Die Oscars, die Sklaverei und Tarantino vs. Spielberg, Christoph Waltz vs. Tommy Lee Jones

Nein, die Oscars sind nicht das Maß aller Dinge. Aber an keinem anderen Datum im Filmjahr reiben sich Kunst & Kommerz, Integrität oder Nuttentum, Spekulatives oder ewigere Werte so aneinander wie bei dieser künstlerischen Bilanzkonferenz der globalen, von Hollywood dominierten Filmindustrie. Der gut 90 Jahre alte Satz des UFA-Produzenten Erich Pommer gilt mehr denn je: „Ein Film ist nicht erfolgreich, weil er gut ist. Sondern höchstens obwohl.“ Empfehlenswert übrigens die eher kleine, in der Zusammenschau jedoch erhellende Oscar-Ausstellung im Frankfurter Filmmuseum (noch bis zum 5. Mai 2013).

 

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Zweimal das Thema Sklaverei

Zweimal dieses Mal das große Thema Sklaverei, zwei Oscar-Filme, wie sie von ästhetischem Ansatz, Erzählweise und innerer Haltung her unterschiedlicher nicht sein könnten: Quentin Tarantinos „Django Unchained“ (165 Min) und Steven Spielbergs „Lincoln“ (150 Min). Beide haben sie Monumentalfilmlänge und Zeit genug für ihre Figuren, beide hatten sie Ressourcen und Geld genug zur Verfügung, ihr filmisches Credo zu formulieren. Hätte ich je gedacht, dass ich eines Tages Spielberg und seine eher biederbrave Erzählweise verteidigen würde?

Im Vergleich der beiden Filme wirkt „Django“ wie aus dem Kindergarten, ist ein Lehrstück der Infantilisierung der Gesellschaft, während „Lincoln“ das Außergewöhnliche schafft – nämlich für eine gesellschaftliche Idee und Haltung, die von Menschenwürde und Gleichheit der Menschen, zu begeistern und eine für ein breites Publikum nachvollziehbare menschliche Dimension zu geben. Demokratie- und Humanismus-Erlebnis der schönsten Sorte, ohne Zeigefinger. Und was bleibt von Tarantinos „Django“? Ein etwas schuldiges Vergnügen an Blutspritzereien? Zu welchem Behufe? Zur Steigerung des globalen Popcornverzehrs? Die Handelsspanne für die Knuspertüten übrigens, das tägliche Dankesgebet der Kinobranche, liegt bei über 700 Prozent.

In den Feuilletons von FAZ, SZ, TAZ und ZEIT erhielt Tarantino den intellektuellen Ritterschlag für den Einfall, dem Kopfgeldjäger Django eine schwarze Hautfarbe gegeben, das Genre angeblich von den Füßen auf den Kopf gestellt und das Thema Sklaverei in den USA auf die Tagesordnung gehoben zu haben. In der „Süddeutschen“ verstieg man sich sogar dazu, dass Tarantino den Mandingo-Film erfunden habe. (Einmal Google hätte da gereicht.)

Aber, okay, stimmt, Sklaverei wird eher selten mit einer Popcorntüte in der Hand und einem Coke-Strohhalm im Mund verhandelt. Dass es TV-Events wie „Roots“ gab oder aktuell einen schwarzen Präsidenten mit all den von seinen Gegner geschürten, schrundig-rassistischen und der Zeit der Sklaverei entstammenden Wahlkampfemotionen – kein Thema für all die, die Tarantino für einen unserer Heilsbringer halten.

