Zum (vorläufigen) Abschluss eines dreißigjährigen Sternenkriegs
Erzählen, sagt man, sei eine Funktion der Neurose und andererseits das beste Mittel gegen sie. Die Neurose wiederum wird gern beschrieben als „Entwicklungshemmung“; man schafft es nicht, von etwas oder jemandem loszukommen. Erzählen soll einem dabei helfen, und hebt zugleich auf, wovon man sich so schwer trennt. So wird eine symbolische Ordnung geschaffen, durch endloses Kreisen um ihre Störungen. Eine prekäre Medizin: Was Heilung und Neubeginn verspricht, kann leicht die Krankheit verschärfen und in neue Gefangenschaft münden. Nach der Neurose können wir uns auch in ihrer Erzählung verstricken. Insbesondere wenn sie multimedial verbreitet und allgegenwärtig, gesellschaftlich institutionalisiert, biographisch befeuert und von einer treuen Gemeinde gegen Blasphemie und Ketzerei geschützt wird. So geschieht es mit einer cinematografischen Erzählmaschine wie STAR WARS zum Beispiel, die nie ein Hehl aus ihrer Geburt in der Neurose gemacht hat, und die über dreißig Jahre lang bei ihrer Bearbeitung nicht wirklich weitergekommen ist, aber dafür unzählige Menschen verschiedener Kulturen und Generationen in Bann geschlagen und nebenbei ein paar Milliarden Dollar gemacht hat. Jetzt, mit dem sechsten großen Film, nach zahllosen Seitenlinien in Trickserien, Romanen, Comics, Computerspielen, ikonografischem Ramsch und Hinterhofspielen ist die Geschichte zu Ende erzählt. Genauer gesagt: Sie ist auf ihren Anfang hin zurück erzählt worden und kann sich nun endlos im Kreis drehen. Ein Narrativ, das als Hilfsmittel für den rite de passage begann, hat sich in eine mythische Endlosschleife verwandelt, in der es einem weder gelingen will, noch einmal Kind zu werden, noch gar, „erwachsen“ zu werden.
Der Neurotiker, wir können ihn auch den Helden nennen, rumort in der Weltgeschichte, weil ihn sein Familienroman verrückt macht. Ob er Revolutionär oder Diktator oder gleich beides wird, bleibt einerlei. Er möchte der Welt eine Ordnung aufzwingen, und er muss das tiefste Geheimnis lösen, das verborgenste aller verborgenen Symbole, um das zu heilen, was nicht stimmt zwischen Vater, Mutter und Kind. Wir müssen uns Hänsel und Gretel als glückliche Menschen vorstellen; sie sind entschieden der Neurose entkommen. Erst die bürgerliche Revision lässt immerhin den Jungen den Tränen seiner Mutter (oder ihrer Einbildung) folgen; er eilet heim geschwind. Glückliche Gretel, der freilich nicht viel übrigbleibt, als selber wieder Mutter eines neuen Hans zu werden. Und wer hat Mitleid mit der Hexe? Es gibt nur zwei Neurotiker, erklärt Sigmund Freud, der eine passt ins Bild von Ödipus, der andere in das von Hamlet. Der eine bringt den Vater um, weil er mit der Mutter vereint bleiben will, der andere ist in Schuld mit dem Geist des Vaters vereint, gegen die tödliche Verführung der Mutter. Beiden gemeinsam ist, dass sie nicht genau wissen, was sie tun und warum, und dass alles, was sie versuchen, dem Unglück aus dem Weg zu gehen, dieses nur umso unabwendbarer macht. STAR WARS, jedenfalls in seinen sechs Hauptfilmen, ist die Geschichte von Hänsel, der einmal Ödipus und einmal Hamlet wurde, und am Ende, oder am Anfang, in dieser Dreiheit stirbt und ewig wiederkehrt. Drumherum gibt es Raumschlachten, Machtintrigen, verwirbelte historische Erinnerungspartikel, Technologie und Architektur, Freundschaften, Verrat und Heldenreisen, Schurken und Monster, sehr symbolische Verletzungen. Und Gretel/Ophelia/Jokaste hat eine Neigung zu merkwürdigen Frisuren.
Wie jeder große Pop-Mythos hat auch der von STAR WARS eine innere und äußere Gestalt. Die innere, wer kennt sie nicht, ist dieses gewaltige Weltraummärchen, das mit den Worten eingeleitet wird „Es war einmal in ferner Zukunft“. Zwei verstoßene Kinder, Luke Skywalker und Prinzessin Leia, finden sich wieder vereint im Kampf gegen ein finsteres Imperium und seinen furchtbarsten Vertreter, den schwarzen Rüstungsmenschen Darth Vader. Den beiden zur Seite stehen ein Gespann netter „Droiden“, ein Weltraum-Cowboy namens Han Solo und die Überlebenden eines einst mächtigen, der „Republik“ dienenden Ritter-Orden, der Jedi, Obi-wan Kenobi und Yoda. Darth Vader, man ahnt es schon im Namen, ist in Wahrheit der Vater der beiden Zwillinge, ein einstiger Jedi-Ritter, der auf die dunkle Seite der Macht gewechselt ist, und zum Ende müssen sich Luke Skywalker und sein Vater Anakin zum Todeskampf gegenüber stehen, wobei noch einmal das verschüttete Gute im dunklen Vater zum Vorschein kommen darf. Dies ist der Inhalt der ersten Trilogie. In der zweiten wird der Frage nachgegangen, wie und warum Anakin Skywalker vom heroischen Jedi-Ritter, der von seinem väterlichen/brüderlichen Freund, Meister Kenobi in der Kampfkunst und in den Werten unterrichtet wurde, noch vor seinen Weihen zum „Meister“ auf die dunkle Seite, die der Sith-Lords gewechselt ist. Dem letzten Film dieser Trilogie nun kommt die Aufgabe zu, aus vielen Andeutungen und Ahnungen eine narrative Gewissheit zu machen, die Frage beantworten: Wie wird aus einem Helden ein Schurke? Und wie verhält es sich mit einer hellen und einer dunklen Seite der Macht? „Die Rache der Sith“ muss in einer Erzählmaschine mit wechselnder Produktivität die Frage nach dem Ursprung der Neurose und die nach dem Wesen der Politik beantworten. Die Antwort ist 66, möglicherweise.
In seiner Entwicklung kann man dieser Geschichte als Produkt einer Industriegeschichte sehen: Aus den Phantasien eines Filmstudenten und dem Lese- und Bildervorrat der Post-Hippie-Ära entstand eine Erzählmaschine, deren Produktivität über die Jahre einmal gedrosselt, das andere mal überhitzt, die manchmal straff geführt und manchmal außer Kontrolle zu geraten drohte. Womit wir bei der äußeren Gestalt eines Pop-Mythos wären. Der Geschichte von tausend Legenden und Episoden rund um einen Erzähler und Maschinenbesitzer: George Lucas.
