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Dienstag, 26. August 2008
Dar es Salaam
Die Fahrt nach Dar es Salaam per Dalla Dalla ab dem neuen Busbahnhof von Bagamoyo kostet nur 1800 Schilling. Die Wartezeit entfällt, weil ich den letzten Klappsitz im Gang erwische. Zwei Minuten später sind auch die letzten Stehplätze vergeben. Wir fahren los.
Nach 70 Minuten erreichen wir Dar es Salaam. Leider nicht das Zentrum, sondern nur einen vorgelagerten Busbahnhof. Der Taxifahrer verlangt 10.000 Schilling für die Fahrt zu den zentralen Unterkünften. Ich will nur 5000 zahlen. Auch seine Kollegen verlangen 10.000. Also gehe ich zum Ersten zurück und gebe ihm den Auftrag. Fair ist fair.
In der Safari Inn gibt es nur noch Doppelzimmer, aber die sind mit 24.000 Schilling relativ preiswert. Ich buche für zwei Nächte und bin heilfroh, dass ein Kofferträger mein schweres Gepäck über viele Stufen in die dritte Etage schleppt. Selten habe ich so bereitwillig Trinkgeld gezahlt.
Ohne jede Vorplanung laufe ich durch das Großstadtgewühl. Die Betonbauten in diesem Viertel der Stadt sind eher zweckmäßig als schön, nur die vielen Moscheen und die modernen Geschäftshäuser setzen einige architektonische Akzente. Den Rest des Abends verbringe ich mit Errungenschaften der Zivilisation einer modernen Großstadt: Supermarkt, Fast Food und Internetcafé. Das Sightseeing verschiebe ich auf morgen.
Mittwoch, 27. August 2008
Dar es Salaam
Dar es Salaam stammt aus dem Arabischen und heißt übersetzt „Haus des Friedens“. Wer hip sein will, nennt den Drei-Millionen-Einwohner-Moloch einfach nur „Dar“. Die Stadt ist das wirtschaftliche Zentrum Tansanias und wird von vielen als die wahre Hauptstadt des Landes angesehen. Dieser Titel gebührt seit 1974 Dodoma. Die Regierung und sämtliche ausländische Botschaften sind aber in Dar es Salaam geblieben. Außerdem haben hier die lutherische und die römisch-katholische Kirche ihren Bischofssitz und die wichtigsten Universitäten und Unternehmen ihre Heimat. Die Stadt ist relativ jung. 1862 begann der Sultan von Sansibar, Sayyid Mâdjid, mit dem Ausbau des Dorfes Msisima. Aus Angst vor einer Revolte auf der Insel wollte er seine Residenz auf das Festland verlegen. Er begann mit dem Bau eines Palasts und nannte den Ort zunächst Bandar as-Salâm, Hafen des Friedens.
Der Sultan starb 1870, der Palast blieb unvollendet. Der neue Sultan verpachtete 1888 die Stadt und die gesamte Küste des heutigen Tansania an die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft. Am 28. Oktober 1890 wurde der Kaufvertrag offiziell unterschrieben. Dar es Salaam erblühte unter deutscher Führung zu einer großen Stadt.
Viele Kolonialbauten reihen sich noch heute an der Küstenstraße aneinander. Renovierungen und Umbauten unter britischer oder tansanischer Leitung haben ihnen aber viel vom alten Glanz genommen. Das trifft auch auf den Bahnhof aus dem Jahr 1906 zu. Hier beginne ich meinen Stadtrundgang. Die Fassade unterscheidet sich kaum von 50er-Jahre-Zweckbauten. Gleiches gilt für das nahe gelegene Rathaus, in dem einst das Kaiserliche Bezirksamt residierte, oder für das Hauptpostamt. Alle haben bis zu drei Meter dicke Mauern und fünf Meter hohen Decken. Mit deren Hilfe sollte früher das fast unerträglich schwülheiße Klima Dar es Salaams bekämpft werden.
Wahre Hingucker sind die beiden alten Kirchen. Die katholische St. Joseph’s Kathedrale, gebaut von 1898 bis 1903, bietet sechs riesige runde bunte Glasfenster. Die lutherische Kirche könnte dank ihrer verspielten Architektur in jede Schweizer Alpenlandschaft passen.
Dar es Salaam liegt direkt am Indischen Ozean, hat aber keine Promenade, über die man flanieren könnte. Die meiste Zeit laufe ich an Zäunen und Absperrungen vorbei, die den Internationalen Hafen vor unerwünschten Gästen schützen sollen. Auch an die Anlegestellen der Fähren nach Sansibar und Pemba komme ich ohne Fahrschein nicht heran.
Der strenge Geruch weist mir den Weg zum Mzizima Fischmarkt. Die große Verkaufshalle aus Stahl und Wellblech wirkt modern im Vergleich zu den vielen alten Holzbooten, mit denen die Fischer ihren Fang an den weißen Sandstrand bringen. Auch so mancher Hai liegt auf dem Boden. Als ausgeschlachteter Kadaver. Meist sind nur die Flossen abgeschnitten.
