staatlichen Zensur in Aussicht. Unter anderem forderte er, heute kaum zu glauben, Bundesbürgschaften für solche Filme zu verweigern, in denen von ihrem Ehepartner geschiedene Schauspieler auftreten. Sein Entwurf freilich überlebte die Debatte im Bundestag nicht.
1965 wurde, gewiß wegen der nachlassenden Sorgfalt der FSK, die Bürgerinitiative „Aktion Saubere Leinwand“ ins Leben gerufen. Sie schaffte es mit ihren Unterschriftenlisten, daß vor dem Bundestag der CDU-Abgeordnete Süsterhenn einen Antrag einbringen konnte, der die grundsätzliche Zensurfreiheit von Kunst und Wissenschaft mit einem einschränkenden Zusatz versehen und die „Wahrung von sittlicher Ordnung“verlangen sollte. Der Antrag verfehlte nun schon knapper die erforderliche Mehrheit.
Man war damals eben noch sehr besorgt. In der Zeit, in der ich meine ersten Kino- und sonstigen Abenteuer erlebte, konnte es geschehen, daß man von unauffällig gekleideten Leuten nach dem Ausweis und Altersnachweis gefragt wurde. Die Katholische Filmkommission für Deutschland benotete Filme und verlangte von den Mitgliedern ihrer Herde das Versprechen, vom Besuch nicht empfohlener Filme abzusehen: Note 3 hieß „abzuraten“, Note 4 gar „abzulehnen“, weil der entsprechende Film „einen sittlich oder religiös gefährdenden Einfluß auf den Durchschnitt der Filmbesucher“ ausüben würde.
1969 zeigt die FSK noch einmal Stärke: Zum 20jährigen Bestehen der Nato läßt Günter Diehl einen Werbefilm für die Bundeswehr und die militärische Stärke drehen „fast Pop Art, damit uns die Jugend nicht gleich auspfeift“. Ein Versuch, der wegen gewaltverherrlichender und militaristischer Tendenzen nicht akzeptiert wurde. Aber solch eine Entscheidung blieb in der Geschichte der FSK eine der rühmlichen Ausnahmen in einer Praxis, die höchst empfindlich auf politische Kritik (vor allem von „außen“) und höchst nachsichtig reagierte, wenn es um das faschistische Erbe ging.
Autor: Georg Seesslen
Text veröffentlicht 1999
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