Männer, Mythen und die Kinomaschine in den Filmen von David Fincher
David Fincher lässt sich mit seinen Spielfilmen Zeit. In fünfzehn Jahren hat er es nur auf eine Handvoll Titel gebracht. Aber das Warten lohnt sich immer. Jetzt kommt endlich Finchers neuer Film, der Serienkiller-Thriller Zodiac, zu uns.
Der Regisseur David Fincher ist zugleich Schlüsselfigur und Ausnahmeerscheinung in der zweiten Generation der Blockbuster-Fabrikation. Es sind die Filmemacher, die mit den Popcorn-Epen von Steven Spielberg und George Lucas aufgewachsen sind und die ihren im Vergleich zu den Filmhochschulregisseuren heftigen, eklektischen Geschmack an Musikclips und Werbespots schulten. Fincher hat sein Handwerk zunächst als Angestellter bei George Lucas‘ Industrial Light & Magic gelernt; eine sehr technische, sehr professionelle, auf die perfekte Erzeugung von Illusion ausgerichtete Arbeit. Geblieben ist davon ein umfassendes Wissen in allen Bereichen des Filmemachens; dieser Regisseur, sagt man, könne am Set jede Arbeit übernehmen. 1986 war Fincher Mitbegründer von Propaganda Films, einem Studio, das sich vorwiegend mit Werbeclips beschäftigte und das mit seinen Musikvideos maßgeblich das progressive Image von MTV bestimmte. Eine ganze Generation neuer Hollywood-Regisseure prägte Propaganda Films, und Propaganda Films prägte sie. Darunter waren Dominic Seña, Spike Jonze und Gore Verbinski, um nur die fantasievolleren jungen Propaganda-Regisseure zu erwähnen. Aber auch David Lynch drehte Wild at Heart für Propaganda, Neil LaBute Nurse Betty und Paul Schrader Auto Focus. Eine sehr offene Bilderfabrik war da entstanden (2001 fand sie ein eher unrühmliches Ende), ein Projekt, das methodisch ziellos begonnen wurde, in seiner ökonomischen und ästhetischen Dynamik Hollywood jedoch stärker beeinflusste, als es die Filmgeschichtsschreibung bislang wahrnahm.
Die ästhetische und emotionale Kälte, die die amerikanische Kritik der „Generation Propaganda“ gewiss nicht grundlos unterstellte, die Effekthascherei, die Zusammenarbeit mit der Werbebranche und die Unterwerfung unter das Diktat der Blockbusterproduktion: Das ist die eine Seite des Propaganda-Kosmos. Die Regisseure der zweiten Phase in der Entwicklung von Propaganda, Simon West, Michael Bay oder Gore Verbinski, machten in der Tat fast trotzig das Kommerzielle zum Programm und waren auch in politisch-moralischer Hinsicht kein bisschen zimperlich. Ihr Kino schien wie die Faust aufs Auge zum Boom der New Economy zu passen. Aber es gab immer auch die andere Seite von Propaganda Films, ein geschärftes Medien- und Stilbewusstsein, die unerwartete moralische Geste im Illusionsapparat und gegen ihn. Und Fincher selbst war ohnehin weiter als sein eigener Produktionsapparat. Aus der Spannung zwischen perfekter Beherrschung der Mittel und einem Impuls zur Befreiung entstand sein sehr persönliches Kino. Ein Kino des Zorns.
Fincher kennt alle Tricks der Effektmaschine, und jeder seiner Filme scheint vor allem den Beweis antreten zu wollen, dass immer noch mehr aus ihr herauszuholen ist. Aber er ist zugleich auch ein Antipode. Jeder seiner Filme ist auch das Dokument eines Kampfes mit der „Propaganda-Maschine“, mal eine Niederlage wie Alien 3, mal ein Triumph wie Fight Club, mal ein Unentschieden wie Panic Room, und man sieht ihnen die Anstrengung an. Immer steckt eine Form der Distanzierung darin: Fincher ist ein Regisseur, der sein Können gleichsam auf der Flucht vor den eigenen Mitteln entfaltet. Ein Anschlag auf den Popcorn-Appetit, nicht von außen, sondern mittendrin. Früher nannte man das Subversion.
