Thomas P. Otter (1832-1890), On the Road, 1860, oil on canvas, 22 x 45 inches, The Nelson-Atkins Museum of Art, Kansas City, Missouri.680

On the Road, 1860, Thomas P. Otter (1832-1890), The Nelson-Atkins Museum of Art, Kansas City, Missouri

Teil 1

Odysseus in America

Ein Essay von Alf Mayer

Eine kleine Sensation darf man es nennen, dass einer seiner wichtigsten Romane jetzt ENDLICH auf Deutsch vorliegt, dies zudem in einer grandiosen Übersetzung, die dem biblisch-epischen Ton des Originals begeisternd gerecht wird. Der Erfolg von Pete Dexters Proletarierwestern „Deadwood“ hat den Verlag Liebeskind ermutigt, „Das Böse im Blut“ („In the Rogue Blood“) von James Carlos Blake hierzulande bekannt zu machen. Ein großer Autor ist zu entdecken und mit ihm ein Hauptwerk des history noir. Hoffen muss man, dass dieses abgründige Buch genügend Leser findet, um weitere Blake-Bücher zu ermöglichen.

Blakes Romane sind deutlich mehr als der normale Schreibtischausflug eines Schriftstellers in eine herbei recherchierte Vergangenheit. Der 1947 geborene James Carlos Blake legt die Axt – ja, seine Bücher sind das, dieses von Kafka geforderte Werk-Zeug – an die Wurzeln der moderneren Zivilisation, damit auch an die Archetypen des Kriminalromans, der eben nicht als laues Verbrechen gehobener Stände im viktorianischen „cosy“ England seine Wurzeln hat, sondern am Rande der Barbarei, bei der Besiedlung Nordamerikas und bei den aus Europa gekommenen Entwurzelten.

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Klaus Kinski als Kopfgeldjäger in Leichen plastern seinen Weg

Amerikas Vergangenheit ist ein komplexes Gewebe aus Heldentum, Mut und Niedertracht, Eroberungswut, Gemetzel, Gräueltaten und Massakern – kein lebender nordamerikanischer Romancier (von seinen Geistesgenossen wird noch zu reden sein) versteht und weiß das besser als der im mexikanisch-amerikanischen Grenzgebiet aufgewachsene James Carlos Blake. „History noir“ muss man seine Romane wohl nennen, Erkundungen auf der dunklen und blutigen Seite des amerikanischen Traums. Blakes Protagonisten sind die Ruhe- und Heimatlosen, die Verstoßenen, Bastarde, Abenteurer, Sturköpfe, Außenseiter, einsamen Herzen, Verbrecher und Gesetzlosen. „Der typische Amerikaner ist in seinem Wesen hart, abgesondert, stoisch und mörderisch“, lautet eines der vier Motti, die Blake dem „Bösen im Blut“ voranstellt. Vollständig lautet das Originalzitat so:

„But you have there the myth of the essential white America. All the other stuff, the love, the democracy, the floundering into lust, is a sort of by-play. The essential American soul is hard, isolate, stoic, and a killer. It has never yet melted.“ (D.H. Lawrence, „Studies in Classic American Literature“)

Nichts weniger als einen Nationalcharakter entwirft Blake im dritten seiner bislang insgesamt elf Romane, in dem 1997 herausgekommenen „In the Rogue Blood“, dessen Adverb im Englischen alles Schlechte vom Unkontrollierbaren bis zum Wahnsinnigen transportiert. „Charakter ist Schicksal“, zitiert Blake den Griechen Heraklit als Motto seiner Kurzgeschichtensammlung „Borderlands“ (1999), in deren „einleitender Erinnerung“ er biographische Verbindungslinien zu seinen Figuren enthüllt, auch er nämlich ein Außenseiter, in seiner Selbstbehauptung früh schon durch Gewalt geprägt.

„Dieser Mann wird euch auffressen“

„Das Böse im Blut“ tragen die beiden Brüder John und Edward Little in sich. Edward ist im Sommer 1845 sechzehn Jahre alt, als die Erzählung anhebt. In der 21. Zeile wird er Zeuge, wie sein Vater einen Mann niedersticht, weil der seine Frau zum Tanzen aufgefordert hatte, zum ersten Mal erlebt er die „rasche und vollkommene Endgültigkeit eines Mordes“, begegnet dem, was er im Blute trägt:

„Der Junge war fast atemlos und hatte einen trockenen Mund, weil er gerade etwas von sich selbst gesehen hatte, etwas Schreckliches und Beglückendes und Drängendes zugleich, dem er sich nicht verweigern konnte, irgendein grimmiger Bereich seines eigenen Seins, der ihn erwartete wie der Horizont in den Badlands, rot wie die Hölle.“

In raschen, kurzen Rückblicken wird das Notwendigste an Familiengeschichte aufgeblättert: Wie die Mutter als Zwölfjährige vergewaltigt und von einem tröstenden Prediger als Bettgefährtin genommen, von ihm prostituiert und schließlich an den nichtsahnenden Daddyjack versilbert wurde, der die Fünfzehnjährige heiratet und schwängert. Wie der Vater den Söhnen das rücksichtslose Kämpfen beibringt, gäbe es doch schließlich „in dieser Welt immer genug Gründe zum Kämpfen“, wie die ein Jahr auseinander liegenden Jungs von der harten Feldarbeit Muskeln wie Seile entwickeln, John der Größere wird, Edward der Schnellere. Wie Daddyjack erfährt, dass seine Frau eine Hure war, sie an einen Baum hängt, ihr die Kleider vom Leibe reißt und so blutig peitscht, dass sie zusammengeflickt werden muss. Wie Edward, der die Szene mitbekommt, neben allem Entsetzen etwas Ungeheuerliches verspürt, „etwas, das sein zwölfjähriges Herz nicht benennen konnte, aber das ihn bis in die Knochen erregte, selbst während sich ihm die Kehle vor Scham zuschnürte“. Wie die Tochter dem Vater zuruft „Du bist doch nicht Gott“ und ausreißt, die Brüder ihr hinterher gehetzt. Wie sie erfolglos zurückkommen, mitten in einen blutigen Ehestreit, der Vater im tobenden Rausch, seinen Inzest vor ihnen enthüllt, und wie sie ihn beide töten, die frühere Warnung ihrer Schwester im Ohr: „Dieser Mann wird euch auffressen. Euch alle. Wenn ihr ihn nicht vorher tötet.“

