Wie die FAZ die öffentlich-rechtlichen Sender sturmreif schießen will. Ihre Kritik an politischem Opportunismus und ästhetischem Biedersinn ist berechtigt, aber das Blatt läuft ins Abseits, wenn es ARD und ZDF aufs kulturelle Bonsai-Format stutzen will.
Vor ein paar Tagen hat ein FAZ-Herausgeber zum großen Schlag gegen ARD und ZDF ausgeholt. Jürgen Kaube, in Frankfurt für Feuilleton und damit auch für Medien zuständig, rechnet mit der „Impertinenz“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ab. Der spiele auf „zig“ Radiostationen „von morgens bis abends Schlager“, sein TV-Programm biete „Aufklärung mittels Fußball, Musikanten und Nordseekrimis“ und zudem gebe er seinen Rentnern „Versorgungsleistungen oft deutlich über denen des öffentlichen Dienstes“. Quasi der Gipfelpunkt der Frechheit sei es, Forderungen nach mehr Geld einen Beitrag zur „Grundversorgung der Demokratie“ zu nennen. Fernsehgebühren als „Demokratieabgabe“ zu adeln, zeugt laut Kaube von Größenwahnsinn und belegt die „Fusion von Politik und Funk in den Köpfen der Begünstigten“.
Starke Worte. Harte Schelte, die besonders dem nicht namentlich genannten WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn gilt. Aber das passt ins Bild. Der Kommentar ist nur ein Kapitel eines zunehmend erbitterten Kampfs, den das Frankfurter Blatt gegen ARD und ZDF führt. Vorderhand geht es um die ewige Streitfrage von Gebührenerhöhungen. In Wahrheit geht es ums Ganze, es geht um die Zukunft des Public Service in Deutschland. Das Frankfurter Blatt hadert mit der Performance der Anstalten und es fürchtet das Schlimmste für die Zukunft. Sein tief sitzender Unmut äußert sich in verschiedenster Weise. Mal setzt der Medienredakteur Hanfeld kleine Nadelstiche gegen anachronistische Einrichtungen wie die Betriebstankstelle beim Hessischen Rundfunk. Oder Autor Hans Hütt beschäftigt sich akribisch mit dem Programm-Elend während der Sommerpause, den endlosen Wiederholungen und spricht wehklagend von einem „Sommer, der nicht zum Aushalten war“. Dann kommt es wuchtig im Wirtschaftsteil, wo im Stil eines Enthüllungsjournalismus über immer neue Gebühren-„Begehrlichkeiten“ des „Staatsfunks“ berichtet wird. Nebensächlich wird dabei, dass es sich um Wunschdenken und Sandkastenspiele handelt. Demnach sollen die Gebühren künftig an die Inflationsrate gekoppelt werden. Aber für die beiden Autoren der Frankfurter Sonntagszeitung ist der Anstieg der „Zwangsgebühren“ – noch so ein unkaputtbarer Pleonasmus – von derzeit 17,50 auf 21 Euro im Jahr 2029 bereits beschlossene Sache. Hier wird etwas, das in 12 Jahren – unter Umständen – sehr moderat kommen könnte, als Totschlagargument benutzt.
