Yoko Ono Porträt
2013 © Schirn Kunsthalle Frankfurt 2013
(Foto: Gaby Gerster)

Oh Ono!        

Unglaublich, aber wahr: Yoko Ono wird 80. Wir hatten das Vergnügen, die Künstlerin und ihr Werk zwei Tage lang zu erleben.

Die Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main ehrt Yoko Ono mit der großen Retrospektive „Half-a-Wind Show“

Manche Fragen kann auch Yoko Ono nicht beantworten. Etwa diese, gestellt von einem derangierten John-Lennon-Double: n«Ich grüsse Sie von John Lennon, und ich will wissen: Hatte Hiroshima einen Einfluss auf Ihre Kunst, und was ist Ihr Lieblingsgrüntee?» Eine Frau fragt: «Wie haben Sie John kennen gelernt?» – «Oh, John und ich lernten uns durch Zufall kennen. Aber vielleicht auch nicht.» Gibt es für Yoko Ono eigentlich ein Leben ohne John Lennon nach John Lennon? Ein anderer Mann, er dürfte auf die 70 zugehen, tritt vor: «Ich habe keine Frage, ich will nur eins: Touch me!» Sie berührt ihn. Am Mittwochabend, in einem Raum des Frankfurter Dominikanerklosters, der die Ambiance eines seit Jahren ungelüfteten Kirchgemeindehaussaals versprüht.

Eine Stunde lang erlebt man hier die lebendige Welt der Yoko Ono, nicht die ausgestellte, musealisierte. Und darin liegt ja auch der Kern ihrer Kunst, in der Performance, die einbindet und verbindet, und Letzteres ist exakt so gemeint, denn der Abend geht los mit einem Verbandsstück, mit «Sky Piece to Jesus Christ», uraufgeführt 1965 in New York.«Jesus Christ», also JC, steht für den andern John, John Cage, den guten Freund und künstlerischen Weggefährten, mit dem Yoko Ono viele Kämpfe auszufechten hatte, weil er sie für allzu selbstständig und egoistisch hielt, gerade für eine Frau, gerade für eine Asiatin. «Als ich ‹Sky Piece› machte, war ich zynisch unterwegs, so ‹hahahahaha!›», erläutert sie nach der Performance. Und ja, es liegt ein gewisser Zynismus in dieser Arbeit, denn die zehn Musiker der Jungen Deutschen Philharmonie werden während eines hübschen kammermusikalischen Vortrags von acht weiteren jungen Menschen in Gazeverbände eingepackt. Sie und ihre Instrumente verschwinden langsam, was zu Beginn noch deutlich war, klingt am Ende stumpf und falsch, die Sehenden sind erblindet, die schwarze Konzertgarderobe ist jetzt weiss, greise Mumien sitzen da, und die Sturheit, mit der sie weitermusizieren, erntet nur eins: anschwellendes Gelächter.

Yoko ist nicht am Telefon

Wenn Yoko Ono spricht, mit dieser warmen, melodischen, heiteren Stimme, mit dem perfekt schräg gesetzten Hut auf dem Kopf und der Sonnenbrille vor den Augen, möchte man, dass sie nicht mehr damit aufhört. Auch wenn kein Mensch weiss, wo bei ihr die Grenze zwischen Weisheit und Wahnsinn verläuft. Doch jetzt spricht sie nicht nur, nein, sie greift auch noch zum Pinsel und macht zweieinhalb Minuten lang Action-Painting. Schreibt in japanischen Zeichen, die so gross sind wie sie selbst, etwas auf eine weisse Wand hinter der Bühne. Die Grundlage dafür, erklärt sie, sei ein japanischer Mythos, ein Krieger, der sieben Leiden und acht Sorgen auf sich genommen habe, um sein Land zu retten. So sei sie sich vorgekommen nach Johns Tod, und da habe sie einfach beschlossen, all dies in positive Wünsche und positive Energie umzuwandeln, und auf der Wand würde jetzt stehen, dass sie sich das für uns alle auch wünsche.

Dann ist Donnerstag, und es geht los mit der Ausstellung in der Schirn, der bisher grössten Yoko-Ono-Schau in Europa: 200 Objekte aus sechs Jahrzehnten Partizipationskunst, Konzeptkunst, Fluxuskunst, deren Pionierin Ono in den 60er-Jahren war. Fluxus, diese Mischung aus Dadaismus, Anarchismus und Mitmachkunst. Und was so kühl, so antiquiert klingt, ist erneut: hell und heiter und von heute. «Ziehen Sie die Schuhe aus, gehen Sie rein, und wenn Sie es bis zum Telefon schaffen und Glück haben, klingelt es vielleicht, und Sie sind mit Yoko Ono verbunden», sagt eine Aufseherin vor einem Plexiglaslabyrinth, in dessen Mitte ein weisses Telefon thront. Sie ist natürlich nicht dran, wie sollte sie auch, sie ist mit den Fernsehteams unterwegs und erläutert, dass Künstler heute wichtiger seien als Politiker, denn Politiker seien ferngesteuert, Künstler aber würden die Wahrheit sagen, und John habe ganz am Anfang zu ihr gesagt: «Gib mir Wahrheit!»Man darf auch in schwarze Säcke kriechen, Schach spielen mit weissen Figuren auf weissem Brett, Wasser auf eine Glasplatte träufeln. Nur auf die berühmte Leiter steigen darf man nicht. Die Leiter, die Lennon 1966 in der Londoner Indica Gallery bestieg. Oben schaute er mit einer Lupe durch eine Glasplatte, hinter dem Glas stand winzig das Wort «Yes», und dieses «Yes» wurde zum berühmtesten Liebes-Ja seit Eva und Adam Ja zum Apfel gesagt hatten.

