Baumärkte, Discounter, Online-Secondhand-Plattformen, vermüllte Straßenränder, Stände, an denen Kunsthandwerk an Touristen verkauft wird: für Erik Weiser sind dies Orte der Verzauberung und der Möglichkeiten. Weiser hegt eine Vorliebe für Treibgut, gebrauchte Waren und Discountprodukte. Diese Neigung ist keineswegs abwertend gemeint. Wo andere lediglich Nichtigkeiten und Abfall sehen, der schnell entsorgt werden soll, erblickt er Schönheit und Potenzial.
Transformation ist ein Leitmotiv, das sich durch sein gesamtes Œuvre zieht, sowohl beim Motiv als auch bei der Entstehung der Werke, die aus einem experimentellen Prozess der Erkundung, Auseinandersetzung und Neuerfindung hervorgehen. Das Material ist der Ideengeber. Alltägliche Gegenstände werden durch Zerlegung, Schmelzen, Zusammensetzen, Schichtung, Nähen, Schrauben und Veredlung zu Kunstwerken umgestaltet und umgedeutet. Der Erfolg der Werke ist ebenso auf handwerkliches Können und Liebe zum Detail zurückzuführen wie auf Humor und Überraschung.
In der Werkreihe „Coleoptera“ hat Weiser Spielzeugautos unter einer 30-Tonnen-Presse zerquetscht und in zahlreiche Einzelteile zerlegt. Anschließend setzte er die niedergeschmetterten Autos in aufwendiger Feinarbeit leicht verändert wieder zusammen. Dabei entstanden keine reparierten Autos, sondern einzigartige Insekten. Frisch lackiert wurden die entstandenen Käfer und Fliegen von „Oberea Oculata“ überwacht, einem entsetzlich großen, mutierten Insekt, das aus einer Simson Schwalbe aus DDR-Produktion wiedergeboren wurde.
In den „Reflexio“ Arbeiten werden Reflektoren von Warndreiecken, Fahrrädern, Baustellenabsperrungen und Schulranzen wiederverwendet, die meist gebraucht bei eBay gefunden wurden. Weiser war von der Schönheit des reflektierten Lichts fasziniert, fast wie ein mittelalterlicher Alchemist, wenn er in die Zukunft hätte sehen können. Aus diesem Material sind zwei verwandte Werkgruppen entstanden: zum einen wandmontierte oder hängende Skulpturen, bei denen die Reflektoren wie ein dreidimensionales geometrisches Puzzle zusammengesetzt und mechanisch verschraubt wurden, und zum anderen Bilder, in denen die Reflektoren im Gießharz schwimmen und eine magisch-illusionistische Tiefe hinter der Bildoberfläche erzeugen.
Die Idee für die Serie „Replay“ entstand aus Weisers Faszination für einen zerfledderten Fußball, dessen Haut halb aufgerissen war und den er während eines Unwetters in einem Flussbett angespült fand. Sein Inneres war zart und abgenutzt zugleich und offenbarte im Moment des Zerfalls die geometrische und materielle Zusammensetzung des Balls. Weiser begann, solche zerschrammten und ramponierten Fussbälle zu sammeln, sie zu reinigen und zu trocknen, bevor er sie sorgfältig auseinandernahm und anschließend die einzelnen Flächen in zweidimensionalen geometrischen Mustern neu zusammenlegte, wobei er die geheimnisvolle Innenseite des Balls aus seinem früheren Leben nach außen kehrte.
In „MIMIKRY“ sind die Endoskelett-ähnlichen Teile von sezierten Fußballschuhen zwischen Glasscheiben eingeklemmt; in ihrer Gesamtheit ähneln die Schichten dreidimensionalen Fischen, die in dem zweideutigen grünen Licht des geschichteten Glases schwimmen. Die „Objekte“ sind aus überflüssigen und kaputten technischen Geräten und ausrangierten Haushaltsgegenständen hergestellt. Aus verschmolzenen Autorückleuchten werden Blüten. Anstatt Worte zu bestimmen, formen Taster von ausrangierten Computern eine Satellitenschüssel, um sie zu empfangen. In U-MOVE werden U-Bahn-Karten von den Geografien, die sie beschreiben sollen, entfremdet, indem Stationen entfernt und Städte überlagert werden. Die Karten werden zu reinen grafischen Designs, die für die Navigation unbrauchbar sind, dennoch versuchen wir uns aus Gewohnheit daran zu orientieren.
