Im Herbst 1950 begann der Journalist und CIA-Mitarbeiter Edward Hunter mit der Planung und Durchführung einer antikommunistischen Pressekampagne, an der er sich selbst maßgeblich beteiligte. Am 24. September veröffentlichte er in der Miami Daily News einen richtungsweisenden Artikel mit dem Titel Brain-Washing‘ Tactics Force Chinese into Ranks of Communist Party.[1] Erstmals tauchte in der US-amerikanischen Medienöffentlichkeit die Wortschöpfung „Brain-washing“ (dt. „Gehirnwäsche“) auf und stieg in der Feindbildpolitik des Kalten Kriegs zu einem Leitbegriff auf.
„Brain-washing“ ist ein Lehnbegriff der chinesischen Wortschöpfung xǐ năo (xǐ, „waschen“, năo, „Gehirn“) und wurde von der US-Administration zur drastischen Metapher für die in den kommunistischen Staaten ausgeübte Praxis der psychologischen Manipulation zur Zeit des Korea-Kriegs aufgebaut. Vor dem Hintergrund dieser politisch motivierten Popularisierungskampagne wurden wissenschaftlich-technische Repräsentationen von Hirnfunktionen und -strukturen zu einem bedeutenden Austragungsort gesellschaftlicher Diskurse und politischer Machtverhältnisse. In der Folgezeit wurde die Abwehrmetapher des Gehirns zur Ikone und durchlief dabei eine vielschichtige Bildkarriere.
„Engineering the American Self“
Der Prozess der Ikonisierung des Gehirns als Bestandteil staatlicher Bewusstseinskontrolle wurde jedoch bereits im Zweiten Weltkrieg initiiert. Mit dem Kriegseintritt der USA im Jahr 1941 produzierte das U.S. Office of War Information unter dem Schlagwort „Engineering the American Self“[2] Instructional Films zur direkten Verhaltensbeeinflussung des militärischen Personals. Die Trainingsfilme waren behavioristisch orientiert und operierten mit schematischen Trickgrafiken des Gehirns zur Aufmerksamkeitssteuerung des Kinopublikums („attention marker“).[3]
Ein Film-Still des Trainingsfilms Safeguarding Military Information (USA 1943) zeigt eine kontrastierende Gegenüberstellung zwischen einem Soldaten, der sich in einer feindlichen Umwelt der Infiltration, Spionage und Abwehr befindet. Im Körperumriss leuchtet ein in weißer Farbe hervorgehobenes Gehirn im Querschnitt, welches sich deutlich vom schwarzen Hintergrund abhebt. Eine Kamerafahrt in das Innere des Körpers in Richtung des Gehirns sorgt für eine zusätzliche Blickführung, die vom Off-Kommentar verstärkt wird („be aware“). Instruierende Filme wie Safeguarding Military Information nutzten die Potenziale und Funktionen der Gehirnmetapher, um den Lernenden zu stimulieren, neue Lehrinhalte durch bildhaftes Anknüpfen an einheitliche und wiederholbare Bildzeichen effektiver zu erlernen. Die Bildmetaphern sollten weniger das Vorwissen (Erinnerung) aktualisieren, sondern dienten vielmehr zur Steigerung memnotechnischer Behaltensleistungen. Ausgehend von den militärischen Trainingsfilmen entwickelte sich an der Schnittstelle politischer Einflussnahme, der Sichtbarmachung mentaler Prozesse und einer invasorischen Blickkultur eine filmische Motivgeschichte des Gehirns, die sich aus spezifischen Kinotechniken zusammensetzte (Kadrierung, Montage, Trickfilmtechnik, Tiefenanordnungen, Kamerafahrten und -bewegungen, Bild-Ton-Relation u.a.).[4]
Maßgeblicher Auftraggeber der Instructional Films war das Office of War Information, das kleine Lehrfilmhersteller im Mittelwesten der USA damit beauftragte, audiovisuelle Zeichenregister zur effektiven Blickführung eines Massenpublikums zu entwickeln.[5] Innerhalb dieser Register visueller Instruktionen sollten die Repräsentationen des Gehirns die Aufgabe der innerdiegetischen Adressierung („’filmisches Verstehen’“) und der extradiegetischen Konditionierung des Publikums („’filmische Anleitung zur Lebensführung’“) übernehmen.