Der Nachmittag soll dem Nationalmuseum gehören. Offiziell heißt es „Museum and House of Culture“ und wirkt von außen wie geschlossen. Mit schwedischer Finanzierung wird hinter einem Wellblechzaun gerade ein stattlicher neuer Museumsbau errichtet. Die altmodische Halle daneben ist zum Glück geöffnet. Der Eintrittspreis für Ausländer ist mit 6500 Schilling extrem hoch, die 13.000 Schilling Fotogebühr eine Frechheit. Weil in der zweiten Etage eh keine Aufpasser stehen, kann ich munter gratis fotografieren.
Die Ausstellung klärt auf über das frühere Leben der Swahili-Familien im 19. Jahrhundert und über das unwürdige Treiben der arabischen Sklaven- und Elfenbeinhändler. Dann läutet das Schild „Kaiserliches Haupt-Zollamt“ die deutsche Ära ein. Es gibt Exponate aus der Blütezeit, bishin zur Vertreibung der Deutschen durch die Briten. Das zersplitterte Bullauge des Kanonenbootes Königsberg zeugt von diesem Wechsel. Es wurde im Weltkriegsjahr 1915 versenkt. Ein Foto zeigt den zerbombten deutschen Gouverneurspalast in Dar es Salaam.
Im Museum sind es nur wenige Schritte, bis auch die britische Kolonialzeit endet. Am 9. Dezember 1961 erhielt Tanganjika, wie die Region damals hieß, die Unabhängigkeit. Kurz nach der Unabhängigkeitserklärung von Sansibar am 10. Dezember 1963 vereinte sich Tanganjika (Tan) mit Sansibar (San). Beide gründeten am 26. April 1964 die Vereinigte Republik Tansania. Erster Staatspräsident wurde Julius Kambarage Nyerere, der mit seinen Anhängern von der Tanganyika African National Union (TANU) den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft anstrebte. Sie verstaatlichten die Banken, führten Bildungs- und Landreformen durch. Tansania wurde eines der ärmsten Länder der Welt.
Dass der Präsident trotzdem teure Autos fahren konnte, sieht der Besucher anhand eines Fuhrparks im Museumshof. Dort stehen mehrere Limousinen von Rolls Royce und Mercedes. Mit dem Flitzer aus Deutschland fuhr Nyerere am 31. August 1999 zum Flughafen in Dar es Salaam, um zur Behandlung nach London zu fliegen. Er starb am 14. Oktober 1999 in der britischen Klinik.
An elf andere Tote erinnert ein modernes Denkmal im Innenhof des Museums. Sie kamen am 7. August 1998 beim Terroranschlag vor der US-Botschaft in Dar es Salaam ums Leben. Authentische Trümmerteile von Autos und Motorrädern sowie lebensgroße Puppen ohne Arme und Beine erinnern an den damaligen Schreckenstag.
Der Museumshof führt zu einer angenehmen Überraschung. Das schmucke Haupthaus, 1940 im orientalischen Stil gebaut, umfasst die biologische und paläontologische Abteilung des Museums. Die eine Halle stellt Fotos und ausgestopfte Tiere aus, eine andere Halle führt in die Rituale und den Alltag der tansanischen Stämme ein. Dazwischen stellt die „Hall of Man“ mit nachgebildeten Schädeln und Knochen die Evolutionsgeschichte der Menschen nach. Darunter ist der Stolz Tansanias: ein Schädel des Zinjanthropus boisei und die 3,6 Millionen Jahre alten Fußabdrücke aus der Olduval-Schlucht. Sie sind der älteste Beweis für den aufrechten Gang der menschlichen Verwandten auf zwei Beinen.
Ich gehe, ebenfalls aufrecht und auf zwei Beinen, weiter zum Ocean Road Hospital, das auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. Ab 1886 wurde es im deutsch-arabischen Stil erbaut, 1897 wurde es als Regierungskrankenhaus eröffnet. Hier führte Dr. Robert Koch die ersten Malaria-Forschungen durch, heute finanzieren deutsche Geldgeber die Krebsforschung und Behandlung von Patienten. Auch die Renovierung des palastartigen Krankenhauses wurde 1999 mit einer Geldspritze aus Deutschland bezahlt.
Donnerstag, 28. August 2008
Dar es Salaam
Etwas unwohl ist mir schon dabei, mein Gepäck im Vorzimmer des Hotelmanagers abzustellen. Die vermeintliche Gepäckaufbewahrung in meiner Safari Inn Lodge besteht aus einem wilden Haufen aus Koffern und Rucksäcken. Theoretisch kann hier jeder Besucher zugreifen und mit meinem Gepäck im Großstadtdschungel von Dar es Salaam verschwinden. Weil ich aber nur noch 50.000 Schilling in der Tasche habe, kann und will ich nicht noch einmal 24.000 Schilling für ein Zimmer zahlen, das ich für die kommende Nacht gar nicht brauche. Denn um 21.20 Uhr verlasse ich Tansania.
Der Manager sagt, dass er nur bis 17.30 Uhr im Büro ist. Ich soll meinen Koffer und meinen Rucksack auf keinen Fall später abholen.