Weisers Kunstwerke verkörpern seine eigene Sichtweise auf die Welt und spielerische Interaktionen mit ihr. Es geht ihm ebenso sehr um die Wahrnehmung wie um die Bilder und Objekte, die aus der Umwandlung entstehen. In den Kurzfilmen findet die Transformation sogar allein durch die Betrachtung und die Aufnahme statt. Durch die Wertschätzung und Wiederverwendung von Müll und alltäglichen Gebrauchsgegenständen sowie deren „Upcycling“ zur Kunst öffnen seine Werke die Augen für die (oft verborgene) Schönheit der Umwelt und dienen als Anregung für einen kreativen, schonenden Umgang mit ihr. Dabei ist fast keine Spur von Naturromantik zu spüren – es geht hier um die (oft unbeabsichtigte) Schönheit der Welt, die wir Menschen geschaffen haben.
Alle Arbeiten Weisers entstehen aus seinen alltäglichen Erfahrungen und Begegnungen mit Menschen und seiner Umgebung. Der autobiografische Aspekt dieses kreativen Prozesses wird am deutlichsten in der Selbstporträtserie „40#me“, in der sich der Künstler mit vierzig improvisierten Kopfbedeckungen – ebenfalls aus Fundstücken – darstellt und dabei die vierzig Standard-Instagram-Filter verwendet, die jedem Influencer und Social-Media-Nutzer bekannt sind. Sein mürrisches Auftreten scheint seine düstere Stimmung widerzuspiegeln, während er sich mit den Absurditäten des modernen Lebens herumschlägt.
Durch die Verarbeitung und Umdeutung, wenn sie zur Kunst werden, erhalten bekannte Objekte eine neue Aura. Ihre bescheidene Herkunft bleibt jedoch weitgehend – wenn auch nicht immer – erkennbar. Indem sie oft humorvolle Verbindungen zwischen dem Ausstellungsort und dem Alltag herstellen, laden seine Kunstwerke das Publikum dazu ein, in einen Dialog zu treten, und schlagen damit Brücken zu den Welten außerhalb der Galeriewände. Die partizipative, performative Qualität dieser Interaktionen wird in Weisers abstrakten Werken am deutlichsten, wie beispielsweise in der Serie „Reflexio“, bei der sich das reflektierte Licht und die Farben mit jedem Schritt der Betrachterin oder des Betrachters verändern. In jüngeren, noch nicht ausgestellten Projekten hat Weiser begonnen, mit der Integration von Bewegungs- und akustischen Sensoren in seine Kunst zu experimentieren, um den Betrachter noch stärker in das Werk einzubeziehen.
Es gibt aber auch etwas leicht Irritierendes, ja Provokantes an Weisers Kunst. Die Arbeiten ergeben nur nach ihrer eigenen inneren Logik Sinn, die sich allerdings aus ihrer (ehemals) funktionalen Form ergibt. In ihren vorherigen Leben hatten die von Weiser verwendeten Gegenstände klare Umrisse. Man meinte zu wissen, was sie waren und wofür sie bestimmt waren. Durch ihre neue „Funktion“ als Kunst werden diese Vorstellungen jedoch in Frage gestellt – was bedeutet Funktionalität, Zweck und Bestimmung überhaupt? Ebenso wird die Frage aufgeworfen, was mit „Kunst“ gemeint ist. Was ist ihr Zweck?
