Originalton Walter Ulbricht auf dem 11. Plenum des ZK der SED 1965 

 

Der folgende Text ist ein Kapitel aus dem noch unveröffentlichten Buch „Erinnerung unter Vorbehalt“ von Thomas Knauf

Das gelbe Unterseeboot

„She said: I know, what it’s like to be sad. He said: I know, what it’s like to be dead. Cause I feel like I never been born.“ (The Beatles)

In meinem Kopf beginnt kein FDJ-Lied zu spielen, sondern ein Beatles-Song, sobald ich an meine staatlich verpfuschte Jugend denke. In der Schule sangen wir zu Unterrichtsbeginn das Arbeiterkampflied ‚Brüder zur Sonne zur Freiheit’, nach Schulschluß ‚Good day sunshine’ der vier proletarischen Jungs aus Liverpool, die sich die Beatles nannten. Auf der Straße laut und falsch Englisch zu singen, schien uns viel provokanter als der brüderliche Ruf nach Freiheit, der für die SED-Genossen ebenso problematisch war wie der Refrain der Nationalhymne ‚Deutschland, einig Vaterland’. Seit dem Kindergarten mit politischen Parolen, Hassgefühl und Denkverbot gefüttert, betrachteten wir bei Eintritt in die Erwachsenenwelt durch die feierliche Übergabe des Personalausweises im Alter von vierzehn, die turbulente Weltpolitik der 60er Jahre aus der Kindergartenperspektive. So verstanden wir nicht, weshalb die DDR-Oberen mit der Beatmusik ein echtes Problem hatten. Die musizierenden Arbeiterkinder aus Liverpool und dem Londoner Osten verstanden ihre harten Bluesrhythmen und sozialkritischen Texte als Protest gegen das kapitalistische System, zugleich benutzte der Westrundfunk diese Musik als Waffe gegen die von alten Männern erfundene sozialistische Jugendkultur. Sie gerieten in Panik, weil sie kein Englisch sprachen, nur Rennsteig-Lieder und Messeschlager kannten, und alles Westliche als vom CIA gesteuert verteufelten. Das führte zu unfreiwillig komischen Büttenreden des Vorsitzenden Walter Ulbricht, der meinte „Wir brauchen keine Beutles. Wir haben selbst gute Musik.“ Wer Elvis Presley als ‚Eiweiß Pressluft’ und Eric Clapton als ‚Erich Klappstuhl’ betitelte, ist nicht überliefert, kursierte aber als Witz von Zingst bis Zwickau.

