Kambodscha trauert. Der frühere König Norodom Sihanouk, der am 31. Oktober 90 Jahre alt geworden wäre, starb am 16. Oktober nach langer Krankheit und mehrjährigem Klinikaufenthalt in Beijing an Herzversagen. Eine Million Menschen standen an den Straßen der Hauptstadt Phnom Penh, um dem “Vater der Nation” die letzte Ehre zu erweisen, als sein Sarg am 18. Oktober zum Königspalast gefahren wurde. Zu den Trauerfeierlichkeiten rund um seine Einäscherung in der ersten Februar-Woche 2013 werden weitere zwei Millionen Besucher erwartet. Die französischen Kolonialherren setzten Norodom Sihanouk im Alter von nur 19 Jahren auf den Thron. Sie sahen in dem dandyhaften Lebemann (fünf Ehefrauen, 14 offizielle Kinder) eine Marionette, doch 1953 setzte er die Unabhängigkeit des Landes durch.
Seine Ausflüge in die Politik waren nur anfangs ein Erfolg, später fehlte es ihm an Durchsetzungskraft und Wählerstimmen. Während des Vietnam-Konfliktes pochte er auf die Neutralität Kambodschas, ermöglichte es aber zugleich den chinesischen Verbündeten der Nordvietnamesen, Waffen und Soldaten über Kambodschanisches Gebiet nach Südvietnam zu liefern. US-Präsident Richard Nixon und sein Adjudant Henry Kissinger reagierten mit großflächigen Bombardements des vermeintlich neutralen Königreichs. Die Pol-Pot-Ära der Roten Khmer und den anschließenden Bürgerkrieg erlebte Norodom Sihanouk vom luxuriösen Exil in China und Nordkorea aus, kurz vor der Jahrtausendwende durfte er in seine Heimat und auf den Thron zurückkehren. Zwar übergab er die Königswürde im Oktober 2004 an seinen Sohn Norodom Sihamoni, der jedoch bis heute nicht aus dem großen Schatten seines Vaters heraustreten konnte.
Zeit seines Lebens war Norodom Sihanouk ein Freund der schönen Künste. Vor allem der Film hatte es dem Frankreich-Liebhaber angetan. Über sein königliches Werk sprach getidan-Autor Michael Scholten, der in Kambodscha lebt, mit dem Filmexperten Dr. Tilman Baumgärtel, der bis Sommer 2012 drei Jahre lang an der Königlichen Universität von Phnom Penh unterrichtete.
Michael Scholten: Hat das Land neben dem „Vater der Nation” auch den „Vater des kambodschanischen Kinos” verloren?
Dr. Tilman Baumgärtel: Nein. Die Filme von seiner Majestät sind eine komplett eigenes Universum. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich sie als Teil des kambodschanischen Nationalkinos betrachten würde. Sihanouk konnte in den 60er Jahren ohne finanzielle Beschränkungen drehen und hatte das avancierteste Equipment und den besten technischen Stab. Die anderen Regisseure Kambodschas mussten sich in dieser Zeit – wie auch heute – am Markt orientieren und mit wesentlich bescheideneren Ressourcen arbeiten. Dabei haben die besten von ihnen, darunter Ly Bun Yim, Tea Lim Kun und Yvon Hem, ein flamboyantes, fantasievolles Volkskino geschaffen. Die meisten Filme aus dieser Zeit basieren auf alten Legenden und Märchen. In diesem Genre, das für mich DAS kambodschanische Genre ist, hat seine Majestät nur zweimal gearbeitet. Dabei hat er seinen eigenen Stoff erfunden und sich nicht an Überlieferungen gehalten.
Michael Scholten: Woher rührte die Begeisterung des Königs für das Kino und das Drehen eigener Filme?
Dr. Tilman Baumgärtel: Das fragt man sich in der Tat. Er war wohl einfach ein Cineast, hatte aber im Gegensatz zu vielen anderen Cineasten die Möglichkeiten, seine Ideen umzusetzen, ohne vorher durch eine einschlägige Ausbildung zu gehen. Ein Kabel der US Botschaft aus den 50er Jahren erwähnt, dass er schon damals Home-Movies mit großem Aufwand drehte, unter anderem einen Horrorfilm, in dem er als wahnsinniger Wissenschaftler Patienten mit einem Serum spritzt, das sie zu Zombies macht. Man kann das als Metapher für seinen autokratischen Regierungsstil lesen. Sowieso sind Regisseure ja tendenziell absolute Herrscher, vielleicht hat ihn das angezogen. Aber wahrscheinlich war es wohl einfach ein Spleen, wie viele seiner anderen Aktivitäten auch. Und den hat er mit Nachdruck verfolgt. Die meisten Leute wissen nur von seinen Filmen aus den 60er Jahren. Aber er hat selbst im Exil in Nordkorea weiter Filme gedreht, und in den 90er Jahren, als er wieder König war, ist überhaupt der größte Teil seiner Filme entstanden. Diese Filme sind sehr schwer zu finden. Es sind halt Royal Home Movies, oft besetzt und gedreht mit Leuten aus seinem Umfeld…
Michael Scholten: Norodom Sihanouk hat gern und viele Interviews gegeben und auch auf seiner eigenen Homepage viel über sich und sein Leben geplaudert. Hat er da nie den Grund für seine Filmleidenschaft genannt?