Im Produktions- und Rezeptionskontext der War Information dominierten vor allem positivistische Evidenzstrategien zur Visualisierung mentaler Prozesse. Erst nach Kriegsende rückten die negativen Seiten der Konditionierung des Gehirns in den Vordergrund. Das Eindringen in die Gedankenwelt eines anderen Menschen wurde zunehmend als unheimliche und angstbesetzte Entfremdung (Alienation) der eigenen Identität angesehen.[6]
In der Nachkriegsära dominierte die Beziehung des Körpers zu seiner Umwelt ein Denken, das stark von antagonistischen Vorstellungen geprägt war. ‚Kalter Krieg‘ und ‚Ost-West-Konflikt‘ bezeichneten einen fundamentalen ‚Systemgegensatz‘ und prägten gleichermaßen kulturelle und wissenschaftliche Diskurse. Vor diesem ideengeschichtlichen Hintergrund wurde das Gehirn zum bevorzugten Kampfplatz des Ost-West-Konfliktes stilisiert. In Filmen wie The Fight Against Communism (USA 1950) oder Practicing Democracy in the Classroom (USA 1952) kämpften personifizierte Hirnzellen gegen ideologische Fremdkörper. Mit trickanimierten Cartoons zelebrierten antikommunistische Social Guidance Movies ihre medienspezifischen Möglichkeiten, indem sie etwa mit Hilfe wissenschaftlich-technischer Bildrepertoires versprachen, schädliche Gedanken sichtbar zu machen, um sie anschließend zu eliminieren.
In der Zeit der Korea-Krise war das Brain-Washing in aller Munde.[7] Am 10.April 1953 hielt der CIA-Direktor Allen W. Dulles seine programmatische Antrittsrede über das Brain-Warfare.[8] Sein Vortrag über die Erfordernisse der psychologischen Kriegsführung verstand sich als Startschuss für ein umfassendes Forschungsprogramm zur Beherrschung des menschlichen Gehirnes. Das von regierungsnahen Institutionen geförderte Erziehungsprogramm der „Mental Hygiene“ zielte auf die internalisierte Kontrolle und Steuerung der US-Bürger/innen.[9] Mitte der 1950er Jahre initiierten die Psychologen Edgar H. Schein und Robert J. Lifton im Auftrag der US-Regierung und enger Zusammenarbeit mit führenden Repräsentanten der Gruppenforschung, der pharmazeutischen Industrie und der Operations Research zahlreiche Forschungsprogramme über Möglichkeiten der sogenannten Mind Control, die auch Menschenversuche beinhalteten.[10] Ein funktionierendes Brain-Warfare sollte nicht länger von technischen Überwachungsapparaturen abhängig sein: Gruppenzwang und sozialer Anpassungsdruck galten als die effektivsten Methoden zur Herstellung der Mind Control.[11]
Gehirn, Organismus, Staat
Die im Jahr 1949 sprunghaft angestiegene Produktion von psychologischen Lehrfilmen[12] über die Möglichkeiten der direkten Beeinflussung des Organismus durch Drogen und Strahlungen ist ein Indikator für das erstarkte Rollenbild neurologischer und sozialpsychologischer Diskurse im ideologischen Abwehrkampf der USA.[13] Bilder des Gehirns implizierten dabei stets die Simulation eines medizinischen Blicks unter die Haut.[14] Mit dem invasorischen Blick auf das Verborgenste und Geheimste des Menschen sollte das ontologische Zentrum des Individuums suspendiert werden. Der wissenschaftlich-technische Zeichentrick des Lehrfilms verwandelte den traditionellen Sitz der Seele, der Gedanken und der Emotionen in experimentell reproduzierbare Versuchsanordnungen. In der Ära des „Battle for the Mind“[15] begannen allmählich Computermetaphern die Visualisierung von Hirnfunktionen zu überlagern und stiegen rasch zum „icon for principal systems of symbolic and material ‚difference’“[16] auf.