Sie sind sechzehn, als Edward zum Abschied in einem Baumstumpf neben ihrem niedergebrannten Haus die Buchstaben „W.N.T.“ schnitzt: Weg nach Texas. Nun beginnt sie, die große Reise zweier Helden – nennen wir sie so, der mythisch-literarischen Konvention wegen, jener Weg hinaus in die Welt, den Odysseus, Parzival und viele andere beschritten haben. Blakes Brüder John und Edward Little reihen sich hier ein.

Nicht des Superlativs wegen, sondern als Warnung an zartere Gemüter sei gesagt, dass wohl kaum eine solche Reise je so blutig und gewalttätig verlaufen ist. Als Edward seinen ersten Mann tötet, ihn in Selbstverteidigung ersticht, schlägt „das Herz ihm wie wild gegen die Rippen… Der Mann wurde plötzlich schlaff, und sein totes Gewicht war mit nichts vergleichbar, was er je gespürt hatte.“ Auch John tötet in dieser Nacht, sie waren ihrer Pferde wegen von einer Gruppe aus der Stadt verfolgt worden, das Faustrecht dieser Zeit so, dass einem bei Selbstverteidigung der Besitz der Toten gehörte. „Ich hab nie gedacht“, sagt John zu seinem Bruder, „dass es sich so … verdammt richtig anfühlt.“ Nun sind sie initiiert, aus eigener Kraft, ihr Schöpfer wird weiter ein Auge darauf haben, was die seelischen Kosten sind. Die Wege der Brüder werden sich auf der Hälfte des Buches trennen, der eine schließt sich Skalpjägern an, der andere Soldaten. Im mexikanisch-amerikanischen Krieg finden sie sich als Gegner wieder, stehen sich gegenüber. Die Hand gegen das eigene Blut aber heben sie nicht, sie, die in einer brutalen, verrohten Welt wieder und wieder getötet haben. John endet schrecklich, Edward schneidet ihn vom Strick und reitet mit der Leiche Richtung Vereinigte Staaten, der Leichnam allmählich zerfallend. Tommy Lee Jones hat dieses Motiv in seinem wunderbaren Western „Die drei Begräbnise des Meliquiades Estrada“ (2005) aufgenommen. John begräbt seinen Bruder mit Blick auf das weite Grenzland, „lange, niedere Wolkenbänke brannten rötlich im Westen“. Und dann kann er endlich weinen, weinen wie ein Kind, er „heult seine Trauer hinaus aus dem Herzen, das ihm noch geblieben war“.

„More deaths than one must die…“

Mehr als einen Tod müssen Blakes Figuren oftmals sterben, ihr Leben gewaltiger und gewalttätiger als wir Nachgeborenen und Angehörigen einer „Friedensgeneration“ wohl zu ertragen vermöchten, das Sterben hier natürlich figurativ gemeint, im Mitansehen/ Miterleben grausamster Gewalt. Blake benennt dies einmal im Motto seines Boxer-Dramas „The Killings of Stanley Ketchel“ mit einer Zeile aus Oscar Wildes „Ballad of Reading Gaol“:
„For he who lives more lives than one
More deaths than one must die…“

Die Brüder John und Edward ziehen durch ein atavistisches Land, durch eine buchstäblich im Schlamm sich formende Nation. Blakes beschreibt schöne Landschaften, sein Roman ist auch eine in Blut getränkte Reisebeschreibung durch ein wildes, erst halbbesiedeltes Amerika und ein archaisches Mexiko. John und Edgar „wateten durch Bäche, Ströme und Flüsse und durchquerten Wälder, die so dicht waren, dass sie zur Mittagsstunde im Zwielicht ritten. Adler verließen ihre Horste in den hohen Pinien, über den Wiesen kreisten langsam Rotfalken, und schlanke Blaureiher staksten langbeinig an den flachen Gewässern entlang. Scharfschnabelige Schlangenhalsvögel hockten an den Ufern und spreizten ihre Flügel der Nachmittagssonne entgegen. In der Dämmerstunde lugten Eulen von ihren kahlastigen Hochsitzen auf die Brüder hinunter. Vereinzelte Wolfsrudel streiften noch durch diese Wälder, und ihr qualvolles Heulen trug weit zwischen die Bäume hindurch. In einigen Nächten brüllten Pumas so nah an ihrem Lager, dass Edward spürte, wie sich die Haare auf seinen Armen aufrichteten…“

Und, um ein wenig Blake im Original zu lesen, eine andere Stelle:
„The pinewoods fell behind and the sky widened and the country opened up and assumed a gentle roll. He rode through bunch grass and along bottoms lined with hardwoods, passed through pecan groves and stands of oak. In time he came upon the first rocky outcroppings and cedar brakes at the edge of the hill country and saw farther to the west a low line of whiterock palisades shaped like wide steps leading to the high plains. There appeared now among the hardwoods scatterings of mesquite and occasional clumps of prickly pear. The west wind carried the scent of cedar and the sunsets seemed a deeper and brighter red, as if painted in fresher blood. The clouds were quicker to shape themselves and to change direction, to dissolve to pale wisps. A hard hailstorm drove him to cover in an oak grove and frightened the Janey mare…“

