bin dann mal weg 680

 

Nett ist er, dieser Film, ja, nett. Man geht gut gelaunt nachhause. Aber: irgendwie und irgendwo meldet sich, erst langsam, dann, mit der Zeit, immer stärker und schneller, ein Gefühl des Unbefriedigt-Seins. Wirklich gesättigt fühlt man sich nicht.

Also noch mal das Buch gelesen. 2006 war es herausgekommen und auf Anhieb ein Verkaufsschlager. Die Geradlinigkeit, im positiven Sinne auch Schlichtheit, mit der Hape Kerkeling in seinem Tagebuch über durchaus Gewichtiges nachsinnt, ist noch immer von Reiz. Mehr als vier Millionen Leser soll der Reisebericht inzwischen gefunden haben. Was sicher daran liegt, dass es der Autor nicht bei einer Nabelschau belässt. Der in Tagebuchform verfasste Report wirft mehr als Fragen der Selbsterkenntnis auf. Hape Kerkeling geht es um Sinnsuche an sich. Dazu traut er sich, komplizierte und komplexe Fragen nach Gott zu stellen. Gibt es sie/ ihn / es? Was wohl auch sein muss, wenn sich jemand auf den knapp 800 Kilometer langen Fußmarsch über den Jakobsweg, einen der wichtigsten Pilgerpfade der Christen, begibt. Die erfrischend selbstkritische Ehrlichkeit des Autors gegenüber sich selbst hält die Leser bei Laune und bei der Stange. Und lechzen wir nicht alle nach griffigen Antworten auf die großen Lebensfragen? Die heutzutage schon wahnwitzige Mobilität, die Überflutung durch -x Medien und nicht zuletzt die Bedrohung durch religiösen Fundamentalismus und durch Terrorismus schicken wohl jede und jeden irgendwie auf Heilssuche. Die damit verbundenen Bedürfnisse leicht und locker, ja, flockig, zu bedienen, das ist legitim. Das Buch wirkt dabei nie wohlfeil, nicht billig. Es ist unangestrengt und unterhaltsam, mutet aber nirgends geistig unterbelichtet an.

Nun also die Kino-Adaption. Keine Angst: Unter Niveau geht der Film nicht. Aber das Niveau der Vorlage wird eben leider auch nicht erreicht. Zu sehen ist dies: Hape Kerkeling (Devid Striesow) läuft und stolpert und schwitzt. Und er redet, unentwegt. Immer wieder hören wir seine Stimme aus dem Off. Da wird erklärt, was wir schon gesehen haben, da wird gezweifelt, beschrieben, und auch gekalauert. Was im Buch, im Grunde ein einziges Selbstgespräch, ganz organisch wirkt, nämlich via Selbstgespräch den Leser in die Gedankenwelt des Erzählers mitzunehmen, indem die Gedanken kraftvoll ausgestellt werden, mutet im Film leider etwas gestelzt an. Weniger wäre mehr gewesen, zumal keiner der Off-Kommentare irgendetwas erhellt oder erweitert. Metaebene? Nix da! Die Selbsterfahrungsreise des Hape Kerkeling von Saint-Jean-Pied-de-Port in Frankreich bis nach Santiago de Compostela in Spanien bleibt auf der Kinoleinwand flach, ein Bilderreigen, hübsch bunt, voller oberflächlicher Eindrücke , leider aber fern von tiefer gehenden Anregungen zum Nachdenken. Nett halt.

Man hat den Eindruck, dass die Autoren Sandra Nettelbeck („Bella Martha“), Jane Ainscough („Miss Sixty“), Christoph Silber („Die Trapp Familie – Ein Leben für die Musik“) und Regisseurin Julia von Heinz („Hannas Reise“) der Geschichte an sich nicht recht vertraut haben. Klar: da passiert nicht viel an Action. Aber müssen wir nun Filme aufzählen, in denen – actiontechnisch – noch weniger passiert, die aber in die Geschichte des Kinos eingegangen sind, etwa von Wenders, von Herzog, von Schröder, um mal nur drei Namen zu nennen?!