Alles fing bei mir mit den Kinks an. Ihre Songs ‚All Day and all of the Night’, ‚Dead end Street’, ‚Sunny Afternoon’, ‚Wonderboy’ waren weit weniger schmusig als die frühen Beatles-Hits, Ohrenbalsam für echte Jungs. Mit einem DDR-Tonbandgerät Marke ‚Smaragd’ und dem dazugehörigen Kristallmikrophon nahm ich die Titel aus dem Radio auf und   übersetzte sie mit dem Englischwörterbuch frei nach Gehör. Das führt zu oft haarstreubenden Reimen ohne Sinn, die John Lennon später in seinen nonsens rhymes bei ‚I am The walrus’, ‚Lucy in the Sky’, ‚Bungalow Bill’  noch mehr verkomplizierte. Ray Davies von den Kinks drückte sein Unbehagen über die Britische Gesellschaft in klaren, deutlichen Worten aus.  Seine Rock-Ballade ‚Rainy Day in June’ war für mich, der ich den Regen liebte, weil er den Karbidstaub von BUNA wegwusch, ebenso gemacht wie ‚Plastic Man’ für den, der in der Chemiefabrik zur Welt kam.  Dann folgte die Gruppe The Who, eine Londoner Rowdy-Band, die bei jedem Konzert die Instrumente zertrümmerte. Ihr gestotterter Song ‚My Generation’ wurde zur Hymne der rebellischen Kids, die am Wochenende auf Vespas nach Brighton fuhren, um sich mit der Polizei zu prügeln. ‚Teenage Rampage’, ‚The Seeker’ und ‚I’m free’ befreiten mich schlagartig vom inneren Vorbehalt, die Zwänge der Anpassung in Schule und Elternhaus zu akzeptieren. Es gab freilich eine Menge Schrott aus den TOP Of The POPs Mitte der 60er Jahre, Bands wie Dave,Dee, Dozy, Beaky, Mick and Titch, The Hollies, Herman’s Hermits, Marmalade, Tremoloes, Turtles, Troggs, und Solisten, die selbst meiner Mutter gefielen: Donovan, Gene Pitney, Nina Simone, Sonny & Chér, Everly Brothers. Ich stand mehr auf die harten Brocken: Eric Burdon & The Animals, Atomic Rooster, Cream, Family, Pretty Things, Rolling Stones, Small Faces, Spooky Tooth, Vanilla Fudge, Yardbirds und den unvergleichlichen Jimi Hendrix, der mit den Zähnen Gitarre spielte und dabei einen Joint rauchte. Dann kamen nach ihrer Schmusephase die Beatles, wie ich sie mochte. ‚Nowhere Man’, ‚Think for yourself’, ‚Run for your Life’, ‚You won’t see me’ ‚In my life’, ‚I’m lonely’ oder ‚Let it be’ waren keine Songs zum Abtanzen, sondern moderne Kunstlieder für Gitarre, Schlagzeug und Satzgesang. Ihren akustisch einprägsamen, witzigen, mitunter rätselhaften Texten verdanke ich, dass Englisch meine zweite Muttersprache wurde. Unter den Beatles-Fans gab es, wie in allen Gefolgschaften, den Streit um periphere Fragen, z.B. wer der bessere Songwriter ist – John Lennon oder Paul McCartney. Mir gefiel am besten der dritte Beatle George Harrison. Er gab den Schweigsamen, sah aus wie ein versehentlich aus dem Film- ins Tonstudio geratener Musketier-Darsteller, hatte als Erster die Nase voll von dem hysterischen Gekreische der weiblichen Fans und dem ganzen Medienrummel. Ihm verdanken wir einige der schönsten Beatles-Balladen, obwohl manche Texte ziemlicher Quatsch sind, die ideale Geräuschkulisse für Yoga-Stunden oder ayurvedische Kochkurse. John, der Intellektuelle, war mir in seinem kindlichen Narzismus näher, weil er sich traute, größer als Gott zu sein, und ein Held der Arbeiterklasse wurde. Was ihn freilich nicht daran hinderte, ein gewiefter Geschäftsmann zu sein. Personenkult und Fan-Gemeinschaft ging mir völlig ab, davon hatte ich schon genug in FDJ-Versammlungen.