Richard Slotkin: Der amerikanische Nationalcharakter, gebündelt

Wie Melvilles Käpt´n Ahab auf seinem – so nur als amerikanisch denkbaren – Schiff Kannibalen, Indianer, Wilde, Heiden, Christen, Sklaven, Befreite, Materialisten und Idealisten, Stoiker und Trunkenbolde versammelte, mit ihnen die Schiffsbesatzung der „Pequod“ formte – ein, natürlich, indianischer Name –, so bündelt auch James Carlos Blake in „Das Böse im Blut“ den amerikanischen Nationalcharakter, dem eben wirklich und wahrhaft das Böse im Blut liegt. Das Englische „rogue“ ist hier mitzudenken, schwächt aber nichts vom dem, was Blake hier unternimmt. Thomas Wörtche ist beizupflichten, „dass die Amis die schärfsten Kritiker ihrer selbst sind. James Carlos Blake gehört zu den allerschärfsten.“

Als ich mit dem in Scottsdale/Arizona lebenden „Noir“-Spezialisten Patrick Millikin über Blake korrespondierte, waren wir uns schnell über eines einig: Wenn es einen zeitgenössischen amerikanischen Autor gibt, der in Haltung und Fokus all das vereinigt, was Richard Slotkin in seiner grundlegenden Kulturgeschichte des amerikanischen Charakters aufgeschlüsselt hat, dann ist das James Carlos Blake. „We may be through with the past, but the past ain’t through with us“, lässt Thomas Paul Anderson in seinem Film „Magnolia“ sagen. Slotkin, zeigt warum.
 Seine drei Schlüsselwerke bleiben zur Schande aller deutschen Anglisten und kulturanthropologisch interessierten Verlage bis heute deutschen Lesern vorenthalten:

Regeneration Through Violence
The Mythology of the American Frontier, 1600-1860 (Wesleyan University Press, 1973)

The Fatal Environment
The Myth of the Frontier in the Age of Industrialization, 1800–1890 (Atheneum 1985)

Gunfighter Nation
The Myth of the Frontier in Twentieth-Century America (Atheneum 1992).

gunfire.348„Wenn die Legende die Wahrheit wird, erzähle die Legende“, heißt es in John Fords Western „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ – „When the legend becomes truth, print the legend.” In seinen über eine Spanne von 20 Jahren entstanden drei Büchern analysiert Richard Slotkin diese Legenden, denn sie konstituieren jene Wahrheiten, die Amerikas Gesellschaft formten. Slotkin verdeutlicht das überaus lesenswert und anschaulich mit Beispielen aus Literatur, Film, Fernsehen, Zeitungen und Volksliedern. „Regeneration through Violence“ (1973) beschäftigt sich mit Amerikas beständigstem Mythos, mit dem der Grenze. Slotkin zeigt uns den ganzen Kontinent als Grenze, das koloniale Amerika war davon umgeben. Die Zeit der Erkundungen, denen die Eroberung auf dem Fuße folgte, währte bis zum amerikanischen Bürgerkrieg. Als sich das „Manifest Destiny“, der göttliche Plan (siehe weiter unten), verwirklichte und der ganze Kontinent unterworfen war, wurde daraus „The Fatal Environment“ (1985); der Band behandelt die Mythenbildung im Rest des 19. Jahrhunderts. Robert B. Parkers Privatdetektiv Spenser treffen wir einmal an, wie er in „Regeneration“ liest.

„Gunfighter Nation“ analysiert Amerikas Bild von sich selbst im 20. Jahrhundert – und, viele Filmkritiker an Scharf- und Weitblick übertreffend, eben auch das Bild, das amerikanischen Populärmedien weltweit für uns prägten und prägen. Tarantino, das kann ich mir nicht verkneifen, hat dazu nur Schrott und Abgekupfertes beizutragen, weit mehr dagegen etwa Ang Lee mit seinem im Kino leider untergegangenen „Ride with the Devil“ (1999), auf Daniel-Woodrells Missouri-Guerilla-Roman „Woe to live on“ basierend.

Exkurs zum Kriminalroman und zu James Fenimore Cooper

Der amerikanische Mythos, macht Slotkin klar, hat zwei Stränge: den populistischen (Jeffersons Erbe, agrarisch, demokratisch) und den fortschrittsgläubigen (Alexander Hamilton gegen Teddy Roosevelt, expansionistisch, elitär, implizit rassistisch). So verbindet sich zum Beispiel der Robin-Hood-Mythos von Jesse James mit dem Big-Business-Zugriff auf den Wilden Westen, die Büffel nämlich erst zu erlegen und auszurotten und den Mythos dann als Wild-West-Show vermarkten. Beide Stränge wachsen, gedeihen und entwickeln sich aus den Konflikten der Grenze, wir sehen sie zum Beispiel auch in einem „modernen“ Werk wie in Dashiell Hammetts „Blutige Ernte“, wo ein Detektiv, der nur „The Continental Op“ heisst – also für einen ganzen Kontinent operierend – sich in einer Stadt namens Poisonville zwischen Streikenden (populistisch) und Minenbesitzern (fortschrittsgläubig) findet.

Solche Mythen bestimmen nicht nur, wie wir Geschichte sehen, sondern auch wie wir sie in der Gegenwart ausleben. Slotkin vermag beides zu analysieren, er exemplifiziert uns das mit Groschenromanen, Pulpmagazinen, Stummfilmen im Kontext ihrer Zeit, verzichtet auf jeglichen Revisionismus. Film ist für ihn nicht nur Kunst und Bildexegese, er weiß auch um die Produktionsbedingungen und Intentionen, er versteht die sich wandelnden Kräfte. Was er zeigt ist nicht weniger als der Kontext populärer Kultur.