Spiel & Konstruktion
David Fincher arbeitet mit den Modellen und Genres der Traumfabrik. SF-Horror in Alien 3, Serienkiller-Thriller in Sieben und Zodiac, Verschwörungsfantasie in The Game und Fight Club, Belagerungsterror in Panic Room. Stars und Besetzungscoups gehören zu den Markenzeichen wie das stets eingelöste Versprechen auf atemberaubende Action und ungewöhnliche plot twists. Aber immer dreht sich das Spiel die entscheidende Spirale weiter, immer kommt in einem Fincher-Film der Augenblick, wo alle Genrekonventionen verlassen werden. Das funktioniert umso besser, als die Filme genau von diesem Zusammenhang handeln, von dem Zusammenhang zwischen Zwang und Befreiung nämlich, den linear zu vereinfachen weder der abendländischen Philosophie noch dem Blockbusterkino wirklich gelungen ist. Finchers Kino des Zorns geht, mit anderen Worten, ans Fundamentale.
Dabei bringen diese Filme das Kunststück fertig, zugleich kühl und bewegend, kalkuliert und emotional zu sein. Und dazu passt, dass der Regisseur nicht so sehr einen Stil geprägt hat als vielmehr eine Methode des Stilisierens. Jeder Film bekommt bei ihm einen speziellen Look, eine besondere Farb- und Lichtdramaturgie. Der Fincher-Kosmos ist ikonografisch nicht unbedingt kohärent, aber es gibt wiederkehrende Spuren. Da ist vor allem die Enge des Raumes, die bei Fincher besonders bedrohlich wirkt, weil sie durch scheinbar gegenläufige Mittel erzeugt wird, zum Beispiel durch die besondere Benutzung des Breitwandformats oder dynamisch-subjektive Kameraperspektiven, die bei jedem anderen Regisseur eher der Dehnung als der Stauchung des Raums dienen würden. Da ist der Plot, der seine eigene Konstruktion enthält, stets mehrfach gebrochen an Kino- und Welterfahrungen, und natürlich eine Vorliebe für Charaktere, die der „Generation Propaganda“ entsprechen: Yuppies, kalte Erfolgsmenschen, die neuen Kleinbürger mit ihren Konsum- und Sicherheitsfantasien, Schlafwandler, die ein großes Ego und ein schwindendes Ich beherbergen und am Beginn stets aus der einen oder anderen Form des Schlafes erwachen: Symptome einer inneren Krise des Systems – noch vor der äußeren.
Das Leben ist ein Klumpen Fremdheit
Apropos System. David Finchers Plots funktionieren viel weniger nach dem Prinzip einer Geschichte, die sich linear und in der Zeit entwickelt, als vielmehr nach einem Modell von System und Störung, sie sind wie psychologische Versuche am Rand der Kontrolle. Alle Filme von Fincher lassen sich auf einige scheinbar einfache Grundkonzepte zurückführen: Tatkräftige, aber gefährdete Menschen werden in ein System geworfen, in dem es feste Begrenzungen des Raums, der Zeit und der Beziehungen gibt und in dem eine Kraft dem Eindringling oder Gefangenen nach dem Leben trachtet, die eine sehr spezielle Beziehung zu ihm hat. Alien 3: ein Sträflingsplanet mit strengen Verboten von Sexualität und Waffen, in dem das parasitäre Wesen nach Nahrung und Vermehrung giert – eine harte Kämpferin (Sigourney Weaver), durchprofessionalisiert in einer obsessiven Auseinandersetzung mit der Gefahr aus dem All. The Game: ein reality play, bei dem den Probanden von einer mysteriösen Agentur für einen Tag eine zweite, gefährliche Realität vorgesetzt wird – ein verhärteter Geschäftsmann (Michael Douglas), der den Geschmack am Leben verloren hat. Sieben: ein Serienmordmuster als Strafgericht, in dem der Polizist als Zeuge, Opfer und schließlich Täter integriert ist – ein älterer, desillusionierter und ein jüngerer, bürgerlich-idealistischer Cop (Morgan Freeman und Brad Pitt). Fight Club: eine Verschwörung, halb Spaßguerilla, halb psychotisches Gewaltspiel, die eigentlich nur in einem Kopf stattfindet, der sich selbst nicht mehr erträgt – ein Büromensch (Edward Norton), auf der Suche nach dem Bild für sein Leiden. Panic Room: ein Raum der Sicherheit, der die Bedrohung erst anlockt und das Spiel von Schlag und Gegenschlag auslöst, dem man sich zu entziehen versuchte – eine frisch geschiedene Frau (Jodie Foster) und ihre Tochter. Flucht und Vertreibung aus einer mehr oder weniger trostlosen Wirklichkeit führen in eine besondere Falle – ein Spiel, dessen Regeln man erst lernt, während man um sein Überleben kämpft. Draußen ist zugleich tiefer drinnen; je mehr sich die Wirklichkeit als Spiel organisiert, desto ernster wird es für die Protagonisten. Immer kommt für den Fincher -Helden der Punkt, an dem er glaubt zu wissen, wie er sich zur Wehr setzen kann, und immer ist dies der Moment, wo es kein Entkommen mehr gibt, körperlich, moralisch. Immer auch erklärt das System einmal genau seine Spielregeln – so bekommt Michael Douglas in The Game etwa das Labyrinth vor Augen gehalten -, aber weder der Held noch der Zuschauer sind in der Lage, die Information angemessen zu verarbeiten. Das Spiel in Finchers Filmen ist stets auch ein Spiel mit der Wahrnehmung des Publikums. Man lernt in einem Fincher-Film, was man alles übersehen kann.