Auf dem Schulhof kam es oft zu Rangeleien zwischen Anhängern der Pilzköpfe und der Rollenden Steine, die damit anfingen, dass die einen ‚Sie liebt dich, yeah,yeah,yeah’ gröhlten, die anderen ‚Unter meinem Daumen’. Lenkten die einen mit ‚We can work it out’ ein, konterten die anderen  mit ‚I can’t get no satisfaction’.  Die Lehrer versuchten, diesem Treiben ein Ende zu machen und verordneten ein Singeverbot außerhalb des Musikunterrichts. Doch ich erinnere mich, dass ein Schüler die Beatles-Single ‚Roll over Beethoven’ in die Musikstunde mitbrachte, als wir Beethovens ‚Eroica’ behandelteten. Die junge Lehrerin spielte die Platte ab und wir diskutierten noch nach dem Klingelzeichen darüber, dass Beethovens 5. Sinfonie zu seiner Zeit auch nicht verstanden wurde und der Komponist trotz seiner langen Haare in der DDR als fortschrittlicher Musiker gilt. Die nette Lehrerin verschwand nach den Ferien aus der EOS ‚Ernst Haeckel’, während der widerliche Sportlehrer, von dem jeder wusste, dass er früher HJ-Führer war, uns weiter quälte – mit Sprüchen wie „Ich werde euch schleifen, bis euch das Wasser im Arsch kocht.“ Mit dem Aufkommen der Beatmusik kamen die nach Schlager und Folklore tanzenden SED-Funktionäre ins Schwitzen. Anfangs hielt man das Problem für bürokratisch beherrschbar, sah darin gar eine Möglichkeit, die Jugend durch Beatmusik für den Sozialismus zu gewinnen. So erhielt die aus der 1962 verbotenen Klaus Renft Combo hervorgegangene Leipziger Formation ‚Die Butlers’ 1965 das Prädikat ‚sehr gut’.  Nach der Randale beim Rolling-Stones-Konzert in der Berliner Waldbühne am 25. September 1965 erhielten ‚Die Butlers’ Auftrittsverbot. Am 7.Oktober sollten sie zum Tag der Republik im Merseburger Schlosspark spielen. In der Nacht demolierten Jugendliche die Tribüne und wurden nicht erwischt. War ich einer von ihnen, weil ich noch heute die Bilder der zerfetzten Bühnenumspannung abrufen kann? Oder sah ich die demolierte Bühne am Tag darauf, als ich im Schlosspark unter den Jugendlichen war, die ihren Unmut gegen das Auftrittsverbot der sächsischen Beatles vor den Vopos kundtaten? Ich kann es nicht beschwören, möchte aber gern eine aktive Rolle gespielt haben. Für Blödsinn war ich immer zur Stelle, aber mit vierzehn konnte ich mich nicht nachts rumtreiben, mein Vater hätte mich gesucht. Außerdem wusste ich, daß bei Beschädigung von Volkseigentum der Spaß aufhörte und bei Staatsymbolen der Ernst des Lebens in Form von Jugendknast anfing. Dorthin wollte ich nicht ziehen, weil mein Elternhaus trotz mancher Unstimmigkeiten kein Ort physischer Gewalt war. Fakt ist, am 7.Oktober kam es zu Festnahmen und Verurteilungen wegen Rowdytums, doch da war ich schon auf und davon. Im Verpissen war ich der Sohn meines Vaters, der immer sagte „Laß’ dir von denen nichts gefallen. Doch, wenn es brenzlig wird, nimm’ die Beine in die Hand.“ Mutter hatte eine andere Haltung: „Mach’ alles mit, was der Staat von dir verlangt, und nur soviel wie nötig.“  Das tat ich – mitmachen und nichts gefallen lassen. Es schützte nicht vor Ärger mit den Staatsorganen, denn der kam oft grundlos und unverhofft mit derselben Brutalität wie in dem amerikanischen Film ‚Blutige Erdbeeren’ über die Studentenrevolte in Berkeley 1968, den man uns als Abschreckung im Kino zeigte. Für mich und viele andere Jugendliche war es die willkommene Gelegenheit, die Musik der Flower-Power-Bewegung von John Lennon, Crosby, Stills, Nash & Young und den fabelhaften Hit ‚Something in the Air’ der Band ‚Thunderclap Newman’ in Stereo auf der Leinwand zu hören. Der Spielfilm als solcher war ein jämmerliches Statement zum politischen Protest Jugendlicher und hat in Mitteldeutschland keine Nachahmer gefunden. 1970 war die kalifornische Sonne für uns soweit weg wie die Kreuzberger Nächte, doch das finstere Ende des Prager Frühlings so nah wie im August 68. Der Freitod des Studenten Jan Palach auf dem Wenzelsplatz ging uns mehr unter die Haut als der feige Mord an Benno Ohnesorg. Wir haben alles verloren, die Hoffnung auf Veränderung und darauf, dass die Beatles noch einmal zusammen im Prager Strahov-Stadion spielen. Die da drüben haben alles gewonnen, die alte Bundesrepublik hinweggefegt, um als Hausbesitzer, Abgeordnete oder gar Minister das bürgerliche Vorurteil auszuräumen, Radikale seien nicht zu zähmen.