In „Fatal Environment“ decodiert Richard Slotkin in Kapitel 5 „Ideology and Fiction“ die Rolle von James Fenimore Cooper und meint, er hätte erfunden werden müssen, hätte es ihn nicht gegeben.
„Nur wenige Schriftsteller verdienen in solchem Maße die Bezeichnung literarischer Pionier wie er, nur wenige hatten je seinen Einfluss auf das mythologische Vokabular einer Kultur und ihre generische Struktur. Ja, Charles Brockden Brown ging ihm um ein Vierteljahrhundert voraus, aber kein amerikanischer Autor vor ihm machte derart umfangreich von unserer Geschichte Gebrauch, schuf Werke, die gleichermaßen Popularität wie Anerkennung genossen.“

Coopers Hauptwerk, die fünf Lederstrumpf-Romane, (in einer Neuübersetzung), kreisten um die Hauptfigur Natty Bumppo, auch „Hawkeye, Leatherstocking, Pathfinder, Dearslayer“ genannt. Coopers Mythologisierung der „frontier history“ wurde ein essentieller Bestandteil amerikanischer Literatur und Populärkultur, von Melvilles „Moby Dick“ zu Twains „Huckleberry Finn“ bis zum Lone Ranger und Tonto, gerade jetzt, im Sommer 2013, von Hollywood in einen 200 Millionen Dollar teuren Sand gesetzt.

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High Plains Drifter, Clint Eastwood 1973

Coopers Bildentwurf vom amerikanischen Helden als einsamer und bewaffneter Mann – man denke hier gerne auch an Clint Eastwoods ikonographische Setzungen als „High Plains Drifter“ (1973, dt. Ein Fremder ohne Namen) oder „The Outlaw Josef Wales“ (1976), dt. DerTexaner), als plebejischer ungehobelter, dennoch nobler Mann, einer „der bei den Indianern war“, also die brutaleren Gesetze der Wildnis und des Überlebens in sich trägt und mehr erlebt hat als Otto Normalbürger, einer der (nur) in der Aktion der heimlichen Sehnsucht seines Herzens zu begegnen vermag – diese Figur nahm Gestalt an in Ahab und Hemingways Robert Jordan in „Wem die Stunde schlägt“, als Ike McCaslin in Faulkners „Go Down, Moses“, als „Der Große Gatsby“ oder als Ross Macdonalds hardboiled-Detektiv Lew Archer. Der erklärte 1969 in „The Zebra-Stripped Horse“ einer Frau: „My real name is Natty Bumppo … He’s a Charakter in a book. He was a great man and a great tracker… I can shoot a rifle, but as for tracking, I do my best work in cities.“

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The Outlaw Josey Wales, Clint Eastwood 1976

Indianerkämpfer und Jäger waren die ersten Nationalhelden Amerikas. Im Exil zu sein, zuhause gescheitert oder verstoßen, jedenfalls so erfolgs- und perspektivenlos, dass ein Land hinter jedermanns Horizont mehr Versprechungen besaß als die alte Heimat, das war einmal die Erfahrung aller weißen Amerikaner. Ein gewaltiges Bündel an Frustrationen, Rachedurst, Vorwärtsdrang, tiefer existentieller Erfahrungen, nackter Verzweiflung und Rücksichtslosigkeit. Ihnen allen stellte sich das Problem, ihre Auswanderung vor sich und den Daheimgebliebenen zu rechtfertigen, Erfolg um jeden Preis zu haben, im wahrsten Sinne also „Land zu gewinnen“. Dies alles angesichts einer auch psychosoziologischen Wildnis um sie herum, dem Terror realer Wildnis und Rohheit ausgesetzt. Nicht weniger heftig dann auch das Beharrungsvermögen ihrer direkten Nachgeborenen, die das einmal Gewonnene zu behaupten hatten, mit zum Teil schrecklichen Familiengeheimnissen belastet, verstört, verkrüppelt, im Mitleid eingeschränkt menschlichem Leid gegenüber. Auf Generationen. Wie viel Schuld muss sein, Familienbande des eigenen Überlebens wegen zerbrochen, einen Pakt mit der Wildheit, auch mit dem Wilden in sich gemacht zu haben? Wie tief muss ein Bedrohungsgefühl und wohl auch eine Bestrafungsfurcht in der kollektiven Seele nisten, dass keine Nation der Welt eine solch geradezu religiöse Wut auf Selbstbewaffnung legt? Klar gibt es sie, um einen Romantitel des wieder und wieder in seinem Kriminalromanen nach Familiengeheimnissen grabenden Ross Macdonalds zu zitieren, jene „Kehrseite des Dollars“, den Stoff unzähliger Kriminalromane, vulgarisiert auch in all den Tausenden deutschen Fernsehkrimis, in denen von „Derrick“, dem „Alten“ und dem „Kommissar“ bis zum „Tatort“ an den Türen der Reichen geklingelt wird. Ja, das kollektive schlechte Gewissen, all überall …

Expansion, die göttliche Bestimmung

Manifest Destiny („Unabwendbare Bestimmung“), das war die vom New Yorker Journalisten John L. O’Sullivan formulierte, amerikanische Doktrin des 19. Jahrhunderts, nach der die Vereinigten Staaten von Amerika einen göttlichen Auftrag zur Expansion hätten, mindestens über die bis Mitte des 19. Jahrhunderts noch bestehende westliche Grenze hinweg bis zum Pazifik, auch wenn das den Krieg mit Mexiko bedeute. O’Sullivan schrieb 1845 in einem Artikel, es sei „die offenkundige Bestimmung der Nation, sich auszubreiten und den gesamten Kontinent in Besitz zu nehmen, den die Vorsehung uns für die Entwicklung des großen Experimentes Freiheit und zu einem Bündnis vereinigter Souveräne anvertraut hat.“ Manifest Destiny wurde ein Begriff, der den Nationalstolz, ein ganz besonderes Land zu sein („God‘s Own Country“) mit der Legitimation für Expansionismus und Missionierung vereinte und rechtfertigte. Hintergrund war die religiöse Auffassung, die Weißen seien für diesen Auftrag prädestiniert. Ähnliche Lehren, wie etwa „Die Bürde des weißen Mannes“ von Rudyard Kipling, wurden gleichzeitig von den Europäern anderswo in der Welt verwendet, um koloniale Eroberungen in Afrika und Asien zu rechtfertigen.

