Weil es halt so Sitte ist
Wenn ich mir einen Freund fürs Leben wünschte, müsste er wie Max Raabe sein. Kultiviert, sprachgewandt, humorvoll, erfolgreich und dabei bescheiden. Alles, was ich nicht bin – ein cooler Typ wie aus einer Erzählung von Walter Serner. Dennoch enttäuschte mich der Liebling der Frauen und Deutschlehrer in einem Fernsehinterview, wo er in fast jedem Satz das Adverb sozusagen als verbalen Gedankenstrich einflocht. Raabes Max, im Gegensatz zu Stefan Raab, tut der deutschen Sprache coram publico nie Gewalt an oder privatisiert sie als Ausdruck großmäuliger Ich-Bezogenheit. Dennoch verdarb er seine wohltemperierte Rede durch übermäßigen Gebrauch des Umstandswortes, das eigentlich bedeutet: es so zu sagen, dass es jeder versteht. Für einen Musiker mag die Zusammenziehung ungeteilter Noten zur Überspielung schlechter Takte (die Grundlage des Jazz) notwendig sein. Im Verfertigen der Gedanken beim Sprechen erscheint das ständige Taktieren als Rückversicherung des Gesagten des ‚So und nicht anders’ und wird zur schleppenden Parenthese. Das ist, als würde man beim Autofahren dauernd auf die Bremse treten, um zu beweisen, dass das Auto ein mechanisches Ding ist und kein Lebewesen. Man könnte darüber lachen, wie in dem Film ‚Night on earth’, wo Armin Müller-Stahl als New Yorker Taxifahrer eben dies vorführt – Gas geben und bremsen. Im Kino will man nicht wissen, sondern erleben. Beim Zuhören und -sehen eines TV-Interviews fühlt man sich durch die unsinnige Pointe verschaukelt wie der Fahrgast im Taxi. Weil das Gehirn sozusagen abschaltet und das noch so interessante Gesagte zum ‚Quatsch mit Soße’ gerinnt, das laut Neil Postman das Fernsehen nun mal ist. Oder halt ist. Die bayrische Mundart für eben, ja, wohl, doch findet man mittlerweile in jeder deutschen Sprachzone und unter den meist-gebrauchten Unworten der Tagesschau, des Feuilletons, der Bestsellerliteratur. Als der wortgewandte Lyriker Gottfried Benn schrieb „Ärzte! Die sind halt überall doof in Uniform wie in Zivil“, persiflierte er den deutschen Ausdruck als zutiefst dicknäsig und pampig. Der in Berlin niedergelassene Arzt für ‚Haut & Liebe’ hoffte vergeblich, dass die Verwandlung von kausalem Denken in Abspülwasser, mit dem jeder Zeitungsleser seine Weltanschauung und seinen Rheumatismus begründet, der Zeitgeist der Weimarer Republik bliebe.
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Daß der Dativ dem Genitiv sein Tod ist, wissen wir mittlerweile,
sich klar und deutlich auszudrücken immer weniger.
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In der heutigen Gelehrtenrepublik kommt die latente Existenz der Worte laut Niklas Luhmann als drei Selektionen der Kommunikation vor: Information, Mitteilung derselben, Verstehen oder Missverstehen dieser informellen Mitteilung. Der allgemeine Überschwang der Füllwörter nicht nur am Stammtisch ist damit kaum zu erklären. In Politik und Kultur kommen reihenweise Umstandsworte nieder, als wäre in unsere Sprache ein zerebraler Virus injiziert, gegen den die Vogelgrippe ein Schnupfen ist. Wen das krank macht, mag sich mit Dr.Benns Diagnose trösten, dass die unbedachte Redseligkeit eine deutsche Volksseuche ist, bei der „nur die Stimmung zählt, nur die Impression recht hat, nur das Tragische von Dauer ist“. Der dialektische Apostroph halt der Blau-Weißen gebietet dabei weder dem schwäbischen Superlativ, noch den niederrheinischen Lecker-Mäulern oder den neudeutschen Geiz-ist-geil-Konsumenten Einhalt. Der Ärger darüber, dass auch kluge Leute nicht denken, wenn sie sprechen oder, wenn sie denken, sich und anderen nicht zuhören beim Sprechen, verursacht Kopf- und Darmbeschwerden. Als Deutschlehrer will man nicht dastehen. Die haben uns die irrwitzige Rechtschreibreform eingebrockt, die größte Sprachverwirrung seit Babylon und ein Millionen-Coup nach Art der Olsenbande. Als Migrant wird man nicht gleich gelten, weil jene den deutschen Sprachmüll auch ohne Einbürgerungstest absorbieren. Gegen Berliner Schnauze und Münchner Schmäh als Wegweiser in die germanische Leitkultur wehren sich ausgerechnet die uns wesensverwandten Levantiner mit ihrem fanatischen Türkentum. Daß der Dativ dem Genitiv sein Tod ist, wissen wir mittlerweile, sich klar und deutlich auszudrücken immer weniger. Das hängt mit dem Tempo einer sich verändernder Realität zusammen, der die teutsche Sprache seit Hoffmann von Fallerslebens Text zur Nationalhymne wie der Hund dem Hasen nachjagt. Was das Vaterland mit Herz und Hand nicht einigt, blüht im Glanze des Glükkes der Muttersprache, als Stilblühten. Wöchentlich lesen wir die schönsten Beweise im Hohlspiegel des Hamburger Magazins. Nur zwei Beispiele: „Er ist arbeitslos, ein Schicksal, das er mit gut zehn Prozent der Erwerbstätigen teilt… muß man sich überlegen, ob man dann weitermacht. Aber ich lasse mir da Zeit, ich denke da kurzfristig“.