In der Erzählung Hollywood hat George Lucas die Rolle eines konservativen Erneuerers, eines Kerls, der in der vermutlich (zumindest moralisch) größten Krise des Kinos das Hollywood-Kino, vielleicht zusammen mit seinem Kollegen Steven Spielberg, neu erfunden hatte, obwohl ihm die Mächtigen in der Traumfabrik so misstrauisch und überheblich gegenübertraten, wie wir uns das nur vorstellen. Und er schaffte das durch einen beherzten Schritt zurück und mit einem neuen, eklektischen Erzähl-Konzept.
Die Sache funktioniert, weil einerseits innere und äußere Form des Pop-Mythos eine gewisse Dynamik aufweisen. Sie funktionieren nicht nebeneinander wie es bei klassischen europäischen Erzählmaschinen der Fall zu sein pflegt, Simenon, Wallace, Perry Rhodan, um nur ein paar sehr unterschiedliche zu nennen, sie funktionieren vielmehr, weil sie so sehr aufeinander bezogen sind. Der Fan oder wenigstens dedicated follower of STAR WARS versteht es, beide Aspekte zu akzeptieren.
Daraus entsteht eine dritte Geschichte, die der biografischen Auflösung der Erzählungen. Für viele begann 1976 mit dem ersten STAR WARS-Film die Entdeckung des Kinos, für die anderen wurde das zum Symbol des amerikanischen Kulturimperialismus, einige wurden Fans, andere überdachten anhand des Kriegs der Sterne ein paar Standards der gängigen Medientheorien. Von STAR WARS in der einen oder anderen Weise nicht berührt worden zu sein, ist fast unmöglich, und fast genau so unmöglich ist es, über diesen Mythos zu sprechen, ohne die Gefühle einer „Gemeinde“ zu verletzen, die aus der Erzählung eine Art des virtuellen Kults und eines künstlichen Wissens zu machen (und wie „ironisch“ oder „fanatisch“ das gemacht wird, ist nicht immer klar). So viel „Religiöses“ steckt in STAR WARS, wie freilich in fast allen Pop-Mythen.
Die Meta-Geschichte von STAR WARS, die vielleicht alle drei Erzählungen, die des Narrativs, die der Erzähler und die der Zuhörer und -schauer verbindet, ist ziemlich einfach: Man muss zurück, um voran zu kommen. Man kommt voran, indem man zurückgeht. Insofern war STAR WARS am Ursprung genau dem Widerspruch der Post-Hippie -Jugendkultur entsprach: Einerseits gibt es einen romantischen, anti-technologischen Impuls; man sehnt sich in die Fantasy-Welten des „Herrn der Ringe“ zurück, man sehnte sich nach Landleben und nomadischer Körperlichkeit. Andererseits aber gab es auch die digitale Revolution, die unter anderem neue Utopien der Vernetzung und der Macht von unten versprach. Technologie und Antitechnologie suchten einen gemeinsamen Mythos. Er entwickelte sich in der Rockmusik, in der Drogenkultur, und in den Erzählungen. STAR WARS war das Kino für die Kinder von C-64 und Hobbitt-Träumen, und umgekehrt verlängerte der Film durch seinen Erfolg die Bilder der anti-technologischen Technologie oder die technologisch produzierte Anti-Technologie in den Mainstream. Im Grunde wurde diese Erzählung von der Gleichzeitigkeit der Technologie und der Antitechnologie (feinere Abstufungen entnehmen wir vielleicht den Doktor-Arbeiten der nächsten Jahre) zum eigentlichen Inhalt der populären Kultur im – sollen wir sagen: Empire des Medienkapitalismus.
Dieses widersprüchliche Verhältnis zur Technologie hat von Anbeginn auch eine politische Dimension. So wie Technologie der Todessterne, der Raumkampfflugzeuge, der Roboter usw. und der Anti-Technologie von Ordensrittern, Laserschwertkämpfern, drückte sich im Titel schon ein andere Widerspruch aus. Das Sternenhafte der universalen Märchengeschichte, die kindliche Unschuld, die die Bilder herbeizitieren ist das Eine, das Andere ist, bis in die einzelne Einstellung hinein, ein Kriegsfilm: Rüstungsästhetik und Propaganda. Dem klassischen kritischen Diskurs entzieht sich diese Mischung. Umgekehrt aber eröffnet die Mischung auch einen Diskurs der Vermischung von militärischer und infantiler Ästhetik, der seitdem gern übernommen wurde. George Lucas selber wehrte sich durchaus dagegen, dass seine große Erzählung direkt von der Politik übernommen wurde; Ronald Reagans große Vision von der Militarisierung des Weltraums sollte nicht umsonst den Markennamen „Star Wars“ tragen.
Die Beziehung, die Lucas‘ Erzählmaschine zu einer populären Theorie, Joseph Campbells „The Hero with a thousand faces“ hat, gehört längst zur Trivial-Abteilung der Außenseite des Pop-Mythos STAR WARS. Darin wird eine Art von ewiger Wiederkehr des eigentlich immer gleichen Helden durch die Zeiten und Kulturen beschrieben. Tatsächlich verhält sich nicht nur die Erzählmaschine so, als hätte sie Kenntnis dieses Vorgangs der ewigen Wiederkehr, sondern auch die Helden selbst: Ein Western-Held, zum Beispiel, wird auch von Erzählung zu Erzählung, von Film zu Film wiedergeboren. Aber er weiß davon nichts. Als Subjekt der Erzählung ist er immer ein radikal Einzelner. Die Helden von STAR WARS dagegen verhalten sich, wie jemand der seinen zyklischen Weg kennt, die immer schon einmal waren, wo sie hinkommen. Die Erzählung selber ist nicht nur rückwärts gerichtet, die Helden werden immer auch wieder in ihre Rollen eingesetzt. Das Vorwärts und Zurück, das Prinzip der Wiedergeburt und Wiederholung, der Maskerade in der Tragödie.
Als der junge Regisseur 1976 mit dem ersten Film begann, hatte er zwei Projekte hinter sich, die abstrakte, kunstversessene und triste SF-Vision THX 1138 und den Jugendfilm im Schatten Vietnams, AMERICAN GRAFFITI. Der erste war ein Flop, ein pessimistischer EASY RIDER für Science Fiction-Nerds, eine negative Utopie über Drogen, Überwachung. Der zweite war ein Überraschungserfolg. Dennoch fiel es George Lucas zunächst schwer, das Script für einen neuerlichen phantastischen Film an die Studios zu verkaufen, das er als Mischung aus „Buck Rogers-Serial“ und Erroly Flynn Swashbuckler anbot.
