Blutgericht in Bad Marein

Es fährt ein Zug nach Bad Marein: In seinem Sittenbild „Die Weibchen“ nimmt Zbyněk Brynych Valerie Solanas‘ Scum-Manifest beim Wort

Als ich „Die Weibchen“, die mit reichlich Happy Sound garnierte Kannibalenfilm-Travestie des gelernten Trompeters Zbyněk Brynych, Anfang der neunziger Jahre im Fernsehen sah, war ich wie vom Donner gerührt. Ich hatte zwar keinen Videorekorder, aber immerhin einen Ghettoblaster, so konnte ich wenigstens den Ton mitschneiden. Der Mitschnitt gehörte lange zu meinen liebsten Einschlafkassetten und war, im Wechsel mit einem „Skippy, das Buschkänguruh“-Hörspiel, monatelang im Einsatz. Mit der Zeit verblasste die Erinnerung an das alptraumhafte Geschehen, und im Gedächtnis blieb, von ein paar abstrusen Schwenks und Schärfeverlagerungen abgesehen, das vermeintliche Schlussbild des Films: wie Uschi Glas – in einer Art frauenrechtlerischer Trance – nackte Männer mit der Kreissäge in zwei Hälften zerlegt. Die Bildfolge mit den breitbeinig auf das Sägeblatt zufahrenden Männern kommt ungefähr so, wie meine Erinnerung sie aufbewahrt hat, im Film vor, allerdings ohne Uschi Glas, die erst, als die Körperteile weggeräumt werden, den Raum betritt und hier die Rolle ihre Lebens spielt.

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„Es kommt der Tag, da will die Säge sägen …“ | © Bildstörung

Jetzt, beim Wiedersehen nach über 25 Jahren, fällt neben Brynychs Regieleistung vor allem die spektakuläre Kameraarbeit auf, kein Wunder, dass der Film mich damals – ich steckte mitten in den Dreharbeiten zu „Sommer der Liebe“ – regelrecht befeuerte.

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Jürgen Höhne als Conny Kramer: Szene aus „Sommer der Liebe“ (1992) | © Storchfilm

„Sommer der Liebe“ sollte ein Langhaarigen-Report werden, ein Hippie-Exploitationfilm, der die wahre Geschichte des Conny Kramer erzählt. Im Mittelpunkt steht ein Landstreicher mit jesusartigen Zügen, der zum Schluss sein ganz persönliches Golgatha erlebt: Erst werden ihm die Füße abgesägt, dann wird er in einem Römertopf beigesetzt, schließlich folgt Auferstehung und Himmelfahrt. Vorher, und das ist der eigentliche Film, wird so ziemlich alles verwurstet, was die siebziger Jahre ausmachte. Es werden verbotene Früchte genascht und heilige Berge erklommen, und der Held muss sich, nachdem er Willy Brandts Nasenhaare geraucht hat (ursprünglich sollte er sich, zur Krönung seiner Laufbahn, „Helmut Schmidts Sackhaare und Herbert Wehners Arschhaare“ in die Pfeife stopfen), mit zerstückelten Schulmädchen, trampenden Tieren und der aufkeimenden Frauenbewegung herumschlagen. Was dazu führte, dass ein vermummtes „Frauen/Lesben“-Kommando eine Filmrolle wegen „Sexismus, Rassismus, Faschismus und so weiter“ (M. Niroumand in der „taz“) aus einem Göttinger Programmkino entführte.

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Zoff im Kornfeld: „Sommer der Liebe“ erzählt die Mär vom Aufstieg und vom Fall der westdeutschen Blumenkinder | © Storchfilm

Womit wir wieder bei den „Weibchen“ wären, denn auch Brynych und sein Kameramann Charly Steinberger hangeln sich, was den Gang der Handlung angeht, an einem dünnen roten Faden entlang. Die damals 26jährige Uschi Glas, die sich auf ihre stocksteife Art bereits durch einen Winnetou-, drei Edgar-Wallace- und sechs Lümmel-Filme bewegt hatte und 1970, im Jahr der „Weibchen“, schon auf zwei „BRAVO“-Gold-Ottos sowie zwei Starschnitte zurückblicken konnte, spielt Eve, eine überarbeitete Chefsekretärin, bei der selbst Vitaminspritzen nicht mehr helfen. So rattert sie im Bummelzug nach Bad Marein, wo sie von Frau Doktor Barbara im Kreise ihrer Kurgäste erwartet wird.

Die Begrüßungsszene mit den elegant auf die Kamera zuschreitenden Damen mutet an, als hätte Charles Wilp einen Werbeclip für den März-Verlag gedreht, und der Aufmarsch der ausnahmslos weiblichen Kurgäste bleibt nicht die einzige Sequenz, in der das Scum-Manifest, Valerie Solanas‘ Scheltschrift auf die Männerwirtschaft, prominent ins Bild gerückt wir.