Thomas Knauf 1965

Im Winter 66 besuchte ich das Konzert einer noch nicht verbotenen Beatgruppe in Weißenfels. Nach dem sie die obligatorischen 60 Prozent Osttitel gespielt hatten, ertönte ‚Satisfaction’ und der Saal vibrierte. Danach war Schluß, denn Polizei stürmte den Saal und trieb uns mit Schlagstöcken auf die Straße. Vor dem Tanzschuppen stand eine Kompanie NVA-Soldaten mit vorgehaltener Kalaschnikow und sorgte dafür, dass niemand entkam. Bei Null Grad hielten sie uns stundenlang fest, schrieben die Namen und Adressen auf und ließen die Mädchen gehen. Den langhaarigen Jungs wurde mit rostigen Scheren die Mähne abgeschnitten, wer sich wehrte, bekam die Wut der Polizisten zu spüren, die am Samstagabend  Kuhlenkampfs ‚Einer wird gewinnen’ verpassten. Ich kam mit ein paar Haarstränen weniger noch glimpflich davon, doch ein verdammt gut aussehender Junge mit schwarzem, schulterlangem Haar, den die Mädchen anhimmelten, verlor komplett seine Manneskraft. Ob er, wie Samson, die Säulen eines sozialistischen Tempels zum Einsturz brachte, um sich zu rächen, weiß ich nicht. Sein versteinertes Gesicht, als er mit zerfranster Stoppelfrisur aber erhobenen Hauptes vom Platz ging, werde ich nie vergessen. Wäre ich damals religiös gewesen, hätte ich geschworen, dass Jesus von Nazareth in Weißenfels unter uns wandelte. Zuhause habe ich ihn und die Kreuzigung des Abends verleugnet, indem ich schwieg, als meine Mutter mich lobte, dass ich freiwillig beim Friseur war.

Vielleicht hätte ich mich noch mit den DDR-Kommunisten angefreundet, meinen pubertären Widerspruchsgeist in gehorsame Mitarbeit beim Aufbau des Sozialismus umwandeln können, wenn Weißenfels 66, Prag 68, die Armeezeit in Leipzig 69 und die Hallenser Stasi-Verhöre 1970 nicht gewesen wären. So wurde aus mir, was niemandem nützte, ein überzeugter Staatsfeind und, nachdem ich Karl Jaspers Buch ‚Wohin treibt die Bundesrepublik?’gelesen hatte, ein Feind jeglicher Staatsgewalt. Zum Glück, wenn auch nicht zu meinem,  war ich immer zu sehr mir beschäftigt, um Flugblätter zu drucken, Bomben zu basteln oder Polizisten zu erschießen. Die Musik der Beatles und Songs wie ‚‚Let it Be’ haben mich davon abgehalten, auch wenn Mutter Maria nie zu mir sprach. Es gab auch andere musikalische Lebenshilfe made in Britain mit Texten, die süchtig machten und mich zum Lesen wichtigerer Büchern als Karl May und Liselotte Welskopf-Henrich anregten. Am meisten beeindruckte mich der zwanzigjährige Lyriker Keith Reid, der für die Band Procol Harum (lateinisch: hinter den Dingen) die Texte schrieb. 1967 war ‚A whiter shade of Pale’ der Welthit des Jahres. Es folgten neun Alben, die das ganze Spektrum von Bach bis Weill verarbeiteten und musikalische Maßstäbe setzten für symphonische Rockkonzerte und Rockopern. Mein Hörgefühl für Klassik wurde klüger durch Bands wie Nice, Emerson, Lake&Palmer, Procol Harum, mein Musikgeschmack dümmer, denn es dauerte Jahre, bis ich den Jazz als unendlich reichere Seelensprache entdeckte. In dem grandiosen 17minütigen Finale des Procol Harum-Albums  ‚Shine on brightly’ heißt es: „Some say, that I’m a wise man, some think, that I’m a fool. It doesn’t matter either way, I’ll be a wise man’s fool.“ Oder wie Heiner Müller sagte: Liebe macht nicht blind. Man sieht nur mehr, als da ist.“

1992 erlebte ich in der Academy in New York ein Konzert von Procol Harum in neuer Besetzung mit Bandgründer Gary Brooker. Neben mir auf dem Rang saßen die Rocklegenden Jimi Page, Richie Blackmore, Robin Trower, Pete Townsend, und wiegten bei ‚A Salty Dog’ die Köpfe hin und her. So pudelwohl habe ich mich nie wieder in einem Rockkonzert gefühlt.

