Die sonderbare Welt des David K. Lynch
I
Von einem ehemaligen bildenden Künstler wie David Lynch erwartet man Filme von einem früheren Maler, so wie man Filme von einem früheren Juristen, einem früheren Kameramann, einem früheren Nervenarzt usw. erwartet. In der Tat bleibt selbst dort, wo sich der Regisseur den Traditionen eines Filmgenres nähert, eine gewisse „Unbeschreiblichkeit“ in seinen Arbeiten. Statt der filmischen Wiedergabe einer Geschichte wird eine sehr viel komplexere ästhetische Struktur geboten, in der Bild- und Tonkompositionen weniger irgendwohin, zu einem zu erwartenden und zu berechnenden Ziel, führen als vielmehr fort von etwas, in einem Sog hinunter in eine Welt, in der das Sonderbare nur geschehen kann.
Im Gespräch weigert sich Lynch, Botschaften und Konstruktionen seiner Filme zu benennen. Seine Arbeitsweise sei in erster Linie intuitiv; Vorbilder, Beziehungen und Querverbindungen in seinem Medium negiert er. Genüsslich verstrickt er sich in Widersprüche. Im Herzen sei er eigentlich Europäer, sagt er, so etwa wie ein Exilant. Aber dann meint er auch wieder, seine Filme seien durch und durch amerikanisch, seine Helden amerikanische Prototypen, deren Probleme Amerika seien.
David Lynch versucht, eine absolute künstlerische Souveränität zu bewahren, selbst auf die Gefahr hin, der Filmgeschichte und dem Zeitgeist gegenüber ignorant zu erscheinen. So macht er es uns leicht, seine Filme als die eines Malers zu verstehen, dessen Arbeitsweise das vollkommene Gegenteil der generativen Ästhetik des Hollywoodfilms ebenso wie des rückbezüglichen europäischen Films sein muss. Das macht es uns aber auf der anderen Seite auch leicht zu übersehen, dass in Lynchs Filmen ein sehr präzises, in gewisser Weise äußerst mutiges Bild unserer gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation verborgen ist. Diese Situation ist gekennzeichnet durch eine kulturelle Auflösung, die Entbegrifflichung der Welt und schließlich das Überleben des Individuums als selbstverliebtes, todes- und krankheitsfürchtendes und mit allen seinen Wünschen und Ängsten hoffnungslos alleingelassenes Wesen, das sich statt nach außen, in die Gestaltung der Welt, immer weiter in sich hinein bewegen muss, zugleich gierig und ängstlich auf „Selbsterfahrung“ und „Authentizität“ spähend. Das „Zeitalter des Narzißmus“ hat man unsere Epoche genannt, und David Lynchs Filme bieten eine Vision zu diesem Zeitalter, so wie die Bilder von Hieronymus Bosch Visionen für ein Zeitalter boten, das mutig und verzweifelt genug war, sich von Gott so weit entfernt und möglicherweise verlassen zu fühlen, um seine Welt im Spiegel der Hölle zu sehen.
Während Lynch über „Absichten“ schweigt, versteht er hervorragend die Charakterisierung seiner Figuren, die sich in all dem überwirklichen, wenn das gestattet ist: oft auch sehr komischen, Bildgetürme in sonderbarer Weise ähneln: Es sind junge Menschen, die durch äußere oder innere Umstände von ihrer gesellschaftlichen Umwelt entfernt sind. Sie leben in Masken, Höhlen und Verstecken und müssen doch hinaus, die Abgründigkeit, die Geheimnisse der Welt zu erfahren. Sie sind „lost“, wie Lynch es nennt, und zugleich sind sie doch entschlossen, den Ursachen ihres Elends auf den Grund zu gehen. Dabei bezeichnet Lynch sie (ich verallgemeinere ein wenig) als „vorsichtig“, und mir scheint, diese Vorsicht, dieser Widerspruch zwischen der Besorgnis um sich selbst und dem Willen, irgendwie zu erfahren, was die Welt in einem anrichtet, macht den sonderbaren, den faszinierenden Rhythmus von Lynchs Filmen aus, in denen die Zeit auf eine eigentümliche Weise zugleich schneller und langsamer zu vergehen scheint als gewohnt. Lynchs Helden sind Narzisse, die aus dem Gefängnis der Selbstbezogenheit auszubrechen versuchen und dabei die Schönheit der Welt erfahren. Und in der Tat gibt es in Lynchs Filmen nicht „das Hässliche“; ich glaube ihm, wenn er sagt, dass er all das Groteske, Eklige, Deformierte, Kranke in seinen Filmen wirklich als schön empfindet (in DUNE läßt er jemanden die Eiterbeulen eines korpulenten Mannes bewundern, wie man andernorts allenfalls die Schönheit jugendlicher Makellosigkeit bewundern mag). Der Narziß lebt, nur durch eine vergleichsweise dünne Haut getrennt, inmitten einer Welt des Polymorphen, der freien oder Nicht-Gestalt, die ihm umso ekelerregender und furchteinflößender erscheinen muss, je mehr er sich weigert, sein Gefängnis zu verlassen, und die ihm schön wird, wenn er hinaustritt.