Mit der Aufwertung der operationellen Definition von Denken musste die Bildwelt des Lehrfilmwissens kein dezidiertes Feindbild mehr präsentieren, sondern brauchte sich nur noch auf die inneren Strukturen der Selbsterhaltung und der Feinderkennung konzentrieren. Mit der Erfindung des Immunsystems als einer neuen politischen Dimension eines flexiblen, sich ständig wandelnden Körpers verlor das Gehirn seine zentrale Stellung als oberste regulierende Instanz des menschlichen Organismus.
In den Anfängen des Kalten Kriegs etablierten der spätere Nobelpreisträger[17] Frank Macfarlane Burnet und Frank Fenner in ihrer Schrift „The Production of Antibodies“[18] den formal-theoretischen Modellbegriff des „immunologischen Selbst“ – ein Begriff, der sich zu einer leitenden Metapher zur Beschreibung von immunitären Reaktionen entwickeln sollte[19]. Mentale Handlungen und Entscheidungen wurden dezentralisiert und waren integraler Bestandteil sämtlicher Schutzmechanismen des Organismus. Das von Burnet und Fenner entwickelte „Selbst-Nichtselbst“-Konzept setzte ein gesundes, normales und aggressives Selbst voraus, das sich gegen eine potentiell feindliche Umwelt behauptet und damit die Erhaltungsfunktion des Körpers gewährleistet (Abb. 4). Dieser Definition ging eine eindeutige Unterscheidung zwischen dem körpereigenen Selbst und dem körperfremden Nicht-Selbst voraus. Innen und Außen standen für die klare Teilung zwischen Selbst und Nicht-Selbst.
Die Metaphorik des Immunsystems wurde in wechselnden historischen Zusammenhängen mit den Metaphern der Politik und des Staates vermischt. Die Annahme, dass sich ein gesundes Immunsystem ohne äußeren Einfluss in einem normalen Zustand befindet und nur durch ein von außen eindringendes Antigen in seiner Normalität gestört wird, wurde in der Ära des Kalten Kriegs als biologische Metapher zur Beschreibung des US-Staatskörpers aufgenommen und in populärkulturelle Kontexte übertragen: „In the 1940s and 1950s, immunology and virology became saturated with a Cold War consciousness as they drew upon medical fears of illness that paralleled politcal fears of communist infiltration and invasion. These fears manifested themselves in the identification of communisits and homosexuals as diseased elements of an otherwise healthy American body politics“[20].Die repressive Semantik politischer Metaphern und normativer Körperkonzepte prägte in der Feindbildkonstruktion des Ost-West-Konfliktes den operativen Wortschatz des biomedizinischen Wissens. Vor diesem Hintergrund verkörperte das Gehirn ein xenophobisches „Selbst“, das in einer „überlebensnotwendigen“ Feindschaft einem pathologischen „Nicht-Selbst“ gegenübergestellt wurde. Im diskursiven Geflecht von Immunologie, Molekularbiologie, Cold War Culture und politischer Public Relations spielte das Gehirn die Rolle einer anpassungsfähigen und antizipationsfreudigen Steuerungseinheit im Abwehrkampf des Human Fortress.[21] Damit formierte sich ein anschlussfähiges Regierungswissen, das in die militärisch-technologische Metaphorik des Kalten Krieges integriert werden konnte.[22]
Zeichensysteme der Wissensrepräsentation
Mit der gesicherten Auftragslage durch militärisch-administrative Institutionen entstand im Zweiten Weltkrieg eine fachwissenschaftlich spezialisierte Lehrfilmindustrie.[23] Sie etablierte ein Massenpublikum, das den Film als ein Instrument der Belehrung und Erziehung akzeptierte.[24] Vor dem Hintergrund breit angelegter Popularisierungskampagnen zur „Mental Hygiene“ etablierte sich in der Ära der Cold War Culture ein neuartiges Lehrfilmformat: Prädikatisiert als Classroom Films setzte man Social Guidance Movies flächendeckend in den High Schools und Universitäten ein und erreichte ein Millionenpublikum.[25]
Das Korpusmaterial zur Ikonographie des Gehirns enthält 22 Filme aus dem Zeitraum 1948-1953. Der überwiegende Teil der Laufbilder präsentiert einen tricktechnisch versierten Querschnitt des menschlichen Schädels im Profil und tradiert eine bestimmte visuelle Darstellungskonvention: das Eindringen des medizinisch-technischen Blicks in das Innere menschlicher Anatomie vermittels der visuellen Simulation eines anatomischen Schnittes, der den gesamten menschlichen Körper für das klinische Blick- und Bildrepertoire transparent macht. Die um das Gehirn der Massen entbrannte psychologische Kriegsführung (Brain-Warfare) kommuniziert in ihren sogenannten Social Guidance Movies ein selektives Bild des Gehirns, das sich aus klinisch-pathologischen Wissensformationen speist.