Jamie Foxx als Django

Ich halte mich hier mit Auspeitschphantasien gegenüber solchen Wirrköpfen zurück und gestehe: Ja, ich leide am Fluch derer ohne die Gnade der späten Geburt, tatsächlich habe ich im Kino vieles schon besser, klüger, ausgereifter gesehen als das, was uns als das stets Neueste präsentiert wird. Mein Freund Hans, mit dem ich in „Django Unchained“ war, würde jetzt sagen: „Aber du hast doch auch gelacht.“ Es stimmt, ich habe mich weitgehend sogar ziemlich gut unterhalten gefühlt, in Kauf nehmend, dass Tarantino eine filmische Hupfdohle ist und es ihm gelingt, als Stil zu verkaufen, was an einer Metzgerstheke bestenfalls als Labskaus durchgehen würde. Sklaverei ist bei ihm ein prima Gewalthintergrund, was daran erhellt sich da bei ihm, liebes Feuilleton? Ganz anderes Format hat hier Steven Spielbergs „Lincoln“, der von der Durchsetzung und Verabschiedung des 13. Zusatzartikels zur Verfassung der Vereinigten Staaten am 31. Januar 1865 im amerikanischen Kongress handelt:
„Weder Sklaverei noch Zwangsarbeit, ausgenommen als Strafe für ein Verbrechen aufgrund eines rechtmäßigen Urteils, sollen in den Vereinigten Staaten von Amerika und allen Orten, die ihrer Rechtsprechung unterliegen, existieren.“

Oscar, der Zweite, für Waltz und Tarantino

Hier, woran ich bei den diesjährigen Oscars, diesen kleinen Zipfeln der Ewigkeit, Anstoß nehme: 
Bester Nebendarsteller: Christoph Waltz als deutscher Kopfgeldjäger Dr. King Schultz „Django Unchained“.
 Bestes Drehbuch: Quentin Tarantino für „Django Unchained“.

Nominiert für das beste Original-Drehbuch waren „Amour“ (Michael Haneke), „Moonrise Kingdom“ (Wes Anderson), „Flight“ (John Gatins), „Zero Dark Thirty“ (Mark Boal) und „Django Unchained“. Der Oscar ging an die in diesem Bewerberfeld flachste und simpelste künstlerische Leistung – an Tarantino. Unbenommen, dass er 2010 für sein Drehbuch von „Inglorious Basterds“ bereits eine Nominierung und 1994 schon einen Drehbuch-Oscar für „Pulp Fiction“ erhalten hatte.

Ein zweiter Oscar, nur drei Jahre nach „Inglorious Basterds”, auch für Christoph Waltz als bester Nebendarsteller. Der in dieser Kategorie ebenfalls nominierte Robert De Niro („Silver Linings Playbook“) dagegen muss nun schon seit über 30 Jahren auf einen nächsten Oscar warten. Waltz siegte dieses Mal auch über Alan Arkin („Argo“), Philip Seymour Hoffman („The Master“) und Tommy Lee Jones („Lincoln“). 2010 hatte er gegen Matt Damon, Woody Harrelson, Christopher Plummer und Stanley Tucci bereits mit der Darstellung eines sadistischen Nazi-Folterers einen Oscar eingeheimst. Was bitte, dachte ich damals, ist so begeisternd an der lustvollen Verkörperung eines Nazis? Wo liegt hier ein Erkenntnisgewinn, jenseits einer weiteren Pervertierung filmischer und moralischer Grenzen?

Diesmal also für eine Rolle als eleganter, eloquenter Kopfgeldjäger, der seine Gegner in Pulp-Fiction-Manier niederbabbelt, ehe er sie niederschießt. What shalls?, frage ich mich aber auch dieses Mal wieder. Zu welchem Behufe? Das ach so angeblich gloriose Drehbuch denkt dieser Figur einen Abgang zu, der dem Zerplatzen eines Luftballons nahekommt. Nachdem Waltz erst Leonardo Di Caprio halb tot gebabbelt, dann niedergeschossen hat, streckt ihn eine Kugel nieder, er kippt aus dem Bild, und der Film schert sich fortan keine weitere Sekunde mehr um diese Figur. Kürzungsprobleme bei der Filmlänge können es nicht gewesen sein. Eine Metapher für die Addentrarci in quelle che sono le funzionalita “generali” (che possiamo con ogni possibilita presumere essere simili a quelle di ogni altra slot machine online online), cominciamo con analizzare il simbolo wild di questa slot machine online ; esso rappresenta una moneta d’oro con impressa l’effige del gladiatore (e la relativa “scritta”) e sostituisci tutti gli altri simboli ad eccezione dei simboli scatter. Wegwerfgesellschaft? Ähnlich sinnstiftend die Szene, in der sich Tarantino himself als dumpfer, eine Satteltasche voller Dynamit tragender Bösewicht in die Luft sprengen lässt. Knalleffekte statt Tiefgang, Luftballons statt irgendeiner Bodenhaftung. Moralfragen sollte man sich in einem Tarantino-Film besser nicht stellen. „Like slavery, it’s a cash for flesh business“, lässt der Film den Kopfgeld-Jäger Waltz fabulieren.

