Samstag, 23. August 2008
Ruaha Nationalpark
Um neun Uhr verladen Caroline und Sven aus den Niederlanden und ich unser Gepäck in einen Toyota Land Cruiser. Unser Fahrer heißt Joseph. Ich bin beeindruckt, dass Caroline sich mit ihm fließend auf Swahili unterhält. Sie hat als Physiotherapeutin in einem Hospital in Tansania gearbeitet und obendrein etliche Reisen durch Afrika absolviert. Jetzt fällt sie hier umso mehr auf: blonde Haare und dann auch noch Landessprache.
Unser Safari-Ziel, der Ruaha Nationalpark, liegt 130 Kilometer westlich von Iringa. Die gut geteerte Straße endet schon nach wenigen Minuten und geht schlagartig in eine Piste aus Sand, Schotter und Schlaglöchern über. Exakt zwei Stunden braucht Joseph, bis er uns auf den Parkplatz der Sunset Lodge steuert. Die Anlage ist an den Hang des Idelemle Bergs gebaut und verdankt ihren Namen dem malerischen Sonnenuntergang, den die Gäste jeden Abend vom Restaurant aus anschauen können.
In der Lodge erwartet uns eine angenehme Überraschung. Statt der vorausgesagten Zelte, in die wir wegen Überfüllung der Lodge ziehen sollen, bekommen wir nun doch richtige Zimmer zugewiesen. Von Überfüllung kann eh nicht die Rede sein. Wir drei sind die einzigen Gäste an diesem Wochenende. Ich freue mich über mein Bett, mein Badezimmer und meinen Balkon. Der bietet einen herrlichen Ausblick auf die Berge und den Akazien-Wald.
Der Aufbruch zur Safari wird für 13 Uhr festgelegt, vorher gibt es noch ein Mittagessen aus der Lodge-Küche. Außerdem will Sven, der als Ingenieur seine Heimat Rotterdam mal zwei Jahre lang gegen Berlin eingetauscht hat, an deutschen Traditionen festhalten und mit Bier anstoßen. Zur Auswahl stehen Kilimanjaro, Serengeti und Tusker. Ich trinke zwar kein Bier, bestelle aber ebenfalls eine Flasche Kilimanjaro. Des Etiketts wegen.
Von der Lodge aus sind es noch einmal rund 30 Kilometer bis zum Eingangstor des Ruaha Nationalparks. Das Ticket kostet 20 US-Dollar und ist in meinem Paketpreis von 130 Dollar enthalten. Schon am Eingang tummeln sich Nilpferde und Krokodile im seichten Wasser des Ruaha Flusses. Er gibt dem Park seinen Namen und ist die südöstliche Begrenzung des 10.300 Quadratkilometer großen Schutzgebiets.
Unser Toyota Land Cruiser ist speziell für Safaris gebaut. Er besitzt ein Dach, das sich aufklappen lässt. So kann jeder Passagier stehen und ungehindert in alle Himmelsrichtungen schauen. Ich bleibe erst mal auf der Rückbank sitzen, deren drei Plätze mir allein zur Verfügung stehen. In der extremen Mittagshitze hält sich die Zahl der zu beobachtenden Tiere in Grenzen. Im Ruaha Nationalpark ist das halb so schlimm. Schon allein die Landschaft lohnt den Besuch. Überall stehen die markanten Affenbrotbäume in dem rauen, trockenen Buschland, der weitgehend ausgetrocknete Fluss zieht tiefe Furchen durch die typisch ostafrikanische Szenerie. Hier und da sehen wir Zebras, Giraffen und Impalas.
Das erste Highlight, zu dem uns Joseph zielsicher steuert, übersehen wir fast. Unter einem Affenbrotbaum, keine fünf Meter neben uns und durch Büsche und Gras verdeckt, schlafen zwei männliche Löwen. Ich bin beeindruckt, aber zugleich enttäuscht. Meine Fotos von den beiden stolzen Tieren werden nix, weil die Kamera immer nur die langen Grashalme im Vordergrund scharf stellt. Jetzt müsste ich die Gebrauchsanleitung im Handgepäck haben, um den Autofokus der Kamera auf manuell umstellen zu können. Habe ich aber nicht.
Joseph wendet und fährt eine leichte Kurve. Schon liegt eine Gruppe von Löwinnen dicht neben unserem Wagen. Sie sind müde von der Jagd, liegen erschöpft auf dem Rücken und öffnen die Augen nur kurz, wenn Joseph den Motor aufheulen lässt. Auch hier macht mir das Gras wieder einen Strich durch die Fotorechnung. Schade! So dicht dran an den Raubkatzen, und doch gelingt kaum ein brauchbarer Schnappschuss.