Am 25.September 1965 begann das Fernseh-Zeitalter der Bremer Stadtmusikanten. Jeden Samstagmittag strahlte Radio Bremen dreißig Minuten live den BEAT-Club aus. Bis 1972 kamen alle namhaften Bands und Solisten aus Britannien, den USA, Holland, Frankreich und Deutschland in das winzige Studio des kleinsten Senders der ARD. Um zwölf war die Schule aus und zur Kaffee- & Kuchenzeit saß ich vor der Glotze, vier Jahre lang bis zum Abitur. Anfangs nahm ich jede Sendung mit dem Tonbandgerät auf, doch der Fernsehton war derart schlecht, dass ich den alten ‚Smaragd’ gegen einen Plattensspieler eintauschte und in den illegalen Handel mit West-Platten einstieg. Er fand während des Tanzabends im ‚Strandkorb’, einem schäbigen Ausflugslokal an der Saale, statt oder im Kulturhaus der Alu-Werker. Ab sechszehn wurde man dort für 3 Mark Eintritt im Anzug mit Lederschlips und nicht zu langen Haaren eingelassen. Es spielten lokale Beatgruppen, die sich Combo oder Quartett nannten, nur selten englische Namen trugen und sich streng an die Quote 60 Prozent Ost-, 40 ProzentWesttitel halten mußten. Auf der Toilette florierte der Handel mit Platten und Postern. Für ein Farbfoto der Beatles aus mehreren BRAVO-Heften zusammengesetzt konnte man eine abgenudelte Beatles-Single ertauschen. Für ein Poster der ‚Monkees’, ein amerikanisches Quartett, das als TV-Komiker berühmt wurde, aber kein Instrument spielen konnte, gab es sogar eine Beatles-LP von Amiga. Meine erste Nice-Platte war eine tschechische Supraphon-Pressung, für die LP ‚Disraeli Gears’ von den Cream bezahlte ich hundert Mark. Aus Kostengründen ging ich bald zum Handel mit Tonband-Kassetten über und verbrachte die Sommerferien in einem internationalen Studentenwohnheim in Warschau, wo kalifornische Hippies Marihuana verteilten und die neuesten Platten auflegten. Mein erster Versuch, Marihuana zu rauchen, war zugleich der letzte, weil mir davon kotzübel wurde. In den Warschauer Studentenclubs ‚Stodola’ und Hybrydy’ traten Stars wie Eric Burdon and the Animals, Nina Simone, Richie Havens, King Crimson, Jefferson Airplane, Brian Auger und Julie Driscoll, die in dem Song ‚Czechoslovakia’ den Einmarsch der Sowjets in Prag 68 anprangerte. Heute noch bekomme ich eine Gänsehaut, wenn Auger auf seinem Keyboard das Rollen der Panzer intoniert und Driscoll dazu singt: ‚August sixty-eight, it was dark and it was late. AN twenty-four was the first, but their were more. Fighters in closed formation, ready for the invasion… people were ready for changes.’ Vor dieser schmächtigen Frau mit der Stimme eines Racheengels fürchteten sich die Genossen zurecht, obwohl sie die vermutlich Einzige war, die Rockmusik mit aktuellen politischen Aussagen verband. Weil das nicht gut fürs kapitale Musikgeschäft war, verlor sie ihren Plattenvertrag mit Polydor und landete im Irrenhaus. Mit Beatmusik wurde von Anfang an Politik gemacht. Im ersten BEAT-Club entschuldigte sich der Fernsehansager für die laute Musik und bat die Eltern um Verständnis für die Bedürfnisse der Jugend. Trotzdem hagelte es bundesweit Proteste, einige Landessender zeigten ein Testbild zwischen 16:45 und 17:30 Uhr, wenn Radio Bremen die neue Bürgerlichkeit mit dem DU statt dem SIE erfand. Die 68er Studentenbewegung bekam ihren Beat von der Bremer TV-Kulturrevolution. Auch die DDR blieb nicht verschont, jede Woche kam säckeweise Post von sächsischen Jugendlichen beim BEAT-Club an. Sie sollten ihren Lieblingstitel nennen, der dann vielleicht in der nächsten Sendung wiederholt wurde. Mit diesem Zugeständnis an die Ostpolitik erkauften sich die Macher des BEAT-Club die Freiheit, gegen das bundesdeutsche Establishment zu motzen. Mir war das herzlich egal, wszystko jedno, wie meine polnischen Freunde sagten. Sie mochten mich, weil ich ihre Sprache sprach, obwohl ich aus der DDR kam – ein Land, das sie ebenso verachteten wie die Sowjetunion. Die BRD wurde trotz des BEAT-Clubs nicht mein Sehnsuchtsland. Hätte ich auswandern können, ich wäre ins Land meiner Urgroßmutter Basia gezogen. Sie kam aus Deutsch-Lissa, einem Vorort von Breslau, und heiratete meinen Urgroßvater Paul Schirmer, zog mit ihm nach Halle und wurde 98 Jahre alt. Gekannt habe ich sie leider nicht, obwohl es Fotos gibt, wo ich als Baby auf ihrem breiten Schoß sitze.