Der für ein Expertenpublikum produzierte Streifen Mind Control (USA 1951) stellt die wissenschaftlich-technischen Potenziale der Bewusstseinskontrolle betont positiv dar. Um die ‚Gehirnwäsche‘ der eigenen Bevölkerung zu rechtfertigen, konstruiert der Film ein Innen/Außen-Schema, in dem das Gehirn zu einer Abwehrmetapher gegen die ‚militärische Invasion‘ des ideologischen ‚Feindes‘ stilisiert wird. Mind Control operiert mit einer Serie von visuellen Oppositionen. Als bedrohlich gilt weniger das affektbestimmte Denken, sondern vielmehr das sich dem wissenstechnischen Zugriff entziehende Denken, auf das die – im nebenstehenden Film-Still abgebildete – undurchsichtige Wolke als Grenzfigur der Repräsentation anspielt. Die Erfassung mentaler ‚Zustände‘ und ‚Prozesse‘ in einem Raum des Wissens (Spatialisierung) wird in Mind Control mit einem Medienwechsel vom abstrakten Bild (tricktechnisch animierte Wolke) zum Schriftbild (Schriftinsert „Thinking“) vollzogen.
In der Darstellung der Denkakte rekurriert der Film mehrmals auf personifizierende Gehirnmetaphern. So werden etwa mentale ‚Gegenstände‘ in animierten Sequenzen oft mit Gesichtsmerkmalen verlebendigt. Personifizierung ist ein häufig anzutreffendes didaktisches Mittel des populärwissenschaftlichen Lehrfilms. In Understand Your Emotions (USA 1950) personifiziert etwa die Voice Over zusätzlich mentale Prozesse und konstruiert ein Subjekt zielgerichteten Handelns: „the brain intends to avoid negative emotions“.
Ein weiteres Charakteristikum ist die Verwendung von Raummetaphern bei der Modellierung mentaler Prozesse, welche die Logik der Bildmedien insgesamt betrifft (Zeichnung, Fotografie, Film, Röntgentechnik, Computertomographie).[26] Im Film sind es vor allem die Grafikanimationen, die ausgewählte Weg-, Gebiets- und Container-Metaphern evozieren und auf der Tonebene mit grundlegenden Körpererfahrungen wie Bewegung, Kraftwirkung und Inklusion/Exklusion und den entsprechenden Bewegungsverben/Präpositionen verknüpft werden (z.B. „the electrical signal moves to“). Die Tricktechnik erzeugt in Zusammenarbeit mit der schematischen Zeichnung Signifikanten der Raumorientierung: Pfeile erzeugen Richtungen, Strecken, Wege, Verläufe und produzieren damit kleine Anekdoten und situative Beschreibungen menschlicher Körperfunktionen.
