Die Wiederkehr der Kriegerinnen
Einst war der Krieg eine Männersache. Draußen im Feld, in den Spielzeugwelten und auf der Leinwand. Es ging um eine einfache Mythologie. Der Mann musste sich panzern, Feuer und Tod speien, verteidigen und erobern, weil die Frau im Krieg zugleich verschwand und als doppeltes Phantasma wieder aufschien: Sie war für den soldatischen Mann Heiligtum in der Verteidigung und Beute im Angriff. Hinter all den Projektionen und Angstlüsten in der Kriegspropaganda steckte als Metamythos stets noch jene Zweiteilung der Frau in die Heilige und die Hure, die wir als eines der Kernstücke des „Patriarchats“ zu sehen gelernt haben. Die Gewalt des Begehrens und die Gewalt der Angst waren in einem destruktiven Ritual aufgehoben. Können wir am Krieg, an dieser blutigen Inszenierung des Geschlechterwiderspruchs, noch Gefallen finden, wenn uns solche Sexualisierung von Gewalt nicht mehr gelingen mag?
Zwei Diskurse treiben unaufhaltsam aufeinander zu: die Militarisierung der Wahrnehmung in der Populären Kultur, im Kindernachmittag wie in der Musik, in der Mode wie in der Sprache, und die Umwandlung des utopischen Feminismus (die Welt muß weiblicher und damit besser werden) in einen neoliberalen Feminismus (Frauen können alles, was Männer können, wenn sie sich nur die Hemmungen abtrainieren). Der Schnittpunkt dieser beiden Bewegungen ist der in der politischen Öffentlichkeit eher zaghaft geführte Dialog über die zukünftige Rolle der Frauen im Militär und im Krieg. Wie wir es gewohnt sind, wird dies nicht mehr im Austausch von Ideen und Modellen, sondern in den Bildwelten der popular culture verhandelt. Zum Beispiel in den TV-Serien um paramilitärische Organisationen, in einem Science-fiction-Film wie Paul Verhoevens „Starship Troopers“ oder in einem Kriegsfilm wie Ridley Scotts „G.I. Jane“.
„Starship Troopers“ ist ein klassischer Weltraum-Actionfilm: käferhafte, mechanische Aliens gegen schwerstbewaffnete Erdenmenschen. Nur daß gegen den Angriff der Fremden nicht mehr das klassische Triumvirat steht, gebildet aus der vor Angst schreienden Frau, dem tatkräftigen Mann und dem staunenden Kind, sondern eine schwarzhemdige Supertruppe, bestehend aus jungen, durchtrainierten Körpern beiderlei Geschlechts. Und „G.I. Jane“ (deutsch: „Die Akte Jane“) ist die klassische Geschichte von dem Kerl, der durch den militärischen Drill, die Freundschaft der Kameraden und den Einsatz in Feindesland zum Soldaten und damit zum richtigen Mann wird. Nur daß der Kerl diesmal eine Frau ist.
Beide Filme scheinen wie aggressive Gegenentwürfe zur letzten romantischen Liebesgeschichte in „Titanic“. Liebend untergehen mit der großen Maschine oder gepanzert ein Teil der noch größeren Maschine werden.
Frauen auf der Leinwand konnten vordem Westerner, Piratinnen, Outlaw-Heroes des Roadmovie oder knallharte Karrieristinnen werden. Das verlangte nicht allzu viel mythische Bastelei, weil es sich dabei um Helden handelt, die sich durch rauhen Individualismus und Einsamkeit auszeichnen. Der Held hat, wie wir wissen, tausend Gesichter, und es ist nur eine Frage der Gewohnheit, ob ungefähr fünfhundert davon weiblich zu identifizieren sind.
Wesentlich schwieriger verhält es sich mit der paritätischen Besetzung von Organisationen, die immer auch als Abbildungen kurioser Männerphantasien funktionieren. Die Kommissarin, die ihren männlichen Kollegen um eine Deduktion voraus ist, bildet kein mythologisches Problem. Aber die uniformierte Polizistin mit Gummiknüppel und Großkalibrigem am Gürtel ist ein ernsthafter zivilisationsgeschichtlicher Widerspruch. Die Rettungsflieger, die Küstenwache, die Sportteams, die Polizeistreifen – alle diese atavistischen und sentimentalen Männerbund-Inszenierungen sind mittlerweile zumindest im ewig laufenden Fernsehfilm gendermäßig korrekt besetzt. Das hat auch eine Vermischung der harten und weichen, der männlichen und der weiblichen Genres zur Folge. Nicht mehr Soap-opera für die bügelnde Hausfrau und Action für den Mann mit Abstiegsängsten und Potenzträumen, sondern alles in einem.