„The land was ours before we were the land’s“, summierte das der Dichter Robert Frost. Und um vorzugreifen, der Begriff „New Frontier“, der im 19. Jahrhundert für die unbekannten Möglichkeiten und Reichtümer jenseits der Grenzen im Westen gegolten hatte, wurde im Juni 1960 zum Abschluss des Demokratischen Nominierungsparteitages von John F. Kennedy wiederbelebt. In seiner programmatischen Rede rief er neue, unerforschte und unbesetzte Gebiete aus, reklamierte sie für Amerika – vom Weltraum, der Erweiterung der Bürgerrechte, der Forschung und Erziehung, bis hin zu eben dem quasi naturgegebenen Recht zur weltweiten Intervention. Wie meinte der Dichter John Berryman 1942 in seinem „The Dangerous Year“:
„It’s time to see the frontiers as they are, Fiction, but a fiction meaning blood.“

Mexiko als mythischer Ort

Mexiko war damals sozusagen schon längst vereinnahmt. Als ideologisches Symbol, heißt es in Slotkins „Gunfighter Nation“ im Kapitel „Imaging Third World Revolutions“, funktioniert Mexiko wie eine zweifach taugliche Metapher. Zum einen lässt sich damit trefflich an die eigene Revolutionspraxis anknüpfen, zum anderen daraus auch die Notwendigkeit amerikanischer Inventionen weltweit begründen. Slotkin zeigt auf, dass Hollywood Mexiko zur gleichen Zeit auf neue Art „besetzte“ als Eisenhower Amerikas Weltpolizeirolle in der Dritten Welt entwickelte. In Filmen dieser Art war es meist eine Gruppe amerikanischer Kämpfer, die über die Grenze nach Mexiko setzten, in Zeiten des Aufruhrs der Landbevölkerung im Kampf gegen Kriegsherren, Banditen oder unterdrückender Obrigkeit zur Seite stand und den Mexikanern amerikanische Werte vermittelte. Der amerikanische „Counterinsurgency Warrior“, für den wir später auch „Rambo“ haben, fand einen frühen Weihealtar im Filmepos der „Glorreichen Sieben“. Es würde sich lohnen, diese bis heute wirkenden Spuren weiterzuverfolgen – bis meinetwegen Don Winslows Drogen-Epos „Power oft he Dog“.

Yul Brynner, Steve McQueen, Charles Bronson, Horst Buchholz, Robert Vaughn, Brad Dexter und James Coburn sind die ultimative Sieben Mann-Söldnerarmee.680

Yul Brynner, Steve McQueen, Charles Bronson, Horst Buchholz, Robert Vaughn, Brad Dexter und James Coburn sind
The Magnificent Seven.

Sam Peckingpah war es, der mit „The Wild Bunch“ (1969, dt. „Sie kannten kein Gesetz“) solche Heldenlieder etwas demoralisierte. Sein „Wilder Haufen“ endet nicht mit dem niedergemähten Pike am Maschinengewehr – welch eine Rolle für den großartigen, ledergegerbten William Holden; „You gotta think ahead of your gun“, sagt er einmal –, endet nicht mit einer Überblendung in einen märchenhaften Sonnenuntergang wie die Banditenballade „Butch Cassidy and the Sundance Kid“, sondern klingt mit einem Bild der Trostlosigkeit aus: eine von Gewehrsalven zerstörte Siedlung, deren Überlebende in eine leere Wüste humpeln, während in den Ruinen Geier hüpfen und Kopfgeldjäger die Toten plündern, ihnen die Goldzähne ausbrechen und den Leichen der „Wild Bunch“ die Köpfe abtrennen.

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The Wild Bunch (Directed by Sam Peckinpah, 1969)

In der Art und Weise, wie Peckinpah Gewalt darstellt und ihr nicht aus dem Wege geht, die Augen nicht davor verschließt, ist er ein Geistesgenosse von James Carlos Blake. Als Publikum, lesend oder schauend, müssen wir uns fragen, ob wir uns solche Helden anschauen wollen, die in gewisser Weise auch Monster sind, müssen uns fragen, ob wir bereit sind, soviel Gewalt auszuhalten. Unvermeidlich wird dabei die Frage, welche Motive wir dafür denn haben? Welche Rechtfertigungen? Welche Notwendigkeit? Um Michael Herr („Dispatches“) abzuwandeln: Sind wir bereit, Verantwortung für das zu übernehmen, „was wir da sehen“ – und zugleich für die Neugier und Seh- und Schausucht, die uns an so einen Ort gebracht hat und dort hält?

Blakes Geistesgenossen, ein kleiner Überblick

Blakes Blick (weiter unten mehr dazu) auf die amerikanische Gesichte ist ein besonderer. Neben ihm bestehen können nur wenige. An Annie Proulx ist da zu denken mit ihren panoramisch-ingeniösen „Accordion Cremes“ (1996, dt. verharmlost als „Das grüne Akkordeon“). Immer wieder tauchen Vergleiche mit Cormac McCarthy auf, dies vor allem eines Buches wegen: „Die Abendröte im Westen“ („Blood Meridian“). Da ist Henry Wilson Allen, der als Will Henry und Clay Fisher schrieb, bei uns vielleicht bekannt durch die schön verfilmten Romane „MacKennas Gold“ und „I, Tom Horn“, sein bekanntestes jedoch, „No Survivors“, über einen von den Sioux adoptierten US-Soldaten, der sich dann in seinen Loyalitäten entscheiden muss; „Der mit dem Wolf tanzt“ lässt grüßen. „The Fourth Horseman“ handelt von Pleasent Valley War 1880 in Arizona und hat Stellen, die einem Gänsehaut machen.