Diese Bewegung von Lynchs Helden ist alles andere als eine klare Sache. Die Welt nämlich, die zu erwarten wäre, existiert nicht, oder doch nur als Anhäufung von Rudimenten. Sie sucht sich gegen ihre Form- und Begriffslosigkeit durch ein Wuchern der Formen zu wehren.
In Lynchs Endzeit-Barock bemühen sich unfertige, das heißt noch nicht vollständig korrumpierte Menschen, sich durch „Wissen“ und Einsicht einer Umwelt zu nähern, in der es keine Autorität, keine Leitbilder gibt, weder verbindliche Ideen noch die Sicherheit einer glatten Oberfläche. Es gibt nur den formlosen Willen zur Macht und die grenzenlose Selbstverliebtheit aller auch nur für den Augenblick stabilen Formen. Zudem versuchen sie, unter dem Eindruck der unzulänglich strukturierten Polymorphie so etwas wie Verantwortung zu übernehmen. Auch das bleibt rudimentär. David Lynch dreht für das Zeitalter des Narzißmus Filme über die Einsamkeit, die kein Ritual mehr ist, sondern, um es pathetisch zu formulieren: echt.
II
Zugegeben: Es ist nicht die „Legende“, keine Geschichte, um die es in Lynchs Filmen geht. Dazu ist ihre Art zu sehr dem Traum verwandt. Sich eine Wirklichkeit zur Traumarbeit zu denken, mag dem Zuschauer überlassen sein. Sie hat indes in Lynchs Filmen, wie immer im Traum, erhebliche Spuren hinterlassen, nicht bloß die triste Stadtansicht in ERASERHEAD, nicht bloß den historischen Bezug auf die Industrialisierung in THE ELEPHANT MAN, nicht bloß den höchst irdischen Machtkampf in DUNE, nicht bloß die amerikanische Kleinstadt in BLUE VELVET. Vielmehr deutet der Schrecken in den Filmträumen stets auf einen realen Schrecken, den man mit einem aus der Mode gekommenen Begriff „Entfremdung“ nennen sollte.
Lynch stellt alle Konventionen des phantastischen Films auf den Kopf. Es geht nicht um den Einbruch des Phantastischen in die Welt des „Normalen“, nicht um die Gestalt – und Ungestalt – gewordenen Ängste und verdrängten Wünsche, die abgespaltene und zerstörte Natur. Statt dessen ist das Deformierte so häufig das eigentliche Opfer (THE ELEPHANT MAN), wie das Normale durch den verstörten, entfremdeten Zugriff auf die (eigene) Welt den Schrecken erst hervorruft – oder sogar erfindet (BLUE VELVET).
