Karl May lebt – unter anderem in der Darstellenden Kunst.
Zweiter und letzter Teil der Buchbesprechung „Traumwelten. Bilder aus dem Werk Karl Mays“, 3 Bd., Karl-May-Verlag
Da klopfte es an, und als ich ein lautes „Fut!“ („Herein!“)
gerufen hatte, kam der Sejjid herein …
Karl May: Und Friede auf Erden!
„Wer liefert uns die Genresachen, / So rührend oder auch zum Lachen?“ fragt Wilhelm Busch in Maler Klecksel. „Wer wird vor allen hochgeschätzt? / Der Farbenkünstler! Und mit Grund! / Er macht uns diese Welt so bunt.“ Leuchtend bunt geht es vor allem bei Klaus Dill zu, einem Künstler, den die „FAZ“ für den „besten deutschen Westernmaler“ hält. Doch Vorsicht, die Bilder von Dill sind – wie das gleichnamige Gewürz – nicht jedermanns Sache. Viele der Motive lassen an Betreutes Malen denken, sind aber nicht in der kreativen Atmosphäre einer Wohngruppe, sondern in strenger Klausur entstanden. Durchschnittlich hundert Stunden will Dill für ein Bild benötigt haben, und daß die Originale im Preis steigen, ist seinen Old Shatterhands zu danken, die an Carsten Maschmeyer erinnern.
Auch der Maysche Humor ist oft unfreiwillig (und, wo gewollt, krachledern). „Sein Zorn war mit einemmal verschwunden“, heißt es in der Sklavenkarawane von einem der langnasigen Käuze, die dem Helden als Handlanger dienen, „er erfaßte die Sache in ihrer ganzen Komik und brach in ein herzliches Lachen aus, in welches Schwarz einstimmte, indem er sagte: `So ist`s recht, bester Nazi! Ich begreife keinen, der sich über diesen Patenthottentotten, wie sie ihn nannten, ärgert.`“ Mit dem „Patenthottentotten“ ist ein weiteres Unikum, der ehemalige Schweinehirt Stephan Pudel, gemeint, dieweil sich hinter Schwarz der eigentliche Held, ein Forschungsreisender, verbirgt. Den bittet Abu el Laklak (bürgerlich: Ignatius Pfotenhauer) in einer Art Running Gag, ihm doch „die Lieb` und Güt`“ zu erweisen, ihn mit „Nazi“, oder – was ihm noch besser gefällt – mit „Vogel-Nazi“ anzureden. Denn Ignatius Pfotenhauer ist Ornithologe.
In der Verfilmung, die Georg Marischka, der Filme wie „Plonk“ und „Hulla di Bulla“ verantwortet, 1958 in der Nähe von Madrid mit augenrollenden Statisten ins Werk gesetzt hat und die pünktlich zum Jubiläum in der Reihe „Schätze des deutschen Tonfilms“ auf DVD erschienen ist, sind die schönsten Wortgefechte und damit auch „der liebe Nazi“ unter den Tisch gefallen. Dafür hat man die Rolle des Dr. Schwarz, der mit seinen Dienern auf der Fahrt nach Faschoda ist, mit Viktor Staal besetzt, einem abgehalfterten Ufa-Star, dem Zarah Leander in ihren Erinnerungen ein „Gemüt so rein wie Rauhreif“ attestiert. Den „Vogel-Nazi“ gibt Fernando Sancho, Filmfreunden aus „Die Nacht der reitenden Leichen“ bekannt.
Wie Marischka machen auch die Illustratoren, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine Experimente. Moderne oder gewagte May-Interpretationen sucht man in den Traumwelten vergebens – sowohl die Dadaisten als auch die Wiener Aktionisten haben um May einen großen Bogen gemacht.3 Dabei gab sich dieser, als ehemaliger Zuchthäusler stets damit beschäftigt, „die Nuß zu öffnen und ein goldenes Spinnrad herauszuholen“ (Walter Kempowski), experimentierfreudig. Etwa, als er 1902 seinen roh zugehauenen Ich-Helden noch einmal auf den Hauklotz tat, um ihn mehrfach zu spalten – in einen Kara, einen Ustad und einen Tifl. Während er Tifl – halb Dorftrottel, halb Pantoffelheld – als Hanswurst durch den Silbernen Löwen springen läßt, stilisiert er Kara zur bipolaren Christusfigur. „An dem einen Kreuze hänge ich persönlich“, lamentiert Ben Nemsi in der Stube des Ustad, „an dem andern hänge ich in meinen Werken.“
Mit seinem vorletzten Werk, dem dicklichen Ardistan und Dschinnistan, schuf May nach einem Bonmot Arno Schmidts „eine Welt, aus Hintern erbaut“, die es, zumindest auf dem Deckel, anständig zu bebildern galt. Ein Mann namens Sascha Schneider trat auf und paßte Mays Helden neue Kleider an, die so delikat ausfielen, daß der Dichter sich nicht zu lassen wußte. Dem begriffsstutzigen Verleger pries er Schneider, einen in Muckimalerei und Nacktschwulst schwelgenden Berserker, als „deutschen Michel Angelo“ (wie ja auch dem amtierenden Pontifex der in Leipzig wirkende Michael Triegel als neuer Raffael gilt).