Hinter so viel Furor muss mehr stecken. Die Vermutung liegt nahe, dass hier ein altes Medium gegen ein jüngeres Medium kämpft. Beide haben sie ihre Glanzzeiten hinter sich, beiden geht es angesichts der Konkurrenz aus dem Internet nicht besonders gut. Trotzdem versucht der stark fiebernde Patient (die Zeitung) dem vergleichsweise leicht infizierten Bettnachbarn (das Fernsehen) bei jeder sich bietender Gelegenheit an die Gurgel zu gehen. Da ist viel Neid und altes Ressentiment von Print gegenüber Bewegtbild im Spiel. Der Zeitung laufen die Abonnenten und die Werbekunden davon, immer neue interne Sparrunden bei gleichzeitigen Erhöhungen der Verkaufspreise sollen Gesundung bringen. Ausgang ungewiss. Der andere Kranke, das gebührenfinanzierte Fernsehen, ist in einer vergleichsweise stabilen Situation. Er versammelt zu bestimmten Anlässen immer noch ein Publikum in zweistelliger Millionenhöhe hinter sich – aber trotz „Tatort“ geht es auch ARD und ZDF nicht gut. Sie haben ihren inneren Kompass verloren, sie rennen ihrem eigenen Auftrag hinterher, verzetteln sich in den Ansprüchen, werden zerrissen zwischen kurzfristigem Denken und Handeln und der Notwendigkeit, sich auf eine Zukunft in einem zunehmend fragmentierten Fernsehmarkt einzustellen, auf dem ganz andere Player mitmischen werden. Staatsvertraglich gesicherte Worte wie politische Aufklärung und kulturelle Bildung geraten den Sendern da zur hohlen Phrase. Sonntäglich wird Qualitätsfernsehen beschworen, im Alltag wird die Qualität zugunsten von Quote, Audience Flow und Zuschauergewinnen im Promillebereich schnöde verraten.
Was taugt also laut FAZ am öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramm? Was hat Zukunftschancen und sollte überleben? Jürgen Kaube beteuert zwar, nichts gegen „Heimatklänge und Länderspiele“ zu haben. Doch solche Worte lesen sich wie eine rhetorische Verbeugung vor dem Massengeschmack. Seine Positivliste fällt abstrakt und dürr aus: „Niemand in den Zeitungen schätzt gering, was das Deutschlandradio und andere Sender leisten. Oder Arte, 3sat, ARD-alpha. Aber das Gros des zwangsfinanziert Ausgestrahlten hat nichts mit der Demokratie, einem Bildungsauftrag oder auch nur dem Anregen von Gedanken zu tun.“ Öffentlich-rechtliches Fernsehen reduziert auf Nischenprogramme, im Bonsai-Format. Eine verlockende Vorstellung? Oder nicht selbst ein Schreckgespenst? Es wird schwerer denn je fallen, die Frage nach der Legitimation von Rundfunkgebühren auch nur einen Tag lang offensiv zu vertreten und damit wäre auch die Existenz der allseits geschätzten Spartenkanäle bedroht.
Leider erfüllt Kaube bei seiner Selektion alle Vorurteile, die in weiten Teilen der Öffentlichkeit gegenüber Intellektuellen bestehen. Offensichtlich soll nur dort, wo ausdrücklich Kultur draufsteht, ein öffentlich-rechtlicher Auftrag berechtigt sein. Kaube erspart sich die Mühe, genau hinzuschauen und übers Programm mit profundem Detailwissen zu urteilen. Er pauschalisiert, er verallgemeinert. Er verhält sich wie weiland Marcel Reich-Ranicki, der den Deutschen Fernsehpreis ausschlug und trotzig bekannte, nur 3sat zu schätzen. Beiden ist entgangen, dass der Dreiländerkanal eine – zuweilen aufregende – kulturelle Resterampe ist. Eine Spielstätte, die im großen Getriebe von ZDF oder WDR – um zwei prominente Beispiele zu nennen – nur ein kleines Rädchen ist. Ein Kanal, der in Deutschlands Sendern keine eigenständige Redaktion und keinen eigenen Etat mehr hat. Und daraus sollen Zukunft und Rettung erwachsen?