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Zugriff auf Amerikas Ureinwohner in Der schwarze Falke

Alan LeMay lieferte mit „The Searchers“ (1954) die literarische Vorlage für John Fords Jahrhundertfilm „Der schwarze Falken“, in dem ein traumatisierter John Wayne beinahe sein Rollenbild zerstört. Das Motto des Buches charakterisiert auch Blakes Helden: „These people had a kind of courage that may be the finest gift of man: the courage of those who simply keep on, and on, doing the next thing, far beyond all reasonable endurance, seldom thinking of themselves as martyred, and never thinking of themselves as brave.“

Die Comanchen, die Matts Familie zweimal entführten, werden bei LeMay zu einer „Masse, einer Horde, die Prärie überschwemmend wie eine Büffelstampede“. Als gekidnappter Junge unter diesen Kriegern lebend und später kapitalistisch rücksichtlos expansiv ist Eli McCullough, der Protagonist von Philip Meyers „The Son“ (2013), ein Roman, der beinahe zwei Jahrhunderte umspannt und gute Kritiken hat. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen. Die Krimiautoren Robert B. Parker und Loren D. Estleman sind mehrfach auf bemerkenswerte Weise ins Westerngenre getaucht (etwa „The Master Executioner“ und „The Adventures of Johnny Vermillion“), Elmore Leonard („Eine Zitaten-Reise durch sein Werk“ lesen Sie hier) begann in diesem Genre zu schreiben, der hier unübersetzte New-Mexico-Autor Michael McGarrity stieg mit dem epischen „Hard Country“ (2012) in die Familiengeschichte seines Polizisten Kevin Kernet ein. James Lee Burke („Whited Doves at Morning“) William T. Vollman (sein Porträt lesen Sie hier) vertiefte sich innerhalb seiner großen Gewalt-Studie und seiner „Seven Dreams“-Reihe detailreich in die amerikanische Vergangenheit, „The Rifles“ heißt einer der voluminösen Bände.

Auf dem Bodensatz amerikanischer Geschichte schürft auch der aktuelle, grimmige Fernseh-Mehrteiler „Hartfields & McCoys“, der eine historisch verbürgte, blutrünstige Familienfehde auf ziemlich schmutzige Weise in die modernen amerikanischen Wohnzimmer bringt.

Auch der Titelsong „Bartholomew“ der Rockband „The Silent Comedy“ ist etwas Besonders, und wenn man hinein hört, was Kevin Costner, der den brutalen Patriarchen spielt, in einem ausführlichen Fernsehinterview zu sagen hat, glaubt man Richard Slowakin zu hören: Waffen und Gewalt, die seien einfach in der DNA Amerikas verankert …

McCarthys „Blood Meridian“ und James Carlos Blake

Doch zurück zu Cormac McCarthy, dessen erste vier Romane im heimischen Tennessee oder in einem angenommenen „Süden“ spielten und der dann für „Blood Meridian“ nach viel historischer Lektüre „nach Texas“ ging: Der Illinois-Poet John Sepich rekonstruierte in seinen „Notes on Blood Meridian“ (1993) hunderte von Referenzen, etwa Samuel Chamberlains Memoiren „My Confession: Recollections of a Rogue“. James Carlos Blake hat für alle seine Romane ebenfalls umfangreich recherchiert, das Grenzland aber liegt ihm eben wirklich im eigenen Blut. Mit „Das Böse im Blut“ habe er schlicht das wahrste Buch über Gewalt schreiben wollen, das ihm möglich sei, so anschaulich wie er nur konnte, habe er zeigen wollen, wie grauenhaft gewalttätig diese Zeit und der Platz Amerikas in der Geschichte gewesen sei, sagte Blake in einem Interview mit „GQ“. Als er einem Freund sein Manuskript zum Lesen gab, habe dieser ihm gesagt, er hätte da eine Überraschung, und ihm ein Exemplar von McCarthys „Blood Meridian“ gebracht. Blake hatte nie zuvor von diesem Autor gehört, in der Tat verkauften sich von der Erstauflage in den ersten Jahren kaum 1000 Exemplare. Die Lektüre „haute ihn auf den Arsch“, bekennt Blake. Hier die GQ-Interviewpassage im Original:

GQ: You’re often compared to Cormac McCarthy. That can’t be a bad thing, right?

James Carlos Blake: I think Mr. McCarthy is one of the best writers of my day. The first book of his I read was Blood Meridian. At the time I was about three-quarters done with In the Rogue Blood and was very unsure of my approach in it. I was not only trying a style that was, quite deliberately—because of the book’s setting—a tad Faulkner-ish and somewhat Biblical, but I was trying to write the truest novel of violence I could. I was pulling out all the stops in my effort to show as graphically as I could just how horrifically violent that time and place in our history was. Then I let a friend of mine read the manuscript and he said he had a surprise for me and a few days later brought me a copy of Mr. McCarthy’s book. I’d never before heard of Cormac McCarthy, and I was knocked on my ass by our common setting of the same historical era and, to lesser degree, by the similarity of style—though his style, of course, soars up around the poetic heights of Parnassus.

