In Sachen Sadomaso
Aus Leid wird Lust und Geld: Die Soziologin Eva Illouz veredelt den Trivialroman «Fifty Shades of Grey» in einem Essayband, die Regisseurin Sam Taylor-Johnson verfilmt den Stoff demnächst.
Vor einem Jahr, als der erste Band auf Deutsch erschien, waren es 15 Millionen. Jetzt sind es mehr als 70. Man muss sich das vorstellen: 70 Millionen Exemplare wurden weltweit von der Trilogie «Fifty Shades of Grey» von E. L. James verkauft. 70 Millionen Mal feierten Mauerblümchen Ana Steele und Multimillionär Christian Grey ihre SadomasoSex-Orgien. Jetzt sind wir in die Phase der Veredelung der Schundliteratur eingetreten. In die Phase der Nobilitierung des Trivialen durch kluge Frauen. «Fifty Shades of Grey», die Utopie, dass sich seelisches Leiden an einer Beziehung durch körperlichen Schmerz in pure Lust auflösen lässt, ist das postfeministische Volksmärchen unserer Tage.
Soeben ist bekannt geworden, dass die britische Arthouse-Regisseurin und Videokünstlerin Sam Taylor-Johnson (46) die fünfzig Schattierungen der Perversion verfilmen wird. Ein Jahr lang hat das Rätselraten gedauert. Angelina Jolie war auch schon als Regisseurin im Gespräch. Weil das Thema des Buches bekanntlich Sadomasochismus ist. Weil Angelina Jolie schon mal Sadomasochismus praktiziert hat. Weil die Multiplikation Bestseller mal Superpromi ja gar nichts anderes ergeben kann als das geilste Kulturkonsumgut aller Zeiten. Sam Taylor-Johnson dagegen ist bis jetzt durch einen zarten Film über den jungen John Lennon («Nowhere Boy») aufgefallen, und weil sie einmal ganz lang und stoisch David Beckham beim Schlafen filmte. Und weil sie mit dem halb so alten Schauspieler Aaron Taylor-Johnson verheiratet ist. Was sie wohl zu einer sexuell glamourösen Figur und Fachfrau für Fragen sexueller Freiheiten macht.
Aber bevor Sam Taylor-Johnson überhaupt ans Werk geht, ist da noch eine andere geschickt ins geistige Sommerloch der Feuilletons geschlüpft. «Die neue Liebesordnung – Frauen, Männer und Shades of Grey» heisst der Suhrkamp-Express-Essay der israelischen Soziologin Eva Illouz (52). Mehr intellektuelle Credibility geht ja nun wirklich nicht – Illouz! Suhrkamp!, davon kriegt der denkende Mensch auch ohne sadomasochistische Garnitur schon, na ja, heiße Ohren. Zudem ist das Buch mit 88 Seiten eine schlanke Hübschheit.
Der Handel mit der Qual
Eva Illouz hat ein Spezialgebiet: die Wechselwirkung von Emotionen und Marktwirtschaft, den «Konsum der Romantik» (so hiess ihr erstes Buch), die Industralisierbarkeit der Gefühle, insbesondere, was die emotionale Bedürfnisanstalt Frau betrifft. Und wo von Markt und Industrie die Rede ist, ist natürlich auch immer Masse mitgemeint. Und Mainstream. Jener breite Fluss, der öffentliche Diskurse formt und Meinungen und sogar Gewohnheiten. «Fifty Shades of Grey» zum Beispiel prägte innert Jahresfrist das Kaufverhalten von Frauen, was Sexspielzeuge betrifft. Amerikanische Sexspielzeugvertreiber melden einen Anstieg im Verkauf von sogenannten Liebeskugeln um 780 Prozent. Wegen eines Buchs!
Eva Illouz nähert sich nun dem Phänomen und nährt sich natürlich zugleich davon. Sie hat das vor Jahresfrist schon einmal getan, auf «Spiegel online», es war da ein kurzer, prägnanter Text, der versuchte, den revolutionär modernen Gehalt von «Shades of Grey» zu ergründen, die Tatsache, dass es sich bei der Qualbeziehung zwischen Christian und Ana eben nicht um eine Beziehungsqual handelt, sondern vielmehr um einen ausgeklügelten Beziehungshandel. Um einen in jeder Nuance, fast in jeder Minute ihrer Liaison ausdifferenziertes und schließlich von Ana doch wieder verworfenes Vertragswerk. Es gibt in diesem Berührungsgefüge nicht die allerkleinste Unsicherheit, im Gegenteil, mehr Sicherheit fand sich noch nie in einem Liebesroman. Und wären die Finanzchefs dieser Welt genauso zwanghaft vorsichtig wie Grey und Ana, es würde nie mehr zu einer Wirtschaftskrise kommen.
