Der Meister der Überraschung
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war für einen Schriftsteller wie Ross Thomas (1926-1995) ein Erzählparadies. Es gab so viel, vor dem Leute Angst hatten; so vi
el, das man gierig begehren und teuer verkaufen konnte; so viele Regeln, die nur darauf warteten, außer Kraft gesetzt zu werden. Zu alt, um ein Hippie zu werden, stellte er die Welt in seinen Büchern auf den Kopf, tanzte mit den Verhältnissen. Bezeichnungen wie „Kriminalroman“ oder „Thriller“ treffen den Charakter seiner Romane (mehr als Hälfte von ihnen explizit im politischen Bereich angesiedelt) nur wenig. Seine erzählerische Lust an den abenteuerlichsten Konstellationen, Täuschungsmanövern, Intrigen und Gegenintrigen macht ihn zu einem der sehr seltenen schriftstellernden Vertreter der „screwball comedy“. Seine Dialoge sind geschliffen, die Haltung cool und lakonisch, die Handlung des doppelten Rittbergers kundig, der Witz geistreich, gelinde böse und überraschend. Ein klitzekleines Beispiel: „Vielleicht solltest du morgen eine Verkleidung tragen.“ – „Eine Verkleidung?“ – „Du weißt schon“, sagte sie, „ein Lächeln.“
Ross Thomas ist ein Meister des Unerwarteten, ein wirklicher Unterhalter. Seine schlagfertigen, weder auf Mund noch Kopf gefallenen Helden – oft sind es liebenswerte Schurken – drehen aktiv an ihrem Schicksalsrad, versuchen sich in einer Welt von Korruption, Lüge, Täuschung, Kaltem Krieg und noch kälterem Geschäftemachen zu behaupten: notfalls, indem sie noch korrupter, noch entschlossener und regelbrechender unterwegs sind. Kaum ein anderer Autor hat über die Jahr(zehnt)e eine solch große Galerie witziger und sympathischer Spitzbuben und Gauner erfunden.
Geboren in Oklahoma, Infanteriesoldat im Zweiten Weltkrieg, war die Position eines Sportreporters beim „Oklahoman Daily“ sein erster Job. In den 1950ern machte er PR für die Landarbeitergewerkschaft, bevor er sich mit einer eigenen PR-Agentur auf politische Kampagnen spezialisierte und unter anderem George McGovern in den Kongreß half. Es folgte ein Wechsel nach Deutschland, wo er für das Armed Forces Network (unsereins als AFN bekannt) als Reporter arbeitete, danach brachte ihn ein Management-Job nach Nigeria. Als er 1961 in die USA zurückkehrte, wurde er Gewerkschaftssprecher für die Staatsbeschäftigten, lernte die Politikmechanismen Washingtons hinter den Kulissen kennen – und schlug aus all diesen Erfahrungen später dann erzählerische Funken.
Sein erster Roman – er schrieb ihn mit 40 – war „Kälter als der Kalte Krieg“ (gerade verdienstvoll wieder aufgelegt vom Alexander Verlag, dazu weiter unten mehr). Dieser Erstling war so ausgekocht, frech und frisch und rund, dass er seinem Autor den „Edgar“ als bester Kriminalroman des Jahres 1966 brachte, was einem „Oscar“ entspricht. Es ist die schnell und witzig erzählte Geschichte eines sinistren Fluchthelferplans, den sich eine amerikanische Geheimdienstorganisation ausgedacht hat, die im Nachkriegsdschungel Ost-und Westdeutschlands verkommener geworden ist als es selbst den hauseigenen Zynikern recht sein kann. Hauptprotagonisten sind der Barbesitzer Mac McCorkle, der ein kleines Etablissement namens „Mac’s Place“ in Bonn betreibt und sein Freund Joe Padillo, der für die CIA auch mal einen „nassen“ Auftrag erledigt. McCorkle ist mit der klugen Dr. Fredl Arndt liiert, weiß (wie viele Ross-Thomas-Helden) einen guten Martini oder Drink zu schätzen und wohnt in Muffendorf. Seine Bar, die im Ross-Thomas-Universum ein mystischer Ort werden wird, beschreibt McCorkle so: „Wahrscheinlich kann man ein paar tausend Lokale wie Mac’s Place in New York, Chicago oder Los Angeles finden. Sie sind dunkel und still, der Teppich durch verschüttete Getränke und Zigarettenasche zu einem unbestimmbaren Farbton verblasst, der Barmann freundlich und flink, aber taktvoll genug, keine Bemerkungen zu machen, wenn man mit der Frau eines anderen hereinkommt.“ 1990, 24 Jahre später, erschien der letzte der insgesamt vier McCorkle-und-Padillo-Romane: „Twilight at Mac’s Place“, zu Deutsch: „Letzte Runde in Mac’s Place“.