Christoph Waltz als Dr. King Schultz

Dass Jamie Foxx dem Ur-Darsteller des Django an einer Theke seinen Namen vorbuchstabiert, das ist ein hübscher Drehbucheinfall. Aber eben nur ein Einfall. Schon ein wenig erbärmlich, dass das Drehbuch einem Franco Nero nur eine Cameo-Rolle als – ausgerechnet – Sklavenhalter zubilligt. Mit dem Ur-Django kann Tarantino ohnehin wenig anfangen, da fällt ihm außer Abgekupfertem nicht sonderlich viel ein. Im Schatten des Tarantino-Lieblings Christoph Waltz bleibt, pardon the pun, Jamie Foxx als Django relativ bleich. Von der Filmfigur die es auf über 30 Nachfolgefilme brachte, hat der geschäftstüchtige Tarantino sich hauptsächlich den Namen geborgt.

„Erzeugt Abscheu von Gewalt“, der Scherz des Jahres

Der Film ist ab 16 freigegeben und feiertagsfrei. Die Begründung:
„Western über den ehemaligen Sklaven Django, der gemeinsam mit dem Kopfgeldjäger Schultz seine noch immer versklavte Frau befreien will. Der Film enthält zwar eine Vielzahl teils blutiger Gewaltszenen, diese sind jedoch in der Inszenierung stark stilisiert und fast schon comichaft überzogen, so dass Jugendliche ab 16 Jahren eine ausreichende emotionale Distanz wahren können. Einzelne Gewaltszenen, etwa das Auspeitschen von Sklaven, haben zwar einen realistischeren Charakter, sind aber schlüssig in den Gesamtkontext eingebunden; zudem zielen sie auf die Empathie der Zuschauer und erzeugen durch emotionales Erleben Abscheu vor der Gewalt. Gewaltspitzen werden dabei nicht ins Bild gerückt, sodass eine nachhaltige Irritation bei ab 16-Jährigen nicht zu befürchten steht. Auch die beiden Protagonisten handeln zwar zynisch und brutal, sind aber stets als Kunstfiguren erkennbar, die nichts mit der Lebensrealität jugendlicher Zuschauer zu tun haben.“

Erzeugt Abscheu vor der Gewalt? Da haben sie aber gewiehert beim Verleih, als sie die fette Kinokassen bringende 16er-Freigabe gefeiert haben, als Spätfilm wären das nur zehn Prozent dieses Einspiels geworden. „Django Unchained“ schwelgt in der zweiten Hälfte geradezu im spritzenden Blut. Im Sklavenhalterpalast trieft das Blut von den Wänden der Eingangshalle. Der Fortschritt der Gewaltdarstellung im Medium Film lässt sich ermessen, wenn man dem die entsprechenden Szenen aus Scorseses „Taxi Driver“ von 1976 gegenüber stellt. Scorsese musste damals ins Schwarzweiße einfärben und dimmen, was Tarantino heute an der Grenzlinie des Gewaltpornographischen vorzeigen darf. Und will. Genau darauf legt er es an, was immer FSK und Feuilletons da Mildtätiges bei ihm herauslesen.