Er packte einfach alles hinein: Comics, das psychedelisch modische Schamanentum von Carlos Castaneda und Joseph Campbells Untersuchung über den „Hero with a thousand faces“. Vielleicht kann man sich den Kosmos, der da entstand, am ehesten vorstellen, wenn man es sieht als eine Art, wie jemand alles zusammenpackt, was ihn bislang beeindruckt hatte, bevor er seinen endgültigen Schritt ins Erwachsenenleben tut, um es in einer mehr oder weniger strengen Ordnung zu verabschieden.
Aber STAR WARS war ursprünglich alles andere als ein geplanter Erfolg der Traumfabrik. Als am 25. Mai 1955 der Krieg der Sterne in 32 Kinos in den USA gestartet wurde, setzte das Fox-Studio wenig Hoffnungen in einen Science Fiction Film mit einem unpopulärenTitel in einem unpopulären Genre mit unbekannten Schauspielern. Am Ende des Jahres war er schon mit einem Einspielergebnis von 193 Millionen Dollar bei Produktionskosten von schlappen 9 Millionen.
Was machte diese einfach gestrickt und nach heutigen Maßstäben gar nicht einmal so spektakulären Zukunfts-Märchen populär, was ließ es zur Neuerfindung des Kinos werden? Der erste Erzähltrick ist die Verknüpfung von Science Fiction mit Fantasy. Das meint nicht nur Zukunftsprojektion und Technologie plus Märchenglanz und Ritterrüstung, es meint vor allem die Verknüpfung fundamental entgegengesetzter Erzähltechniken. Das Apokalyptische und Projektive der SF und das world building und die ewige Wiederkehr der Fantasy.
Das zweite war ein Generationen umspannendes Angebot; jeder könnte sich seine Attraktionen aussuchen, das Märchen für Kinder, und sogar ein bisschen sophistication für die Älteren. Es war vor allem ein Kino der Rückkehr. Ein Kino, in dem nicht erzählt wurde, sondern von einer Erzählung erzählt: Es war einmal: das Kino. Das unschuldige Vergnügen einer Kindheit, die nie war. Die Wiedererfindung des Staunens, aber nicht das Bild machte Staunen, es war das entzückte Erstaunen über den eigenen Blick. Das amerikanische Blockbuster-Kino, das sich aus diesem Urknall entwickelte, musste dann nur noch zu Strategie und Gewohnheit machen, was im Anfang von STAR WARS einer biographischen und sozialen Geste entsprach. Die Gesellschaft schuf sich einen neuen Raum der galaktischen Infantilität, in dem man beliebig Zugang zu virtuellen Religionen, Philosophien, politischen und familiären Modellen, einschließlich eigener Formen von Dogmatik, Häresie, Verschwörungen und Schismen, fand. Aus dem Fandom wurde eine Gemeinde von Eingeweihten, und natürlich wurde auch hier die Illusion eines Ausschlussverfahren erzeugt. In MATRIX wurde dann drei Jahrzehnte später versucht, diesen Vorgang der infantilen, parallelen Geistesgeschichte in der Pop-Kultur noch einmal zu reflektieren (auch hier schien nicht zufällig die Form der Trilogie angemessen) , was zu einem offensichtlichen Scheitern führt.
Eine Art von Film, die alles zugleich war, Western, Kriegsfilm, Abenteuerfilm, Märchen und Science Fiction, die Kinder ebenso ansprach wie Erwachsene, die so sehr von einer nationalen Topografie entfernt war, dass sie universal wirkte, ohne darauf zu verzichten, amerikanische Ideale zu vertreten, die für religiöse Untertöne ebenso offen war, wie für kleine satirische Seitenhiebe. Und dieses Kino produzierte neue Ikonen, die sich auf fast unbegrenzte Art vermarkten ließen: T-Shirts, Gläser, Zahnbürsten, Spielzeug, Bücher eroberten einen wachsenden Markt der Mythisierung des Alltagslebens. Die STAR WARS-Trilogie hat an Nebenrechten des Merchandising bis heute geschätzte 9 Milliarden Dollar eingebracht und im Nebenhinein nachhaltig die Medienlandschaft in der westlichen Welt verändert.
Das „offene System“ (man darf alles in STAR WARS hineinlegen, aber man muss sich entschieden an eine Form der Fake-Faktizität halten und einen Grundkonsensus der Ernsthaftigkeit wahren) ist die Stärke und die Schwäche des Systems Star Wars. Unter den vielen „Religionen“ der Popkultur leidet diese unter einer besonders großen Spannung zwischen Fundamentalismus und Beliebigkeit, zwischen ikonographischer Strenge und inhaltlicher Elastizität. Mit STAR WARS hatte das amerikanische Kino seine schöne Agonie, die Ästhetik der Vergeblichkeit, der Gewalt, der Selbstanklage und der Trauer überwunden. Alles war verarbeitet und nichts war verstanden.
Zunächst erschien dem Publikum der Film als geschlossenes Werk, erst bei der Wiederaufführung wurde auch im Vorspann deutlich gemacht, dass es sich um den Beginn einer mittleren Trilogie, Episode IV – A New Hope“ handelte. Und damit war „Episode V – The Empire Strikes Back“ als Teil einer gewaltigen Saga angekündigt. Es war wohl der „beste Film“ der STAR WARS-Serie. Er führte interessante neue Figuren, wie etwa den Kopfgeldjäger Bobba Fett oder den philosophischen Gnom Yoda, ein, konnte aber den Erfolg des ursprünglichen Films nicht mehr ganz erreichen, obwohl auch die Tricktechnik in damals sensationelle Höhen ging. Episode VI – The Return of the Jedi“ führt tatsächlich einige der Erzählstränge zum Abschluss; man war mit einem galaktischen Friedensschluss entlassen.
Danach hatte der Schöpfer etwas das Interesse an seinen Schöpfungen verloren. Nicht, dass die Erzählmaschine STAR WARS zum Stillstand gekommen wäre. Comics, Romane, Videospiele, Zeichentrickserien und Fan-Artikel setzten sie fort und weiteten den Stoff ins wahrhaft Uferlose. 16 Jahre vergingen, in denen der Krieg der Sterne vor allem an den Peripheren der popular culture ausgefochten wurde. Zur Rettung indes nahm der Schöpfer auch wieder im Regiestuhl Platz. In der neuen Trilogie, als ob das jemand nicht wüsste, geht es um die Vorgeschichte, die Entwicklung von Anakin Skywalker zum bösen Darth Vader.