Nur an der Oberfläche lassen sich Lynchs Filme als Illustration der These begreifen, menschlicher Geist sei ebenso wenig in der Lage wie menschliches Gefühl, sich in der Monstrosität der Leiber und der aus ihnen aufsteigenden Visionen (des „Unbewußten“) zu behaupten. Die verzweifelte Suche seiner Helden nach einer materiellen Wirklichkeit unter der Unwirklichkeit des Normalen trifft auf eine in allen seinen Filmen präsente gewaltige Maschine, die Industriegesellschaft, die nicht weiß, was sie produziert. An die Stelle von Ideen sind Drogen getreten (DUNE, BLUE VELVET); die mehr oder minder menschlichen Wesen sind mehr mit ihrem Gesundheitszustand beschäftigt als mit der Gestaltung ihrer Welt; der Narziß, der seinen Kokon verlassen will, trifft auf lauter böse Narzisse, die sich nur auf sadistische Weise der anderen Menschen zur Selbstbespiegelung bedienen (Sadismus, so sagen die Psychologen, ist eine wahrscheinliche Folge des Narzißmus). Gegen dieses Böse gibt es in Lynchs (und unserer?) Welt nicht mehr das, was Lenin als die höchste Stufe des menschlichen Geistes bezeichnete, den Begriff. Wie dem Helden, so fehlen auch dem Zuschauer in Lynchs Filmen die Worte. In ihnen wird die Sprache mehr und mehr zur Musik; die Geräusche sind eigene Visionen, gestaltlos und „schön“ auch sie.
Ganz anders als die – ebenfalls mit nicht unerheblichem ästhetischem Reiz begabten – Filme von David Cronenberg etwa, der die für das narzißtische Zeitalter so typischen Ängste vor Verfall, Krankheit und schließlich Tod umsetzt, formuliert Lynch anstelle der schrecklichen Verwandlung das schreckliche „Gewahrwerden“.
Darum funktionieren seine Filme so anders denn herkömmliche Filmphantastik oder Psychothriller. Nicht die Ästhetik des Schocks regiert (die im übrigen dem klammheimlichen Einverständnis der Gewöhnung entsprechen mag); all das Eklige, Unangenehme, Gewalttätige in Lynchs Filmen wird uns nicht durch eine schnelle, rhetorische Montage „um die Ohren geschlagen“. Es ist vielmehr auf eine traumhaft zeitlose Art da, will sich nicht anders denn zu neuen Visionen auflösen, statt einer Symphonie ist es eher ein Oratorium des Grauens. In bizarren Bewegungen, zu keinem Ende als dem Anfang (der doch nicht mehr er selbst ist), in endlosen Spiralen ohne die vom Genre-Kino gewohnte Dramaturgie der Erlösung, bewirken sie so etwas wie ein Glücksgefühl beim Zuschauer. Der Mut, sich auf das Gestaltlos-Schleimige, das uns zur Umgebung wird, eingelassen zu haben, sich im Sonderbaren und Abwegigen wenigstens der noch nicht zu Ende gedachten Welt zu versichern, ihr dabei sogar noch eine verzweifelte Schönheit abgerungen zu haben und sich zugleich damit nicht zu versöhnen, schafft eine Hochstimmung. Lynchs Filme sind in dem Maße schön wie Boschs Bilder, die den Mut seiner Zeit belegen, dem eigenen Schrecken fasziniert zu begegnen.
III Worum geht es?
A) Eine Familiengeschichte
In einer tristen Slumgegend wohnt ein junger Mann mit einer offensichtlichen Vorliebe für gewisse, gemeinhin als unappetitlich geltende Tiere. Wegen einer Frühgeburt wird er von den Eltern seiner Freundin zur Heirat gedrängt. Das passiert bei einem sonderbaren gemeinsamen Essen, wo ein Huhn, das frisch gebraten auf den Tisch kommt, die Flügel bewegt und beim Zerschneiden blutet. Das sehr sonderbare Baby – eine wimmernde Mischung aus Lurch, Tierfötus und Fisch – treibt alsbald die Frau aus dem Haus. Der Vater versucht seine Pflichten zu erfüllen, während er sich zugleich in das Phantom einer pausbäckigen, zarte Lieder singenden Frau verliebt, die mit häßlichem Geräusch Würmer zertritt, die von der Decke fallen. Das ist die Nachbarin, zu der aber wegen des Babys auch keine rechte Beziehung gelingen mag. Dies wächst am und im Vater. Völlig am Ende wickelt er es aus den Windeln und tötet es; da zerfließt es zu einem Breiberg, der die ganze Wohnung erfüllt.
Sein Kopf fällt ihm vom Rumpf und auf die Straße. Ein kleiner Junge bringt ihn in eine Fabrik, wo aus dem Kopfinhalt Radiergummis hergestellt werden. Der so verbrauchte Kopf wird in eine Blutlache geworfen.
