Mittwoch, 8. August 2007
Peking und Osaka
Ich checke am Schalter der japanischen Fluggesellschaft ANA ein und lasse mich in der Nähe von Gate 17 auf einer von drei (funktionsunfähigen) Massageliegen nieder. In der Abflughalle bleibt mein Blick an den bezaubernden Gesichtern vieler Japanerinnen haften, die ab 14.15 Uhr die Maschine mit mir teilen werden.
Ich wage gar nicht zu hoffen, dass eine dieser Damen drei Stunden lang neben mir sitzen wird. So was passiert mir nämlich grundsätzlich nie. Keine Ahnung, ob die Star Alliance in mein Kundenprofil irgendwann mal den Vermerk getippt hat, grundsätzlich nur alte, graue, muffelige, wortkarge Männer neben mir zu platzieren. Zumindest war das in meinem ganzen Leben der Fall.
Ich gehe an Bord und begrüße selbstverständlich einen alten, grauen, muffeligen, wortkargen Japaner, der schon auf dem Gangplatz neben meinem Fensterplatz sitzt. Die jungen Damen gehen weiter nach hinten durch. Weil die Maschine nur zu gut zwei Dritteln ausgelastet ist, verlässt mich mein Sitznachbar noch vor dem Start und sucht sich einen anderen Platz. Das freut mich, denn jetzt kann ich mich sehr breit machen. Der Flughafen von Peking ist im Nebel versunken, weshalb wir 45 Minuten verspätet abheben. Während ich mich mit Hilfe diverser Bücher und Prospekte auf Japan vorbereite, servieren die Stewardessen japanisches Essen. Sehr leichte Kost mit viel Gemüse und Fisch. Ein kulinarischer Vorgeschmack auf die gesunde Küche meines nächsten Reiseziels. Aus dem Bordfenster verfolge ich ab 18 Uhr (meine Armbanduhr habe ich bereits um eine Stunde vorgestellt) den Landeanflug auf den Kansai International Airport, der auf eine künstliche Insel gebaut wurde und seit 1994 den Stadtflughafen von Osaka entlastet. Ich hätte nie gedacht, dass Osaka dermaßen groß ist. Doch ich blicke auf gigantische Betonmassen. Mit 2,6 Millionen Einwohnern ist Osaka – nach Tokio und Yokohama – die drittgrößte Stadt Japans.
Die Passkontrolle dauert nur wenige Minuten, das Gepäck kommt schnell, 100 Euro sind fix gegen 16 000 Yen eingetauscht. Die ersten 1300 gebe ich für ein Busticket aus. Der Flughafen ist leider 60 Kilometer von Osakas Zentrum entfernt. Die Fahrt geht über viele lange Brücken und dauert gut eine Stunde.
Der kuriose Höhepunkt des ersten Abends in Osaka: Der „Stewardess Fantasy Club“ wirbt auf Leuchttafeln damit, dass man drinnen in einer nachgebauten Flugzeugkabine die Animierdamen in Stewardessenuniform befummeln darf. Willkommen in Japan!
Donnerstag, 9. August 2007
Osaka
Wir kommen nicht aus den Betten. Nein, wir sind nicht im „Stewardess Fantasy Club“ versackt. Wir waren gar nicht drin. Artus leidet nur am Jetlag und einem aus Deutschland importierten Schnupfen, und ich gönne mir nach vier Wochen Mongolei einen faulen Vormittag.
Statt Frühstück gibt es gleich ein Mittagessen. Um 12 Uhr betreten wir ein Nudelrestaurant gegenüber vom Hotel. An einem Automaten werfen wir 290 Yen ein, drücken auf das kleine Foto der gewünschten Nudelsuppe und erhalten einen kleinen Papierschnipsel, den wir an der Kasse abgeben. Keine Minute später stehen die vollen Schüsseln vor uns auf dem Tresen, dazu gibt es kalten Tee. Schon sind wir für weniger als zwei Euro satt. An die Geräuschkulisse, dargebracht durch schlürfende und schmatzende Japaner um uns herum, muss ich mich gewöhnen.
Weit nach Mitternacht beschließen Artus und ich, dass wir unseren Aufenthalt in Osaka um einen Tag verlängern werden. Die Hotels in Nagoya, dem nächsten Ziel unserer Reise, sind zur gerade beginnenden Ferienzeit extrem teuer. Ich frage an der Rezeption nach, ob wir unser Zimmer im Ramada Hotel länger behalten können. Wir können. Und bekommen sogar eine spezielle Wochenendrate von 15 000 Yen.
Freitag, 10. August 2007
Osaka
Jetzt rächt sich der freie Internetzugang in unserem Hotelzimmer. Bis fünf Uhr morgens haben wir dort Fotos hochgeladen, Hotels für weitere Etappen der Reise recherchiert und unser Wissen über die Vorgänge in Deutschland aktualisiert. Der verregnete Sommer und der drohende Bahnstreik sind dort die bestimmenden Themen. In Japan ist von Regen und schlechtem Bahnservice nicht die Spur zu entdecken. Im Gegenteil.