Allein die Bilder von Kameramann Felix Poplawsky, der ein sicheres Gespür für mehr als Postkartenidylle hat, erzählen viel von Land und Leuten, von den Protagonisten. Und es wurden Schauspieler engagiert, die fähig sind, mit kleinen Mitteln Großes zu erreichen, die eine mitreißende innere Spannung aufbauen können, ohne im Spiel „auf die Tube zu drücken“. Auch hier, der Verdacht drängt sich auf, kein Vertrauen zum Können der Mitarbeiter. Schade, sehr schade.

Die Schauspieler also: Devid Striesow ist Hape Kerkeling. Am Anfang muss man schon etwas schlucken, satirische Überspitzung ist angesagt. Habe Kerkeling, fett und ungepflegt, völlig überarbeitet, ist erst mal kein Sympathieträger. Im Verlauf des Geschehens darf Striesow leiser und sensibler auftreten. Man glaubt ihm den Mann, der zu durchaus auch bitterer Selbsterkenntnis findet. Ob im Zusammentreffen mit Autogrammjägern, mit Einzelgängern, mit sexbesessenen Frauen, mit eher distanzierten Frauen, mit kauzigen Männern: Striesow wirkt immer authentisch. Da interessiert es dann auch nicht, dass es, gerade was die Figuren angeht, einige Veränderungen auf dem Weg vom Buch zum Film gegeben hat. Gewandelt haben sich dabei nämlich allein Nebensächlichkeiten, die Essenz bleibt. So wurde zum Beispiel aus der charakterlich starken Sheelagh aus Neuseeland Stella aus Stockholm. Gespielt wird sie von Martina Gedeck. Sie gibt damit eine der schönsten und tiefsten Vorstellungen ihrer an herrlichen Vorstellungen reichen Karriere. Mutet Stella erst mal nur eigenbrötlerisch an, offenbart sie ganz langsam eine zutiefst tragische Geschichte. Martina Gedeck gelingt es, lachend Schreckliches zu erzählen. Die Gleichzeitigkeit von Nebeneinander von Heiterem und Furchtbarem, jeder kennt das, wird bei Martina Gedeck ganz nebenbei erfahrbar. Großes Schauspiel! Ihr Glück: Sie muss nicht im Off, wie Striesow, dauernd erklären, sie darf sein. Da erträgt man dann sogar das kitschige Schlusstableau des Films.

Selbstverständlich fokussiert der Film auf Hape Kerkeling. In Rückblenden wird plaudernd erzählt, wie aus einem kleinen Angsthasen, einem Jungen, der unter dem frühen Tod der Mutter leidet, ein erfolgreicher Entertainer geworden ist. Besonders ausführlich wird gezeigt, wie entscheidend für dessen Entwicklung die Liebe der Großmutter (Katharina Thalbach) war. Dabei wird nicht unterschlagen, dass Hape Kerkeling durchaus Gefahr lief, zum eitlen, egozentrischen Karrieristen zu werden. Wenn da am Ende Hans-Peter Wilhelm Kerkeling die Wanderung abschließt, lässt man sich für den Moment gern rühren. Man glaubt gern, dass Devid Striesows Lächeln zum guten Schluss ein echtes ist. Und dann fängt man einen Blick von Martina Gedeck ein. Sie, immerhin, trifft einen ins Herz. Dann geht man nachhause. Und fängt an, über den Kinobesuch nachzudenken. Und da entdeckt man dann abgesehen von Martina Gedecks Intensität nicht mehr sehr viel. Am Ende bleibt’s beim Eindruck, dass es nett war, ganz nett.

Peter Claus

Bilder: Warner

Ich bin dann mal weg, von Julia von Heinz   (Deutschland 2015)