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„Das Ziel jeden Mannes heißt: Alle Votzen für mich“: Deutsche Erstausgabe, erschienen zu einer Zeit, als man das F-Wort noch mit Vogel-V schrieb | © März Verlag

Es dauert ein gutes Viertelstündchen, in der die wahrhaft entfesselte Kamera, mit immer neuen Optiken bestückt, durch das Sanatorium gleitet beziehungsweise rast, aber dann hat auch die naive Bürokraft begriffen: Die Stadt befindet sich in der Hand einer männerfressenden Sekte, deren heiliges Buch Solanas‘ Manifest und deren oberstes Wesen – selbst die Türklinken geben Zeugnis davon – die gemeine Gottesanbeterin ist.

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Männerphantasie, 1970er Jahre | © Bildschriftenverlag

Als sich drei tumbe Vertreter der Gattung Mann in das Kurbad verirren, passiert, was in jedem anständigen Kannibalenfilm passieren muss: Aus den Möchtegern-Playboys wird, nachdem sie sich mit dem Schlachtruf „Lauter reifes Obst!“ ins Vergnügen gestürzt haben, Hackfleisch gemacht. Dabei sind die drei Deppen liebevoll dem Männerbild des Scum-Manifests nachempfunden. „Er wird durch einen See von Rotz schwimmen“, beschreibt Solanas das Wesen der verhassten Spezies, „meilenweit durch bis zur Nase reichende Kotze waten, wenn er nur glaubt, dass am anderen Ufer ein freundliches Vötzchen auf ihn wartet“.

Spätestens mit der zweiten Leiche läuft die Handlung dann zügig aus dem Ruder, um sich fortan spieldosenartig im Kreis zu drehen. Ein grenzdebiler Kommissar, der einem späten Heinz-Erhardt-Film entstiegen sein könnte, tappt demonstrativ im Dunkeln – auch dies eine Gestalt, die sich dem gelben Buch verdankt und durch die dort erwähnte „Scum-Männerhilfstruppe“ inspiriert sein dürfte: Männer, die von der Vernichtung suspendiert sind, weil sie „Gutes tun“ und „Scum in die Hände arbeiten“, oder die, wie der trinkfreudige Kommissar, „fleißig daran arbeiten, sich selbst zu eliminieren“.

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Einem späten Heinz-Erhardt-Film entstiegen: Hans Korte als Kommissar | © Bildstörung

Dass Zbyněk Brynych, „dieser wundersam fröhliche tschechische Herr“ (Dominik Graf), an herkömmlicher Spannungsentfaltung wenig interessiert war, hatte er schon mit seinen Arbeiten für die Herbert-Reinecker-Serie „Der Kommissar“ bewiesen. 1969 war unter seiner Spielleitung „Die Schrecklichen“ entstanden, die elfte Folge der Reihe, in der ein Pulk marodierender Rentner, johlend und krückstockschwingend, eine Blutspur durch München zieht. 1970 schlug Brynych, der bis Jahresfrist noch die Spielfilme „O Happy Day“, „Engel, die ihre Flügel verbrennen“ und „Die Weibchen“ vorlegen sollte, dann richtig zu: Mit „Der Papierblumenmörder“, „Tod einer Zeugin“ und „Parkplatzhyänen“ drehte er gleich drei „Kommissar“-Folgen in Serie, in denen er die schon von Haus aus nicht sehr spannungsgeladenen Plots durch seine Manierismen, immer wieder aufbrandende Lachanfälle, irrsinnige Schwenks, Zooms und Perspektivwechsel, durch das Durchbrechen der vierten Wand und einen fast foltercampartigen Einsatz der immergleichen Polka- und Schlagermelodien, die einem aus Musikboxen und Leierkästen entgegenschallten, regelrecht dekonstruierte. Auch in die Dialoge scheint er munter eingegriffen zu haben. So wird in „Der Papierblumenmörder“ Kriminalhauptmeister Klein auf einem Autofriedhof von ein paar Gammlern als „Kackvogel“ begrüßt, und nur wenig später fällt, aus dem Munde eines altklugen Fürsorgezöglings, der traumschöne Satz: „Ich hab’s gerne, wenn man das Bier nicht nur trinkt, sondern auch riecht.“ Ein Satz, der sich in der Romanfassung des Falls, die 1970 im Lichtenberg-Verlag erschien, bezeichnenderweise nicht findet.

