Die Biologie der Härte: Maggie Gyllenhaal rettet den Seriensommer
„Homeland“ hat eine Schwester bekommen
Ein reicher Mann sitzt mit seinen Kindern in einem vornehmen Restaurant. Ein Kellner rammt ihm die silberne Brotzange in den Hals. Das Blut des Vaters spritzt dem Mädchen ins Gesicht. Es ist beinahe biblisch: Sie hat nun sich und ihre Familie von den Sünden des Vaters rein zu waschen, ein Leben lang. Eli Stein war ein zionistischer Waffenfabrikant. Sein Mörder ein Mitglied der PLO.
Die beiden Geschwister machen aus dem Imperium des Vaters ein milliardenschweres Kommunikationsunternehmen, das statt Waffen Glasfaserkabel nach Israel und ins Westjordanland liefert und eine Universität in Tel Aviv finanziert. Die Schwester, Nessa Stein (Maggie Gyllenhaal), ist eine harte Karrieristin, die nichts lieber tut, als gefühlvolle Reden zu halten. Als sie wegen ihrer Verdienste um die Völkerverständigung zur Baronesse gekürt und ins Oberhaus des britischen Parlaments aufgenommen wird, sitzt ihr Bruder (Andrew Buchan) daneben wie ein ausgewrungener Waschlappen. Ein palästinensischer Geschäftspartner der Steins erhält unterdessen per Mail seinen eigenen Abschiedsbrief. Sekunden später wird er ermordet.
Ein paar Folgen später sehen wir, dass die Geschwisterdynamik einmal eine ganz andere war: Dass Ephra führte und Nessa mit dem Ausdruck einer zufriedenen Pflaume herumsass und sich nicht allzu sehr kümmerte. Bis sie eines Tages beschliesst, die Universität in Tel Aviv zu besuchen. Und herausfindet, dass das Mäzenengeld nicht in der Uni ankommt, sondern irgendwo im Gaza-Streifen versickert. Auf ihrer rechtschaffen empörten und naiven Suche nach dem Geld wird sie entführt, zehn Monate später zusammen mit ihrer palästinensischen Übersetzerin Atika und deren neugeborenem Kind wieder freigelassen. Acht Jahre später wird dieses Kind entführt. Was wiederum schon in der ersten Folge gezeigt wird.
Wir befinden uns in einer Orgie der Zeitenwechsel. Vorwärts geht’s über Flashbacks. Doch immer, wenn sich in einem der vielen Blicke zurück eine Lösung für ein Rätsel aus dem Jetzt anzubieten scheint, steckt in dieser Lösung bereits ein nächstes Rätsel. Und immer neue Trümmer wachsen aus den alten in die Zukunft hinein. Es ist die reinste Deklination von Walter Benjamins Engel der Geschichte.
Die Komplexität dieser Welt ist für ihre Bewohner so undurchdringlich, dass sie konsequenterweise meist tödlich endet. Und die Todesarten, die sind entsetzlich und werden von keinerlei Sentimentalität begleitet. Hier herrscht Härte. Kitsch darf höchstens in Anführungszeichen stattfinden. Und über allem steht Nessas verwunderte Bemerkung: «Es ist ein Wunder, dass wir überhaupt jemandem vertrauen.»
«The Honourable Woman» heisst nach «Top of the Lake» die neue Ko-Produktion von BBC und Sundance Channel, in England waren bereits fünf der acht Folgen zu sehen, in Amerika erst eine, und natürlich reissen die Vergleiche mit «Homeland» nicht ab. Dort ging es um den Irakkrieg, hier um den Nahostkonflikt, in beiden hat eine lange Gefangenschaft zur Folge, dass das Opfer existentiell verändert zurückkommt. Nicholas Brody nahm den Glauben seines Gefängniswärters an. Nessa Stein richtet sich – erst soviel sei verraten – in ihrer britischen Prunkvilla einen schneeweissen Panic Room als Schlafzimmer ein, das kommt einer Ersatz-Gefängniszelle am nächsten. Brody wie Nessa finden über den grausamen Umweg zu einer schon fast über- (und nicht selten un-) menschlichen Stärke in ihrer alten Welt.
Ein bisschen «The Good Wife» spielt auch noch mit rein, die attraktive reiche Frau mit der tief in sich drin verborgenen Krise und der perfekten Gesellschafts-Fassade, der Drang, sich die Welt hyperrational gefügig zu machen, und lieber die eigene Familie zu beschatten, als dem sogenannten Herzen zu folgen. «Das bin nicht ich, das ist Biologie», sagt sie einmal, als es um eine besondere körperliche Verbundenheit geht. Sex ist lustvolle Aggression, die nie zur Transgression werden darf. Natürlich liegt es nahe, die Serie von Hugo Blick als Kommentar zur derzeitigen Israelkrise lesen zu wollen, entsprechend prominent, aber bis jetzt ohne grössere Einsichten wird sie derzeit in England und Amerika diskutiert. Nach fünf Folgen ist sie immerhin eine äusserst genaue Auslegeordnung möglicher Konfliktstränge und ihrer feinnervigen Verästelungen auf beiden Seiten und bis in die Kreise der englischen und amerikanischen Geheimdienste hinein. Der MI6 hat mal wieder enorm viel zu tun.
Wer im Kino das Spionage-Gewebe «Tinker Tailor Soldier Spy» gesehen hat, kann sich ungefähr vorstellen, mit welcher Konzentration diese Serie zu geniessen ist, Blicks Mut zur Komplexität ist schon fast tollkühn. Aber natürlich umso spannender. Und Maggie Gyllenhaal in der Hauptrolle, ach, was soll man sagen! Natürlich ist sie wunderbar in ihrer Mischung aus frischgesichtiger Turbokapitalistin und stahlhartem Friedensengel. Sie betörte uns im Kino schon als Sekretärin mit Sadomaso-Vorlieben («Secretary») und als Batmans Geliebte («The Dark Knight»), jetzt rettet sie im Alleingang unseren späten Seriensommer.
Simone Meier
Dieser Text ist zuerst erschienen auf watson.ch, 05-08-2014
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