Weisers Arbeit befragt also die Bedingung der Kunst selbst, ohne auf faule selbstreferentielle konzeptuelle Gesten zurückzugreifen. Es geht um die Formen und Regeln der Kunst, darum, was sie ausmacht und wo sie zu finden ist. In „Replay“ werden die Ledersegmente der weggeworfenen Fußbälle akribisch zu Hommagen an die Helden der Hochmoderne wie Rothko, Picasso und Miro. In Die Reinigung – Adam und Eva nach dem Sündenfall spucken Handtuchhalter Kunst aus. „Reflexio“ spiegelt nicht nur das Licht, sondern auch die Formen der modernen Kunst wider: Objets trouvés, Mobiles und abstrakte Bilder. Die Museologie einbeziehend, sind die Insekten in „Coleoptera“ in Vitrinen ausgestellt, wie man sie in einem Naturkundemuseum findet, und die Fische in „Mimikry“ schwimmen im grünen Licht hinter Glas, das an Herbarien erinnert. In den Kurzfilmen und in „40#me“ werden Gegenstände wie Müll und billige Konsumgüter nur für die Dauer der Aufnahme zu Kunst gemacht – obwohl eine andere Interpretationsweise wäre, dass die Kunst immer überall anwesend ist, aber von unserer Empfindlichkeit für sie abhängt.
Weisers Kunstwerke sind bunt und verspielt, bringen die Menschen zum Schmunzeln, doch je länger man über die Materialien wovon sie entstehen und die damit verbundenen Geschichten nachdenkt, desto mehr stellt man fest, dass sie nie nur lustig sind. Der Humor ist immer ein wenig düster. Seine Arbeiten evozieren Zerstörung und Verlust. In der Selbstportätserie „40#me“, Weiser lacht und schmollt nicht, wie es für den aufstrebenden Online-Selbstpublizisten üblich wäre. Man hat eher den Eindruck, dass er sich opfert, in dem er sich der digitalen Welt zur Verfügung stellt. Während die gefundenen Objekte, aus denen er die Kopfbedeckungen geformt hat, auf dem Kopf des Künstlers aufblühen und ihrer bescheidenen Herkunft trotzen, wird er selbst zu einer tragikomischen Schaufensterpuppe oder einem bloßen Sockel für die Präsentation von Kunst reduziert. Bei bestimmten Lichtverhältnissen scheinen die Reflektoren in Reflexio friedlich zu winken, aber ihre Signalwirkung löst auch einen Zustand erhöhter Wachsamkeit aus und evoziert Bilder von möglichen Unfällen und Verletzungen.
„Coleoptera“ offenbart beunruhigende Parallelen zwischen Insekten und Autos: den unheimlichen metallischen Glanz der Tiere sowie die Zerbrechlichkeit und Entbehrlichkeit unserer Blechkästen.
Zunächst mögen die Insekten lustig erscheinen, aber ihre missgestalteten Körper wecken auch unser Mitleid, und je länger man sie betrachtet, desto mehr werfen sie düstere Assoziationen auf: zerschmetterte Kindheitsträume, das Insektensterben, Unfälle und verstümmelte Körper – sowie die Zerstörungslust von Kindern, wenn sie Spielunfälle inszenieren. In „Paloma de la paz“ treffen Dartpfeile ein Angriffsziel, um die Gestalt einer Friedenstaube zu formen. Die kahlgeschorenen Plüschtiere in „Conserve“ erinnern auf unangenehme Weise an Leichen in einem Massengrab. Die Fußballschuhfische in „Mimikry“ erinnern an die zahlreichen angeschwemmten Schuhe, Sandalen und Flip-Flops, die die Strände Europas wie gestrandete Fische verschmutzen, oder an tote Ausstellungsstücke in einem Museum, während die Schuhe aus den sie entstehen Fragen aufwerfen zum Schicksal ihrer ehemaligen Besitzer.
Allmählich nimmt die heitere Farbigkeit von den Werken eine makabre Färbung an, und Weisers Blick auf die Welt beginnt ein wenig unheimlich zu werden. Es ist letztlich diese Schattenseite, die seine Kunst so fesselnd macht.