Am späten Nachmittag färbt die Sonne die Landschaft in zartes Rot. Die ersten Elefantenherden, die bei etwas kühleren Temperaturen zum Fluss aufbrechen, wirken zu dieser Stunde eher rot als grau. Es hätte auch mit dem Teufel zugehen müssen, wenn wir heute keine Elefanten sehen würden. Der Ruaha Nationalpark ist bekannt für seine gewaltige Population. Etwa 10.000 Dickhäuter durchstreifen das Gebiet.
Allzu lang können wir nicht ausharren, um die Elefanten zu beobachten. Der Park schließt um 18 Uhr, wir müssen noch etliche Kilometer bis zum Ausgang fahren. Tatsächlich verspäten wir uns um 20 Minuten. Im Krüger Nationalpark in Südafrika wäre das eine mittlere Katastrophe, die vermutlich auch Strafgelder nach sich ziehen würde. Doch hier spricht Joseph nur kurz mit seinem „Brother“ von der Parkaufsicht. Schon wird die lange Eisenstange, die das Eingangstor darstellt, laut quietschend zur Seite geschoben.
Die Sunset Lodge erreichen wir erst weit nach Sonnenuntergang. Die drei Angestellten, die sich hier in der abgelegenen Region um uns kümmern, werfen den Generator an, damit wir Licht haben und sie in der Küche das Abendessen zubereiten können. Bevor das Personal das Schweinefleisch mit Ingwer und Gemüse serviert, werfe ich im Restaurant meinen Laptop an, um Fotos von anderen Reisezielen zu zeigen. Nach dem Essen gesellen sich Caroline, Sven, Joseph und die drei Hotelangestellten an den Tisch und informieren sich über Madagaskar. Bis 22.30 Uhr. Dann verstummt das Knattern des Generators. Die Lodge muss bis morgen früh ohne Strom auskommen.
Sonntag, 24. August 2008
Ruaha Nationalpark
Der Generator knattert ab 5.30 Uhr. Das Küchenpersonal braucht Strom, um unser sehr frühes Frühstück zuzubereiten. Wir haben es für sechs Uhr bestellt, damit wir gleich nach Sonnenaufgang in den Ruaha Nationalpark fahren können. Zu dieser kühlen Stunde sind die Tiere besonders aktiv und nicht so lethargisch, wie wir sie gestern Nachmittag erlebt haben.
Das Farbenspiel am Himmel verändert sich im Minutentakt. In Tansania erfolgt der Sonnenaufgang in Windeseile. Laut Caroline ist das die einzige Disziplin, in der Afrika im internationalen Vergleich wirklich schnell ist. Unser Fahrer Joseph stimmt ihr lachend zu.
Vor dem Abschied von der Sunset Lodge müssen wir noch die Getränkerechnung begleichen. Ich bin angenehm überrascht. Die Monopolstellung der Bar wird vom Management keineswegs ausgenutzt, so wie es in anderen Lodges gang und gäbe ist. Jede Flasche Cola und Wasser schlägt gerade mal mit 500 Schilling zu Buche. Das sind 30 Cent. Das Kilimanjaro-Bier kostet 2500 Schilling, also 1,55 Euro. Ich runde um mehr als 100 Prozent auf, um ein üppiges Trinkgeld für das Lodge-Trio zu hinterlassen.
Das frühe Aufstehen zahlt sich aus: Kaum sind wir im Park, stoßen wir auch schon auf die erste große Elefantenherde. Die Tiere aller Altersstufen trinken am Fluss, der an dieser Stelle nur ein Rinnsal inmitten eines fast ausgetrockneten Flussbetts ist. Wir merken, dass die Tiere weiterziehen wollen, wir ihnen jedoch mit unserem Wagen im Weg stehen. Joseph fährt 20 Meter nach rechts. Sofort setzt sich die große Karawane in Gang.
Wir schauen den dicken grauen Hintern noch lang hinterher, bevor wir den absoluten Höhepunkt des Tages und all meiner bisherigen Safaris ansteuern. Zunächst sieht Joseph in sehr großer Entfernung ein pelziges Etwas. Er tippt auf einen Löwen oder einen Gepard. Doch der hoppelnde Gang macht mich stutzig. Je näher wir uns dem Objekt der Begierde nähern, desto klarer wird: Es ist ein sehr junger Löwe. Deshalb auch der kindlich verspielte Gang. Aus einem Busch kriecht ein zweites Jungtier. Und noch eins. Und noch eins. Insgesamt sieben dieser wunderschönen Löwenkinder sind hier auf sich allein gestellt. Wo sind die Eltern? Joseph vermutet, dass das Rudel gerade Antilopen, Kudus oder Giraffen jagt. Im Ruaha Nationalpark attackieren die Raubkatzen auch regelmäßig Giraffen, was in den meisten anderen Parks nur höchst selten vorkommt.
