Mit Syriza, Podemos und anderen linken Kräften in Europa kehrt der Streit zurück auf die politische Bühne. Das ist gut so.
Oft hieß es in den vergangenen Jahren, der Gegensatz zwischen links und rechts sei hinfällig. Gern wurde ergänzt, Wahlen gewänne man in der Mitte. Sozialdemokratische Parteien in ganz Europa rechtfertigten mit solchen und ähnlichen Floskeln ihren Schwenk zu einer als pragmatisch präsentierten, rechten Wirtschaftspolitik. Die galt dann als Ausweis ihres Realitätssinns.
Heute ist realistisch, wer das Scheitern neoliberaler Politik in Europa anerkennt. Und Wahlen werden mit Alternativen gewonnen. Dafür steht nicht nur der Triumph der Syriza, sondern auch der gesellschaftliche Aufbruch, der mittlerweile in fast allen Ecken des krisengeplagten Europas stattfindet. Er bringt den Streit und den Gegensatz zurück auf die politische Bühne.
Aktuell geht es dabei vor allem um Fragen wie: Finden die ökonomischen Interessen der Bevölkerungsmehrheit politisch überhaupt noch Gehör? Wer prägt die Sozialpolitik: Troika-Beamte und Geldgeber oder Parlamentarier und Wähler? Soll die EU intern umverteilen, Schulden vergemeinschaften und Investitionspakete schnüren – und wer entscheidet darüber: allein die Staatschefs oder doch auch das Europaparlament?
Die Antwort der konservativen Parteien besteht seit Ausbruch der Eurokrise in dem Beharren auf Austerität. Technokratisch wird die Sparpolitik über die Parlamente hinweg durchgesetzt. Das nützt den Gläubigern, da die Eurostaaten ihre Schulden um jeden Preis bedienen sollen. Außerdem erfüllen die Kürzungs- und Privatisierungsrunden manch lang gehegten Wunsch der Wirtschaftsverbände.
Erfolgreich ist dieser Kurs nicht: In der EU bleiben die Staatsschulden hoch und die Arbeitslosigkeit steigt, während die Wirtschaft bestenfalls stagniert. Da vielerorts die Sozialdemokraten mitziehen, dominiert die Austerität die Agenda trotzdem.
Gleichzeitig protestieren seit Jahren prekarisierte Jugendliche und ihre Eltern aus der schrumpfenden Mittelschicht gegen die ungerechte Verteilung der Krisenlasten, auch Gewerkschafter gehen massenweise auf die Straße und zuweilen selbst die abgehängte Unterschicht.
Gerade in Spanien und Griechenland prägen darüber hinaus inzwischen Selbstorganisation und breite Alltagssolidarität die Gesellschaften: Lokale Versammlungen bieten Rechtshilfe, Komitees organisieren kostenlose medizinische Versorgung, Genossenschaften werden gegründet. Die Aktivisten misstrauen der politischen Elite zutiefst, die in Korruptionsskandale verstrickt ist und nicht nur in Spanien als „Kaste“ tituliert wird. Ob in Athen, Madrid oder Barcelona – stets betonten die Protestierenden ihre Distanz zum parlamentarischen Betrieb.
Kampf um die Institutionen
Mit der Zeit aber wurde klar, dass Proteste – wie groß, kreativ oder gar militant sie auch ausfielen – wenig am Austeritätskurs der Regierungen änderten. Der Kampf um die Institutionen und ihre Veränderung gewann wieder neue Sympathien.
Das führte zu Parteigründungen oder zur Unterstützung ehemals randständiger und damit unbelasteter Kräfte. Auf dieser Welle schwimmt Syriza ebenso wie die spanische Podemos („Wir können“), die aus der Bewegung der Indignados („Die Empörten“) hervorging und laut Umfragen für die kommende Wahl Ende 2015 führt.
Auch in Irland, wo 2016 gewählt wird, herrscht massive Empörung über eine Wassersteuer. In Slowenien gründete sich nach einem großen Sozialprotest im Winter 2013 die Vereinigte Linke, die mittlerweile im Parlament sitzt. Auch die Unabhängigkeitsbewegungen in Schottland und in Katalonien verdanken ihren jüngsten Aufschwung nicht zuletzt auch einer sozialstaatlichen Orientierung, mit der sie der wachsenden Armut begegnen wollen.
Neben der Suche nach neuen demokratischen Formen steht hinter diesen Kräften die vielerorts massiv gewordene Forderung nach einem ökonomischen Kurswechsel. Vor allem Letzteres zählt angesichts der bitteren sozialen Realitäten. Syriza ist nicht primär als eine linke Partei gewählt worden, sondern als eine Kraft mit einem alternativen Wirtschaftsprogramm. Dies umfasst weit mehr als die Reduzierung der Schulden. Syriza will niedrige und mittlere Einkommen entlasten, dadurch die Nachfrage stärken und so das Wachstum ankurbeln. Einen wirtschaftlichen Schub verspricht sie sich zudem von gezielten öffentlichen Investitionen.