Das Schöne an diesen neuen Teams besteht darin, dass Frauen, die beweisen, dass sie alles mindestens ebenso gut können wie Männer, deswegen nicht ihre Weiblichkeit in Frage stellen lassen müssen – und dass eine Gleichbehandlung in der mehr oder minder uniformierten Gewalt-Gruppe nicht die Möglichkeit ausschließt, sich ineinander zu verlieben. Das Schlechte daran ist, daß Kraft, Leidensfähigkeit, Panzerung des Körpers und bedingungsloser Einsatz zu den einzigen Aufnahmekriterien werden. Die Frauen sind in diesen postpatriarchalen Männerbünden nicht ausgeschlossen, wohl aber alles, was nach Schwäche, Zweifel oder Mitleid aussieht. So ist es kein Wunder, daß diese Männer-/Frauenbünde nicht nur aus jungen und durchtrainierten Menschen bestehen, deren leicht monumentalisierte Körperlichkeit vorher in der Werbung erprobt wurde. Ihre Mitglieder weisen in den Bildwelten auf beiden Seiten des Ozeans auch eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit BdM-Mädeln und HJ-Jungen auf. Von „Baywatch“ zu den „Starship Troopers“ scheint die Öffnung des Männerbundes für die Frau den Preis eines weiteren Schubs der Faschisierung zu verlangen: Leni Riefenstahl goes Pop.
Klassische Kriegsfilme (und ihre Verkleidungen als Western, als Science fiction, als Historienfilme) lebten davon, dass die Frau von der kriegerischen Männerwelt als Wesen ferngehalten und als Bild integriert wurde. Die einzige erlaubte Funktion der Frau im Traumkrieg der Männerphantasien war es, sich sogleich zu opfern, um die Mission des Soldatenmannes zu heiligen. Die bewaffnete Frau ist dagegen entweder ein Schreckbild, das es immer nur beim Feind gibt, eine Phantasie, die mit der Entwaffnung der Amazone endet, oder eine mindestens halbwegs komische Figur. Andererseits konnte die Frau auch drohen, den Jungen ihr existentielles Spielzeug, den Krieg, wegzunehmen. Besser, sie war da, um die Wunden von Körper und Seele zu heilen: le repos du guerrier.
Daher hatte auch im Kriegsfilm die Frau in den eigenen Linien immer eine „zivilisierende“ Funktion; sie war die Ärztin oder Krankenschwester, die heilen mußte, was die Zerstörungswut der Männer angerichtet hatte (nicht, daß sie dabei nicht auch subtil in Kriegspropaganda eingebaut wäre), weiß wie die reine Unschuld. Und wenn sie in Uniform auftrat, wie das kleine Mädchen Shirley Temple in „Wee Willie Winkie“ oder Goldie Hawn als Fallschirmspringerin in „Private Benjamin“, dann war das Anlass für erfreulich unsoldatische Heiterkeit. Natürlich drückte sich darin als fernes Echo immer noch aus, was ein nicht unbedeutender Aspekt der Militärgeschichte ist, dass nämlich jeder Krieg auch ein Krieg der Geschlechter ist und daß Ausbildung zum Krieg, die Verwandlung von Körper, Seele und Geist in eine gehorchende Tötungsmaschine, noch stets die Sexualisierung von Wahrnehmung und Gewalt benutzt.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis nach dem Polizeifilm, dem Western, dem Piratenfilm und der Science-fiction auch der Kriegsfilm weiblich besetzt würde. Dabei geht es nicht um die individuelle Aneignung der Kriegstechnik durch die anarchistische Frau, nicht um die Militarisierung der Girlie-Power wie in „Tank Girl“, nicht um die resolute Mütterlichkeit der Kommandantin des „Raumschiff Voyager“. Es geht um den Kriegsfilm als Mythologie des Männerbundes im Zustand seiner absoluten Herrschaft über die Person. In diesem Genre dient das Militär als Integrationsmittel. Weiß und Schwarz, Arm und Reich werden vor dem Ausbilder gleich, der nicht so sehr sich selbst als den Objekten seiner Erziehung die Seele aus dem Leib brüllt.