Wir eilen zur U-Bahn. Auf dem Boden fallen mir große Aufkleber auf. Sie weisen auf bestimmte Einstiegsbereiche hin, die zu Hauptverkehrszeiten allein für Frauen reserviert sind, damit sie in männerlose Waggons einsteigen können. Sie sind vor ein paar Jahren eingeführt worden, weil zu viele Kerle das dichte Gedränge ausgenutzt haben, um Frauen zu begrapschen.
Am späten Abend müssen wir die Unterkunft in Nagoya klären. Wegen der einwöchigen Ferienzeit, die morgen beginnt, sind viele Hotels ausgebucht oder sie verlangen Wucherpreise. Unser favorisiertes Hotel in Bahnhofsnähe, das Toyoko Inn, hat leider keine Doppelzimmer mehr frei. Zwei Einzelzimmer zum Preis von je 6500 Yen pro Nacht erscheinen uns zu teuer. Also buchen wir online nur ein Zimmer, für das Artus einchecken soll. Ich werde als „blinder Passagier“ dort mitwohnen, auf dem Boden nächtigen und meinen Schlafsack, der sich schon in der Mongolei bewährt hat, reaktivieren.
Samstag, 11. August 2007
Osaka und Nagoya
Heute kommt mein Japan Rail Pass erstmals zum Einsatz. Das Sonderangebot der japanischen Bahn für ausländische Touristen habe ich schon in Deutschland kaufen müssen. Für umgerechnet 176 Euro kann ich nun sieben Tage lang fast alle Züge in Japan benutzen. Auch den Schnellzug Shinkansen, nicht aber dessen neueste Weiterentwicklung, den Nozomi. Am Bahnhof von Osaka tauscht eine Bahnangestellte meinen Gutschein gegen den Pass ein.
Unser topmodern eingerichteter Shinkansen verlässt den Bahnhof auf die Sekunde genau und trifft nach einer Stunde genau so pünktlich in Nagoya ein. Wir laufen zum nahe gelegenen Toyoko Inn. Weil wir dort nur ein Einzelzimmer auf Artus’ Namen reserviert haben, ich aber heimlich dort mit übernachten will, können wir nicht gemeinsam reingehen.
Sonntag, 12. August 2007
Nagoya und Kyoto
Montag, 13. August 2007
Nagoya und Hiroshima
Um kurz vor sieben schäle ich mich aus meinem Schlafsack auf dem Hotelboden. Damit unser nicht ganz legaler Plan der gemeinsamen Nutzung des günstigen Einzelzimmers auch beim Auschecken nicht auffliegt, verlasse ich das Toyoko Inn mit beiden Rucksäcken schon vor Artus. Er zahlt zehn Minuten später die Rechnung und kommt dann mit beiden Koffern ebenfalls zum Bahnhof, damit wir pünktlich den nächsten Zug nach Hiroshima nehmen können. Zu solch früher Stunde ist unser beider Aufnahmefähigkeit offenbar nicht besonders ausgeprägt. So wartet jeder von uns in einer anderen Ecke des Bahnhofs, die er für den vereinbarten Treffpunkt hält. Artus sitzt eine halbe Stunde am Eingang zu den Bahnsteigen, ich stehe mir eine halbe Stunde vor dem Ticketcenter die Beine in den Bauch. Als wir uns durch Zufall finden, ist die Stimmung gereizt und der Zug nach Hiroshima längst abgefahren. Uns bleibt nichts anderes übrig, als eine neue Verbindung über Osaka nach Hiroshima rauszusuchen.
Für unseren Plan, noch am selben Abend nach Yokohama zu fahren, um dort kostenlos bei einem Freund übernachten zu können, sehen wir schwarz.
Um 12.10 Uhr erreichen wir Hiroshima. Als Ziel des ersten kriegerischen Kernwaffeneinsatzes erlangte die Hafenstadt weltweite Bekanntheit. Am 6. August 1945 um 8.15 Uhr zündeten die Amerikaner knapp 600 Meter über Hiroshima die Atombombe „Little Boy“. Die Detonation tötete auf der Stelle mehr als 70.000 Menschen und zerstörte die Stadt zu 80 Prozent. Bis Ende 1945 stieg die Zahl der Todesopfer auf etwa 140.000 und in den folgenden Jahrzehnten starben weitere 100.000 an den Spätfolgen.
Wir verstauen unser Gepäck in den Schließfächern und fahren zur Bucht hinaus, um mit der Fähre zur Insel Miyajima überzusetzen. Der auf Pfählen gebaute Itsukushima-Schrein und der im Wasser stehende Torii sind zwei der meistfotografierten Wahrzeichen Japans. Der malerische Sonnenuntergang sorgt dafür, dass noch etliche Fotos dazukommen. Nämlich meine Bilder.