Wie ernst man einen Pop-Mythos nimmt, das kann man glücklicherweise selbst bestimmen. Wo allerdings eine Gemeinde entstanden ist, da entsteht gewiss auch ein „Welt-Bild“, auch wenn man es nicht wörtlich nehmen darf. Auf der Seite der Guten steht wohl so etwas wie eine Republik, die aber merkwürdigerweise von Prinzessinnen und einer Art Tempelritter-Orden bestimmt wird und dessen Kanzler als Machtzentrum benutzt wird. Die Republik ist offensichtlich nicht unbedingt demokratisch konstruiert. Von einer demokratischen Praxis ist jedenfalls nichts zu sehen. Auf der anderen Seite gibt es eine imperiale Herrschaftsform, die offensichtlich aus der Macht von Warlords und Separatisten hervorgegangen ist. Den Raum dazwischen bevölkern ein paar Individualisten. Vielleicht erkennt man ja an den Mitteln, wer die Guten und wer die Bösen sind, an ihren, nun ja, „Programmen“ erkennt man es ehe weniger.
STAR WARS freilich ist auch das größte und unverschämteste Crossover-Unternehmen zwischen Kindertraum und Kriegsphantasie. Je nachdem, in welchem Segment des Endlos-Märchens man sich gerade befindet, stehen mehr die Sterne oder mehr die Kriege im Mittelpunkt der Attraktion. Manche Spiele, wie „Star Wars – Republic Commandos“ oder „Star Wars: Knights of the old Republic“ bestehen vor allem aus Vernichtungsphantasien und Ego Shooter-Gewalt. (Im letzten Spiel muss man als Rebell gegen die Herrschaft der Sith angehen.) An einem anderen Ende, meinethalben bei den niedlichen Ewoks, geht es niedlich und plüschig zu.
Ich weiß nicht, ob man sich George Lucas in diesem selbstgeschaffenen Universum, das ihn nicht mehr loslässt und in dem er womöglich zum Sklaven seiner Fans geworden ist, als glücklichen Menschen vorstellen kann.
Dass eine Erzählmaschine, einmal ins Werk gesetzt, ihren ursprünglichen Autor gleich mit verarbeitet und eventuell ausspeit, ist bekannt, spätestens seit ein gewisser Conan Doyle mit seiner Schöpfung Sherlock Holmes nicht mehr fertig wurde. Nun aber drohte sich ein ganzer Erzählkonzern von seinem Gründer zu verabschieden; eine postmoderne und vor allem post-industrielle Form des Erzählens breitete sich aus um das Echo einer großen Erzählung in den zahllosen spin-offs, Fan-Artikeln und Merchandising-Symbolen. Bei STAR TREK hatten es die Fans geschafft, dass eine eigentlich schon verschrottete Erzählmaschine noch einmal renoviert und wieder angeworfen wurde, bei STAR WARS dagegen wurde gleichsam ein Schöpfergott und, wohlgemerkt, einstiger Rebell, wieder zurückgeholt. Wirklich gut gehen konnte das nicht, obwohl es dem inneren Wesen des Mythos vollkommen angemessen scheint, und als George Lucas nach sechzehn Jahren nicht nur die Wiederaufnahme seiner großen Erzählung bestimmte, sondern gar selbst wieder in den Regiestuhl wechselte, war eine Enttäuschung vorprogrammiert. Denn einerseits hatte sich das Kino ja in diesen sechzehn Jahren weiterentwickelt, andererseits musste sich ja die Erzählung zurück erfüllen. „Die dunkle Bedrohung“ wurde wohl so sehnsüchtig und bang erwartet wie nie zuvor ein Film in der Geschichte der populären Kultur, denn er sollte drei unterbrochene Erzählungen wieder aufnehmen: Die der inneren Mythologie, die der äußeren von George Lucas und vom Konzept der industriellen Magie und die von uns selbst, über die Generationen hinweg: Würden wir uns wiedererkennen in den Sternenkriegen? Würden die Kinder verstehen, wie man in diese große Erzählung treten kann?
Die Enttäuschung war gewaltig: Der Film erschöpfte sich in der Energie, mit der er die aktuelle Kino-Technologie für seine Erzählweise adaptierte. Zum anderen aber auch darin, dass eine neue Ikonographie eingeführt und eine Geschichte erzählt wird, (die von der Entdeckung des jungen Anakin als kommender Jedi-Ritter) die ihren eigenen Weg, und den reichlich umständlich, geht. Dem ganzen Unternehmen mangelte es an Charme und Unschuld. Wir ahnen: Luke Skywalker, Han Solo und Prinzessin Leia, das waren Teile von George Lucas magischer Biographie; irgendwie musste er da wohl eine Geschichte verkleiden. Die Gestalten der neuen Trilogie bleiben dunkel und fremd, eigentlich gibt es gar keine richtigen Sympathieträger und Identifikationsgestalten. Die erste Trilogie ist ein unverschämter Akt, in dem ein paar spielende Kinder eine große Erzählung, oder wenigstens die postmoderne Maskerade davon, übernehmen. Die zweite Trilogie ist wie ein magisches Buch, das aufgeklappt wird, in das man hineinschauen kann, mit diesem nicht-anfassen-Gefühl: Die Erzählung heiligt sich durch eine fast unmenschliche Distanz. Ein Misserfolg auf dem Markt konnte EPISODE I natürlich nicht werden, der Film spielte weltweit eine Milliarde Dollar ein (konnte aber nicht TITANIC übertrumpfen). Trotzdem musste EPISODE II – „Angriff der Klonkrieger“ das Publikum auf eine bestimmte Weise zurückgewinnen, musste menschlicher, unverkrampfter werden. Es ist der romantische Teil, der auf fünf verschiedenen Welten spielt, und der, in Zusammenarbeit von Lucas mit Jonathan Hales, deutlich besser geschrieben ist. Was zu kurz kommt freilich, das ist genau der zentrale Punkt der Erzählung, nämlich die Frage, warum der einst so heldische Annaikin Skawalker eigentlich auf die böse Seite der Macht wechselt, den nun Hayden Christensen als aufmüpfig-unglücklichen Teenager gibt.
Der Angriff der Klonkrieger ist, wie alle STAR WARS-Filme vorher, eine Leistungsschau der Filmtechnologie. Er wurde zur Gänze auf Digitalvideo gedreht und die neue High Definition Progressive Scan-Kamera, die Sony und Panavision gemeinsam entwickelt hatten, geben eine neue Beweglichkeit in der Begegnung der Darsteller und der computergenerierten Wesen, wie z. B. den weisen Yoda im Schwertkampf mit dem abtrünnigen Count Dooku.
Auf den eher mechanischen und den romantischen zweiten Teil folgt nun der (notwendig) düsterste Teil der zweiten Trilogie, dem freilich zugleich die Aufgabe zukommt, den dunklen Teil mit dem Beginn der ersten Filme zu verknüpfen: Danach kann man die große Erzählung auch „richtig herum“ lesen, oder auch, wenn man will, wie einen ewigen Kreis zweier Geschichten: Aus einem Helden wird ein Schurke, aus einem Sohn wird ein Held. Aus welchem verdammten Grund wird Anakin Skywalker der böse Darth Vader? Mit der Beantwortung dieser Frage erhält die große Erzählung erst ihren eigentlich Sinn, ihr Zentrum. Wird sie nicht richtig beantwortet, dann bricht die ganze Erzählung zusammen.