Spielberg reicht in „Lincoln“ eine einzige Szene, um – gerade bei jugendlichen Zuschauern – einen Anti-Gewalt-Effekt zu erzielen. Die Kamera folgt dabei

einem Mann mit Schubkarren, beobachtet von Lincolns Sohn, der unbedingt zum Militär will, der Vater strikt dagegen, weil er um all die Toten weiß, die er für den Norden in den Bürgerkrieg befahl. Die Schubkarrenladung wird beim Auskippen in eine Grube für einen kurzen Moment sichtbar – und es ist ein Schock. Es sind im Lazarett amputierte Gliedmaßen.

Tarantino hat aus so etwas in „Kill Bill“ ein lustiges Arm-dran-Arm-ab-Ballett gemacht, bei dem Uma Thurman mit dem Samurai-Schwert an die 50 Männer zerlegt.

Gesichter wie Landschaften

Doch zurück zu meinem größten Ärgernis: der Bevorzugung von Christoph Waltzens windiger Figur über der Verkörperung des großen amerikanischen Radikalen Thaddeus Stevens durch Tommy Lee Jones. „Lincoln“ an sich ist ein Meisterwerk der historischen Rekonstruktion, dies auch bei der Ausstattung. Anders als in deutschen Kostümfilmen, wo aus Begeisterung und Stolz an allem aus dem Fundus Beschafften hinauf und hinunter geschwenkt wird, macht Spielberg hier wenig Aufhebens. Der Film transportiert uns anstandslos zurück in eine Zeit, als die Männer gewaltige Backenbärte und manche auch Perücken trugen. „Lincoln“ lässt in Gesichtern wie Landschaften lesen. Es ist schlicht virtuos, wie er ein Stück amerikanischer Geschichte in Menschenanlitzen lebendig werden lässt. Auch hier schaue man sich im Vergleich Tarantinos „Django“ an – eine Kostümklamotte.

Tommy Lee Jones in Lincoln

Daniel Day-Lewis als Lincoln ist eine lebendig gewordene Ikone, das Drama aber dieser im Film erzählten gesetzgeberischen Überwindung der Sklaverei bildet sich vor allem in einem Gesicht ab: in dem von Tommy Lee Jones. Mit minimalsten Mitteln, ohne jede Theatralik und dabei schauspielerisch das exakte Gegenstück zum aufgeplustert-eitlen Christoph Waltz , zeigt er uns einen Mann, der für eine lebenslange Idee kämpft, mit allen Wassern gewaschen, radikal und raffiniert, verschlagen und hinterlistig, humorvoll und lebensklug. Ihm zuzuschauen – bitte auf der großen Leinwand – ist ein Fest.

In „Lincoln“ gewesen, geweint

Und dann beschert uns Spielberg mit ihm auch noch eine wunderbar anrührende Liebeszene. Wenn Tommy Lee Jones sich vom Parlamentsschriftführer die im harten politischen Kampf abgestimmte Gesetzesurkunde erbittet und sie dann im Bett seiner (schwarzen) Haushälterin und Lebensgefährtin , die bei dem großen historischen Moment nicht dabei sein durfte, zum Anfassen und Lesen gibt. Ein großer filmischer Moment, der mir – selten genug im Kino – die Tränen in die Augen steigen ließ. Würde, Menschenwürde, wahre Achtung vor dem anderen, wie die Verfassung, die unsere wie die amerikanische, sie einfordert und beschreibt, ist in diesem Spielberg-Moment zu spüren, einem der wohl schönsten Liebesmomente der US-amerikanischen Geschichte (wer den Film sieht, weiß, was ich meine). Warum es sich für Menschen gehört, gegen die Sklaverei zu sein, das wirkt hier bis ins Herz, weil Spielberg das Politische ohne jede Zeigefingerpädagogik ins Private und damit Nachvollziehbare wendet. Wahrlich ein Film zum Thema Sklaverei. Kein bloßer Vorwand, wie es das für den halbgaren Tarantino ist.

Die Mitglieder der Oscar-Academy übrigens sind durchschnittlich 62 Jahre alt, zu 77 Prozent männlich und zu 94 Prozent weißer Hautfarbe.

Alf Mayer, 09.03.2013 culturmag

Bilder: Sony Pictures (2), Twentieth Century Fox (1)

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