Am Rande durften auch Frauen immer wieder von diesen militärischen Gleichheitsritualen profitieren: Sogar im deutschen Kriegsfilm gibt es die halb militarisierte Frau, die verlangt, dass man auf sie „keine Rücksicht“ nehme. Ridley Scott geht in „G.I. Jane“ nur radikaler vor als seine Vorgänger: Er spielt als ebenso einfache wie konsequente Versuchsanordnung den bedingungslosen Willen einer jungen Frau durch, gegen alle Widerstände in der Ausbildung wie im Einsatz den gleichen Demütigungen, Leiden und Gewalttaten ausgesetzt zu sein wie die männlichen Kameraden. Noch der kahlgeschorene Schädel, der bei Sigourney Weaver in den letzten „Alien“-Filmen Ausdruck existentieller Reduktion scheint, wird hier lustvoll von der Heldin durch einen Akt symbolischer Selbstscherung erzeugt. (Überhaupt sollten wir einmal über unsere Faszination durch beinah kahle Schädel nachdenken, die, untrügliches Zeichen für das Ankommen eines Körper-Zeichens beim Mainstream, mittlerweile unter Fußballspielern Mode geworden ist.)
Die Phasen der Integration lassen sich dabei zum Beispiel an den Duschszenen ablesen: Während in „Baywatch“ noch peinlich-komisch darauf geachtet wird, daß man getrennt duschen geht, sind die Soldatinnen und Soldaten in der „Starship Trooper“-Zukunft an gemeinsames Duschen gewöhnt, und in „G.I. Jane“ findet ein Gespräch der Heldin mit ihrem Schleifer statt, während sie unter der Dusche steht, ohne erschrocken ihre Nacktheit zu bedecken. Der militarisierte Frauenkörper mag durchaus noch sexy sein, aber er hat keine Blößen mehr.
Träumten wir noch ein Jahrzehnt zuvor von einer Welt, die „weiblicher“ werden könnte, mit etwas weniger Krieg, weniger Gewalt, weniger Ausbeutung, so hat sich offenbar mittlerweile das Gegenteil durchgesetzt: die weibliche Besetzung aller Positionen in der autoritären, kapitalistischen, militärischen und gewalttätigen Gesellschaft. Frauen dürfen nun überall mitspielen, solange sie nicht auf die Idee kommen, die Spielregeln zu ändern. So spielen sie Eishockey, Monopoly und Krieg. Und alles bleibt beinahe beim alten.
Auch die Soldatin ist sexy, aber sie hat keine Blößen mehr
Wie aber steht es mit dem Sex oder gar mit der Liebe im militarisierten Männer-/Frauenbund? Worüber sich Josef von Sternberg vor langer Zeit in „Jet Pilot“ noch lustig gemacht hat, dass nämlich ein Düsenjägerflug zu einem Liebesspiel zwischen einem männlichen und einem weiblichen Piloten wird, das ist in „Starship Troopers“ längst Alltag. Jeder abgeschossene Feind Seitenblick – ist ein Vorgeschmack auf den Orgasmus. Oder es ist der Orgasmus der Zukunft. Und in „G.I. Jane“ darf sich am Ende das Verhältnis zwischen Schleifer und Geschliffener als Liebesgeschichte outen. Sie findet zwischen einer Frau und einem Mann statt, aber sie hat das homoerotische Element des Männerbundes geerbt. Der Versuch der Vergewaltigung wird von der Frau mit Gegengewalt und mit einem Fluch beendet, der zugleich eine absurde Erklärung von Identität und Liebe ist: Lutsch meinen Schwanz! Dieses Wort macht aus ihr erst den vollständigen, von den Kameraden akzeptierten Soldaten. Sie hat nicht nur Gewalt und Waffe, sie hat auch die phallische Neurose verinnerlicht.
Man kann Verhoeven und Scott durchaus dankbar sein für die Konsequenz, mit der sie die Schlüsselprobleme von Gleichberechtigung und Krieg zusammenbringen. Dennoch verfehlt die mythologische Versuchsanordnung die Wirklichkeit. Es gibt zu ihr ein dokumentarisches Gegenstück, das den Diskurs von Weiblichkeit und Militär viel genauer beschrieben hat. In „Soldier Girls“, den Nicholas Broomfield und Joan Churchill schon 1981, zu Beginn der Umwandlung der amerikanischen Armee, gedreht haben, sehen wir hautnah, wie das ist, wenn durch die militärische Ausbildung Personen geschliffen und zerbrochen werden, und wie am Ende nicht der Respekt, sondern die Endgültigkeit der Krankheit in der Seele und im System steht. Und wir sehen noch etwas anderes: Zur Soldatin wird man in Wirklichkeit nicht, weil man sich selbst und der Welt noch etwas Wichtiges zu beweisen hat. Zur Soldatin wird man, weil man keine andere Wahl hat. Weil man schwarz, arm und ungebildet ist – und weil es den Kanonen egal ist, ob ihr Futter männlich oder weiblich ist, uniformiert oder in Zivil, gedrillt oder nicht.
Autor: Georg Seesslen
Text veröffentlicht in DIE ZEIT 12.03.1998 Nr. 12
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