Als Lucas bei der zweiten Trilogie dann beschloss auch wieder die Regie zu übernehmen, geschah das zu einer Zeit, als er drohte, die Kontrolle über sein Universum zu verlieren, und es war vermutlich eine ziemlich radikale Entscheidung: Entweder den Krieg der Sterne anderen zu übergeben oder das logistische und mythische Unternehmen selbst zu Ende zu führen. Dass Lucas sich für das letzte entschied, heißt nicht, dass er darin seine Erfüllung fand. Die ersten beiden Filme der zweiten Trilogie gleichen unseren unwirtlichen Innenstädten: Niemand mag sie besonders, aber wo sollten wir sonst hin? Selbst die hartnäckigsten Fans konnten mit dieser überwältigenden Strategie des Immermehr und Immergleich nicht wirklich glücklich werden, man ist nicht mehr vollständig zu Hause, aber vertreiben aus dem kindisch-gigantischen STAR WARS-Kosmos möchte man sich auch nicht lassen. Höchstens die neuen und die alten Stars und natürlich die Computereffekte konnten beeindrucken, und der Vermarktungsmaschine des LucasImperiums kann sowieso niemand etwas entgegensetzen. Außerdem war rund um die STAR WARS, nicht nur allein in den wirklichen Fankreisen, ein kolossales und erhebend sinnloses „Wissen“ angewachsen; wenn man in dem STAR WARS-Kosmos vielleicht auch nicht mehr ganz daheim war Es ist etwas Schreckliches um eine Geschichte, die durch nichts angetrieben wird als durch die Notwendigkeit, zu Ende erzählt zu werden. Die befreiende Fabulierlust, die Naivität (Kapitalismus, Technologie und Wunderglaube waren noch nie ein Widerspruch in der amerikanischen Erzählung) wich einer ikonographischen garbage collection.
Aber vielleicht ist auch das Verhältnis von Mythos und Zeit verändert. Die seltsame Lustlosigkeit und Unbehaustheit, die von den neuen STAR WARS-Filmen ausgehen treffen auf eine Situation, wo einstige Verweigerung und Abbildung nicht mehr funktioniert. STAR WARS kam zu einer Zeit heraus, als das Kino selber mehr oder weniger bankrott war, als die amerikanischen Truppen aus Vietnam abzogen, als mit Watergate noch die letzten Illusionen verloren gegangen waren. Da ging es darum das Kino neu zu erfinden, es für eine Generation wieder attraktiv zu machen, die keinen DIRTY HARRY sehen wollte, aber mit den faden Erziehungskomödien, die das Haus Disney damals noch für einzig zuträglich hielt, nichts mehr anfangen konnte. Und andererseits für die versprengten Mitglieder einer Erzählgemeinde, der scharfen Lakonie der amerikanischen populistischen Erzählung von unten, ein panoramatisches Weltbild entgegenzusetzen, in dem das Scheitern nur eine Episode ist, in der man über Jahrtausende hinweg denkt, in der eine Katastrophe nur dazu da ist aufzustehen und den Kampf von neuem zu beginnen. Luke Skywalker war der Sohn von Vietnam und Watergate und seine Initiation (die nicht umsonst einen klassischen Ford-Western zitiert) machte auf ziemlich unnachahmliche Weise klar, worum es ging: Ein Neuanfang und eine Rückkehr zu alten Werten. Dieses Empfinden ließ sich, wenn auch möglicherweise unter sehr unterschiedlichen Bedingungen, ohne weiteres globalisieren.
In Europa mochte STAR WARS für eine neue Generation einen eingebauten Widerspruch lösen helfen, der für die „68er“ noch halbwegs fruchtbar gewesen war, nämlich der zwischen einem Leben in ebenso „übertriebenen“ Diskursen und Begrifflichkeiten und einem zweiten in einer Bildwelt des verschärften Pop und der reinen emotionalen Bildlichkeit (einschließlich dem Hauch von Zen, der damals in Mode zu kommen begann). In den STAR WARS-Filmen wird ja, für einen so visuellen Film erstaunlich, enorm viel in einer pseudo-pathetischen, pseudo-politischen Sprache gequatscht, und zur gleichen Zeit gibt es einen Schnelldurchlauf durch die Pop- und durch die Filmgeschichte, von Eisenstein bis Leni Riefenstahl, vom Western bis zu Laurel & Hardy, vom Comic bis zur Vorahnung der computergenerierten virtual reality, von Tolkien bis Flash Gordon. Nicht bloß der Kurzschluss zwischen dem Erhabenen und dem Trivialen, vielmehr die quantifizierbare Antwort auf die drei Hauptwidersprüche eines jungen Menschen des Jahres 1976 war, mit anderen Worten, eine neue Art des totalen Kinos. Auf „Macht kaputt was euch kaputt macht“ folgte „Möge die Macht mit euch sein“. Natürlich ist das ein bisschen komisch und ein bisschen traurig, vor allem aber ist es vollkommen logisch in der dialektischen Entwicklung der Narrative. In Luke Skywalker wuchs der neue Ödipus als Opportunist heran, der sich vom diskursiven Getue seines Vorgängers nicht mehr länger beirren lassen wollte. Tiefenpsychologisch lässt sich ja STAR WARS ohne weiteres als lange Suche nach dem verlorenen Vater deuten, komplett mit dem finalen Duell und der Versöhnung im Tod.
Die folgenden Filme wurden besser, vor allem aber machten sie im Verbund mit der anlaufenden Merchandising-Maschinerie aus einem Film ein System. Ein wenig gelang es den beiden Regisseuren Marquard und Kershner auch, das Manische aus dem ersten Entwurf zu mildern, die Erzählung selbst zu entspannen, ohne ihnen die Aspekte von cineastischer Leistungsschau und Programmatik zu nehmen.
Das System war immer noch das eines Filmstudenten. Nicht wie das eines ewig lernenden wie Martin Scorsese, nicht wie das eines sich entwickelnden Wunderkinds wie Steven Spielberg, sondern wie eines, der anwenden will, was er gelernt hat, möglichst ohne den lästigen Reflexionskram. Lucas war mit seinem Projekt so beschäftigt, dass er das Angebot seines (damals noch) Freundes Francis Ford Coppola ausschlug, die Regie in einem Film namens APOCALYPSE NOW zu übernehmen, etwas Ernsteres als die „kindische Sternenkriegerei“. (Für New Hollywood war Lucas‘ STAR WARS der endgültige Todesstoß. Kein Wunder, dass neben Coppola auch andere Regisseure ziemlich böse reagierten, wie etwa Brian de Palma: May the fart be with you!) Die jugendlichen Helden der Flower-Power im Rausch der Rüstungsindustrie. Aber was ihn faszinierte, und was ihn, ganz anders, zu einem der größten Pioniere des neuen Kinos machte, das war sein Interesse für den Einsatz elektronischer und digitaler Elemente. Der erste Einsatz der Motion Control Camera in den Schlachtszenen des ersten Filmes waren mehr als ein überwältigender Effekt in einem ansonsten durchaus bescheidenen Film. Es war der Beginn einer neuen filmischen grammatischen Form, jene Erzählweise des Egoshooters, die nicht bloß am Beginn eines endlosen Verschmelzungsprozesses zwischen Erzählkino und Videospiel stand, sondern das das filmische Subjekt selbst neu definierte. Irgendetwas zwischen dem manieristischen „Es stürzt“ über das traumhafte „Ich fliege“ bis zum faschistischen „Wir zerstören“.
