Vom höchst vorläufigen Sieg der Kleinbürgervampire über das Zombie-Prekariat
I
Wo man nicht richtig leben kann, da kann man auch nicht richtig sterben. So sind die Untoten unter uns, ganz alte und ganz neue. Je älter die Untoten, desto aristokratischer und eleganter sind sie (sie hatten ja auch Zeit, sich zu bilden); die frischen Untoten, die aus den Gräbern steigen, weil es in der Hölle zu eng geworden ist, können nicht einmal mehr sprechen. Wrrrööwwrrr oder so ähnlich grunzen sie, und dann beißen sie dir auch schon ein Stück Fleisch aus dem Körper. Man kann von Zombies sagen was man will, heiraten möchte man keinen von ihnen.
Ganz anders die Vampire. Erinnern wir uns an Udo Kier in Andy Warhols „Dracula“. Die verkommene adelige Familie war ganz versessen darauf, dass eine der Töchter den blassen Snob heiraten würde. Unglücklicherweise hatten sie nicht zu bieten, was der Graf so dringlich benötigte: Jungfräuliches Blut. Der Vampir jedenfalls ist die fieseste Art, den Jungfrauen-Mythos zu begründen, oder umgekehrt: Vampire sind perfekte Erzählfiguren, um seinen Spott damit zu treiben. Konsequenterweise wird in Warhols „Dracula“ von Joe Dallessandro dafür gesorgt, dass es nichts wird mit dem Jungfrauenblut. Aber wo hört das auf? Wann muss aus einem Vampir, der gerade noch vom schneeweißen Hals einer victorian beauty träumte, ein pädophiles Monster werden?
Je älter die Vampire werden, desto jünger ihre Opfer. Dagegen wiederum helfen nur Teenage-Vampire. Da wird aus der mehr oder weniger blutigen Hochzeitsphantasie ein Bild-Essay über den gefährlich schönen Transitionsraum. Sex & Drugs & Rock’n’Roll, das ist die offizielle Version, eigentlich aber muss es heißen: Sex & Drugs & Rock’n’Roll & Death. Teenage Vampires sind, wenn sie kein blöder Witz sind, der schöne Tod, der im kulturellen Zwischenraum umgeht. Wenn die Zombies der Menschenmüll sind, den die Gesellschaft um’s Verrecken nicht los wird, dann sind die Vampire die Kinderseelen des Begehrens, die nicht verloren gehen.
Aber natürlich nutzt, was die individuellen Eigenschaften anbelangt, die Vampirisierung so wenig wie die Zombifizierung. Wer im richtigen Leben ein Langweiler ist, bleibt es auch als Vampir, so wie ein geborener Verlierer auch als Zombie ein Loser bleibt. So ist das nun mal.
II
Anne Rices jugendlich-uralte Vampire (rund um „Interview with the Vampire“) waren treffende Mythen am Ausgang des Zeitalters der Jugend. Eine Autorin hatte das geschrieben, die in der dunklen Parallelwelt den Tod des eigenen Kindes bearbeitete (das sagt sich so leicht). Und darum ging es, um das Da-Sein und Fort-Sein, um die Suche nach dem richtigen Abschied, um Erlösung. Und da begann eine Teilung: Gute Vampire gegen böse Vampire. Vampire, letztlich, die die Menschen gegen sich selbst beschützen wollen gegen die hemmungslosen Hedonisten (in denen sich bald die AIDS-Verbreiter und Blutverseucher spiegeln sollten), aber tiefer noch: um den Kampf zwischen der Rekonstruktion und der Dekonstruktion des Lebens und des Sterbens.
Denn wovon erzählen wird denn, hä? Davon, dass Leben nichts anderes ist als Sterben einerseits und Fortpflanzung andrerseits. Liebe, Familie, Kampf und Tod, dann das ganze wieder von vorn. Unsterblichkeit kann man nicht erzählen (nicht, dass Unsterblichkeit als Kontrastmittel nicht hier und da auftauchen dürfte, in Göttersagen oder Marvel-Comics); erzählt wird vom Tod her, und daher zögernd, tückisch, ideologisch hinein ins Untote, den Bereich, den man verdammt wenig kennt. Die meisten Untoten unserer Erzählungen sehnen sich daher heimlich oder offen nach dem richtigen Tod. Ein Zombie scheint förmlich darum zu bitten, dass jemand ihm das Gehirn wegschießt, ein Vampir wartet sehnsüchtig auf den Lichtstrahl, den der Hauch der Liebe in sein unerlöstes Dasein schickt, und ihn zerfallen lässt. Trockener Staub, glitschiges Fleisch. Nur weg hier….
Autor: Georg Seeßlen
Bilder: Twilight, © Concorde
Den gesamten Text lesen Sie in:
Georg Seeßlen
Überleben in der Zombiewelt: Untote – Im Leben und im Film
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Kurzinhalt: Um die Figur des Untodes kreisen die Gedanken in den drei Essays des kleinen Sammelbändchens „Überleben in der Zombiewelt; Untote – im Leben und im Film“ und führen uns in die Gesellschaft der Untaten, in die Zwischenzone von Leben und Tod. Wo kommen sie her, die Zombies, wo gehen sie hin, diese willenlosen Wesen, die unterwegs sind, die Welt in einen untoten Ort zu verwandeln? Eine Welt die das Untote schon in sich hat. Ein Untoter, so meint Seeßlen, ist der Mensch jenseits von Moral, Hoffnung, Glück und Mitleid. Ein Wesen, das nicht weiß, warum es etwas tut. Klar, dass Seeßlen den Zombie auch als popkulturelles Phänomen betrachtet. „Zombokinematografia“ nennt er seinen kurzen Abriss der Geschichte des Zombiefilms und zeigt auf, dass der Zombie schon längst seinen Weg von der Leinwand bzw. Mattscheibe in die Welt gefunden hat – bis hinein in uns selbst.
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