Yoko Onos Musik läuft, alle wichtigen Filme laufen, «Fly» (1970), in dem einem sedierten Model Fliegen über den nackten Leib kriechen, das Musikvideo «Walking on Thin Ice» (1981) mit inniger Liebesszene von Ono und Lennon. Die Installation «We Are All Water» (2006) bezaubert, unzählige Fläschchen mit Wasser stehen da, alle sind mit Namen versehen von Menschen, von denen Yoko Ono sich vorstellt, dass sie gut und wahr miteinander reden könnten: Freud, Kleopatra, Goethe, David Bowie, Madonna, Gertrude Stein, Hemingway, Rilke, Nam June Paik, Missy Elliott, Jeanne d’Arc und, und, und. Für «Vertical Memory» (1997) verschmolz sie drei Porträts von ihrem Vater, John und Sohn Sean, vervielfältigte sie, gab ihnen Titel wie «Doctor», «Artist», «Priest» und versah jede dieser universellen männlichen Autoritäten mit einer kurzen Anekdote.

Immer nur die halbe Wahrheit

Besonders schön: Der «Half-a-Room» von 1967, alles ist da exakt entzweigeschnitten: Möbel, Schuhe, ein Radio, Geschirr, Blumen. Die andere Hälfte «muss man sich vorstellen», sagt Ono, genau so wie auch von der Wahrheit immer nur die Hälfte sichtbar sei, für die andere müsse man seine Fantasie benutzen. Weshalb die Frankfurter Ausstellung auch «Half-a-Wind-Show» heisst und den Titel einer Ono-Schau von 1967 zitiert. Sie sei nämlich 1965 (ein Jahr vor der Bekanntschaft mit Lennon) aufgewacht, und ihr damaliger Mann habe nicht im Bett gelegen, und sie habe gedacht: «Hm, komisch, das ist, als wäre nur noch das halbe Bett da», erzählt sie. So sei sie zur Theorie der halben Welten gekommen. Es sind Geschichten und Ideen, die sie lebt und teilt – dass sich in ihrem Werk überhaupt so viele ausstellbare Objekte angesammelt haben, erstaunt Yoko Ono selbst.

Am Ende zählt sowieso nur der Himmel in seiner alles umspannenden Immaterialität: «Egal, was passiert, der Himmel ist immer da und immer schön. Mal blau, mal grau. So what?» Am Montag wird Yoko Ono 80 Jahre alt. «Und dann beginne ich ein zweites Leben, um endlich alles zu tun, was ich bisher versäumt habe.» 80. So what?

Simone Meier, Tages-Anzeiger 15.02.2012

 

AUSSTELLUNG

Zum 80. Geburtstag von YOKO ONO zeigt die SCHIRN FRANKFURT eine umfassende Retrospektive, die eine charakteristische Auswahl der letzten 60 Jahre ihres Schaffens präsentiert.

 

BILDERGALERIE 

Yoko-Ono Retrospektive in der Schirn-Kunsthalle Frankfurt

[nggallery id=21]

 

 

KATALOG

Yoko Ono. Half-A-Wind Show. Eine Retrospektive. Herausgegeben von Ingrid Pfeiffer und Max Hollein. Vorwort von Max Hollein, Essays von Kathleen Bühler, Jörg Heiser, Jon Hendricks, Ingrid Pfeiffer und Kerstin Skrobanek.

Deutsche und englische Ausgabe, 208 Seiten, ca. 280 farbige Abbildungen, Gestaltung Harold Vits, Mannheim;

Prestel Verlag, München 2013, ISBN 978-3-7913-6459-9 (deutsche Ausgabe), ISBN 978-3-7913-6460-5

 

bei amazon kaufen

 

 

 

 

YOKO ONO: EINE GLOBALE EXISTENZ

Am 18. Februar 1933 kommt Yoko Ono in Tokio zur Welt. Ihre Mutter stammt aus einer Bankerdynastie, der Vater gab seinen Traum, Konzertpianist zu werden, zugunsten einer Bankerkarriere auf. Yoko Ono geht mit den kaiserlichen Prinzen zur Schule, ihr Elternhaus erlebt sie als kalt. Durch den Job des Vaters wächst sie abwechselnd in Tokio und San Francisco auf. Den Luftangriff der Amerikaner auf Tokio im März 1945 überlebt sie im familieneigenen Bunker, danach wird sie mit ihren Geschwistern und der Mutter aufs Land evakuiert. Als erste Frau in Japan wird sie 1952 zum Philosophiestudium zugelassen, sie widmet sich dem Marxismus und dem Existenzialismus und schliesst sich japanischen Pazifisten an. Daneben macht sie eine Ausbildung in klassischem Gesang.

1953 folgt sie den Eltern in die USA, wo sie den Komponisten Toshi Ichiyanagi kennen lernt, einen Schüler von John Cage. Ein Jahr später heiraten Ono und Ichiyanagi. 1962 lässt sie sich scheiden und heiratet den Filmproduzenten Anthony Cox, 1963 wird Tochter Kyoko geboren. 1966 lernt sie John Lennon in London kennen. Die Ehe mit Cox wird geschieden, und sie heiratet den Ex-Beatle, 1975 kommt Sohn Sean zur Welt. Die Familie lebt in New York, im Dakota Building gegenüber dem Central Park. Am 8. Dezember 1980 wird John Lennon vor dem Dakota erschossen. Seit Ende der 80er-Jahre ist Ono global mit Ausstellungen, Performances und als Friedensaktivistin präsent. 2012 vergibt sie den selbst gestifteten Lennon-Ono-Friedenspreis an die russische Punkband Pussy Riot. Yoko Ono lebt bis heute im Dakota.
(Simone Meier)