Die amerikanische Politik, jedenfalls jenseits der wirklichen inneren Räume der Macht, sieht bis in die letzten Verästelungen oft aus wie ein desolates misreading von STAR WARS, und noch im Irak-Krieg scheinen es die Soldaten darauf abgesehen zu haben, in der Wüste wie die Sturmtruppen des Imperators auszusehen, gefühllose Maschinenwesen, unbesiegbar und seelenlos. Natürlich veränderte STAR WARS auch sein nominelles Genre, die Science Fiction. War es bis dahin darum gegangen, Neurose und Angst vor der Zukunft zu bannen, so war nun die Zukunft ein Kindertraum. Es war einmal in ferner Zukunft, das meinte nicht nur das Märchenhafte, das meinte auch das Ende der linearen Erzählweise.
So wiederholte sich auf der technologischen Ebene, was in der Erzählung als absurder Widerspruch steckte: Kindertraum und Massenkrieg. Paradoxerweise musste die zweite Trilogie, nicht bloß aus Zwängen der eigenen Erzählmaschinerie, das Kriegerische wieder erden, gleichsam vom Wesen der Luftkavallerie in den ersten Filmen zu den Bodentruppen. Die Re-Infanterisierung des Krieges, die sich in den antiken und modernen Schlachtengemälden Hollywoods widerspiegelt, reflektiert möglicherweise die neuen Kriege. Helden sind ja in der Regel die technologisch Unterlegenen, aber schon im Western hat das nicht mehr wirklich funktioniert.
Das Empire ist in allen Filmen, vom „Herrn der Ringe“ über die „Matrix“ bis zu STAR WARS, ein kapitalistisch-faschistisch-militaristisches Konglomerat, das paradoxerweise genau das zu unterbinden versucht, was es geschaffen hat, nämlich das freie Unternehmertum. Die Dialektik der dunklen und der hellen Seite der Macht besteht nicht nur in einem galaktischen Familienroman, sondern auch in der Beziehung des Kapitalismus zu Macht und Demokratie. Was das anbelangt, erzählt man sich im amerikanischen Blockbuster-Kino um den ständigen Flirt mit der dunklen Seite herum: Das Helle bleibt hell nicht, und dunkel nicht das Dunkle. Und am Ende hat STAR WARS nicht die Geschichte des jugendlichen Rebellen Luke Skywalker erzählt, sondern die des Anakin Skywalker, die des Darth Vader. Ödipus rückwärts erzählen, das, so scheint’s, ist das narrative Projekt der großen amerikanischen Erzählmaschine, nicht die Rebellion erzählen, sondern ihr Einschreiben ins Imperium. Luke Skywalker war das erste Selbstporträt von George Lucas, mittlerweile bildet er sich als Darth Vader ab. Kann er dabei seinen Verrat verstehen?
Eine Erzählmaschine, die einerseits also ihre Produktion ändert, andererseits aber nicht vollständig auf ihr ursprüngliches Material und ihre ursprüngliche Mechanik verzichten kann, wird zu einem merkwürdigen Hybrid, zu einer Maschine eben, die im Allermeisten nur noch die eigene Maschinenhaftigkeit abbilden kann. Ein Organismus, der zu einer Maske wird. Anders gesagt: Der Pop-Mythos STAR WARS ist selber nichts anderes als eine Art Darth Vader. Die Verwandlung eines menschlichen und ideologischen Impulses in ein Maskenwesen, dessen offenkundige Atemnot noch immer die treffendste und anrührendste Metapher ist.
Das Problem nämlich ist, dass niemand in STAR WARS auch nur die geringste Ahnung davon hat, was eigentlich das Gute an der guten Seite der Macht ist. Im ersten Teil jedenfalls hat es sich dargestellt wie ein Reichsparteitag von Leni Riefenstahl, und in der zweiten scheint es wie ein Riesenkonzern (wie in vielen anderen Blockbuster-Filmen).
Die Erzählmaschine STAR WARS drehte sich in der Funktion gleichsam um und schaltete, wie gewisse politische Kräfte in unserer Gegenwart, vom Impuls der Rebellion auf den der Machterhaltung. Ursprünglich, so hieß es, war die Geschichte vom Imperium und den Rebellen auch als Metapher auf die Auseinandersetzung der Militärmaschine USA und den Rebellen im Außen (in Vietnam) und im Innen (Hippies und Bürgerrechtsbewegung) angelegt. Der Sieg von Luke Skywalker liegt in der vollständigen Entblößung von aller Massen-Technologie und seiner Fähigkeit, sich ganz dem Gefühl statt dem Verstand zu überlassen. Aber je weiter die STAR WARS-Erzählmaschine sich entwickelt, desto weniger glaubt sie an diese Ur-Botschaft und desto mehr berauscht sie sich an ihrer eigenen Technologie, an ihrer eigenen heroischen Kriegsästhetik. Man könnte, wenn man gemein wäre, behaupten, bei STAR WARS sehe man nicht nur einem Charakter, sondern einem Narrativ beim Bösewerden zu.