In Filmen mit einer ausgeprägten Adressierungsfunktion wie etwa Understand Your Emotions (USA 1950) und Control your Emotions (USA 1950) wird das reifizierte und spatialisierte Gehirn als ein navigierbarer Raum dargestellt. Die Simulation navigierbarer Räume wird hier mit einer subjektiven Kamera aufgenommen, um den Aspekt der Immersion zu verstärken: Mit der durch Kameraschwenks und -bewegungen unterstützten Ästhetik der Navigation soll das Gehirn für die Betrachter/innen als ein virtueller Aktionsraum erfahrbar werden. Verkehrswege und -zentren organisieren dabei einen ‚lückenlos erschlossenen‘ Raum. Schematisch gezeichnete Kartografien des Gehirns konstruieren einen synoptischen oder panoramatischen Blick auf den Lehrgegenstand. Anstelle mühsamer Deduktionen und Argumentfolgen zielen simplifizierende Geometrien des didaktischen Films auf ein schnelles Verstehen und simulieren eine übersichtliche, unkomplizierte Welt des Geordneten. Tricktechnische Aufnahmen machen das Prozessierende, Fließende, Kreisförmige in seinem festgelegten, gleichförmigen Rhythmus als etwas Zusammenhängendes und Zusammenarbeitendes sichtbar.
Wegweiser und Karten
An bestimmte Stellen gerückt, fordern Pfeile die Aufmerksamkeit des Betrachters. Jedes Detail des grafischen Zeichens kann mit Bedeutung aufgeladen werden. Intensitätsdifferenzen wie die Strichbreite, der Duktus, die Farbe sollen für überdeutliche Differenzierungen sorgen und suggerieren Zusammenhänge innerhalb der Trickfilmanimation. In der Welt der animierten Dinge scheint jede Neuerung und jede Modifikation eine Bedeutungsproduktion zu bewirken. Das Dünne, das Dicke, das Fette transformieren den Zeichenkörper des Vektors und schaffen neue Bedeutungen: das Beachtliche, das Neue, das Einleuchtende. Pfeile und Vektoren gelten als Bestandteile der didaktischen Blickführung; sie geben Hinweise und Anordnungen zur richtigen Lektüre, versammeln die Aufmerksamkeit der Rezipient/innen an markanten Punkten und etablieren lineare Ordnungen und eindeutige Richtungen. In Verknüpfung mit Kamera (Detail, Zoom) und Schnitt (Rhythmisierung der Lektüre) wird der Betrachter in das Innere der Bilder hineingeführt. Mit der fokussierenden Detailaufnahme wird etwa versucht, die teilnehmende Kinoerfahrung des Publikums zu intensivieren (Immersion) und in Verbindung mit tricktechnisch animierten Pfeilen und Vektoren auf bestimmte Wahrnehmungsziele hin zu strukturieren.
Zahlreiche Lehrfilme verwenden anatomische Modelle des Gehirns in Realfilmaufnahmen. In Understand Your Emotions (USA 1950) wird eine Nahaufnahme gezeigt, die einen Experten bei der Demonstration am dreidimensionalen Hirnmodell zeigt. Der Experte im Lehrfilm ersetzt den Lehrer im Klassenraum; seine auf bestimmte Hirnregionen hinweisenden Finger und Hände haben eine ähnliche Funktion wie die Richtungspfeile in den Sequenzen des Zeichentricks; die Richtungspfeile in animierten Szenen rekurrieren wiederum auf den im Unterricht gebräuchlichen Zeigestab. Schließlich lokalisiert eine am Hirnmodell angebrachte Schrifttafel eine spezifische Hirnfunktion und spielt damit auf das didaktische Lehrmittel der Schultafel im Unterricht an – der Lehrfilm verwandelt das Kino in einen Klassenraum.