DaDa und Duden – zwei Manifeste deutscher Sprache, ohne die der Schreibende sich kreativer und innovativer ausdrückt. Der Sprechende hingegen ist laut Ortega Y Gasset nie am Puls der Zeit. „Die Rhetorik ist der Friedhof der menschlichen Wirklichkeiten, bestenfalls ihr Altersasyl“. Weil die Wörter noch etwas von der magischen Kraft der Dinge bewahren, wenn diese längst aufgebraucht sind. Um in zu sein, verleugnen wir Mutters Sprache und bedienen uns paternalischer Anglizismen, sagen Hairstudio zum Frisör mit Wellness-Lounge, Hostel zur ungastlichsten Herberge und Handy zum tragbaren Telefon, obwohl das Substantiv im Englischen ein Fremdwort ist. Von der Maxime des Chicagoer Architekten Sullivan „form follows function“ weiß die deutsche Ingenieursseele trotz Bauhaus und Harald Schmidt wenig. Formlosigkeit und fröhliches Geplapper, zwei Dinge, bei denen wir ganz wir selbst sind. Weil Sprache mehr ist als Blut, kann auch Henryk M.Broder uns die Sprache der LTI (lingua tertii imperii) nicht abgewöhnen, die er selber spricht. Durch die jüdische Brille betrachtet erscheint selbst das unschuldige Adverb halt verdächtig, liegt doch die Verwechslung mit dem Befehlswort Halt! nahe, das jedem KZnik noch in den Ohren hallt. Der Fluch des Superlativs, nach Victor Klemperer ein Signum des Totalitätsprinzips, lastet indes auch auf der Sprache der Sieger. Den Verlierern, die berechtigte Zweifel an ‚911’ oder dem ‚Gelobten Land’ äußern, wird die Vorsilbe anti zugeordnet, auch wenn sie durchaus probabel sind. „Im Anfang war das Wort und nicht das Geschwätz, und am Ende wird nicht die Propaganda sein, sondern wieder das Wort“ (G.Benn).Trotzdem sei vor unbedachtem Gebrauch von Adverben gewarnt, es kann teuer werden. Weil ich einem Zivilpolizisten, der mich wegen Falschparken festhielt, im Eifer des Disputs zurief: „Halt’ doch deinen Mund!“ verurteilte mich ein Richter wegen Beamtenbeleidigung zu 1.000 Euro Strafe.
Neulich im Zeitungsladen skandierte ein Hipp-Hopper vom Kollwitzplatz die aktuelle Schlagzeile: „Beck iss weg und Münte is back“. Das gefällt mir an Berlin. Hier redet man politisch unkorrekt und angstlos, wie’s einem gefällt. Dem kann auch die Polizei nicht Einhalt gebieten, weil es hier seit Nante halt so Sitte ist. „Der Mensch muß neu zusammengesetzt werden aus Redensarten, Sprichwörtern, sinnlosen Bezügen aus Spitzfindigkeiten: ein Mensch in Anführungsstrichen“.(G. Benn).
Text: Thomas Knauf
- Thomas Knauf: Erinnerung unter Vorbehalt - 31. Dezember 2011
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