Das Filmfestival Locarno widmet 2012 seine große Retrospektive Otto Preminger. Er war ein Despot, doch das Publikum liebte ihn.

 

Otto der Schreckliche

Otto Preminger (1905-1986) studierte Jura und Schauspiel in Wien, mit 30 Jahren wanderte er in die USA aus, wo er rund vierzig Filme drehte.

Manchmal lässt sich über einen Menschen nur Schlechtes sagen. Zum Beispiel über den Filmregisseur Otto Preminger (1905-1986). Er war ein Choleriker und Despot. Zu den Schauspielern war er kalt und brutal. Seine Frauen behandelte er wie Dreck. In Hollywood hieß er Otto der Schreckliche. Joan Crawford – die ihn verehrte – sagte in ihrer hemmungslos pointierten Art: «Er ist eine Art jüdischer Nazi.»

Otto Preminger war Sohn eines hochrangigen ostjüdischen Beamten und emigrierte 1935 von Wien nach Amerika. Er begriff sich nie als Künstler, sondern als Massenunterhalter, sein Ziel war, seine Filme rechtzeitig zu Ende zu bringen und nie ein Budget zu überschreiten, privat liebte er den Protz und möglichst viele Picassos an den Wänden. Über Kritiker sagte er 1972: «Der Kritiker ist nicht die Sorge des Filmemachers, die Macht des Kritikers ist bei einem Massenmedium nicht so groß.» Die amerikanischen Kritiker, die ihn zu Lebzeiten selten liebten, hatten ihn provoziert: «Die ranzige und halbschlaue Atmosphäre suggeriert, dass Otto Preminger gerne Pornofilme machen würde», schrieb die große Pauline Kael 1971 über «Such Good Friends». Sie hatte zu diesem Zeitpunkt ganz sicher recht.

Sexualität als Schicksal war schon immer Premingers Lieblingsthema gewesen, aber erst in den 70ern wagte er auch so richtig, nackte Leiber zu zeigen. In «Rosebud» (1975) etwa, einer unendlich weit verzweigten, trashigen Story über einen Agenten, der im Zuge des israelisch-palästinensischen Konflikts fünf entführte Milliardärstöchter retten soll, ließ es sich Preminger nicht nehmen, die fünf Mädchen (darunter Isabelle Huppert und Kim Cattrall, die Samantha aus «Sex and the City») splitternackt auf dem Deck einer Jacht paradieren zu lassen.

 

Soziale Kälte

Kaum jemand mochte Otto Preminger, doch das Publikum verschlang seine Filme. Und die Franzosen liebten ihn. Die Kritiker der «Cahiers du cinéma» bejubelten Preminger schon Anfang der 50er-Jahre als Regisseur mit einer einzigartig entschlossenen und physisch erfahrbaren Bildarchitektur. Und als Jean-Luc Godard 1960 «A bout de souffle» drehte, sagte er, sein Film sei bloß die Fortsetzung von Premingers «Bonjour Tristesse» (1958). Wie in «Bonjour Tristesse» besetzte Godard die Hauptrolle mit der bezaubernden Jean Seberg. Preminger hatte sie einst als 17-jährige Kleinstadtschönheit aus Iowa entdeckt.

Jean Seberg spielt in der Verfilmung von Françoise Sagans Kultroman für schwermütige Gymnasiastinnen Cecile, das von Geld und Langeweile verdorbene Töchterchen eines Frauenhelden (David Niven). Es ist eine quasiinzestuöse Vater-Tochter-Beziehung, die da unter der heißen Sonne der Côte d’Azur vor sich hin schwelt, empfindlich gestört allerdings von den diversen Geliebten des Vaters, vor allem von der emanzipierten Modedesignerin Anne (Deborah Kerr). Es erwacht da in Cecile die Baby-Femme-fatale, in einem teuflischen Plot rast die Idylle in eine Katastrophe, gebrochen und erkaltet finden sich Vater und Tochter im Vergnügungsstrudel von Paris wieder, die Bilder erstarren jetzt in schwarz-weiß, das Sommerbunt, das über dem Kammerspiel am Meer lag, ist jetzt tot.

Natürlich quälte Otto Preminger die unerfahrene Jean Seberg während der Dreharbeiten, stauchte sie bei Tag immerfort zusammen, lud sie abends dafür ins teuerste Restaurant ein, um sie tagsüber wieder mit hochrotem Kopf anzuschreien. Das Resultat, man muss es leider gestehen, ist allerdings ein wunderbarer Film, sein Look ist in Zeiten retrosüchtiger Hipstamatic-Junkies absolut betörend, die Geschichte ist eine kühle Frivolität aus dem Fundus sommerlicher Ferienflirts, die drei Hauptdarsteller ein Genuss. Was für eine tolle Idee, den Film in Locarno auf der Piazza Grande zu zeigen.