«Fifty Shades of Grey», die fiktive Wunscherfüllung, die Fantasie mit der «(symbolischen) Lösung für soziale Widersprüche» (Illouz), ist ein klassischer Stoff ohne Verfallsdatum: Ana und Grey, das sind Jane Eyre und Mr. Rochester, das sture, etwas einfältige Mädchen und der unheimliche, reiche Mann, der das Mädchen zunächst erniedrigt, bis er ihr seine bedingungslose Liebe gesteht. Das sind aber auch Carrie Bradshaw und Mr. Big aus «Sex and the City». Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Heldinnen ändern sich – «wo ein viktorianischer Mann seine Inbrunst mit Gedichten und Konfekt unter Beweis gestellt hätte, tut Grey dies mit Vaginalkugeln, Analverkehr und Hubschrauberflügen» –, das Leiden an der Liebe nicht.
«Lady, liebe deine Möse!»
Natürlich ist die Sexualität einer Carrie und einer Ana heute eine andere als einst die einer Jane: Zur Sehnsucht nach Verschmelzung kommt jetzt das Streben nach Autonomie, eine Gleichheit der Geschlechter führt zu Unsicherheit im sexuellen Verhalten. Doch Sexualität braucht, so die populäre Meinung, Spannung. Mithilfe sadomasochistischer Praktiken finden in «Fifty Shades of Grey» die als «modern» stereotypisierte Frau (die endlich Autonomie im Job will) und der dazu passende Mann (der nach einem anstrengenden Erfolgsalltag nur noch Symbiose will) zu neuen Spannungsfeldern innerhalb einer «großen theatralischen Inszenierung». Und weil eine von der Frau lustvoll erlebte Sexualität gemeinhin als das «Kennzeichen feministischer Subjektivität» gewertet wird, ist E. L. James irgendwie auch eine Feministin. «Lady, liebe deine Möse!», sagte schließlich einmal Germaine Greer.
Früher, in den unter Frauen so populären, trivialen viktorianischen Schauerromanen, weiß Illouz, sei «eine ästhetisierte Form von Masochismus» gang und gäbe gewesen, sie hätte den Frauen ermöglicht, das Leiden einzuüben, das sie später einmal in der Ehe erwartete. Masochismus sei damals nicht als Perversion wahrgenommen worden oder als spielerische Option, «sondern als sozial konstruierte Position, nach der Frauen sich zu sehnen» lernten. Was für eine schlimme alte Zeit!
Überhaupt ist Eva Illouz auf ihren 88 Seiten dann richtig brillant, wenn sie historisch wird und sich vom direkten Objekt ihrer Analyse etwas entfernt. Wenn sie etwa aufzeigt, dass die Themen Kontrolle und Kontrollverlust über die Jahrhunderte ein wichtiges Merkmal der großen Bestsellerliteratur sind. Sei dies Robinson Crusoes «Triumph männerzentrierter und europäischer Moralvorstellungen» über seine Insel und ihre Eingeborenen. Sei es «Onkel Toms Hütte», geschrieben von Harriet Beecher Stowe, das bei seinem Erscheinen als weibliche Aufforderung zur religiösen, rassischen und moralischen Regelüberschreitung kritisiert wurde.
Eva Illouz ist nicht Judith Butler
Kontrolle und Kontrollverlust, das sind genau jener zuverlässige Schraubstock und jenes Ventil, mit denen sich so ein sozialer Widerspruch literarisch ohne größere Krämpfe lösen lässt. Und der kontrollierte Kontrollverlust wie in «Fifty Shades of Grey», der lässt nun gar keine Probleme mehr offen. Hauptsache man weiss, wie man die Genitalklammern richtig einstellt.
Es sei die «Erotik der Selbsthilfe», die «Fifty Shades of Grey» bediene, indem sie eine «Erotik zum Selbermachen» vorgaukle, schließt Illouz. Und selbstverständlich eine heterosexuelle Erotik à deux. Und so ist am Ende einer größtenteils inspirierenden und immer vorzüglich zu lesenden Lektüre die «neue Liebesordnung» dann doch nicht ganz so neu. Eva Illouz ist nicht Judith Butler, und ihre «Liebesordnung» ist nicht «Gender Trouble». Aber wahrscheinlich liegt es ganz einfach am Material. Man soll ein Buch, das mit Ratschlägen glänzt wie «Je voller die Blase, desto intensiver der Orgasmus», nicht allzu verkrampft intellektualisieren. Sonst bleibt das Bestreben, das Triviale zu adeln, selbst auch minimal trivial.
Simone Meier, Tages-Anzeiger 2.7.2013
Bild: Eva Illouz; Wikipedia
Eva Illouz: Die neue Liebesordnung – Frauen, Männer und Shades of Grey
Suhrkamp, Berlin 2013, 88 S., 7,99 EUR
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