George Lucas, so scheint es, wuchs mit seiner Schöpfung ohne wirklich reifen zu können. Denn er war ja nicht nur Bild eines neuen Erzählers, des Kerls, der mit Steven Spielberg aus den Trümmern von New Hollywood eine Art Neo Pulp Fiction, einen Neo-Supertrash für den Weltmarkt schuf. Er war auch Modell für einen jungen Unternehmer, ein Bill Gates des Multimedialen, die neue Variante eines Moguls, Turnschuhe und T-Shirt, ein Inbegriff des Wunderkind-Kapitalismus, das aus dem Scheitern der radikalen Opposition des Hippietums kam. Der mit diesem Selbstvertrauen, deren letzte Trümmer als „Ich-Ageen“ wirken, auf die eigene Invention setzte und das große Studio, das er beim Beginn benötigte, das Fox-Studio, gleich skeptisch die Rechte der Marktverwertung und des Merchandising seines virtuellen Branding sicherte, – das brachte Millionen. Der Aufstieg von Lucas freilich machte nicht nur die Hoffnungen ambitionierterer Verterte seiner Generation zunichte, es gab auch kaum ein Modell für einen allgemeinen Aufbruch. Er wurde die neue Variante eines Moguls, der sich nicht über Traditionen und Besitzstand, sondern durch vernetztes Know How definierte. Die Skywalker-Ranch als (entsprechend geschmackloser) Sitz eines Phantasie-Trusts, und vor allem Industriale Light & Magic, als eine Anlaufstelle für alle phantastischen Effekte. Beinahe noch mehr als mit seinen STAR WARS hat Lucas mit ILM den Look des modernen Blockbuster-Kinos bestimmt; vielleicht leben wir seit geraumer Zeit in einer Spielberg-Welt der Bilder und Phantasien und ihrer Grenzen, aber die ist situriert in einem Lucas-Universum der Bilder. Lucas war übrigens schon 1980 aus der director’s guild ausgetreten und zeigte sich im Umgang mit dem „ausländischen“ Regisseur Richard Marquand, bei „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“, nicht gerade von einer sympathischen Seite. Die Geschichten von den STAR WARS-Sets, soweit sie überhaupt den Schutzschild des sekundären Mythos durchbrechen können, erzählen von Ausbeutung und Rücksichtslosigkeit. Kurzum: Was die Filmproduktion anbelangt, war STAR WARS nicht der Sieg der guten über die dunkle Seite der Macht.
Selbst gemessen an der Sehnsucht nach der großen amerikanischen Erzählung bildet die zweite Trilogie eher einen Rückschritt (auf höchstem technologischen Niveau, wie wir’s gewohnt sind von unserer Zeit): In den ersten drei Filmen triumphierte trotz allem „Krieg der Sterne“ immer das Individuum, der demokratische Wille, das Subjekt über Zeit und Masse. Wer jeweils „gemeint“ war, oder ob überhaupt jemand gemeint war, die Kommunisten, der Faschismus, Nixon oder was auch immer, ist ziemlich belanglos. Jenseits dessen ging es um den Sieg der alten amerikanischen Werte, und was sich da im Weltall abspielte war in Wahrheit ja eher ein galaktischer Bürgerkrieg, ein Western-Dschihad. In der zweiten Trilogie sind die Züge des ewigen Krieges wesentlich ausgeprägter; nun kämpfen nicht mehr Individuen gegen Massen, sondern Massen gegen Massen, gute Technologie gegen schlechte Technologie. Ein sympathisch verschlampter Han Solo fehlt jetzt, statt dessen schaffen heroische Führer gute oder böse Ordnungen im kriegerischen Chaos. Die heroische Selbstinszenierung der Protagonisten hat die märchenhafte Selbstironie verloren. Man weiß da schon gar nicht mehr recht, ob einem die Guten nicht mindestens so ungeheuer sein sollten wie die Bösen, die ja, immerhin als „Imperium“, im Abschluss der zweiten (also der ersten) Trilogie die Macht an sich reißen.
Überhaupt ist diese Erzählweise der STAR WARS-Saga bemerkenswert, auch jenseits seiner etwas krausen Produktionsgeschichte. Ganz am Annfang stehe eine Episode, die man vielleicht ansonsten an das Ende gesetzt hätte, nämlich „A new hope“, und am Ende hat man sich rückwärts zum Sieg des Bösen (mit der Schleife zur neuen Hoffnung) erzählt. Das ist ein Phänomen, das man in der amerikanischen Popular Culture seit Anbeginn erkennen kann: In den Bibelfilmen war es immer schwer für das amerikanische Publikum, sich mit dem friedlichen, unbewaffneten Jesus zu identifizieren und nicht mit den effizienten, technologiefreundlichen und erobernden Römern. In der Kriegspropaganda der Vereinigten Staaten in beiden Weltkriegen gab es im unteren Segment der Unterhaltung, in den Serials und in den Comic Strips und in der Pulp Fiction, stets Helden, die schon im Äußeren verdächtig an die Ästhetik der „Hunnen“ und der Nazis erinnerten. Unter der diskursiven Oberfläche lauern stets Rassismus und die Lust an der Antwort der populären Mythologie war stets das seltsamste Crossover: Amerika träumte von einem bewaffneten Jesus, von einem demokratischen Faschisten, von subjektiven Massen, von maschinellen Seelen und beseelten Maschinen.
Der zähe Zerfall des STAR WARS-Mythos ist parallel zum zähen Zerfall des Mythos George Lucas und der wiederum ist parallel zum zähen Zerfall der Pop-Mythologie selber. So wie STAR WARS das Crossover zwischen Kindertraum und Rüstungsästhetik versprach, so versprach die Firma INDUSTRIAL LIGHT & MAGIC die neue Verbindung von Industrie und Magie, ein neues Testament des amerikanischen Aufstiegs (und eigentlicher Inhalt aller US-amerikanischer Mainstream-Fantasy).
Drei Jahre nach Beginn des Krieges verfolgt General Obi-Wan Kenobi immer noch seinen Gegner Count Dooku (Christopher Lee), während, sehr zur Beunruhigung der schwangeren Padme (Natalie Portman), der böse Kanzler den jungen Anakin Skywalker (Hayden Christensen) mit Macht-Versprechungen auf die dunkle Seite der Macht zu ziehen sucht und damit zunehmend Erfolg hat.
Das Böse muss da siegen, wie wir aus den Zeitlinien der Endlosgeschichte wissen, und es tut das auf einigermaßen umfassende Weise: Die Verwandlung von Anakin in den bösen Darth Vader ist abgeschlossen, die dunkle Seite zieht ihn nun unwiderstehlich hinan, Padmé Amidala stirbt, die Klonkriege gehen verloren, der Schlag der Sith gegen die Jedi erweist sich als vernichtend, der böse Palpatine triumphiert und zeigt wie schurkisch er wirklich ist und über der Stadt Coruscant leuchten die Flammen, in denen der Jedi-Tempel versinkt. Und einmal mehr wissen auf den Fanpages im Internet die Eingeweihten genau, woran dieses Schlussbild sie zu erinnern hat, natürlich an den Untergang des World Trade Centers.
Nun ja, Die Rache der Sith ist für Lucas der „dunkelste Teil“ der Saga. Es ist der Abschluss des ersten Teils, den der Regisseur gerne mit „Der Vater“ überschrieben hätte, und den zweiten Teil mit „Der Sohn“. „Es gibt nichts mehr, das ist die ganze Story“, erklärt Lucas. Aber natürlich bleiben die Hoffnungen, und das Wissen darum, dass die Rebellen den Krieg nicht verloren geben werden: Joda flüchtet auf den Planeten Kashyyyk wo er dem Wookie Chewbacca begegnet. Und Hänsel und Gretel, Luke Skywalker und Prinzessin Leia, wachsen zur Verkörperung der neuen Hoffnung heran. Uffa!