Bevor die Gesammelten Reiseerzählungen im neuen, wie man heute sagen würde: queeren Gewand erscheinen konnten, hatten die beiden allerlei zu bequatschen – der Briefwechsel liegt, wie die Korrespondenz mit dem störrischen Verleger, nahezu ungekürzt im Karl-May-Verlag vor. Daß man sich nicht in die Flicken kriegte, bleibt verwunderlich, schließlich war Schneider „in Geist und Manieren die vollkommenste Verkörperung dessen, was der Franzose `une brute` nennt; eine Art Caliban“ (Harry Graf Kessler).
Bei abseitig interessierten Fans stehen die in Deutschland spielenden Frühwerke – Humoresken um den Alten Dessauer oder Dorfgeschichten aus dem Erzgebirge – hoch im Kurs. Diese freilich hat so gut wie niemand ins Bild gesetzt – aus gutem Grund. Wie es zu Mays Zeiten in einem deutschen Dorfe aussah, können wir dem Reisebericht eines Schweizer Austauschstudenten entnehmen. Albert Bitzius, der später mit seinen „Wie-Büchern“ (Wie Uli der Knecht glücklich wird, Wie Joggeli eine Frau sucht, Wie Anna Bäbi Jowäger haushaltet usw.) die Bestsellerlisten stürmte, machte sich 1821, lange bevor er sich in Jeremias Gotthelf umtaufte, zu einer Studienreise durch das Land der Dichter und Denker auf. „Kot bedeckt die Straßen knietief, aus Kot sind die Häuser erbaut, Kot liegt um sie herum. Mist und Lache bilden einen förmlichen Wall um dieselben“, stellte der spätere Pfarrer von Lützelflüh fest, „ich möchte bei uns eben so gerne in einem Schweinestall wohnen als in einem deutschen Dorfe.“
Deutsche Dörfer wird man in den Traumwelten mit der Lupe suchen, dafür hat es an orientalischen Schweineställe und gut gefegten Wigwams keinen Mangel. Wie es jenseits des Großen Teiches wirklich aussah, bekam der beliebte Reiseschriftsteller, der seine Schießkünste vornehmlich in den Schluchten seiner Hirnmasse aufführte4, erst vor seinem Tode mit. Als er am 5. September 1908 mit dem „Großen Kurfürst“ in See stach, um einen alten Schulfreund in Massachusetts zu besuchen, hatten die Rothäute ihre Ländereien dem Weißen Vater längst besenrein übergeben.
Wie Bitzius führte May ein Reisejournal, das bedauerlicherweise verschollen ist. „Die modernen Indianer ziehen längst nicht mehr in Zelten umher“, heißt es auf einem vergilbten Blatt, das im Bamberger May-Archiv die Zeiten überdauert. „Anstelle der Wigwams sind Polstergarnituren und Schrankwände getreten.“ Und auf der Rückseite, in Mays krakeliger Schrift: „Wenn die Krieger weiterziehen, den Büffelherden hinterher, müssen die Squaws ganz alleine die schweren Eichenschränke durch die Prärie schleppen. Eigentlich ungerecht. Doch vor Nachbarn, Freunden und Kollegen brauchen die Indianerfrauen nun nicht mehr den Kopf zu senken, wenn von Einbauküchen und schön gefüllten Badewannen die Rede ist.“
3 Wenn Forscher auch bei Grosz, Dix und Macke neuerdings Spurenelemente einer May-Prägung ausgemacht haben wollen (vgl. den entsprechenden Beitrag in Sabine Beneke/Johannes Zeiliger: Karl May. Imaginäre Reisen, Berlin 2007).
4 Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi waren Meister des Knieschusses, laut Winnetou I „der schwierigste Schuß, den es giebt“.
Wolfgang Hermesmeier/Stefan Schmatz: Traumwelten I-III. Bilder zum Werk Karl Mays. Karl-May-Verlag, Bamberg 2004-2010
Christiane Starck/Hans-Gerd Röder: Sascha Schneider und Karl May. Zwei Künstler des deutschen Symbolismus. Jubiläumsausgabe zum 140. Geburtstag Sascha Schneiders. Karl-May-Verlag, Bamberg 2010
„Die Sklavenkarawane“ von Georg Marischka (Deutschland 1958) ist 2012 bei Spirit Media als DVD erschienen.
Autor: Wenzel Storch
Text: veröffentlicht in konkret 5/2012
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