In der Medialisierung didaktischen Wissens nehmen schließlich Farben einen zentralen Stellenwert ein. Die Social Guidance Movies nutzen zur Visualisierung des Freund-Feind-Schemas die kontrastierenden Farben Schwarz und Weiß. Die schwarze Farbe konnotiert das Feindliche, Schädliche und Fremde, die weiße Farbe repräsentiert alle Attribute eigener Körperidentität. Die Grundfarbe des intakten Gehirns ist stets weiß. Eine organische Schwächung des Gehirns wird überwiegend kartografisch angezeigt. In Alcohol and the Human Body (USA 1949) wird die Verschlechterung des Gesundheitszustandes territorial visualisiert. Das Gehirn wird dabei als eine in Sektoren unterteilte Karte repräsentiert. Die Voice Over kombiniert die schwarz gefärbten Hirnterritorien mit Szenarien feindlicher Invasion („the aliens invade the body and hijack many of its systems“) und assoziiert damit ein populärwissenschaftliches Sujet (Auswirkungen von Alkoholkonsum auf spezifische Gehirnfunktionen) mit einem xenophoben Stereotyp der Cold War Culture (‚Alien‘, ‚Invasion‘, ‚Hijacking‘).
Ikonologie des Lehrfilms
Einerseits vermittelten die Social Guidance Movies ihren Betrachtern jene Technologien der Macht, die das Verhalten von Individuen prägen und das Subjekt zum Objekt machen könnten; andererseits etablierten sie Technologien des Selbst („attitude-building“[27]), die es dem Einzelnen ermöglichen sollten, eigenständig eine Reihe von Operationen an seinem Körper, seinem Denken und seiner Lebensführung vorzunehmen.[28] Die dazu in den Lehrfilmen verwendeten trickgrafisch animierten Karten der Gehirnstrukturen und -funktionen ermöglichten eine neuartige Wahrnehmungskultur: Die filmische Narration, in Verbindung mit einer kinospezifischen Technik, schuf mit Hilfe von Kadrierung, Montage, Zeittransformationen und Tricktechnik audiovisuelle Räume des Wissens, die wiederum ein Verweisungsspiel mit historisch und kulturell geformten Stereotypen konventioneller Gehirnmetaphern ermöglichten, die sich aus unterschiedlichen Wissensbeständen und Erinnerungskulturen speisen konnten.
Autor: Ramón Reichert
[1] Vgl. die Buchpublikation gesammelter Aufsätze von Edward Hunter: Brain-washing in Red China. The calculated destruction of men’s minds, New York 1951.
[2] Vgl. Edward Bernays, The Engineering of Consent, New York 1947, S. 17.
[3] United States. Office of War Information. Bureau of Motion Pictures, A List of United States War Information Films, Washington D.C. 1942, S. 3-20. Vgl. Denise Winn, The Manipulated Mind. Brainwashing, Conditioning and Indoctrination, London 2000.
[4] Vgl. David B. Klein, Mental Hygiene. The Psychology of Personal Adjustment, New York 1944, S. 37.
[5] David H. Culbert: Information Control and Propaganda. Records of the Office of War Information, Frederick 1986, S. 423-488; James M. Myers, The Bureau of Motion Pictures and its Influence on Film Content during World War II. The Reasons for its Failure, Lewiston 1998, S. 145-162.
[6] Liz Hedgecock, ‚The Martians Are Coming!‘ – Civilization v. Invasion in The War of the Worlds and Mars Attacks! In: Deborah Cartmell et al. (Hg.), Alien Identities. Exploring Differences in Film and Fiction, London 1999, S. 104-120.
[7] Susan L. Carruthers, Redeeming the Captives. Hollywood and the „Brainwashing“ of America’s Prisoners of War in Korea. In: Film History 10/3, 1998, S. 275-294.
[8] William Sargant, Battle for the Mind. A Physiology of Conversion and Brain-washing, Cambridge 1997, S. 87f.
[9] Vgl. Lawrence E. Shaffer, Edward J. Shoben, The psychology of adjustment. A dynamic and experimental Approach to Personality and Mental Hygiene, Boston 1956, Kapitel 2.