Cormac McCarthys Grenzland fühlt sich surreal an, jenseitig, schöpferisch erdacht. Er ist zuvörderst Schriftsteller mit Tendenz zum Groß-Schriftseller, wie Musil sagen würde. Blake dagegen bleibt am 
Boden, im Staub, im Dreck. Er fabuliert nicht, macht stattdessen fabelhafte Sachen – etwa mit dem historisch belegten „San Patricio“-Bataillon, einer aus europäischen Emigranten bestehenden Einheit der mexikanischen Armee, vielen von ihnen Iren, allesamt von der amerikanischen Armee desertiert, wegen schlechter Behandlung oder des Versprechens besserer Bezahlung oder der Aussicht auf eigenes Land. Wie Blake aus dieser historischen Realität Funken schlägt, sollten sich alle Autoren von „history fiction“ ruhig zu Gemüte führen, nehmen wir als Beispiel da ruhig auch Ken Follett.

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Blake James Carlos (screenshot liebeskind.de)

Damit sind wir wieder bei James Carlos Blake, Zeit sich dem Mann selbst zu widmen. 1947 in Tampico, Mexiko, geboren, am Tag der Amtseinführung Kennedys in den USA eingebürgert, sieht er sich als Amerikaner mit einer mexikanischen Seele und Texas als seinen Heimatstaat. Bevor er Literaturprofessor in Florida (USF) und dann freier Schriftsteller wurde, war er Gefängniswärter, Pool Boy in Miami, VW-Mechaniker. Sein Vater brachte ihm in jungen Jahren bei, sich auch gegen Größere und Stärkere zu verteidigen, wenn man ihn einen „Greaser“ nannte. Diese frühe Kampfeslust, sagt er, lehrte ihn, dass es ohne physische Courage keine andere geben kann. „Wenn du Angst davor hast, deine Überzeugung zu verteidigen, weil du vielleicht die Hucke voll bekommst, bist du nicht wirklich bereit, für sie einzutreten.“ Der erste Text in der Story-Sammlung „Borderlands“, untertitelt als „eine einleitende Erinnerung“, hat den Titel „The Outsider“. Hier meine Übersetzung:

„Ich war immer schon ein Außenseiter, ein Fremder in jedem Stamm. Das sage ich nicht, um mich zu beschweren oder Mitleid zu schinden. Und gewiss ist so etwas auch anderen nicht unbekannt. Es ist das Gefühl, der Welt ringsherum enthoben zu sein, das den Außenseiter definiert, sein Gefühl des Getrenntseins aber geht über etwas bloß Örtliches hinaus. Mitten unter seinen Kameraden, inmitten seiner Familie fühlt der Outsider sich als Fremder, als Besitzer eines fremden Herzens. In meinem eigenen Fall spielen sicher meine Blutslinien und eine Kindheit an der Grenze ein Rolle.“ Blake, so erklärt er in dem Text, ist wie alle Männer seiner Familie vor ihm, in Mexiko geboren und in vierter Generation der Nachfahr eines Amerikaners, der von einem englischen Piraten gezeugt wurde. Als einziger dieser Familie wurde er im Grenzgebiet der beiden Länder großgezogen – „jener brutalen und rohen Region, die sich auf beiden Seiten der amerikanisch-mexikanischen Grenze über einige hundert Meilen erstreckt und sich über zweitausend Meilen von der Mündung des Rio Grande im Golf von Mexiko bis zu dessen Terminus an der kalifornischen Küste von Alta California hinzieht. Entlang dieser Grenze formt das Hinterland beider Staaten eine kulturell eigenständige, kaum besiedelte Provinz. Sie besteht fast nur aus Wüste, brutal und schattenlos, mit wenig Erbarmen. Vom Buschland in Süd Texas und Coahuila (offiziell Coahuila de Zaragoza), den grimmigen Senken und Höhenzügen von Big Bend und Chihuahua bis zu den Wüstendünen von Arizona und Sonora scheinen all die dort lebenden Menschen weniger entweder Mexikaner oder Amerikaner zu sein als vielmehr eine Mischung von ihnen, in ihrem Wesen ebenso ausgeprägt abgeschieden und isoliert wie dieses Grenzgebiet selbst.“

Das Blut in der Familie

Der Pirat, das war sein Ur-Ur-Ur-Großvater: Robert Blake, das schwarze Schaf einer noblen englischen Familie. Er hatte sich in New Hampshire niedergelassen und einen Sohn gezeugt, ehe er die Segel setzte, um im Golf von Mexiko Schiffe zu plündern. 1826 wurde er ergriffen und in Veracruz hingerichtet, der erste in mexikanischer Erde begrabene Blake. Sein Sohn John hatte in New England eine Frau geheiratet, deren Familienvermögen aus Papierfabriken stammte, er wurde US-Konsul im mexikanischen Bundesstaat Jalisco, verliebte sich in das Land, baute eine prosperierende Mühle, die er Hacienda Americana nannte und die bis zur Revolution von 1910 der Familie gehörte. Von seinen drei Söhnen erlebte nur einer die Volljährigkeit. Carlos Enrique musste zusehen, wie sein Vater an einem Sonntagmorgen auf den Kirchenstufen von einem zornigen Vorarbeiter erstochen wurde. Ein Familienfoto, schreibt Blake, zeigt Carlos als „Inbegriff des Patrons, dessen Schnurrbartgesicht und harte Augen keinerlei Toleranz für Narren oder Respektlosigkeit zeigen“. Er wird von seiner Familie flankiert – von vier Töchtern, zwei Söhnen und seiner kreolischen Ehefrau Adela Arrias, der ersten von einem Blake zur Frau genommen reinblütigen Mexikanerin. Einer seiner Söhne wurde mit 18 von seinem Pferd getötet, der andere, Juan Sotero, war Blakes Großvater, der es in der mexikanischen Armee zum Oberst in einer Ingenieurseinheit brachte, ein Brücken- und Straßenbauer, eine kreolische Dichterin namens Esther Hernández heiratete und mit ihr zwei Söhne hatte – Juan Jaime und Carlos Sebastián, den Vater von James Carles Blake. In dem fulminanten „Country of the Bad Wolfes“ von 2012 baut Blake Teile dieser Familiengeschichte zu einem gewaltigen Abenteurerepos aus.