Auch in der EU plädiert sie für einen „europäischen New Deal“. Der Vorrang der wirtschaftlichen Fragen erklärt zumindest in Teilen die schwer verdauliche Koalitionsentscheidung für die rechte Anel.
Ist ein Kurswechsel der EU denkbar?
Es könnte in Europa somit zu einer Renaissance linker Reformpolitik kommen, die mal keynesianisch wie in Griechenland ist, mal auch radikal ausfallen kann: Podemos etwa will Spanien neu gründen und dem Land dazu möglichst eine neue Verfassung geben, Syriza hat den griechischen Oligarchen den Kampf angesagt. Beide versprechen, die systematische Korruption zu bekämpfen.
Politik ist nur möglich, wenn es Alternativen gibt. Ansonsten verkommt sie zur technischen Verwaltung des Sachzwangs – und verliert darüber all jene, die sich nicht mehr vertreten fühlen.
Syriza und Co könnten also belebend für Europas Demokratien wirken. Allerdings gilt dies nur, wenn sie tatsächlich Veränderungen bewirken werden – und das liegt nicht allein in ihrer Hand.
In der EU zeichnen sich immerhin erste Kompromissangebote gegenüber Griechenland ab, etwa die Streckung der Schuldenrückzahlungen oder ihre Bindung ans Wirtschaftswachstum. Dies steht im Einklang mit den Vorstellungen der Syriza-Ökonomen und würde Athen größeren finanziellen Spielraum bei der Sozialpolitik eröffnen.
Ist darüber hinaus ein Kurswechsel in der gesamten Europäischen Union denkbar? Jedenfalls wird mittlerweile bemerkenswert breit über Sinn und Unsinn der Sparpolitik gestritten. Selbst nach dem Wahlsieg von François Hollande 2012, der seinerzeit ein Ende der Austerität gefordert hatte, wurde diese Debatte nicht mit der heutigen Intensität geführt. Paris war mit entsprechenden Vorstößen am Widerstand aus Berlin gescheitert und schwenkte schließlich auf eine liberale Wirtschaftspolitik ein.
Angesichts einer akuten Deflationsgefahr mehrten sich im vergangenen Sommer dann Stimmen im konservativen Lager, die auf eine aktivere Rolle des Staats setzten. Dem entsprang das – allerdings unzureichende – Investitionsprogramm der neuen EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker.
Ein nächster Anlauf scheint nun möglich. Syriza betont seit Jahren die Notwendigkeit europäischer Lösungen, von einer möglichen Podemos-Regierung in Spanien ist Ähnliches zu erwarten. Auffällig ist, dass fast alle französischen Parteien versuchen, den Syriza-Sieg für sich zu vereinnahmen, der auch in Italien lagerübergreifend auf Zustimmung stößt.
Neoliberale Rechtspopulisten
Erschwert wird der Kompromiss auf europäischer Ebene durch die stärker werdenden Rechtspopulisten. Die griechische Anel bildet dabei insofern einen Sonderfall, als sie seit ihrer Gründung gegen die Austerität agitiert hat. Hingegen treten die AfD, die österreichische FPÖ oder die holländische PVV im Zweifel eher noch neoliberaler auf als die von ihnen geschmähte Elite. Entsprechenden Druck dürften sie auf jedes Zugeständnis an eine linke Regierung in Athen oder vielleicht bald Madrid ausüben.
Jenseits des Befremdens über die Partnerwahl der griechischen Linken gilt: Scheitern Kräfte wie Syriza oder Podemos, debattieren wir in den kommenden Jahren nicht über Krise und Kapitalismus, sondern über Asyl und Abendland. Die überall schwelende Wut muss ihr Zuhause nicht bei demokratischen, europäischen Kräften finden, sondern kann auch von Autoritären jeglicher Spielart bedient werden.
Ungarn demonstriert exemplarisch, wie ein markanter Rechtsruck aussehen kann. Die neofaschistische Goldene Morgenröte hatte schon lange vor dem jüngsten Urnengang in Athen angekündigt, sie wolle die übernächste Wahl gewinnen, nach dem von ihnen erhofften Scheitern der Syriza. Und auch in Österreich wie Holland liegen die Rechtspopulisten laut Umfragen immer mal wieder vorn.
Glücklicherweise sendet der Aufstieg der Nationalisten einen Weckruf an die Weltoffenen. So ist der kräftige Mitgliederzuwachs der einst kleinen englischen Grünen – verbunden mit einem Umfragehoch für die Wahl 2015 –eine Reaktion auf die erstarkte antieuropäische Ukip.
In Deutschland hat Pegida schon vor dem internen Zwist weit mehr Gegner als Anhänger mobilisiert. Doch während der Rassismus auch aus liberalen Milieus Gegenwind bekommt, verlangt die krasse soziale Spaltung eine linke Antwort. Ein Europa, das den Bürgern immer nur neue Zwänge auferlegt, wird früher oder später an einer toxischen Mischung aus Resignation und nationalistischem Backlash auseinanderbrechen. Das europäische Superwahljahr 2015 eröffnet zumindest die Chance, das zu verhindern.
Steffen Vogel, taz 31-01-2015
Bild: CC BY-Sa 3.0 FrangiscoDer
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