Zieh doch endlich irgendwas an, ist doch voll dein Kleiderschrank, nörgelte er und guckte streng auf die Uhr. Ich guckte traurig in den Schrank. Stimmt, er war ziemlich voll. Stellenweise mit leichter Tendenz zur Unübersichtlichkeit. Zum Anziehen fand ich trotzdem nichts. Ein voller Kleiderschrank bedeutet nicht zwangsläufig ein volles verfügbares Konfektionslager.
Ich kann nämlich nichts wegwerfen. Keine Blusen aus der vorvorletzten Saison, keine Röcke, die mir je nach aktuellem Diäterfolg entweder zu weit oder zu eng sind und wenn ich wirklich mal ein paar Schuhe mit gerissenen Riemchen zur Mülltonne trage, blutet mir das Herz. In meinen Beständen finden sich gestreifte Hosen mit weitem Schlag als der Marlene-Stil mal wieder in war, ein zehn Jahre altes langes Schlauchkleid in Hahnentrittmuster, ungefähr sieben ausgemusterte alte Handtaschen, ein bodenlanger schwerer grauer Mantel, in dem ich von Weitem Lenins Ehefrau Nadeshda Krupskaja ähnelte und sogar ein T-Shirt-Body mit Strass-Besatz aus den 90ern. Aus der Zeit, als keine progressive Frau ohne dynamisch um den Hals gewickeltes Tuch (im Palästinenser-Muster, gebatikt oder seidengemalt) zur wöchentlichen Yoga-Runde ging, hüte ich eine umfangreiche Sammlung. Haushalts-expertinnen raten ja zur radikalen jährlichen Ausmusterung. Ich bring das nicht fertig. Keine Ahnung warum.
Vielleicht liegt es an dem speziellen weiblichen Beschaffungsverhalten von Kleidung und Schuhen. Eine Frau kauft ja nicht nach System. Oder womöglich nach Plan. Eine Frau kauft nach Intuition und Gefühl. Oft findet sie nicht, sondern wird gefunden. Ein Kleid soll nicht bequem sein und die Nieren warm halten schon gar nicht. Es soll ihr geheimnisvolles Wesen widerspiegeln, ihre Unabhängigkeit demonstrieren und die Freundinnen neidisch machen. Das schafft eine intime Beziehung zu den Dingen im Kleiderschrank. So etwas entsorgt man nicht eiskalt im Malteser-Container.
Männer können das nicht verstehen. Wie auch. Welche intime Beziehung kann man zu einer Hose eingehen, die im Vorbeigehen mal so von der Stange gezogen wurde? Na bitte. Ein Mann kann sich ohne Sentimentalitäten von einem Hemd trennen, weil er es ohne Sentimentalitäten erworben hat. Deshalb hat er auch stets einen übersichtlich angeordneten Kleiderschrank. Was ihm im Übrigen nicht davon abhält, vor dem Regal mit den schwarzen T-Shirts zu stehen und durch die Wohnung um Hilfe zu rufen: Schatz, wo sind meine schwarzen T-Shirts ?!
Möglich, er würde sie blitzschnell erkennen, wenn vier Beine dran wären und Hörner. Das wäre dann ein anthropologischer Erklärungsansatz. So ein jagender Mann konnte schließlich auch nicht lange auf sein Gefühl hören. Lief das Mufflon vor den Speer, musste gehandelt werden. Zack und erledigt. Unsereiner dagegen hat Stunden mit dem Bastkorb die känozoischen Wälder durchstreift auf der Suche nach essbaren Beeren und Wurzeln. Da hat bestimmt niemand an der Kasse gedrängelt, waren ja unterwegs, die Herren.
So ein ererbter Sammlerinstinkt lässt sich nicht einfach abschütteln. Er hat Folgen. In meinem Portemonnaie zum Beispiel stapeln sich Karten mit Sammelpunkten. Vom Fleischer, vom Schuhhändler, vom Konfektionsgeschäft. Eine von der Tankstelle fahre ich bestimmt schon vier Jahre mit mir herum. Nach jeder Tankfüllung lasse ich die Punkte verbuchen. Keine Ahnung, wie viele es mittlerweile sind. Keine Ahnung, was ich davon erwerben könnte. Mittlerweile könnte es ein Tanklaster voll E10 sein. Ich werde es nie erfahren und nie einlösen. Aber ich sammle. Man kann nie wissen. Neulich fragte uns die Verkäuferin am Bäckerstand, ob wir schon die Karte mit den Brotpunkten hätten. Ich wollte gerade freudig verneinen, da fiel er mir sehr dominant ins Wort: nein und wollen wir auch nicht.
Manchmal belohnt uns das Leben auch. Wenn zum Beispiel die Mode mal wieder eine Schleife dreht und dann wird mein Krupskaja-Mantel wieder hochmodern. Ich kann warten.
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