Enden tut nun die gesamte Saga mit der Ehe von Han Solo mit Prinzessin Leia. Das mag für amerikanische Verhältnisse das Bild für die Ehe zwischen Macht und populistischer Freiheit sein.
Der Mythos STAR WARS entsteht nicht zuletzt aus der Spannung zwischen seiner inneren und seiner äußeren Gestalt. Man darf als Fan Luke und Anakin Skywalker in George Lucas sehen, und umgekehrt. Darum sind STAR WARS-Trivia, Gerüchte und Statements von der „Skywalker-Ranch“, Umsatzzahlen und die Namen von Computerprogrammen und Kameraverfahren keine Desillusionierung sondern Teil der Erzählung. Daraus entsteht eine dritte Geschichte, die der biographischen Auflösung. Für viele Menschen begann 1976 mit dem ersten STAR WARS-Film die Entdeckung des Kinos, für andere wurde dieser eigentlich lächerliche Kinderfilm, in dem aber eben doch eine enorme innovative Energie steckte, zum Totenlied für das widerspenstige New Hollywood und die Kino-Moderne. Es war der postmoderne Blockbuster geboren, der vor allem als Zentrum einer gewaltigen Merchandising-Maschine funktionierte. Von STAR WARS nicht berührt zu werden, war und ist unmöglich, und sei es durch das Zeug in der Cornflakes-Packung, die Baseballkappen der Kids oder diesen blöde Spruch der Kollegen: „Möge die Macht mit dir sein!“ Fast genauso unmöglich ist es, über diesen Mythos zu sprechen, ohne die Gefühle einer „Gemeinde“ zu verletzen, die aus der Kino-Erzählung eine Art des virtuellen Kults und eines künstlichen Wissens zu machen verstand. Die Mutter aller Kult-Phänomene. Womit wir wieder bei der Neurose wären: Warum eigentlich muss Anakin Skywalker vom „auserwählten“ Helden zum Inbild des Bösen werden? Weil er nach dem Tod der Mutter auch den Tod der Ehefrau geträumt hat? Weil Böse-werden die einzige Möglichkeit ist, dem Schicksal des Erwachsen-werdens zu entgehen? Weil die „Mutter“, die ihm gerade noch riet, nicht zu schnell erwachsen zu werden, zur verbotenen Geliebten wurde? Weil Anakin-Hamlet sich von seinen Vätern eben den Kategorischen aussuchte, nicht den freundlichen Kenobi, der ihn zur Selbständigkeit erzieht, sondern den finsteren Imperator, der vollständige Hingabe verlangt? Weil dieser Held-Schurke nicht Vater werden will (und im Kindermord erfüllt sich denn auch die endgültige Verwandlung zum Bösen)? Weil er narzisstisch gekränkt wurde, weil Macht eine ansteckende Krankheit ist, weil das Töten, einmal begonnen, zur finsteren Lust wird, oder weil Anakin Skywalker glaubte, nur durch das Böse seine Liebe retten zu können? George Lucas ist da großzügig: Von allem ein bisschen was, ist seine Antwort. Und neben der neurotischen löst der unglückliche Schöpfergott der STAR WARS damit auch gleich die politische Struktur seiner Kosmologie im Unverbindlichen auf. Die Verwandlung der Republik ins Imperium, die eigentliche Intrige hinter dem gewaltigen Krieg, bleibt eine rhetorische Geste. Alltag, Ökonomie und Interesse kommen ebenso wenig vor wie das eigentliche Subjekt einer Demokratie, der einfache Mensch (oder Wookie, Ewok, was auch immer). Hamlet erklärt Ödipus und umgekehrt; das Böse der Diktatur erklärt das Gute der Republik und umgekehrt. Alles andere löst sich im Krieg.
Filme funktionieren indes nicht nur als „Erzählungen in Bildern“; es sind auch Schulen der Empfindung von Raum und Zeit. Mit der allerersten Raumschlacht des ersten Filmes war ein neues Bewegungsgefühl geboren, eine Egoshooter-Grammatik und das stürzende Mittendrin in Mehrfach-Bewegungen. In „Die Rache der Sith“, der mit einer solchen Raumschlacht und Leistungsschau digitaler Effekte beginnt, ist die Gleichzeitigkeit von Unübersichtlichkeit und Kontrolle ins Absurde gesteigert. Alles stürzt, gleitet, fliegt in den STAR WARS-Filmen, keine Dialog-Szene gibt es ohne Blick auf einen total überfüllten Himmel. Im STAR WARS-Weltraum gibt es keine Einsamkeit, nicht jene orbitale Wahrnehmung, auf die uns die Philosophen als Wahrnehmungswende vorbereiteten und von der Stanley Kubrick und David Bowie in jeweiligen Meisterstücken geträumt haben. Auch gibt es nicht Schwerelosigkeit, noch Stille. Es ist stattdessen, als habe ein zweiter, ein semiotischer Urknall stattgefunden und gewaltige Mengen von gadgets, Rüstungsmüll und Design-Partikel ins All geschleudert. In STAR WARS ist es passiert: Wir haben das Universum zu gemüllt!
(Das entspricht so ganz dem Wesen des Schöpfers: George Lucas ist ein Filmemacher, Milliardär und Inhaber der Effekt-Firma Industrial Light & Magic, der einfach nichts wegwerfen, nichts raus- und hinter sich lassen kann. Er ist ein begnadeter messie, der seinen Spleen kapital und kosmisch ausgedehnt hat. Er ist aber auch ein unglücklicher Schöpfer, der nie zufrieden mit seinem Werk ist. So ist auch für ihn der einzige Ausweg ein endloses Kreisen im Mythen-Müll.) Nach wie vor ist dies das Faszinierende an STAR WARS, dass die Filme entstehen wie das Füllen einer Wundertüte. Drin tanzen die Zeichen: Leni Riefenstahl mit Fritz Lang, Spätromantik mit Prärafaeliten, Winsor McCay mit Hal Foster; jede Sequenz wartet mit neuen Maschinen, neuen Lebewesen, neuen absurden Landschaften auf, und auf Grandioses folgt Verkorkstes, der eine Schauspieler gibt Shakespeare, der andere Pulp Fiction, die dritte Soap Opera und Hayden Christen verdient sich als Anakin Skywalker einen Ehrenpreis als Erfinder eines neuen Schauspielstils, nennen wir ihn Comic-Kabuki. Man muss es lieben oder lassen. Aber ach, melancholisch kann man trotzdem werden. Nicht weil man sich von einem Traum verabschieden müsste, sondern weil einem bei all dem digitalen Wundertüten-Aufwand etwas erschreckend deutlich wird: dass man auf dem Weltmarkt der Pop-Kultur von nichts anderem erzählen kann, als von alten Neurosen und von neuen Kriegen.
Die Jedimann-Festspiele sind zu Ende. Demnächst fängt der Rummel wieder von vorne an.
Autor: Georg Seesslen
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