ERASERHEAD ist das filmische Equivalent einer sehr schlechten Drogenreise oder eines psychotischen Schubs, zugleich aber eine glasklare Mythe von der Unmöglichkeit der Familie. Die unappetitlichsten Szenen der Filmgeschichte „poetisieren“ die schreckliche Gewissheit, daß alles Begehren der Liebe entfernt und die Welt im Kopf so wenig auszuhalten ist wie in der Tat. Und während das alles geschieht, werden hier und dort und überall Hebel gedrückt.
B) Eine Missgestalt
Wieder ist eine Geburt misslungen: „Meine Missgestalt entstand durch einen meiner Mutter zugefügten Schrecken. Sie ging die Straße entlang, als ein Zug von Tieren kreuzte. Ein fürchterliches Gedränge hob an, weil ein jeder sehen wollte, und dabei wurde meine Mutter vor die Füße des Elefanten gestoßen. Sie geriet in große Angst – dies, zur Zeit der Schwangerschaft, führte meine Verunstaltung herbei“.
So erklärt Joseph Merrick, der 1862 in Leicester geboren wurde, seine Verunstaltung, die seinen Kopf auf einen Meter Umfang anschwellen ließ und sein Gesicht zu einem wuchernden Fleischgebirge machte.
Der Londoner Arzt Sir Frederick Treves holt den „Elefantenmenschen“ aus einet Freak-Show in sein Hospital. Hinter dem zerstörten Äußeren offenbart sich Treves und der feinen englischen Gesellschaft eine romantische Seele. Von einem Bühnenstar erhält Merrick den ersten Kuss, und obwohl er auch hier so etwas wie eine Attraktion ist, genießt er es doch, in der feinen Gesellschaft aufgenommen zu sein. Wie die Hebel in ERASERHEAD verweisen Schlote und Fabriktürme in THE ELEPHANT MAN auf eine Kraft außerhalb des Alptraums, die ihn möglicherweise sogar bestimmt. Das Dröhnen der Köpfe ist immer mehr identisch mit dem Dröhnen der Maschinen. Aufgeschnittene Tiere, Rinder, sind zugleich die andere Seite des „natürlichen“ Schreckens und ganz „normale“ Produkte der industriellen Nahrungsbereitung.
C) Ein Machtkampf
Der bekannte Weltraum wird von einem Kaiser beherrscht, während auf den Planeten Herzöge und Barone herrschen. Die Konflikte sind eindeutig materiell bestimmt. Es geht um Rohstoffe, um Einflußsphären, um Rauschgift, und über allem liegt eine dicke Schicht von Aberglauben und apokalyptischen Prophetien. Die Rituale, Zeremonien und fixen Ideen haben sich im 11. Jahrtausend so grotesk verfestigt, daß sich alle Wesen in einer gewaltigen mythischen Maschine zu befinden scheinen. Zur gleichen Zeit gibt es nur Verrat und Widerverrat als gängige Machtmittel; Macht hat, wer, wie in einem modernen Industrieunternehmen, die Ranküne des jeweils anderen durchschaut und zugleich eine eigene Aura zu stützen weiß.
Der junge Adelige Paul Atreides wird zu einer Figur in einem intergalaktischen Intrigenspiel. Berater und Vertreter obskurer Heilslehren reden ihm ein, der erhoffte Messias und Befreier des Wüstenplaneten zu sein. Paul wehrt sich zunächst gegen diese Rolle, aber es bleibt ihm kein Ausweg, weil eine sinnstiftende Kraft außerhalb der pompösen Mythen nicht existiert. Mehr und mehr hält er sich selbst für den Erlöser, lässt sich schließlich sogar durch die Macht korrumpieren.
Auch in DUNE ist der Held völlig alleingelassen, zugleich gezwungen und unfähig, eine freie Entscheidung zu treffen. Daß er seine Rolle schließlich annimmt, macht ihn zu einem Helden – möglicherweise sogar zu einem „rechten“ Helden, der ausgerechnet und wieder mit einem Wurm-Drachen zu tun bekommt -, seine Lage aber nicht weniger absurd. Die narzißtischen Schreckgeburten und Freaks haben die Prinzipien der neuen (amerikanischen) Gesellschaft übernommen. Sie versuchen, ihre persönlichen Deformationen und Defekte als semiotische Kriegserklärung in einem scheinbar gewaltigen, in Wahrheit jedoch nur grotesken Weltendrama zu verwenden. In Lynchs Zukunft hat sich König Ubu aufgespalten und liegt mit seinesgleichen in ewiger Auseinandersetzung in „Spice“, die Wundermilch der riesigen Sandwürmer.