Als ich 1970 das Elternhaus verließ und von Merseburg nach Halle zog, verbrachte ich den Samstagnachmittag nicht mehr vorm Fernseher, sondern in ‚Brohmers Eisdiele’. Dort gab es eine Musicbox mit uralten Rock’n-Roll-Scheiben. Wir spielten sie rauf und runter, obwohl Little Richard und Bill Haley nicht unsere Taufpaten waren. Doch Peggy Lee und ihr Song ‚Sweet Nothings’ kostete mich viele Ein-Mark-Stücke und ich bedauerte, dass ich für die erste Rockrevolution zu jung war, für die nächste noch nicht alt genug, um in London, Woodstock und Monterey dabei zu sein. Als DDR-Bürger hätte ich fünfundsechzig sein müssen, um das Abschiedskonzert der Beatles in San Francisco 1967 erleben zu können. 1988 reiste ich mit einem Visum des Schriftstellerverbandes der DDR nach Liverpool und sucht die Orte der vier Pilzköpfe auf, wo sie begannen.

Auf der Penny Lane fuhr keine Trambahn mehr, doch vor einem Bankgebäude saß in Bronze gegossen einsam und berühmt Eleonor Rigby. Der ‚Cavern Club’ war jetzt ein Einkaufszentrum mit Gips-Beatles als Attraktion. Im Pub ‚Flanagan’s Apple’, den der Psychologe C.G. Jung  gern besuchte, trank ich im Stehen etliche Guinness auf die Idole meiner Jugend, weil es dort weder Stühle noch Tische gibt. Gegenüber auf der Mathew Street war schon am Vormittag Party im John-Lennon-Fanclub. Mehr als eine Plastiktüte mit dem Bild von John, Paul, George und Ringo und eine Postkarte mit dem vom Gittaristen der Manfred Mann Band Klaus Vormann gezeichneten Cover der legendären Beatles-LP ‚Revolver’ gab mein Reisegeld nicht her.

Am Abend sah ich im Mersey-Cinema der Liverpooler Kunstschule den Beatles-Animationsfilm ‚Yellow Submarine’ und war der glücklichste Zuschauer im halbleeren Saal. Zwölf Jahre später gab ich in der Wohnung des Filmemachers Al Maysles im Dakota-House am New Yorker Central Park Paul McCartney die Hand. Der Lieblings-Beatle der Mädchen war zum 20. Todestag von John Lennon nach New York gekommen und stand in den Strawberry-Fields neben Yoko Ono vor der Gedenktafel, ohne ein Wort mit ihr zu wechseln. Niemand außer mir schien zu bemerken, dass auf der 1985 enthüllten Gedenktafel für John Lennon mit den alphabetischen Namen von 147 Ländern -zwischen Gabun und Ghana- das Land German Democratic Republic eingraviert ist, daß es seit 1990 nicht mehr gibt.

Auch das Land Soviet Union, dass die Beatles auf ihrem Weißen Album in ‚Back from the USSR’ besangen, ist auf der Tafel verewigt. 1985 kam dort erstmals ein Beatles-Album heraus, ohne den Titel ‚Revolution’. Im einzigen deutschen Beatles-Museums in Halle hat das Melodia-Doppelalbum, dessen Inhalt nur lesen kann, wer der kyrillischen Sprache mächtig ist, einen Ehrenplatz in der Kuriositätensammlung. Dass es mich heute und nicht erst ‚When I’m sixty-four’ in die Stadt meiner kurzen, wilden Jugend zieht, ist u.a. dem Beatles-Museum zu verdanken. In Buenos Aires, London, Tbilissi gibt es ähnliche Häuser. Doch, wie sangen die vier Apostel der Beatmusik 1970 auf ihrer letzten gemeinsamen Platte: ‚Get back to where you once belonged’.

Text und Fotos: Thomas Knauf

noch ein Kapitel aus Thomas Knaufs Buch „Erinnerungen unter Vorbehalt“: Welt ohne Fernsehen