Caroline, Sven und ich möchten gern ausharren, bis die erwachsenen Löwen von der Jagd zurückkommen. Joseph ist unwohl bei der Sache. Er ist mit dem Land Cruiser nah an die Löwenjungen herangefahren, damit wir sie besser beobachten können. Eigentlich darf er die offiziellen Pisten nicht verlassen. Jetzt sorgt er sich, dass uns durch Zufall ein Ranger sieht. Schweren Herzens nehmen wir Abschied von der Rasselbande und fahren zurück auf den Hauptweg. Der wird gerade von einer Löwin überquert. Sie humpelt und scheint sich bei der Jagd verletzt zu haben. Sie stößt sehr dumpfe Laute aus, mit denen sie die Jungtiere zu sich ruft. Die kommen aus der Ferne angerannt und umgarnen die verletzte Löwin.
Dieser Augenblick allein ist die 130 Dollar wert, die ich für die Wochenendsafari bezahlt habe. Und er versöhnt mich mit allen verregneten, glücklosen und überteuerten Safaris, an denen ich im Laufe der Jahre in Afrika und Asien teilgenommen habe.
Das Glück bleibt uns treu: Wir sind kaum weitergefahren, da treffen wir auf die erwachsenen Löwen. Im Moment gönnen sie sich eine Pause von der bislang erfolglosen Jagd. Löwen haben ein kleines Herz und müssen sich ausruhen, sobald sie ein bis zwei Rennattacken hinter sich haben. Jetzt schläft das Rudel im Schatten eines Affenbrotbaums, ist aber weiterhin auf der Lauer. Sobald Joseph den Motor anwirft oder wir auf das Blech unseres Land Cruisers klopfen, schießen die Köpfe hoch und wache Augen nehmen uns ins Visier.
Ich schieße Foto um Foto und bin heilfroh, dass heute kein hoher Grashalm auf den wenigen Metern zwischen den Löwen und meiner Kamera wächst. Eines der Bilder wird lange Zeit mein Lieblingsmotiv bleiben: ein lächelnder Löwe. Eigentlich hat er gerade nur gegähnt, doch das fast schon wieder geschlossene Maul wirkt auf dem Foto wie ein ganz bezauberndes Lächeln, gegen das selbst Leonardo da Vincis Mona Lisa verblasst.
Auch der Rest des Vormittags enttäuscht uns nicht. Bei hervorragenden Lichtverhältnissen kreuzen große Herden von Giraffen, Elefanten, Zebras und Pavianen unseren Weg. Alle sind eingerahmt von einer nicht enden wollenden Affenbrotbaum-Landschaft. Joseph hält an einem der ausgewiesenen Picknickplätze des Parks, ist aber keineswegs begeistert von unserer Nachbarin, die er in einem Busch entdeckt: eine Puffotter. Doofer Tourist, der ich bin, renne ich gleich hinüber, um sie zu fotografieren. Joseph bremst meinen Enthusiasmus. Die Puffotter ist extrem gefährlich. Wenn sie mich erwischt, bin ich eine Stunde später tot.
Um 13.30 Uhr endet unsere zweite Safari im Ruaha Nationalpark. Wir müssen 130 Kilometer zurück nach Iringa, passieren auf der schlichten Sandpiste eine Vielzahl sehr armer Dörfer und halten unterwegs zweimal an. Einmal, weil Joseph eine große Kugel Elefantenmist in den Land Cruiser packt („Medizin! Der wird aufgekocht und getrunken!“), einmal, weil ich kurz über einen lokalen Markt laufen möchte. Dort wird alles geboten: Kleidung, Gemüse, Obst, tansanisches Fast Food und nicht zuletzt Sandalen aus alten Autoreifen.
Punkt 16 Uhr treffen wir in Iringa ein. In die Annex Staff Inn Lodge möchten weder Caroline noch Sven noch ich zurück. Wir fragen auf der anderen Straßenseite im Embalasasa Hotel und bekommen Zimmer für 15.000 Schilling pro Nacht. Am Busbahnhof investiere ich weitere 18.000 Schilling in meine morgige Weiterfahrt nach Dar es Salaam. Der sogenannte Scandinavia Bus verspricht nicht nur mehr Komfort als die üblichen Minibusse, sondern auch eine kürzere Reise. Abfahrt: 9 Uhr. Ankunft: 16 Uhr. Wir werden sehen.
Michael Scholten
Der in Kambodscha lebende Reise- und Filmjournalist Michael Scholten (TV Spielfilm, TV Today, ADAC Reisemagazin, Spiegel Online) hat bisher 123 Länder bereist. Über seine längste Reise, die ihn innerhalb von 413 Tagen in 40 Länder führte, ist das 560 Seiten starke Buch “Weltreise – Ein Tagebuch” erschienen. Es umfasst 68 Farbfotos, viele Berichte über Filmlocations in Kambodscha, Sri Lanka, Neuseeland, Panama etc. und ist für 15 Euro unter www.michaelscholten.com zu haben.
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