Heute will ich mit der Fähre zur anderen Seite der Bucht übersetzen und die Skyline vor Dar es Salaam fotografieren. Auf dem Weg zum Hafen passiere ich wieder die lutherische Kirche. Ich werde neugierig: Kann man den Turm eigentlich erklimmen? Man kann! Das erfahre ich in einem kleinen Buchladen auf dem Kirchengelände. Der Hausmeister im blauen Overall schließt für ein üppiges Trinkgeld das dicke Eingangstor auf und steigt mit mir eine schiefe Holztreppe empor. Zunächst zeigt er mir stolz das alte Uhrwerk, das die drei Uhren des Kirchturms antreibt, dann klettern wir noch höher zu den drei massiven Glocken. Sie wurden 1901 in Apolda gegossen. Die Aussicht vom Turm auf Dar es Salaam, den Hafen und den Indischen Ozean ist herrlich.
Ich gehe wieder zum Fischmarkt, der heute noch intensiver stinkt als gestern. Die Händler schleppen Haie, Kraken und Fische aller Art von den Holzbooten zu den Verkaufsflächen. Auf der anderen Straßenseite setzt sich der Markt fort. Er bietet Seesterne, Korallen und Muscheln für Sammler und Liebhaber. Wie Juweliere kramen die Händler ihre Fundstücke aus Schatullen und Taschentüchern. Jede Muschel ist so sehr poliert, dass sie im Sonnenlicht glänzt. Viele der Fundstücke kommen von den Inseln Sansibar, Pemba und Mafia. Ich kaufe zwei besonders schöne Stücke für je 1000 Schilling.
Einen Tausender lege ich am Kassenhaus der Magogoni-Fähre auf den Tisch. Ich bekomme 900 Schilling Wechselgeld. Die zehnminütige Überfahrt mit dem alten Kahn ist nahezu geschenkt. Zu sehen gibt es am Ziel nichts. Weder das neue Ufer lohnt den Besuch, noch der Ausblick auf Dar es Salaam. Deshalb bleibe ich einfach auf dem Boot und fahre wenige Minuten später wieder zum Ausgangspunkt. Als blinder Passagier, der den Betreiber um 100 Schilling prellt.
Auf dem Rückweg zur Lodge besuche ich ein Denkmal für die Askeri. Das sind die afrikanischen Truppen, die im Ersten Weltkrieg für ihre europäischen Kolonialherren kämpften. Zwischen 1914 und 1918 zahlten 100.000 von ihnen mit ihrem Leben. Die Briten setzten ihnen im Jahr 1927 ein Denkmal. Es steht auf einer Verkehrsinsel im Zentrum. Früher stand hier ein Denkmal für den deutschen Kaiser.
Um 16.45 Uhr will ich mein Gepäck in der Lodge abholen. Die gute Nachricht: Es ist noch da. Die schlechte Nachricht: Ich komme nicht ran, sondern sehe es nur durch das Gitter der Tür. Der Manager ist fortgegangen und hat den einzigen Schlüssel mitgenommen. An der Rezeption heißt es, dass ich warten soll. Wie lang? Eine halbe Stunde. Vielleicht länger.
Auf mein Drängen hin wird der Manager über Handy angerufen. Er sagt, dass er kommt. Irgendwann. Ich werde immer ungeduldiger, weil ich weiß, dass der Feierabendverkehr meine pünktliche Ankunft am Flughafen gefährden wird. Kurz vor knapp trifft der Manager ein.
Taxifahrer Abdul will mich zum Standardpreis von 15.000 Schilling zum Julius K. Nyerere International Airport bringen. Doch nach einer Minute haben wir uns im Feierabendverkehr festgefahren. Nichts geht mehr. Das ist kein zähfließender Verkehr, sondern ein einziger Parkplatz. Eine halbe Stunde lang bewegen wir uns keinen Meter vorwärts, und ich überlege ernsthaft, die erste Etappe auf dem Weg zum zwölf Kilometer entfernten Flughafen einfach zu Fuß zu gehen. Menschen sind eh genug auf der Straße. Eine Heerschar an jungen Verkäufern, allesamt mit dem Traum auf schnelles Geld aus ländlichen Regionen in die Stadt gekommen, ist mit Waren bepackt. Sie bieten den Autofahrern Getränke, Nüsse, Schuhe, Hemden, Klobürsten und Sex-DVDs. Mit vielen weiteren Zwischenstopps erreiche ich endlich den Flughafen.
Michael Scholten
Der in Kambodscha lebende Reise- und Filmjournalist Michael Scholten (TV Spielfilm, TV Today, ADAC Reisemagazin, Spiegel Online) hat bisher 123 Länder bereist. Über seine längste Reise, die ihn innerhalb von 413 Tagen in 40 Länder führte, ist das 560 Seiten starke Buch “Weltreise – Ein Tagebuch” erschienen. Es umfasst 68 Farbfotos, viele Berichte über Filmlocations in Kambodscha, Sri Lanka, Neuseeland, Panama etc. und ist für 15 Euro unter www.michaelscholten.com zu
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