D) Eine Geschichte des Auges
Der Vater hat einen Unfall gehabt; er kann nicht mehr sprechen. Jeffrey kehrt vom College nach Hause zurück. Auf einem Spaziergang findet er ein abgeschnittenes menschliches Ohr. Er liefert es bei Polizeiinspektor Williams ab. Durch dessen Tochter Sandy erfährt er einiges, das ihm den Fall immer faszinierender macht. Die Spur führt zu der Nachtclubsängerin Dorothy, in deren Wohnung Jeffrey Zutritt findet. Er tritt in eine sadomasochistische Alptraumwelt ein, wird Zeuge einer sonderbaren Vergewaltigung und erfährt, dass Dorothy von einem gestörten, gefährlichen Mann, Frank Booth, erpresst wird, der ihren Mann und ihr Kind entführt hat. Jeffrey gelingt es, Frank Booth und seine Helfer zu fotografieren, aber er gerät selbst in seine Hände und muss bei einer nächtlichen Alptraumreise um sein Leben kämpfen.
An die Stelle der polymorphen Visionen ist in BLUE VELVET die Vision des polymorph-perversen Mannes als das Böse getreten. Frank Booth schreit zugleich nach der Mama, vergewaltigt und bedroht die Welt mit unsinnig-brutalen „fuck“-durchsetzten Sätzen. Die polymorphe sexuelle Bedrohung findet ihren schrecklich komischen Höhepunkt in Booth‘ Satz: „I fuck everything that moves!“
IV
Die monströsen, Ich-losen, nicht zu Ende geborenen Gestalten des David K. Lynch sind auf der Suche nach Erklärungen für ihren Schmerz, für ihre Fremdheit, für ihre sonderbare Starrheit. Ihre Suche führt sie an den möglichen (sozialen) Ursachen vorbei, noch tiefer hinab, in etwas, das noch „unter“ dem Privaten liegt, genauso schrecklich und grenzenlos wie die Wirklichkeit. Dorthin, wo keine Beziehung und keine Erscheinung stabil ist. Die Hölle möglicherweise.
P. S.
Auf die Frage, ob sich Lynch aus dem Dilemma seiner Welt als Reaktionär oder als Rebell entwickelt, wollen wir im Augenblick nicht zu antworten versuchen. Lynch akzeptiert, dass seine Filme in einem bestimmten Sinn „politisch“ sind, aber es ist ihm wie uns nicht möglich, diese Politik auf den Begriff zu bekommen. Es gibt für beide Richtungen Anzeichen genug.
Die Filme sind auf verstörende Weise schön, sie verlassen den Zuschauer nicht, weil sie eine so durch und durch, weder psychologisch noch metaphorisch noch mythologisch ganz zu durchdringende, eigene Welt abbilden, die nur durch die Gemeinschaft des Sonderbaren zusammengehalten wird und die doch zugleich so deutlich auf die unsere bezogen ist, daß ihr Abenteuer stets mitten ins „Normale“ führt. Sie entsprechen, oder widersprechen auch, einem geistig-seelischen Zustand der Gesellschaft, die im Begriff ist, die beiden Klassen, die möglicherweise imstande wären, sie aus ihrer Erstarrung zu retten, das Proletariat und die Intelligenz, abzuschaffen. Es gibt in ihnen kein Volk; der Alltag fällt ohne Kämpfe direkt in die Katastrophe. Lynchs Helden haben kein politisches Ziel, und sie sind keine Menschen von nebenan (weil es „nebenan“ nicht mehr gibt). Und sie haben keine Methode, mit ihren ins Gigantische drängenden „privaten“ Phantasien und Deformationen fertigzuwerden. Das macht aus den Filmen cineastische Erfahrungen ohnegleichen, weit pureres Kino als gewohnt. Sie haben auch kein Ziel. Die Phantasien über den Narzißmus werden, im hoffnungslosesten Fall, selber zu narzißtischen Phantasien. Sein nächster Film jedenfalls, so David Lynch, sei noch sonderbarer.
Autor: Georg Seeßlen
Text veröffentlicht in epd Film 2 / 1987
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