Leider nur auf drei Romane brachten es die Erlebnisse von Artie Wu und Quincy Durant, zwei Waisenkindern, die es allen zeigen und sich mit byzantischen Täuschungsmanövern über Wasser halten, etwa wenn sie als Kunsthändler auftreten, die jedes Stück zu beschaffen wissen: „Viele unserer Stücke stehen immer noch in Museen.“ Zu den ganz großen Romananfängen gehören die ersten Zeilen von „Umweg zur Hölle“ (im Original „Chinaman’s Chance“ betitelt): „It was while jogging along the beach just east of the
Paradise Cove pier that Artie Wu tripped over a dead pelican, fell, and met the man with six greyhounds.“
Artie Wu, der Anwärter auf den Kaiserthron, 37 Jahre alt und chinesischer Abstammung, fällt natürlich nicht zufällig über den Pelikan, der dort auch nicht zufällig im Weg liegt – der inszenierte Unfall öffnet die Tür zum Anwesen und zum Vertrauen eines schwerreichen Mannes, dem sonst nicht so (elegant) nahe zu kommen gewesen wäre.
In „Der Yellow-Dog-Kontrakt“ verarbeitete er seine Gewerkschaftserfahrungen. Zuverlässig weiß ich, dass die Neuausgabe des Alexander-Verlages auch im Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) begeisterte Leser gefunden hat.
30 Jahre lang war jedes neue Buch von Ross Thomas ein ungeduldig erwartetes Ereignis. Otto Penzler aus New York, Eigentümer des Mysterious Bookshop und weltweit einer der besten Kenner der Kriminalliteratur, sagt: „Wenn Sie einen Autor finden, der besser schreibt als er, lassen Sie es mich unbedingt sofort wissen.“ Mit insgesamt 25 Romanen hat Ross Thomas seine Leser beschenkt, fünf davon unter dem Pseudonym Oliver Bleek. Jedes seiner Bücher birgt Geschichten, Helden und Nebenfiguren genug, um ein paar „normale“ Thriller zu füllen. Sein – wie ich finde – Meisterwerk „The Fools in Town are on Our Side“ („Unsere Stadt muss sauber werden“), das in Deutschland bisher nur in einer absolut verstümmelten, um mehr als die Hälfte gekürzten Ullstein-Fassung vorliegt, jongliert gleich vier überaus erfinderische und eng miteinander verwobene Korruptionsgeschichten, schneidet hin und her zwischen dem amerikanischen Süden in den späten 1960ern, Hong Kong in den
frühen 1960ern, Texas in den frühen 1950ern und einem Bordell in Shanghai kurz vor dem Zweiten Weltkrieg.
Ross Thomas erzählte oft, dass er beim Schreiben nicht wisse, wie seine Bücher ausgehen würden. Beim Lesen stellt sich das Gefühl ein, dass einfach alles möglich ist in seinen wilden Geschichten. Es gibt wenige Autoren, die sich derart zum vergnüglichen Wiederlesen eignen.
Beim Berliner Alexander-Verlag ist es Alexander Wewerka, der Chef persönlich, der eine sorgfältig revidierte, absolut vorbildliche Neuauflage der Romane von Ross Thomas betreibt. Die Neuausgabe von „Kälter als der Kalte Krieg“ übrigens hat ein Vorwort von Dominik Graf. Ich erwarte mit Vorfreude die Neuausgabe von „Der achte Zwerg“ jetzt im September 2011. Das ziemlich böse Buch spielt im Nachkriegsdeutschland und zu weiten Teilen in Frankfurt. Diese Stadt beschrieb Ross Thomas nach einem Besuch der Buchmesse in den 1980ern in der „Washington Post“ folgendermaßen: „Frankfurt was heavily destroyed in the war and looks like rebuilt by the US Army.“
Alf Mayer
Die Bücher von Ross Thomas
Die alten Taschenbuchausgaben sind antiquarisch zu finden. Die Ross-Thomas-Edition im Alexander-Verlag bringt sorgfältige Neuausgaben als Klappenbroschur. Bisher erschienen:
Die im Dunkeln (Ah, Treachery)
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Gottes vergessene Stadt (The Fourth Durango)
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Der Yellow-Dog-Kontrakt (Yellow Dog Contract)
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Umweg zur Hölle (Chinaman’s Chance)
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Am Rand der Welt (Out on the Rim)
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Kälter als der Kalte Krieg (The Cold War Swap)
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Teufels Küche (Missionary Stew)
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Der achte Zwerg (The Eight Dwarf; im September 2011)
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