Das unangemessene Verhalten unerwachsener Frauen
«Sex and the City» war gestern. Jetzt schauen bald alle «Girls», die Serie von und mit Lena Dunham.
Wie plötzlich so ein «Buzz» entsteht, also so ein allgegenwärtiges, begeistertes Rumoren, das sich meist übers Internet den Weg ins reale Leben bricht, das ist oft nicht zu erklären. Er ist halt plötzlich da, und so war es auch Mitte April, als auf HBO weit weg in Amerika die erste Folge von «Girls» ausgestrahlt wurde. Und wie es halt so ist im Zeitalter der digitalen Trickserei, schauten auch hier bald viele Girls «Girls» oder steckten sich heimlich einen Datenstick – diesen Joint der Jetztzeit – mit den illegal heruntergeladenen Folgen zu. Was sich auf den Sticks befand, war ansteckend, denn es löste in Amerika und Europa gleichermaßen Gelächter und Zustimmung aus. Weil «Girls» ganz einfach urbanen weiblichen Tatsachen entsprach. Ein bisschen wie «Sex and the City» vor 14 Jahren, bloß total anders.
Damals fanden sich – ebenfalls bei HBO – vier Frauen über dreißig in New York, versagten in der Liebe, aber nicht im Business. Heute finden sich vier Frauen unter dreißig in New York, versagen in der Liebe und in jeder anderen Hinsicht auch, und ihre Kleider sehen im Gegensatz zu denen der hochgezüchteten Luxusluder von einst angenehm nach Secondhand und ganz alltäglichen Fehlkäufen aus.
Berufe haben sie alle vier nicht, höchstens Jobs, und auch die nur gelegentlich, dafür ein unkompliziertes Verhältnis zum Portemonnaie der Eltern. Es sind vier Frauen aus der Generation Projekt und Prekariat, mit ein bisschen Kunsthochschule im Hintergrund. Sie sind, nach aktuellen Szenestandards von Wien über Berlin, Zürich, London und New York, total authentisch, und natürlich sind sie bei aller Selbstironie und andauernden Selbstentblößung schräg und originell und dadurch eben wieder wahnwitzig cool.
Eigennutz und Eigensinn
Die Anführerin des Quartetts, quasi die Carrie Bradshaw von heute, heisst Hannah Horvath (Lena Dunham), ist 24, will eigentlich Schriftstellerin oder Essayistin werden, aber vielleicht doch realistischerweise Bloggerin oder jedenfalls «die Stimme meiner Generation oder wenigstens eine Stimme einer Generation». Ihre Versuche, sich in normale Arbeitsprozesse einzugliedern, scheitern auf groteske Art, der arbeitslose Schauspieler, mit dem sie Sex hat, ist allzu oft von Pornos inspiriert, bloß ihr Tagebuch schafft einen richtig großen Auftritt, der könnte allerdings peinlicher nicht sein.
Ihre Freundinnen sind die verklemmte Marnie (Allison Williams), die flamboyante Jessa (Jemima Kirke, Tochter des Drummers von Bad Company) und Jessas hühnerhaft flattrige Cousine Shoshanna (Zosia Mamet, Tochter von Filmemacher David Mamet). Marnie arbeitet in einer Galerie und wäre am liebsten Kate Middleton. Jessa strickt an ihrer lasziven Boheme-Legende, erteilt die garantiert schlechtesten Ratschläge, arbeitet höchstens als Babysitterin und lässt jeden Mann nach ihr lechzen. Shoshanna mit den irren Augen geht noch aufs College, ist die letzte Jungfrau von New York und wird auf Crack zur Schlägerin. Sie alle verbindet ein Hang zur Unschärfe, Entscheidungsfaulheit, Eigennutz und Eigensinn. Und sie sind – wie man das aus den Knotenpunkten urbaner Selbstdarsteller kennt – die Königinnen des bedeutungsschwangeren Meta-Geschwafels. Menschen auf der Suche nach irgendwas, Hauptsache, es macht nicht allzu viel Arbeit, aber sehr viel Spaß und sieht immer ein bisschen aus wie eine Kunst-Performance.
Die Tattoo-Freundinnen
Erfunden, geschrieben, gedreht und ganz ungeniert ihrer eigenen Biografie nachempfunden hat dies alles Lena Dunham (26), die jetzt als neue Tina Fey, als neues großkomisches Talent gefeiert wird. Doch im Gegensatz zu Tina Fey, die immerzu ein adretter Darling ist, erscheint Lena Dunham bloß zu großen öffentlichen Auftritten geschminkt und kostümiert und neuerdings mit halblangen Ärmeln, die ihre Tattoos mit Szenen aus ihren liebsten Kinderbüchern verdecken. Als Hannah Horvath lässt sie sich mit viel Ganzkörpereinsatz gehen, auch in den vielen Ganznacktszenen. Hannah Horvath ist keine Schönheit, Hannah Horvath ist eine Normalität. Dazu nervig, frech, verfressen, dreckig, schlagfertig, selbstbewusst. Eine Frau wie ein sehr lauter Traktor, aber zuletzt doch ein sehr verletzlicher.
An einzelnen von Lena Dunhams Tattoos hat übrigens ihre «Muse» Jemima Kirke mitgewirkt, die beiden sind im Leben genauso eng befreundet wie in der Serie. Zu ihren Künstler-Eltern, sagt Lena Dunham, die im richtigen Leben genauso lustig ist wie in der Serie, habe sie das gleiche Verhältnis wie Hannah Horvath zu ihren. Sie nennt sie «meine beiden besten Freunde» und beansprucht gern ihr Haus und ihr Geld. Bei vielen andern würde das bedenklich stimmen. Unreif, abhängig, bequem. Doch Lena Dunham hat aus dieser Untugend ihrer Generation «Girls» gemacht. «Es gibt für meine Generation kein dem Alter angemessenes Verhalten mehr», sagt sie. Und direkter, derber, komischer und berührender hat man das unangemessene Verhalten unerwachsener Frauen bis jetzt noch nicht gesehen.
Simone Meier, Tages-Anzeiger 16.10.2012
Bild: Lena Dunham; CC BY-3.0 David Shankbone
«Girls» läuft auf dem deutschen Bezahlsender glitz* jeweils mittwochs um 21.10 Uhr. Zehn Folgen à 30 Minuten. Die DVD der ersten Staffel ist als US- Import ab Anfang Dezember erhältlich, die zweite Staffel startet im Januar 2013 auf HBO.
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