Das Innenleben des Systems ist nicht allein ein Muster der Bedrohungen, welche die „Lebensgeister“ des Menschen im Schlafwandel der späten Angestelltenkultur wecken – eine Therapie; es ist auch ein Mittel zur Übertragung der Schuld, eine Passion. Das Fincher-Spiel ist eine existenzielle Metapher des Neoliberalismus: Ein Held kann kein Problem lösen, wenn er selbst das Problem erzeugt, imaginiert, verstärkt. Gäbe es eine Erkenntnis für den Fincher-Helden, so müsste sie am Ende lauten: Ich bin das Problem. Und das System kann mich töten, weil ich das Problem bin. Das System ist zwar mächtig, aber es ist keine Ausrede. Denn es ist nur eine Ausführung; Finchers Filme beginnen und enden im Körper, und nicht nur Fight Club ist ganz buchstäblich aus dem Inneren eines Menschenhirns heraus erzählt: All diese engen labyrinthischen Räume, durch die die Kamera fährt wie ein neuronaler Impuls, der die unterschiedlichsten Formen der Wahrnehmung verbindet, sind auch Abbildungen des Körpers. Der Fincher-Held hetzt gleichsam durch sich selbst. Der Versuch, ein Problem zu veräußern, führt nur tiefer nach innen. So stürzen sich in Finchers neuem Film Zodiac die drei Protagonisten in selbstzerstörerischer Obsession in das System, das ihnen der Serienmörder anbietet, und ihre Decodierung der Spuren und Texte des Killers ist immer Teil des Spiels, das sie gerade darum nicht gewinnen können, weil sie es so besessen „spielen“. Es scheint stets ein wenig „Gödel, Escher, Bach“ im Spiel zu sein bei den Plotkonstruktionen des David Fincher.
Das tödliche Spiel bei ihm ist eine Abstraktion, gewiss. Aber zum einen ist es ganz bestimmt kein Zufall, wer in dieses Spiel gerät. Es sind die Rackerer des oberen Mittelstands, jene Menschen der New Economy, für die in der Tat Arbeit, Macht und Sexualität zum „Spiel“ geworden sind und das Spiel Leben ist. Zum anderen gibt es genügend Hinweise darauf, wie sehr das tödliche Spiel zugleich Widerpart und Abbildung der Lebensfalle ist, in der sich die Protagonisten befinden, noch während sie ihr Leben in Ordnung wähnen. Die „IKEA-Falle“, von der Edward Norton in Fight Club spricht, Kleinbürgerglück, für das man sich im beruflichen rat race abarbeitet. Zodiac schließlich führt in die Zeit, in der das alles womöglich begann, gegen Ende der Sechzigerjahre, als der Hippietraum in Altamont, in den Manson-Morden, der neuen Paranoia sein Ende fand. Finchers Filme schreiben auch eine Subgeschichte der USA.
Die Verengung des Raumes hat vorher schon stattgefunden. Die Trostlosigkeit ist unübersehbar, etwa beim Besuch des älteren Kollegen in der Wohnung des jung verheirateten Cops in Sieben, die von den Erschütterungen des U-Bahnverkehrs so regelmäßig durchgerüttelt wird. Oder in Michael Douglas‘ Weltekel, bevor er in The Game allen Wirklichkeitsboden unter den Füßen verliert, in der Bürowelt, in der sich Edward Norton gefangen fühlen muss in Fight Club. Die Obsession von Cops und Journalisten in Zodiac wird schon an ihren Lebens- und Arbeitsbedingungen als negative Befreiungsfantasie deutlich. Es ist ihnen die Welt abhanden gekommen, das Leben ist ein Klumpen Fremdheit, und um es wiederzugewinnen, müssen Finchers Helden sich auf ein Spiel mit dem Tod einlassen. Dieses Spiel ist so absurd wie das Strafgericht von John Doe in Sieben: Er bestraft sein Gegenüber für eine Sünde, die er durch die Strafe selbst erst erzeugt hat, so wie der Mörder in Zodiac sich verbirgt in den Nachrichten, die er konsequent an seine Umwelt sendet.