[10] Edgar H. Schein, Coercive persuasion, A Socio-Psychological Analysis of the „Brainwashing“ of American Civilian Prisoners by the Chinese Communists, New York 1961; Robert J. Lifton, Thought Reform and the Psychology of Totalism. A Study of „Brainwashing“ in China, Harmondsworth u.a. 1961.
[11] Dominic Streatfeild, Brainwash. The Secret History of Mind Control, London 2006, S. 47.
[12] Charles F. Hoban, The State of the Art of Instructional Films, Stanford 1971, S. 122f.; Edward B. van Ormer: Instructional Film Research, 1918-1950, New York 1972, S. 269.
[13] Vgl. Kathleen Taylor, Brainwashing: The Science of Thought Control, Oxford 2006.
[14] Vgl. zur Historiographie der Abwehrmetapher Ramón Reichert, Der Diskurs der Seuche. Sozialpathologien 1700-1900, München 1997; Laura Otis (Hg.), Metaphors of Invasion in Nineteenth-Century Literature, Science, and Politics, Baltimore 1999; Philipp Sarasin, Infizierte Körper, kontaminierte Sprachen. Metaphern als Gegenstand der Wissenschaftsgeschichte. In: Ders., Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt 2003; Claus Pias (Hg.), Abwehr. Modelle – Strategien – Medien. Bielefeld 2008.
[15] Vgl. Sargant (s. Anm. 4). In: Luther H. Martin u.a. (Hg.), Technologien des Selbst, Frankfurt am Main, S. 24-62, hier: 26f
[16] Donna Haraway, The Biopolitics of Postmodern Bodies. Constitutions of Self in Immune System Discourse. In: Dies., Simians, Cyborgs and Women. The Reinvention by Nature, New York 1991, S. 203-230, hier: S. 204.
[17] Burnet erhielt 1960 den Nobelpreis für seine Entdeckung der erworbenen immunologischen Toleranz.
[18] Frank Macfarlane Burnet, Fran Fenner, The Production of Antibodies, New York 1948.
[19] Alfred I. Tauber, Historical and Philosophical Perspectives on Immune Cognition. In: Journal of the History of Biology Jg. 30, 1997, S. 419-440.
[20] David Ogden, Cold War Science and the Body Politic: An Immuno/Virological Approach to Angels in America. In: Literature and Medicine Jg. 19/2, 2000, S. 241.
[21] Emily Martin, Flexible Bodies. The Role of Immunity in American Culture from the Days of Polio to the Age of AIDS, Boston 1994, S. 48.
[22] Lily E. Kay, Who wrote the Book of Life. A History of the Genetic Code, Stanford 2000, S. 189.
[23] Produziert wurden die 16mm-Filme von kleinen Lehrfilmherstellern im Mittelwesten der USA, die eng mit dem War Department und dem United States Information Service kooperierten: Coronet Films (der größte Produzent von Educational Films, gegründet von David Smart im Jahr 1946), Encyclopaedia Britannica Films (Produzent einer Filmreihe zum Thema Mental Hygiene), ETRI Films (einer der größten Lehrfilm-Produzenten der 1930er Jahre), Avis Films (Mittelbetrieb mit Schwerpunkt Health Education), Centron (Mittelbetrieb mit Schwerpunkt Mental Hygiene) und The Bell System (Schwerpunkte: Safety Film und Mental Hygiene).
[24] Paul Saettler, A History of Instructional Technology, New York 1968, S. 44.
[25] Ken Smith, Mental Hygiene. Classroom Films 1945-1970, New York 1999, S. 31.
[26] Vgl. George Lakoff, Mark Johnson, Philosophy in the Flesh. The Embodied Mind and its Challenge to Western thought, New York 1999.
[27] Ebd.
[28] Michel Foucault, Technologien des Selbst. In: Luther H. Martin u.a. (Hg.), Technologien des Selbst, Frankfurt am Main, S. 24-62, hier: 26f.
- Migration im Zeitraffer - 14. Februar 2010
- Aliens, Brain-Washing, Cold War: Feindbildkonstruktionen im US-Lehrfilm - 7. Februar 2010
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