Über eine zornige Zeitschrift für Film aus München
Schon einmal träumten in München respektlose junge Filmemacher vom Aufbruch. Im Hinterzimmer eines Chinarestaurants erklärten sie Papas Kino für tot. Sie protestierten gegen den Muff, die Biederkeit, Seichtigkeit und Geschichtsverleugnung der älteren Filmemacher-Generation. Im Februar 1962 wurde ihr Konfrontationskurs im sogenannten Oberhausener Manifest verschriftlicht. 26 Filmemacher unterzeichneten, darunter Edgar Reitz, Alexander Kluge und keine einzige Frau. Sie wollten den neuen deutschen Spielfilm kreieren, einen Film jenseits von branchenüblichen Konventionen und wirtschaftlichen Maßgaben. Noch 17 Jahre später konnte eine Hamburger Erklärung die Stärke des Neuen Deutschen Films und den Zusammenhalt dieser produktiven Filmszene behaupten. „Wir lassen uns nicht auseinanderdividieren“, so Rainer Werner Fassbinder, Hans W. Geißendörfer, Wim Wenders, Hannelore Hoger oder Margarethe von Trotta, um nur die Prominentesten zu nennen. Die Manifeste und Erklärungen – in den Jahren dazwischen und danach gab es noch einige andere – waren einerseits Versuche einer politischen Vergangenheitsbewältigung und andererseits verdeutlichten sie den Wunsch der kommerziellen Vorherrschaft über die Bilder Alternativen entgegenzusetzen. Es ging außerdem – zumindest auf dem Papier – darum einen umfassenden Begriff des Mediums Film zu entwickeln und sich aus überkommenen Rastern, Typen und Schemata zu lösen. Gleichzeitig war das Ganze auch eine Form der Selbstinszenierung. Die Filmemacher taten so, als wären sie eine Gruppe, ein Kollektiv. Die inneren Widersprüche und Konflikte des sogenannten „Neuen Deutschen Films“ aufzuarbeiten und der Frage nachzugehen, wie und warum diese filmpolitische Bewegung sich auflöste, bleibt der Filmwissenschaft überlassen.
Für die Feuilletons markiert der Tod Fassbinders den Beginn einer Leere, die den bundesdeutschen Film, aber auch die bundesdeutsche Filmkultur als Ganze, bis in die späten 90er Jahre charakterisiert. Jegliche inhaltliche, geschweige denn politische Relevanz schien verloren, der Autorenfilm begraben. In den Kinos liefen Beziehungskmödien und Ballermannfilme. Dies war die Ausgangssituation für die damaligen Filmstudenten. Doch dann ist wieder Bewegung in die Filmszene gekommen. Die Themen wurden politischer, realistischer, die inhaltliche und stilistische Bandbreite größer. Hierfür stehen Namen wie Thomas Arslan, Christian Petzold, Angela Schanelec oder Christoph Hochhäusler. Letzterer hat zusammen mit Nicolas Wackerbarth, Benjamin Heisenberg und anderen 1998 eine Zeitschrift gegründet.
„Revolver“ ist eine Zeitschrift für Film, die sofort ins Auge fällt. Nicht nur weil sie so handlich ist und in jede Jackentasche paßt, sondern auch weil sie besonders liebevoll gestaltet ist. Kein Wunder, dass es dafür bereits einen Designpreis gab. “Revolver“ ist handlich aber nicht handzahm, die Macher wirken kämpferisch, weshalb die FAZ sie schon als „junge Krieger“ bezeichnete. Und das sind ihre erklärten Ziele: Sie wollen frischen Wind in die “eifersüchtige Clique“ der Filmemacher bringen, diese zu Positionierungen animieren, zu Diskussionen anregen, um die Isolierung der einzelnen Künstler zu durchbrechen. Sie wollen die Lücke zwischen Machern und Konsumenten schließen, denn die Zeitschrift versteht sich als Forum des Gedankenaustauschs. Der Leser wird aufgefordert, sich mit eigenen Artikeln einzumischen. Last but not least wenden sich die Herausgeber auch gegen eine oberflächliche und ängstliche bundesdeutsche Filmkritik, der die Passion für den Gegenstand abgeht und die für tiefsinnige Fragen weder die Zeit noch die Kompetenz hat.
„Revolver“ schießt also scharf: auch auf ein Genrekino mit all seinen festgelegten Grenzen, auf das marktwirtschaftliche Kalkül in der Filmproduktion, auf die Plots der meisten Filme, die “zu Dienstleistungsstrukturen verkommen“ und zu „gezähmten Abenteuern im Paradies der Onanisten“ werden. „Revolver“ liebt die großen Vor-Worte, in denen vollmundig erklärt wird, dass hier Grenzen eingerissen und fundamentale Fragen gestellt werden. Die klingen dann so: „Wie sollen wir leben, wie sollen wir lieben, welche Geschichten brauchen wir?“ (Vorwort Heft 5). “Revolver will Großes, will Visionen, will eine neue Gesellschaft, eine neue Liebe, einen neuen Film“ (Vorwort Heft 5), will „warme Körper im Kino und Menschen, die nachfühlen können, was anderen zugestossen ist“ (Heft 7).
Mittlerweile liegt Heft 22 vor. Das inhaltliche Konzept hat sich nicht verändert. In jedem Heft gibt es kurze Klassikertexte. Antonioni, Visconti, Rivette, Wilder oder Cassavetes äußern sich in Originaltexten, die häufig das erste Mal in deutscher Sprache zu lesen sind, aber auch Texte von hierzulande völlig Unbekannten, wie beispielsweise von Bruno Dumont, der in Cannes 1999 für „L´Humanité“ den großen Preis der Jury erhielt (Heft 6). Hauptsächlich dominieren jedoch ausführliche Interviews u.a. auch mit so großen Namen wie David Lynch oder Wim Wenders. Die Herausgeber verstehen sich nicht als begnadete Artikelschreiber, sie lieben den Dialog, das erfrischende Gespräch und sie nehmen sich Zeit dafür. Das scheint sich auch auf die Gesprächspartner zu übertragen, die dann Erstaunliches und zuweilen auch Verstörendes äußern. Stellt man sich all die film-engagierten Personen mit ihren völlig unterschiedlichen Ansichten an einem Tisch vor, wird plötzlich klar, wie breitgefächert, lustvoll und fruchtbar ein Nachdenken über Kino sein kann. Und man ahnt, warum „Revolver“ gerne das Dictum von Picabia zitiert: „Der Kopf ist rund, damit die Gedanken die Richtung wechseln können.“
Text: Daniela Kloock
Unter www.revolver-film.de kann man sich einen Überblick über die Hefte verschaffen und dort sowie beim Verlag der Autoren abonnieren. Das Heft erscheint zweimal im Jahr und kostet 6 Euro.
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