Es sind die Kinder von dot.com und Shopping Mall, die das alles trifft. Da sie nicht mehr Geschichte, sondern nur noch System begreifen, verlagert sich ihnen der Sinn zum Überleben selbst. Schön und gut, so weit wären diese Filme nichts anderes als gekonnte Illustrationen der Maxime, auf die sich Yuppies und Generation-X-Insassen einigen konnten: If life gets boring, risk it. Aber so einfach ist das mit der Versuchsanordnung bei Fincher nicht. Man kommt nicht „geheilt“ zurück wie nach einem Besuch im Fitnesscenter oder nach einem Bungee-Jump. Die Versuchsanordnung und das wirkliche Leben drehen sich unbarmherzig ineinander. Nicht Wiederherstellung, sondern nur weitere Auflösung wartet auf der nächsten Ebene des Spiels.
Im Kino der Neunzigerjahre wurde es üblich, in Rückblenden zu „lügen“. Das perfekteste, wenn auch unverbindlichste Spiel trieb dabei Die üblichen Verdächtigen (1995) von Bryan Singer. Fincher macht mit diesem Spiel Ernst. Schon in Alien 3, dann aber mehr und mehr in eigener Erzählweise, enthüllen sich Finchers Filme vom Ende her als Wahnvorstellungen. Ist „Kino“ nichts anderes als eine besondere Form von Psychose? Die „unzuverlässige Rückblende“ wird bei Fincher zum Erzählprinzip. Dieser Wechsel der Grammatik geht weit über das Spiel eines Popcornepos wie Matrix hinaus: Nicht von einer Welt als Illusion wird erzählt, sondern von der Erzählung als Illusion.
Aber Fincher ist eben nicht nur ein großartiger Trickser, sondern auch ein Analytiker. Vom Ende her bemerken wir, wie viel wir gesehen haben, ohne es wahrzunehmen. Wenn Hitchcocks Suspense in dem Widerspruch zwischen dem, was der Zuschauer weiß, und dem, was der Protagonist weiß, ersteht, so ersteht Finchers Wahrnehmungsflash durch die Spannung zwischen dem, was der Zuschauer weiß, und dem, was er hätte wissen können. Das System siegt dabei stets über die Emotion. Wir interpretieren Situationen als Ausdruck emotionaler Beziehungen – warum John Doe in Sieben Mills nicht tötet, als er die Möglichkeit dazu hat, erscheint als teils überhebliche, teils, nun ja, zärtliche Geste der Beziehung zwischen Mörder und Detektiv, die man aus vielen Filmen kennt. Wie sehr sie zum Spiel gehört, offenbart erst das Ende, dessen Gemeinheit nicht zuletzt darin liegt, dass wir es überraschenderweise schon immer gewusst haben.
Der letzte Kreis der Hölle
Die Erzählung bei David Fincher ist gebrochen; in Fight Club etwa setzt sie mehrfach ein, und der Erzähler korrigiert sich. Das Innen und Außen der Erzählung reiben sich aneinander. Das Leben spielt sich selbst; „alles ist eine Kopie, eine Kopie einer Kopie einer Kopie“, erkennt der Held hier. Das funktioniert, weil sich die Mittel der Traumfabrik selber unheimlich geworden sind. Es sind moderne Mythen, um die es geht. Einen „Panic Room“ mag es vereinzelt geben, eine Institution in der Gesellschaft, wie es die Werbekampagne zum Film wollte, ist es nicht geworden. In Fight Club hat Tyler als Vorführer angeblich bei den Aktwechseln Sekundenbruchteile von Pornoszenen eingeschnitten, und wir sehen hysterische Reaktionen im Zuschauerraum ob der subliminal images, der ans Unterbewusste adressierten Bilder. Am Ende benutzt Fincher selbst einen solchen Einschub, wenn er kurz eine Penisaufnahme einschneidet. Ein kurzes Insert einer Aufnahme der Frau des Cops in Sieben überzeugt die meisten Zuschauer davon, sie hätten den abgeschnittenen Kopf der Frau gesehen. Die Filme spielen in einer Gesellschaft, deren Wahrnehmung ihr selber fremd geworden ist und die sich von sich selbst betrogen wähnt. Sie kann nur hoffen auf die letzte Wahrheit des Körpers und die letzte Kraft des Zorns.