Eine omnipräsente soziale Kälte war nicht nur in «Bonjour Tristesse» oder seinem fiesen Film noir «Angel Face» (1952, schon da übte sich eine reiche Vatertochter in teuflischen Manipulationen) präsent, sie zieht sich durch Premingers gesamtes Schaffen. Er war der große Desillusionist seiner Zeit, der Zyniker, der Sarkastische, er hasste Kitsch und Sentimentalität, und gerade das hat seine Filme so blendend für ein Publikum von heute konserviert.

In «Laura» (1944) etwa, seinem schönsten Film noir um eine verschwundene Werberin (Gene Tierney), hetzt er eine Horde spitzzüngiger und egomaner New Yorker Socialites aufeinander, die alle von sich sagen, Menschen ohne Herz, aber mit Geld zu sein. Am allerkältesten ist jedoch die elitärste aller Gesellschaften, die Preminger je in einem Film porträtiert hat, nämlich die Leitung der katholischen Kirche. «The Cardinal» (1963) ist ein dreistündiges, anekdotisch ausfransendes Monster über einen katholischen amerikanischen Priester, der im Lauf der Jahrzehnte zum Kardinal wird, der in Amerika den Ku-Klux-Klan und in Europa den Nationalsozialismus erlebt und der sich selbst im Namen Gottes wieder und wieder schwer versündigt, vor allem gegen Frauen (etwa Romy Schneider).

Es ist – bei allen schwer konsumierbaren Längen, die der Film hat – eine sehr interessante, gewagte dialektische Auslegeordnung über Glauben, Irrglauben, Machtstrategien und Politik. Vor allem aber ist «The Cardinal» einer jener institutionskritischen Filme, die Preminger so sehr liebte und die in seinem Meisterwerk «Anatomy of a Murder» (1959) ihren Höhepunkt fanden. James Stewart seziert da als Provinzanwalt einen Mord, der als Racheakt einer Vergewaltigung stattgefunden haben soll, es ist ganz egal, ob am Ende Recht oder Unrecht gewinnt, die Hauptsache ist die virtuose Prozessführung und die Skandalisierung der Jury, die mit Begriffen wie «Unterhose» und «Sperma» bombardiert wird. 1959 galt dies als anstößige Zumutung, James Stewarts Vater riet öffentlich dazu, den Film zu boykottieren.

Je grösser die Stars waren, desto mehr ließ sich auch Preminger von ihnen gefallen, bei den Dreharbeiten zum Western «River of no Return» (1954) ging Marilyn Monroe gerade an Krücken und brachte ihre gefürchtete Method-Acting-Aufpasserin mit, und Robert Mitchum soff. Der einzige kooperative Lichtblick war da der Kinderdarsteller, aber der wurde von Monroes Coach dermaßen zusammengestaucht, dass er auch bald nicht mehr zu gebrauchen war. Dass dabei dennoch eine einigermaßen vergnügliche Nachhilfestunde in Riverrafting herausgekommen ist, grenzt an ein Wunder.

 

Die Liebe zieht von Herz zu Herz

Vor allem aber ist da die Musik, und Preminger, der Massenunterhalter, hatte ein untrügliches Gespür für die süßen Lockrufe aus dem Mund schöner Frauen. Noch nie war Bizets «Carmen» so sexy wie in Premingers Opern-Adaption «Carmen Jones» (1954). Premingers damalige Geliebte Dorothy Dandridge und Harry Belafonte sind das schöne, tragische Liebespaar in dieser ausschließlich mit Schwarzen besetzten Opern-Adaption, das spanische Melodram wird da kühn in die Tradition der amerikanischen Harlem-Renaissance übersetzt, diesen stolzen schwarzen Vorgänger der heutigen Hip-Hop-Kultur.

Carmen Jones und ihre Freundinnen betrachten Männer zuallererst als «Bank». Marilyn Monroe singt todtraurig vom «Silver Dollar», der die Hände wechselt, so, wie die Liebe die Herzen wechselt. Otto der Schreckliche, der selbst am liebsten Affären mit Stripperinnen unterhielt, wollte das so. Und er hat seinen Filmen mit seiner harten Illusionslosigkeit die Ewigkeit gesichert.

 

Simone Meier, Tages Anzeiger 27.07.2012

Bild: Otto Preminger CC BY-SA 3.0  Allan warren