Besinnlich ist vermutlich ein Attribut, das nicht irrsinnig viele Menschen ins Kino lockt. Denn zu oft wird damit sofort Langeweile assoziiert. Eine bedauerliche Fehlinterpretation. Besinnlich steht ja vor allem für wohltuende Entspannung. Und genau die ist es, die dieser Spielfilm bietet, ohne dass er den Geist einlullt.
Regisseurin Ildikó Enyedi hat für ihren Spielfilm den Goldenen Bären der diesjährigen Berlinale gewonnen. Zu Recht. Freilich: Sie hat kein Meisterwerk gedreht, aber einen sehr empfehlenswerten Film, der jenseits eingefahrener Erzählmuster packt.
„Jenseits“ mutet schon der wesentliche Handlungsort an: ein Schlachthaus. Hier geht es naturgemäßig brutal und blutig zu. An eine Lovestory in diesem Milieu denkt wohl kaum jemand sofort. Wieso eigentlich? Weil uns die Klischees in Kino, im Theater, in der Literatur, in der Pop-Kultur Liebe unentwegt mit heiler Welt in Verbindung bringen lassen, mit Sonnenschein, Leichtlebigkeit, Schick. Nichts davon hier. Allein das macht die Story glaubwürdig. Wie auch die Tatsache, dass sich diese Story nicht um zwei Teenager dreht, sondern um gestandene Menschen in späteren Jahren, fast schon ausgebrannt, abgewrackt, alles andere als attraktiv auf den ersten Blick. Da ist Maria (Alexandra Borbély), die neue Qualitätskontrolleurin, eine in sich gekehrte Frau, die ihrer Arbeit überkorrekt nachgeht. Und da ist der körperlich leicht behinderte Finanzbuchhalter Endre (Géza Morcsányi), auch nicht der Typ Kerl, den die Werbung gern als Ideal hinstellt. Die Zwei fühlen sich zueinander hingezogen, das wird uns als Zuschauern schnell kalr, schneller als den Figuren. Die wachen erst auf, als sie mitbekommen, dass sie sich in ihren Träumen begegnen: Da verwandeln sie sich in Hirsche, Kuh und Bock, und sind einander innig zugetan. Surreale Idee: die Träume der zwei Protagonisten sind miteinander verwoben, sie kommunizieren miteinander, bringen die beiden tatsächlich zusammen. Was so erzählt ist, dass man es als völlig glaubwürdig annimmt. Pure Poesie. Die zerbricht natürlich, wenn der Alltag den Gang des Geschehens antreibt: da gibt es Mobbing im Betrieb, spielt die Korruption von Beamten eine Rolle, zeitigt die allgemeine Zunahme an Gleichgültig der Menschen im Zusammenleben böse Wirkung, nagen persönliche Zweifel am Quentchen Glück …
Wenn am Ende auch schockierend gewaltgetränkt, versetzt einen der leise Film in einen Zustand besinnlichen Sich-Zurücklehnens, schenkt einem die Möglichkeit, des Mitfühlens. Hier rast kein Drama an einem vorbei. Hier ist es möglich, ganz in Ruhe Charakterstudien zu betreiben – und vielleicht sogar ein bisschen mehr zu sich selbst zu finden.
Peter Claus
Bilder: Bilder: © Alamode Filmverleih
Körper und Seele, von Ildikó Enyedi (Ungarn 2017)
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