Fincher bringt in die Filmerzählung die Tragödie zurück, die das Melodrama vertrieben hatte, und er bringt den Mythos zurück, den der psychologische Realismus vertrieben hatte. Allerdings ist in Finchers Filmen das tragische Schicksal nicht mehr transzendental. Es wird erzeugt von Menschen, als Spiel, System, Experiment. Wie in der klassischen Tragödie werden bei Fincher die Menschen das Opfer genau dessen, was sie zu vermeiden suchten. Nur findet dies angesichts eines leeren Himmels statt.
Der reduzierte Raum etwa in Panic Room zeigt sich gerne als Höllenvision. Wie der Regisseur überhaupt gerne Hinweise auf eine religiöse Dimension seiner Filme gibt. Zunächst sind es die Spuren der Wahrnehmung in einer christlich geprägten Gesellschaft. Wir sehen, wie das Wort „God“ aus dem Dollarschein ausgeschnitten wird, im Vorspann zu Sieben, dessen Spiel in der Bearbeitung der „sieben Todsünden“ besteht, die Kreuzigungspose, in der sich Ripley opfert in Alien 3, Kirchenchöre nach der Therapiesitzung in Fight Club. Natürlich ist auch hier zuerst einmal zu klären, wie viel davon Spiel und Imitation ist. Alles jedenfalls läuft auf die Passion hinaus – jemand muss die Schuld auf sich nehmen. In dieser Übertragung der Schuld aber liegt auch eine Idee der Spiegelung. Ripley ist selbst ein Alien; Brad Pitt tötet am Ende von Sieben Kevin Spacey und sich selbst, Edward Norton muss in Fight Club ganz buchstäblich sich selbst schlagen.
Etwas stimmt mit der Fortpflanzung nicht in David Finchers Filmen. Ripley darf das Monsterkind nicht gebären, Jodie Foster in Panic Room zieht sich mit der widerspenstigen Tochter in diesen bizarren Raum vielleicht auch deswegen zurück, weil sie sie noch nicht zu Ende geboren hat; in Fight Club ist die erste Station des Leidensweges für den Helden die Therapiegruppe der Männer mit dem Hodenkrebs, die vor allem die Unfähigkeit beklagen, Kinder zu zeugen; auf eine erzwungene Weise zeugungs- und liebesunfähig sind auch die sexuellen Gewalttäter, die in der Strafkolonie in Alien 3 einen merkwürdigen Mönchsorden bilden. Es ist eine „unfruchtbare“ Gesellschaft, diese Fincher-Hölle, und so wenig es in all dieser religiösen Zeichensprache ein Anzeichen für die Anwesenheit Gottes gibt, so wenig gibt es eine Hoffnung auf Erlösung durch die Liebe. Männer und Frauen jedenfalls sind im Fincher-Kosmos einander tödlich fremd. Sie berühren einander nicht anders als in der Gewalt. In The Game wird Michael Douglas gleichsam stellvertretend bestraft für all diese Yuppies, die glauben, alles unter Kontrolle zu haben, einschließlich der eigenen Lust, und in Zodiac führt der öffentliche Mörder in seiner Selbstdarstellung das kranke System der Medien vor.
Die Abwesenheit der Liebe und die Abwesenheit Gottes in einer Welt der Täuschungen und der Paranoia – vielleicht eine Etage tiefer geht es darum, dass mit den bekannten Mitteln die „männliche Identität“ nicht wiederhergestellt werden kann. Nicht umsonst führt Fincher das Publikum gern in absurde Männergesellschaften, die ihre sexuelle und politische Macht verloren haben; immer geht es auch um eine Form von Kastration. Doch so gefährlich der Verlust der – männlichen – Identität sein mag, so unmöglich ist die Rückkehr zum barbarischen Männerkörper, von der im Popcornkino nebenan geträumt wird: „Dirty Harry“ lebt hier nicht mehr. So kehren wir mit Zodiac noch einmal zurück in die Hölle des ich-losen Mannes, der nach Zeichen sucht. Und weder sich selbst noch die Welt dechiffrieren kann.
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in epd Film 6/2007
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