Licht aus. Gute Nacht.
Dienstag, 14. August 2007
Hiroshima und Yokohama
Als ich meine Kapsel um neun Uhr verlasse, sind fast alle anderen Hotelgäste ausgeflogen. Nur vereinzelt hört man hinter der kleinen Jalousie noch ein einsames Schnarchen. Ich nutze den Vormittag, um den Besuch im Friedensmuseum von Hiroshima nachzuholen. Zum symbolischen Eintrittspreis von 50 Yen, also knapp über 30 Cent, kann man hier Fotos und Dokumente des Atombombenabwurfs und seiner verheerenden Folgen sehen. Ich verzichte auf den deutschsprachigen Audioguide für 300 Yen, weil jede Vitrine eh zweisprachig auf Japanisch und Englisch beschriftet ist.
Mittwoch, 15. August 2007
Yokohama
Ganz in der Nähe der Abschussstelle von 6000 Raketen finden wir Asyl auf der Wolldecke einer holländischen Lehrerin und ihres japanischen Gatten. Das nun folgende Feuerwerk gehört zu den besten, die ich je gesehen habe. Auch die Massen um mich herum stoßen jede Minute im Chor ein „Aaaah“ oder „Ooooh“ aus.
Donnerstag, 16. August 2007
Tokio
Ab unserer Haltestelle Yamate in Yokohama dauert die Fahrt nach Tokio rund eine Stunde. Vor vier Jahren habe ich Japans Hauptstadt schon einmal besucht und war damals eher irritiert als fasziniert. Die größte Metropolregion der Welt mit ihren fast 35 Millionen Menschen (auf Tokio selbst entfallen 8,5 Millionen) wirkte auf mich zu gigantisch, die Menschen irgendwie unnahbar. Weil ich die klassischen Sehenswürdigkeiten wie den Tokyo Tower und den kaiserlichen Garten vor vier Jahren alle artig abgehakt habe, führt Artus mich an andere Orte, in denen das Leben wirklich pulsiert. Zum Beispiel in Harajuku, wo die exzentrische Jugend der Stadt neue Modetrends entwickelt und in einer engen Gasse zwischen vielen schrillen Shops vorführt. Wer Asiaten mit blonden, roten, blauen, gelben oder gar keinen Haaren sehen will, kommt hier ebenso auf seine Kosten wie die Freunde von Lack und Leder oder rosa Tüllkleidchen. Auch im Stadtteil Shibuya, dessen große Straßenkreuzung alle drei Minuten von gigantischen Menschenmassen bevölkert wird, lautet die Devise: Sehen und gesehen werden! Wie sich die jungen Leute hier herausputzen, ist weltweit vermutlich einmalig.
Freitag, 17. August 2007
Tokio
Wir setzen unser Besichtigungsprogramm in Tokio fort. Von der Tokyo Station geht es zum Garten des Kaiserpalasts. Die grüne Lunge inmitten des Betonmolochs soll angeblich einen höheren Grundstückswert haben als ganz Kalifornien. Doch der Garten ist am Montag und Freitag geschlossen. Heute ist Freitag.
Samstag, 18. August 2007
Tokio
Ich bin mit dem ARD-Korrespondenten Mario Schmidt verabredet. Der 37-jährige Bielefelder leitet das Ostasien-Büro in Tokio und ist neben Japan auch für Südkorea, Nordkorea, die Philippinen und viele Südseestaaten zuständig. Als Treffpunkt hat er den Mori Tower vorgeschlagen. Von der Aussichtsplattform des neuen Büroturms in Rappongi Hills hat man den besten Ausblick auf seine Traumstadt Tokio.
Irgendwann vertreiben uns die vielen Polizisten von der Wiese, damit die Reinigungsarbeiten beginnen können. Wir schnappen uns die gefalteten Planen und lassen uns mit der riesigen Menschenmasse Richtung Bahnhof treiben. Unterwegs unterhalte ich mich ausgiebig mit Joyssi, die seit einem halben Jahr in Tokio für die peruanische Botschaft arbeitet. Die gebürtige Peruanerin, deren japanische Großeltern einst nach Südamerika auswanderten, spricht perfekt Deutsch und erklärt mir, warum: Als Kind habe sie in Peru eine deutsche Fernsehshow gesehen und war von der Sprache fasziniert. Neben Deutsch und ihrer Muttersprache Spanisch spricht sie nun auch fließend Japanisch, Englisch und Italienisch. Fest davon überzeugt, gerade die künftige Botschafterin von Peru kennenzulernen, setzen wir unser Gespräch beim Abendessen fort und tauschen die Mailadressen aus.
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