src=“http://www.getidan.de/wp-content/uploads/2011/04/Peter_Temple.210.jpg“ alt=“Peter Temple“ width=“210″ height=“242″ />
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„Sind wir fertig?“, sagte Koenig „Ich bin ein beschäftigter Mann.“
„Wir sind nicht fertig, nein, keineswegs“, sagte Villani. „Aber wir können dieses Gespräch auch unter anderen Umständen durchführen.“
„Heißt das, wir können das hier machen oder auf dem Revier? Was für ein Klischee.“
„Das ist unser tägliches Brot“, sagte Villani.
„Ich bin ein Staatsminister, haben sie das begriffen, Detective?“
„Ich bin ein Inspector. Vom Morddezernat. Habe ich das nicht erwähnt?“
In einem exklusiven Appartement in den Docklands von Melbourne liegt die Leiche einer übel zugerichteten jungen Frau, einer Prostituierten. Der Minister ist hoch verdächtig, er war der letzte Kunde, aber es wird über 470 Seiten brauchen, bis der Mörder wirklich ermittelt, die Wahrheit gefunden ist.
Die Wahrheit – wir sahen das gerade bei dem für jeden (der es sehen will) offenkundigen Internet-Nachweis des fassungslos machenden Guttenberg-Mega-Plagiats – hat nichts Triumphales, sie kann schäbig sein. Peinlich. Oder bitter. Mit Nachgeschmack. Besonders, wenn sie zu spät zu ihrem Recht kommt.
Es ist ein großes Wort, das der erfahrene Schriftsteller Peter Temple als Titel seines neunten Romans gewählt hat. Wahrheit, das ist eine altmodisch große, eine altmodisch moralische Fragestellung. Eigentlich ist es die Ur-Überschrift aller Kriminalromane, der Kern, um den alle seriöse – auch schriftstellerische – Ermittlung und Erkundung kreist.
Inspector Stephen Villani, eine Nebenfigur in Temples großartigem Buch „Kalter August“ (Goldmann Verlag, 2008), steht hier im Mittelpunkt. Seine Ehe ist zerrüttet, die Tochter auf schiefer Bahn und zusehends entfremdet, eine Affäre mit einer Journalistin nicht richtig hilfreich, die Kollegen unterschiedlich loyal oder gar verfeindet, die Beziehung zum Vater und zu den Brüdern kompliziert, das Jobangebot eines reichen Mannes beleidigend, weil der damit sein Schweigen kaufen will, die Welt eben kein Zuckerschlecken – und dann dieser Mordfall, der den Mächtigen, Reichen und Zynischen der zweitgrößten australischen Stadt peinlich und lästig ist.
„Man will nicht, daß irgendeine Nuttengeschichte ein Multimillionen-Dollar-Projekt beschädigt, ein Vorzeigeprojekt, ein Kronjuwel dieses Bezirks.“
Villani sah weg, auf die Leute, die sich über die teuren Häppchen, den französischen Champagner hermachten.
„Man findet jeden Tag tote Schlampen, stimmt’s, Inspector?“
Villani hörte zu.
„Hundescheiße an den Schuhen der Gesellschaft.“
Das schöne Mädchen in dem Badezimmer im Tower-Appartment, die offenen Handflächen, das gebrochene Genick, immer und immer wieder nach hinten gerissen, bis der Mann hinter ihr die Befriedigung fand, die er suchte, dachte Villani.
Mit den Inhaltsstoffen eines Romanes zu überzeugen versuchen, das hat immer etwas von einer 50:50-Chance. Es springt entweder ein Interessensfunke über oder es wurden nur Belege dafür geliefert, dass dieses Thema doch bitte gar nicht von Interesse sei. Peter Temple aber ist kein Autor aus der zweiten oder dritten Reihe, seine Romane gehen nicht „über ein Thema“, sie schürfen in der Gegenwart unserer geldbestimmten, arbeitsteiligen, in vieler Hinsicht korrupten Welt, begreifen ihre Protagonisten als soziale Wesen mit Familie und Wünschen und Defiziten. Temple hat auch ein Verstehen davon, was ein Organisationsapparat wie die Polizei mit den Menschen anstellt, die für ihn arbeiten, was eine Arbeit wie die der Polizisten mit den Menschen macht, die sich ihr
aussetzen und sie gut machen wollen.
Gerechtigkeit für die Toten. „Wir sind die Einzigen, die ihnen Gerechtigkeit verschaffen können. Das ist unser Auftrag. Das ist unsere Berufung“, sagt ein alter Inspector. Und an anderer Stelle:
„Wenn das Mitgefühl dich verläßt, mein Junge, dann ist es Zeit, aufzuhören. Dann hast du aufgehört ein richtigerMensch zu sein.“
Wer Kriminalromane als „painting by numbers“ versteht, als mäßig kluge Rätsel, bei denen es für eine Lösung „nur“ die Punkte zu verbinden gilt, der wird bei Peter Temple nicht fündig. Weder in der Komplexität seiner Welt noch bei seinem Stil – der in seiner partiellen Stakkatohaftigkeit, seiner entschlackten Sprache und der Radikalität, Konflikte genau zu benennen, beim Lesen manchmal den Atem stocken lassen kann. Für mich war das Leseerlebnis von „Wahrheit“, wie von einem Schmiedehammer getroffen zu werden, ein tiefes Innehalten dann beim Zuklappen der Deckel – und das Wissen, daß dies ein Buch ist, das man wieder lesen wird.
Es ist etwas Universelles, woran Peter Temple bei seiner Erkundung des moralischen Grundes unserer Gesellschaft rührt. Gleichzeitig ist sein Buch auch das präzise Porträt einer Stadt (Melbourne), eines Landes (Australien) und eines Sommers, in dem die Buschfeuer wüteten.
Dieser Ansicht bin nicht nur ich (von der privaten, kleinen Empirie eines längeren Melbourne-Aufenthaltes gestützt) und ist nicht nur die australische Presse. Peter Temple, der 1977 im Alter von 32 aus Südafrika einwanderte, ist der erste Kriminalschriftsteller, der mit dem prestigeträchtigen Miles Franklin Award, den australisch höchstmöglichen literarischen Weihen ausgezeichnet wurde: für seinen Roman „Wahrheit“. Bei der Preisübergabe scherzte Temple, daß der erste Miles-Franklin-Preisträger, der Nobelpreisträger Patrick White („Voß“), es sich wohl nie hätte träumen lassen, dass eines Tages ein Kriminalroman als literarisches Werk gepriesen werden würde.
Wenn man die Wahrheit sucht, meint Peter Temple, wird man eine ganz andere finden, als die erwartete. Wenn es dabei eine Wahrheit gibt, dann wird es eine der Gefühle sein. Dabei kommt es nicht auf das Detail an, sondern auf die Tatsache, daß sie zu dir gesprochen hat. Dass du verstanden hast, worum es geht.
Text: Alf Meyer
Bild: Peter Temple (Bildquelle)
Die Romane Peter Temple:
Bad Debts (1996)
An Iron Rose (1998)
Shooting Star (1999)
Black Tide (1999)
Dead Point (2000)
In the
Evil Day/ Identity Theory (2002)
White Dog (2003)
The Broken Shore (2005, Kalter August, 2008)
Truth (2010, Wahrheit 2011)
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