Dr. Tilman Baumgärtel: Interessanterweise gibt es fast keine Statements von ihm, warum er Filme gemacht hat. In seinem Buch „Souvenirs doux et amers“ gibt es ein Kapitel über seine Filme, das aber eher eine Art Erfolgsbilanz ist. Im ersten Band seiner Autobiographie ist von den Filmen überhaupt nicht die Rede, obwohl sogar der Titel dieses Buchs, „Shadow over Angkor“, der Titel einer seiner Filme ist. Aus den wenigen Selbstzeugnissen, die es gibt, kann man herauslesen, dass er seine Untertanen über kambodschanische Geschichte und Sitten aufklären wollte. Gleichzeitig wollte er wohl seine Politik vermitteln. Aber er verpackte seine Botschaften als Genrefilm. Meist ölige Melodramen, sehr merkwürdig. Einige Forscher haben seine Filme mit den königlichen Chroniken des kambodschanischen Hofes verglichen. Ich stimme dem nicht zu. Aber es fällt auf, dass alle jüngeren Machthaber Kambodschas auch als Künstler aktiv waren. Pol Pot hat ebenfalls einen Film über sich selbst gedreht, der allerdings nicht fertig wurde. Ministerpräsident Hun Sen hat Lieder geschrieben, die auf den Regierungssendern gespielt werden. Und dann ist da noch sein Gedicht für Piseth Pilika, also jene Schauspielerin, mit der ihm eine Affäre nachgesagt wurde und die – Zufall? – bald darauf erschossen wurde.
Michael Scholten: Wie würden Sie den Regiestil des früheren Königs beschreiben?
Dr. Tilman Baumgärtel: Als unauffällig. Auch hier sind er und seine Filme wieder ein eigenes Universum. Ich könnte keine eindeutigen Einflüsse feststellen, seien es Regisseure, seien es Nationalkinos, eher herrscht ein vager Internationalismus.
Michael Scholten: Welche seiner Filme sollte man gesehen haben?
Dr. Tilman Baumgärtel: Wenn man gern gutgemachte Filme sieht: keinen. Es sind erkennbar die Werke eines Autodidakten. Darin liegt wohl die einzige Gemeinsamkeit zwischen seinen Filmen und denen der anderen kambodschanischen Regisseure. Ich mag „The Joy of Living“. Dieser Film ist bösartig, zynisch, campy, und er zeigt, wie gut Sihanouk die Korruption und die Ruchlosigkeit, die in seinen eigenen Zirkeln herrschte, verstanden hatte. Dann gibt es diesen relativ unbekannten Kurzfilm, „Cortege Royal“, der eine Hofparade in den Zeiten Angkors zeigt. Bis Hollywood einen Film über diese Periode machen wird, ist und bleibt das die definitive Rekonstruktion vom Hofritual in Angkor. Niemand sonst hatte die Ressourcen, um so eine Prozession mit Elefanten und tausenden von Statisten zu drehen.
Michael Scholten: Waren seine Filme auf den kommerziellen Erfolg ausgerichtet?
Dr. Tilman Baumgärtel: Nein, mussten sie auch nicht. Es ging ja um Darstellung seiner Position, nicht um Einspielergebnisse, obwohl er eine eigene Filmproduktionsfirma hatte. Aber das Geld kam aus dem Staatssäckel. Man darf nicht vergessen, dass die meisten seiner Filme nur selten in Kambodscha gezeigt worden sind. Selbst als er an der Macht war, sind einige, nicht alle, Filme ein, zwei Wochen in Phnom Penh und gelegentlich in der Provinz gezeigt worden.
Michael Scholten: Wo kann man die Filme heute sehen?
Dr. Tilman Baumgärtel: Heute ist es fast unmöglich sie zu sehen, selbst in Kambodscha. Das Medienarchiv Bophana hat die meisten der Filme aus den 60er Jahren, aber fast nichts von den neueren Filmen. Auf DVD, regulär oder auf dem Piratenmarkt, sind sie kaum zu bekommen, und auch das Fernsehen zeigt sie nicht mehr. Einerseits sind diese Filme unter Hun Sen politisch nicht opportun, andererseits versuchte er selbst in seinen letzte Jahren, den Zugang zu diesen Filmen zu kontrollieren. Es scheint, als wollte er zuletzt nicht mehr, dass sein Volk einen Film wie „Joy of Living“ zu sehen bekam.
Biographie: Dr. Tilman Baumgärtel ist Professor für Journalismus an der privaten Business and Information Technology School Hochschule in Berlin. Von 2005 bis 2009 unterrichtete er am Film Institute der University of the Philippines in Manila, von 2009 bis 2012 am Department for Media and Communication an der Royal University of Phnom Penh. Er hat Bücher über den deutschen Regisseur Harun Farocki, Netzkunst, Computerspiele und zuletzt über das Independent Kino in Südoastasien (Southeast Asian Independent Cinema, Hong Kong University Press 2012) veröffentlicht.
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