In seiner texanischen Schule hatte Blake nicht nur mit der amerikanischen Form von Klassenmobbing und Schulhofkämpfen zu tun, er musste auch die Sprache meistern. Bis zur Quarta aber hatte er sich in beiden Kulturen und Sprachen heimisch gemacht, fühlte sich auf eine Art „heimisch“ wie später dann nie mehr wieder in seinem Leben. Mit den Jahren schrumpften die Verbindungen nach Mexiko ein wenig, schreibt er, niemals aber, so begann er zu verstehen, verließ er wirklich den Kern des Grenzgebietes – nämlich die abgeschiedene Welt des Außenseiters.
Blake weiter in seinem biographischen Text:

„I would come to understand that a borderland is a much a region oft he spirit as a physical locale, that some of us are born to it and come to know it well in childhood and inhabit it forever after, no matter where we might be on the map.
And I came to understand that even though I am hardly alone in lacking a sense of place in the world, I always feel that I am.
So do all outsiders feel.
So do many of the characters in these stories feel.“

Warum all diese Gewalt?

„Foremost we admire the outlaw / who has the strength of his own lawfulness“, zitiert Blake Robert Duncan als Motto für sein Bankräuber-Epos „Handsome Harry“. Und warum all die Gewalt? „Weil sie die elementarste Wahrheit unseres Lebens ist“, sagt Blake.

„Sie bestimmt unsere Geschichte, sie entscheidet, ob A oder B sein Recht bekommt. Wenn es Spitz auf Knopf kommt – wie es einfach bei vielem ist – fliegen doch alle moralischen Überlegungen aus dem Fenster, alles kommt dann nur noch darauf an, wer ‚Der Last Man Standing‘ ist. Die Ansicht, dass wir doch alle einen enormen moralischen Fortschritt gemacht haben und wir jetzt eine weniger gewalttätige Spezies sind wird doch Lügen gestraft von den furchteinflößenden Mitteln der Zerstörung, über die unser Militär und unsere Polizei gebieten. Ohne die Drohung solcher brachialer Gewalt wären alle Gesetze bedeutungslos. Ich bevorzuge Geschichten, die uns daran erinnern. Geschichte ist in ihrem Kern nichts anderes als Gewalt am Werk. Alles läuft auf den alten Spruch hinaus, wie viel du mit einem freundlichen Wort auch erreichen kannst, du erreichst mehr mit einem freundlichen Wort und einer Waffe.“

Einfach natürlich gewesen sei es, dass er begann, über berüchtigte Kriminelle und Outlaws der Vergangenheit zu schreiben: John Wesley Hardin, Pancho Villa, Bill Anderson, die Dillinger Gang. Sein wahres Interesse habe dabei ihrem privaten Leben gegolten, all diese Verfemten hatten Kindheiten, Familien, Geliebte und andere Interessen als Verbrechen, aber es gab keine oder kaum verbürgte Aufzeichnungen darüber. Also begann Blake ihr Innenleben zu erfinden, sich in sie zu versetzen, ohne historische Gegebenheiten zu verbiegen und zu verletzen. Genauso aber – und das begann mit „Das Böse im Blut“ und fand einen vorläufigen Höhepunkt in „Country of the Bad Wolfes“ – liebt er es, eigene Charaktere zu schaffen. Aus Teilen seiner eigenen Geschichte eine ganze Familie namens Wolfe auszugestalten, das sei der größte Spaß seines Schriftstellerlebens. Stoff habe er da noch für lange Zeit. Die meisten Romane Blakes kreisen um tatsächlich historische Personen, etwa die Ashley-Gang der Prohibitionszeit in Florida, der Gangster Harry Pierpont aus der Depressionszeit, der Missouri-Guerilla Bloody Bill Anderson, der Boxer Stanley Ketchel. Einige haben erfundenes Personal. Alle spielen sie im amerikanischen Westen und Süden, auch in Mexiko, von der Mitte des 19. bis ins frühere 20. Jahrhundert. Erst mit seinem jüngsten Buch, der Drogenballade „The Rules of Wolfe“, sprang Blake in die Gegenwart. Seine Protagonisten sind harte Typen, wenn nicht gar Soziopathen. Sie sind gewalttätig, körperlich und fleischeslustig. Geschichten mit solchen Kerlen haben keinen erzieherischen Wert, in Blakes Händen werden sie zu epischer, tragischer Literatur. Denn es sind Verdammte, Renegaten, ihr fiebriger Charakter lässt nur eine Richtung zu, oder um es mit Joseph Conrad zu sagen: „Es gibt nur zwei Arten zu leben: brennen oder faulen. Wer möchte nicht brennen?“ Joseph Campbell („Der Held in tausend Gestalten“) würde wohl meinen, sie folgen ihrem Glück – glücklich aber ist ihr Schicksal nie, zu allermeist brutal und manchmal elend.

Fortsetzung folgt

Alf Mayer, 28.09.2013

culturmag.de

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James Carlos Blake: Das Böse im Blut (In the Rogue Blood, 1997) Roman

Dt. von Matthias Müller

München: Liebeskind 2013, 448 Seiten, € 22

 

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Verlagsinformati0nen zum Buch und Autor.

 

 

 

 

Die Bücher von James Carlos Blake:

The Pistoleer (1995)

The Friends of Pancho Villa (1996)

In the Rogue Blood (1997, dt. Das Böse im Blut, 2013)

Red Grass River (1998)

Borderlands, (short fiction,1999)

Wildwood Boys (2000)

A World of Thieves (2002)

Under the Skin (2003)

Handsome Harry (2004)

The Killings of Stanley Ketchel (2005)

Country of the Bad Wolves (2012)

The Rules of Wolfe (2013)

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