Auffallend talentierte Regisseurinnen zeigen Menschen in schwierigen Zeiten …

 

Über das gerade zu Ende gegangene Filmfestival KVIFF

Das Filmfestival von Karlovy Vary zählt zu den ältesten Filmfestivals der Welt – sein Publikum jedoch ist auffallend jung. An die 10 000 rucksacktragende tschechische Studenten bestimmen in den zehn Tagen im Juli das Stadtbild, schauen Filme und machen dort Party, wo sonst Adel aus ganz Europa und reiche Russen sich in den 5-Sterne Hotels treffen. Mit einem günstigen Dauerticket und der Garantie auch bei ausverkauften Vorstellungen noch Einlass zu finden herrscht statt der nervösen Energie anderer Festivals hier Gelassenheit und Entspannung. In den gepflegten Grünanlagen wir gepicknickt, dabei goutiert man dann nicht unbedingt das schwefelig schmeckende Heilwasser, sondern das gut gezapfte Krusovice und die weltberühmten Karlsbader Obladen. So viel zur Atmosphäre in dem bereits von Goethe und Beethoven favorisierten barocken Kurort kurz hinter der deutschen Grenze. Und die Filme?

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Aushängeschild ist seit dem Neubeginn des Festivals in den 1990er Jahren die Reihe „East of the West“ mit Filmen aus den ehemaligen Ostblockstaaten. Und auch das Hauptprogramm lieferte zahlreiche Entdeckungen aus dem osteuropäischen Raum. Hier konkurrierten zwölf Weltpremieren, davon sieben osteuropäische, um 23 000 Euro Preisgeld und eine ziemlich aus der Zeit gefallene Trophäe, in Form einer nackten Frau, die einen Globus hält. Das obskure Objekt der Begierde ging am Wochenende an den bereits im Vorfeld favorisierten ungarischen Beitrag „Its not the Time of my Life“. Szabolcs Hajdu sicherte sich jedoch nicht nur den Hauptpreis des Festivals, sondern wurde gleichzeitig auch als „Bester Hauptdarsteller“ ausgezeichnet. Der Film, der ausschließlich im Haus des Regisseurs spielt und mit den eigenen Familienmitgliedern besetzt ist, erzählt die Geschichte einer unerwarteten Familienzusammenführung (Arbeitsemigration von Ost nach West und zurück), die unausgesprochene Konflikte an die Oberfläche bringt. Der deutsche Wettbewerbsbeitrag hingegen „Gleißendes Glück“ von Sven Taddicken („Emmas Glück“, 2006), prominent besetzt mit Martina Gedeck und Ulrich Tukur, mußte sich trotz großen Zuspruchs mit Auszeichnungen in den Nebensektionen begnügen: mit dem Preis der internationalen Filmkritik (FIPRESCI) und dem Europa Cinema Label-Award. Der zweitwichtigste Preis des Festivals, der große Spezialpreis der Jury, ging an ein russisches Außenseiterdrama „Zoology“ (R.: Ivan Tverdovsky). Einer verklemmt wirkenden Zooangestellten, die zurückgezogen mit ihrer Mutter lebt, wächst plötzlich ein langer Schwanz. Die körperliche Transformation ist Anstoß ihr Leben zu ändern. Die surreale Parabelhaftigkeit fand offensichtlich Liebhaber. Natalia Pavlenkova, der hervorragenden Hauptdarstellerin, wäre es jedoch sicher auch ohne computeranimiertes Anhängsel gelungen das Thema Ausgrenzung und Konformitätsdruck überzeugend darzustellen. Große Zustimmung beim Publikum erhielt die Auszeichnung von Zuzana Mauréry für ihre genial-zynische Darbietung im tschechischen Wettbewerbsfilm „The Teacher“, einer auf Tatsachen beruhenden Sozial-Satire über eine Grundschullehrerin in der kommunistischen Ära der 1980er Jahre.

Eine Entdeckung, die leider keinen Preis erhielt, war der polnische Debut Spielfilm „Waves“, der von einer intensiven Freundschaft zweier junger Friseusinnen handelt, die mit ihren Herkunftsfamilien, ihrem Berufs- und Frauenbild hadern. Der Film des jungen polnischen Regisseurs Gregorz Zariczny ist sowohl ein überzeugendes Generationenportrait wie eine präzise Sozialstudie. Gedreht in einem tristen Vorort von Krakau erinnert er stilistisch mit seinen ruhigen Einstellungen (Kamera: Weronika Bilska), der gekonnten Mise-en-scène und dem dichten Spiel der Laiendarstellerinnen an die „new wave“ Bewegung des osteuropäischen Films der 1960er Jahre.

Die Preise der Jury in der Sektion „East oft he West“ gingen erfreulicherweise gleich an zwei osteuropäische Filmemacherinnen. Die georgische Regisseurin Rusudan Glurjidzes war die Festivalüberraschung schlechthin: ihr Film „House of Others“ erhielt den Hauptpreis der Jury, ein atemberaubend reifes Werk, formal virtuos. Vor dem Hintergrund des georgischen Bürgerkrieges der 1990er Jahre erzählt die Regisseurin ihre eigene Geschichte. Die Schatten der Vergangenheit, der Verlust von Heimat und Identität und die Schwierigkeiten eines Neubeginns in eine unklare Zukunft hinein werden in seltsam rätselhaften und an Tarkovsky erinnernde Bilder erzählt. Der Spezialpreis dieser Sektion ging ebenfalls an einen Debütfilm, an „The Days that Confused“, der Estin Triin Ruumet. Der Film über Probleme und Konflikte der estnischen Provinzjugend wurde in ihrem Heimatland bereits zu einem Hit.

Karlovy Vary macht also zweierlei eindrücklich klar: wie stark und eigenwillig das osteuropäische Kino ist, und wie wenig davon in unseren Lichtspielhäusern ankommt. Beispielhaft hierfür auch der in Karlsbad in der Reihe „Tschechische Filme 2015-2016“ gezeigte Film von Petr Vaclav „We Are Never Alone“. Leider nur im diesjährigen Forum der Berlinale konnte man diesen bizarren Beziehungsreigen mit großartigen Schauspielern (wie unter anderem den berühmten Karel Rodan) sehen, in dem es wieder um biografische Brüche, um Identitätssuche und um ein Leben unter veränderten, brutal-kapitalistischen Verhältnissen geht.

“It's Not the Time of My Life” Wins The Crystal Globe at the 51st KVIFF 800

© KVIFF | Szenenbild aus „It´s Not the Time of My Life“

Und auch Karlovy Vary hatte seine Starrummel: angereist kamen der US-Amerikaner Willem Dafoe, der für sein Lebenswerk den Kristallglobus in Empfang nahm, sowie Jean Reno, der unter großem Beifall den Sonderpreis des Festivalpräsidenten für außerordentliche Verdienste um das Weltkino erhielt. Sichtlich überrascht zeigte dieser sich über das Gewicht der nackten Dame, und man darf jetzt schon gespannt sein auf den nächsten Festival Trailer, der die jeweiligen Stars und ihr Verhältnis zum Kristallglobus auf die Schippe nimmt (siehe KVIFF Official Festival Trailers im Internet).

Text und zwei Fotos Daniela Kloock