Ein Vergleich dieser Werke mit Weisers früheren Gemälden ist aufschlussreich. Der erste Eindruck ist, dass beide wenig miteinander zu tun haben: Während die Gemälde eine reiche Palette an Träumen, Märchen und Engeln heraufbeschwören und Geschichten erzählen, die in Parallelwelten aus Popkultur und Kinderbüchern angesiedelt sind, deutet Weisers späteres Werk immer nur an, dass es einen narrativen Inhalt hat. Gleichwohl gibt es gewisse Kontinuitäten. Verwandlungen, die mit Verlust und Zerstörung einhergehen, und die Subversion vertrauter Formen sind ständige Themen. Die Sujets der Gemälde sind aus dem Hier und Jetzt gegriffen und werden nicht nur mit Farbe, sondern auch mit Materialien aus dem Alltag umgesetzt, die Weiser in die geschichteten Oberflächen der Bilder integriert. Die leuchtenden, ja grellen Farben – ein weiteres Leitmotiv – haben mehr mit Baustellen, Schulhöfen und Werkstätten gemein als mit der erhabenen Welt der Kunstakademien.
Warum also der Bruch mit der bildlichen Darstellung? Weisers Gemälde sind beliebt, viele haben sich eine Rückkehr zum Medium gewünscht. Vielleicht ist er aber zu rastlos, um weiter zu malen. Vielleicht ist das Potenzial, das er in den Objekten um sich herum sieht, einfach zu unwiderstehlich. Vielleicht interessiert es ihn weniger, die Welt abzubilden, als aus der Welt Kunst zu machen. Vielleicht würde sich sein Erfindungsreichtum nie mit der bloßen Darstellung von Gegenständen begnügen, denn seine Faszination, Dinge zu zerlegen und in neuer Form wiederherzustellen, erfordert, dass er sie in den Händen hält.
Oder vielleicht ist es, wenn auch nur unterschwellig, die Irritation, die seine aus wiederverwendeten Gegenständen geschaffenen Kunstwerke auslösen – ihre Untergrabung der Funktion, ihre unaufrichtige Fröhlichkeit, ihre Weigerung, eine klare Botschaft zu vermitteln –, die ihn motiviert. Vielleicht geht es um die Provokation.
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mehr Informationen: www.erikweiser.de
Text: Timothy Wray https://timothywray.com/
- Erik Weiser und die Kunst der leichten Irritation - 19. Dezember 2024
20. Dezember 2024 um 12:47 Uhr
Ein unglaublich differenzierter und treffender Text! Da hat jemand etwas gesehen und in Worte fassen können, was in Eriks Werken aufscheint. So wird der Bezug, das Erkennen leichter und möglicher. Das ist wirkliche Kunst, weil sie mit Können und handwerklicher Exzellenz zu tun hat – nur diese Verbindung schafft Originelles und Einmaliges.
Eriks Kunst hat eine größere kundigere Öffentlichkeit verdient, vielleicht helfen der Artikel, die Ausstellungen da weiter.
Es ist die fast schon künstlerische Manie oder Besessenheit, die ihn in (fast) jedem Alltagsgegenstand etwas ästhetisch-wertvoll Einmaliges sehen lässt, unseren Alltagsaugen in der Regel verborgen.
Und seine Stärke, auch mit der manchmal ausbleibenden Resonanz stoisch umzugehen und sich und seiner Kunst-Vision treu zu bleiben. Da ist nichts Angemasstes oder Arrogantes – eher zurückhaltend Bescheidenes im Spiel. Deshalb passt der Titel so wunderbar. Hut ab vor dieser ungebändigten Energie, diesen Alltagsgegenständen Ihre Schönheit abzuringen ohne jemals dabei ins Fahrwasser von schein-künstlerischer Gefälligkeit zu geraten.
Das unterscheidet Erik von vielen seiner Künstler-Kollegen: keinem äußeren Erfolg oder Ideal nachzujagen sondern in der konsequenten Treue zu seiner individuellen Vision einer „alltagstauglichen Kunst“ durch nichts sich abbringen zu lassen.
Ich wünsche ihm den längst verdienten Erfolg dabei.