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Welcome to the Pleasuredome: Gisela Fischer als Frau Doktor Barbara | © Bildstörung

Wie man in der Comicwelt, soweit sie von anthropomorphen Enten beherrscht wird, vom „guten Zeichner“ spricht, so kann man im Reinecker/Ringelmann-Universum – einer muffigen Welt, in die sich immerhin Regie-Veteranen wie Georg Tressler, Wolfgang Staudte oder Helmut Käutner verirrten – vom „guten Regisseur“ reden. Brynychs frühe und mittlere TV-Arbeiten – man sehe sich nur die „Derrick“-Folge „Toter Goldfisch“ oder die ersten Beiträge für die „Kommissar“-Nachfolgeserie „Der Alte“, Episoden wie „Der Freund“ und „Sportpalastwalzer“, an – sind Exzesse in Sachen Kamera- und Schauspielführung, und „Die Weibchen“, Brynychs letzter Beitrag fürs bundesdeutsche Mainstreamkino, treibt diese Maßlosigkeit auf die Spitze. „Wenn die Figuren sich nicht schon in Ausnahmezuständen befinden“, fasst es der Filmkritiker Olaf Möller im Beiprogramm der DVD zusammen, „dann sorgt die Regie für den Ausnahmezustand“.

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„Formalistisches Großgenie“: Der tschechische Regisseur Zbyněk Brynych bei der Arbeit | © Bildstörung

Als „Die Weibchen“ Weihnachten 1970 mit einer Handvoll Kopien ins Kino kamen, brach, mit Peter Hacks zu reden, „ein wahrer Sturm von Gleichgültigkeit los“. Der Film floppte, wie schon seine beiden Vorgänger, die Pubertätsdramen „O Happy Day“ und „Engel, die ihre Flügel verbrennen“.

Um so erfreulicher, dass das seinerzeit als „Farbfilm“ annoncierte Werk – nach fünfjähriger Arbeit am ramponierten Ausgangsmaterial – nun auf DVD und Blue-ray erhältlich ist, in bestechender Bildqualität (die restaurierten Farben sind schlicht sensationell) und zwei Schnittfassungen: der bekannten Kino- und einer 15 Minuten längeren Urfassung. Diese Fassung soll den Verleih laut Zeitzeugen so entsetzt haben, dass er den Film nicht nur massiv kürzen, sondern auch von vorne bis hinten mit neuer Musik einkleistern ließ, wodurch sich die Musikeinsätze nahezu verdoppelten. Eine Maßnahme, über die man sich rückblickend nur freuen kann, denn erst der neue Soundtrack gibt dem verwirrend-rumpeligen Film sein unwiderstehliches, tripartiges Gepräge.

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Uschi Glas als Novizin | © Bildstörung

Wobei ich – Stichwort „tripartiges Gepräge“ – ja schon länger der Meinung bin, um hier mal ein filmpolitisches Statement einzuflechten, dass Psilocybin und Lysergsäurediethylamid als Lehrstoff an die Filmhochschulen gehört. Auch wenn sich das ein bisschen nach „Fliegendes Klassenzimmer“ anhört: Angehenden Regisseuren und Kameraleuten sollte beim ersten Gongschlag eine gut dosierte Mikropille verabreicht werden. Als Stoff, der die Sinne schärft und den Wahrnehmungsapparat in Schwung bringt, scheint mir LSD wie geschaffen für den Unterricht – so lernt der Anfänger quasi spielerisch, wie alles aussehen kann, bevor er durch die Kamera schaut und die sogenannte Wirklichkeit abbildet. Oder sie gar, wie Zbyněk Brynych – der freilich überzeugter Bier- bzw. Schnapstrinker war –, verfremdet.

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Cover | © Bildstörung

„Die Weibchen“ von Zbyněk Brynych (BRD 1970) ist bei Bildstörung auf DVD und Blue-ray erschienen (75 Minuten). Die Bonus-Disc enthält die um 15 Minuten längere Urfassung sowie Interviews mit Uschi Glas, Charly Steinberger, Dominik Graf, Olaf Möller und Rainer Knepperges.

Einer limitierten Edition liegt der Soundtrack von Peter Thomas auf CD bei.

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Wer tiefer in das Brynych-Universum einsteigen möchte,

dem seien die folgende DVD-Boxen empfohlen:

Der Kommissar – Kollektion 1 (Folgen 1-24, enthält 4 Brynych-Folgen), Universum Film 2010

Derrick Collector’s Box 2 (Folgen 16-30,enthält 4 Brynych-Folgen),Universum Film 2008

Derrick Collector’s Box 9 (Folgen 121-135,enthält 5 Brynych-Folgen),Universum Film 2011

Der Alte Collector’s Box Vol. 2 (Folgen 23-47,enthält 5 Brynych-Folgen),Universum Filmt 2009

Wenzel Storch | erschienen in „konkret“ 10/2017

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Buchtipp

Wenzel Storchs Bilderlesebuch „Die Filme“ (Martin Schmitz Verlag)

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und Skizzen aus dem Werk des Regisseursm

Wenzel Storch: Die Filme