Leseglück
<img class="size-full wp-image-4632 alignleft" style="margin-right: 10px;" title="wintermaentel" src="http://ww
w.getidan.de/wp-content/uploads/2009/09/wintermaentel.jpg“ alt=“wintermaentel“ width=“120″ height=“199″ />Männer in Wintermänteln: James Dean, Marlon Brando, Mickey Rourke und Robert Mitchum natürlich, Trevor Howard, Gary Cooper, Richard Burton, Orson Welles, Marcello Mastroianni und sogar Kevin Costner gehören dazu.
Wenige Worte genügen Ingrid Mylo, um uns eine so noch nie betrachtete Galerie von Filmhelden vor Augen zu rufen. „Sie tragen den schweren Stoff wie eine ihnen auferlegte Pflicht, er verleiht ihnen Statur und Format und hält den Schnee zurück und den Schmutz der Straßen jenseits von Eden. Weder Hass noch Schläge dringen durch das raue Kleidungsstück wirklich zu ihnen durch, sie stecken sie ein und zucken die Achseln und gehen. Sie sind, das reicht, und manchmal grinsen sie. An ihrer stoischen Askese scheitert die Liebe sämtlicher Frauen, was soll ihnen Liebe? Sie sind still abgefasst wie Gedichte, die von Verzicht handeln. Glück ist für die anderen und unter ihrer Würde, es ist heroischer zu leiden. Und so leiden sie.“
„Männer in Wintermänteln“ ist mit zweieinhalb Seiteneiner der längeren Texte in Ingrid Mylos „Journal der Augenblicke“. Ein anderer zeichnet „Die roten Stellen im Film“, auch „Die Katzen von Comares“ huschen über mehr als zwei Buchseiten. Meist sind es Miniaturen, manche nur fünf Zeilen lang, in denen die Ausnahme-Schriftstellerin Ingrid Mylo uns die Welt durch ihre scharfen, klugen Augen sehen lässt. Man nimmt Schönheit mit, Staunen und Lachen, Erschrecken auch, beständig Überraschung. Und Vergnügen, viel Vergnügen. Das 104 Seiten dünndicke, sorgfältig ausgestattete Buch (Fadenheftung, Preis 12,80 Euro) ist reines Lesevergnügen. Leseglück. Eine Schatulle voller Edelsteine, die Worte sorgfältig geschliffen. Ingrid Mylos Sprache ist voller Lust und Genauigkeit, aufs Milligramm abgewogen, perlend, funkelnd. Und manchmal sogar ein Regenbogen.
Die Worte haben Geschmack und Volumen, sie spiegeln die Genauigkeit des Hinschauens und Hinhörens. Ingrid Mylo hat „die
Hartnäckigkeit des Spähers“ (Roland Barthes) für die Einzelheiten des Alltags. Hazel Rosenstrauch ortet in ihrem sehr schönen Vorwort „einen Verstand, der alle Sinne benutzt“. Ingrid Mylos Schreibweise macht aus dem Lesen ein Fest.
Gleich, ob es um Kaffee kochen in der Küche einer fremden Wohnung geht, das Verschwinden jahrealter Freundschaften, faul gewordene Raubvögel, das Aussterben der geblümten Morgenmäntel, um das Geräusch, wenn der Wind nach dem Regen ins nasse Laub fährt, wie ein vertrautes Musikstück sich in einem südlichen Land ganz anders anhört oder wie man im Café den zwangsweise mitgehörten Gesprächen über Krankheiten nicht entgehen kann, „die ihren Weg ins Ohr finden wie die Würmer ins Obst“. Um die Frage, warum Männer mit der Zeitung aufs Klo gehen, warum die Deutschen keine Kurzgeschichten mögen, um einen sehr komischen Dialog mit einem Ei oder ein Filmzitat von Jack Nicholson: „Wind in den Haaren und Stahl in der Hose.“
Alle Oberfläche ist Ingrid Mylo ein Graus. Sie will Seele und Herz und Tiefe, Ernsthaftigkeit, Ehrlichkeit, keine Kompromisse, wirkliche Anstrengung. Keine Faulheit der Gedanken und Gefühle. Diese Radikalität kommt meist sanft
und elegant daher, manche Texte aber zeigen die Krallen. „Staubige Brüder“ zum Beispiel: „Viele der Männer, die sonntags auf den Schallplattenbörsen die Kästen mit dem Jazz aus den 1940er, 50er Jahren durchwühlen, haben etwas Verwahrlostes an sich. Etwas von einem geprügelten Hund… (Sie sind) Männer, die auf ihre sanfte Art etwas anderes vom Leben wollten und gescheitert sind. Männer ohne Gier, ohne Durchsetzungsvermögen, ohne Humor, melancholische Männer, die mit Frauen nicht wirklich etwas anfangen können. Sie haben aufgegeben, diese Männer, und jetzt hausen sie in der Jazzmusik wie Penner in Bretterverschlägen.“
Bibliophil und kostbar ist das auf 111 Exemplare limitierte, gerade als Pariser Privatdruck erschienene „Masken und Mandarinen“ mit 56 Texten von Ingrid Mylo und 56 Fotos von Frank Horvat. Der 81jährige Magnum- und Vogue-Fotograf hat für eine kompromisslose Druckqualität gesorgt, das Wunschprojekt der beiden „entstand ohne Unterstützung und Beeinträchtigung durch Verlage, Institutionen oder Stiftungen“.
Autor: Alf Mayer
Text: veröffentlicht unter www.glanzundelend.de
Glanz & Elend, Magazin für Literatur und Zeitkritik
Kaffeeblüten Verlag Jenior & Pressler, Kassel 1994
Katherine Mansfield Verlag Neue Kritik, Frankfurt am Main 1998
Das Treppenhaus und andere Landschaften Verlag Das Arsenal, Berlin 2004
Männer in Wintermänteln Das Arsenal, Berlin 2009
Masken und Mandarinen(Zusammen mit Frank Horvat) Only For Few, Paris 2009
- Katherine Mansfield / Ingrid Mylo:„Alles, was ich schreibe – alles, was ich bin. Texte einer Unbeugsamen.“ - 13. Februar 2023
- Richard Condon: The Manchurian Candidate - 18. Januar 2017
- Ross Macdonald – einer der besten amerikanischen Kriminalautoren des 20. Jahrhunderts - 22. September 2016
Schreibe einen Kommentar