Zweifellos gibt es zu wenige Programmstücke oder Elemente in den Hauptprogrammen, die Eigensinn, Originalität, gute Machart und den Willen zur Aufklärung besitzen. Wenn man dem Zuschauer zumutet, sie mit geduldigem Suchen aufzuspüren, ist der Programmauftrag der allgemeinen Aufklärung zumindest partiell verfehlt. Dem Kritiker allerdings ist diese Arbeit durchaus zuzumuten, denn seine Aufgabe ist nicht das mürrische Meckern, sondern das begründete Urteil und nicht die generalisierende Verurteilung. Um einem scheinbar unausrottbaren Irrtum zu widersprechen: Kein Mensch will sich 24 Stunden lang mit Kultur & Geist beschäftigen. Das mag eine fromme Selbstlüge mancher Kultur-Bürokraten sein, die so ihre Existenzberechtigung zu legitimieren suchen. Das prominente Beispiel Bert Brecht beweist das Gegenteil: Der las zwar neben seiner Arbeit an Theater-Inszenierungen liebend gern Kriminalromane. Aber er fand in den Krimis jenseits von Entspannung und Zerstreuung verkappte Sozial- und Politdramen und Stoff für neue Stücke. Ähnlich erging es übrigens Ernst Bloch. Beide konnten allerdings nicht ahnen, dass ein Genre, das ihnen Erkenntnisse lieferte, heute im Fernsehen (und in der Literatur) derart vervielfältigt und trivialisiert worden ist, dass es die Kraft gesellschaftlicher Subversion weitgehend verloren hat. Außer oberflächlichen Reizen in einer von sich selbst gelangweilten Gesellschaft und dem diffusen Generalverdacht, dass etwas schief läuft in der Welt, geht von Krimis keine innere Kraft mehr aus. Allen Erweiterungen des Genres und formalen Experimenten zum Trotz.
Es geht nicht darum, es kann gar nicht darum gehen, von vornherein bestimmte Programmteile als minderwertige Unterhaltung auszuschließen. So wie der Phänomenologe aus kleinen Entdeckungen, scheinbar belanglosen Dingen des Alltags, interessante Erfahrungen herausfiltert, so muss sich der ideale TV-Reporter seinem Gegenstand nähern. Nichts darf, nichts soll ihm fremd sein. Aber es kommt darauf an, wie man sich mit einem scheinbar abgegriffenen Sujet auseinandersetzt.
Das ist alles andere als Rechtfertigung für das Fernsehen oder Radio, wie es sich derzeit darbietet. Erst recht kein Freibrief, so weiterzumachen wie bisher. Der Missmut an ARD und ZDF und ihren Programmen ist berechtigt. Nicht unbedingt, dass sie sich mit so vielen Themen beschäftigen, sondern wie schlecht sie damit umgehen. Die klassischen Privatsender mögen am Ende sein. Sie sind keine finanziellen Goldgruben mehr und ihr Innovationswert ist wie bei einer Silvesterrakete verzischt. Aber diese Konkurrenz hat auf ARD und ZDF eine mittelfristig verheerende Wirkung ausgeübt. Die Konvergenz-Theoretiker mögen sich auf die Schulter klopfen und sich teilweise bestätigt sehen. Fakt ist: Die Muster von Infotainment und Quatschkultur (mal ironisch, mal grob gestrickt), die RTL und SAT1 vor Jahren einführten, haben auf die öffentlich-rechtlichen Sender tief eingewirkt. In ihre Programme sind an vielen Stellen die Mechanismen der Kommerzsender eingezogen. Dramatisch gesprochen: Wirklichkeit hat einen zunehmend schweren Stand in den ÖR-Sendern.
ARD und ZDF ist die Originalität abhanden gekommen. Der Betrieb läuft handwerklich professionell, aber auch absehbar langweilig ab. Die Orientierung zum Publikum und seinem vermuteten Geschmack ist so aufdringlich anbiedernd, dass sie schon wieder kontraproduktiv ist. Dabei dürfte alles oder fast alles sein – wenn nur mehr Mut, Intelligenz, Offenheit und Experimentierfreude zugelassen würden. Aber wer selbst journalistische Investigation und die Schlagzeilen-Produktion faktisch an den Medienverbund mit der rührigen „Süddeutschen Zeitung“ delegiert hat und sich ansonsten verbrauchernah und politisch lammfromm geriert, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er überhaupt noch reformwillig und reformfähig ist.
Hinter dieser Unbeweglichkeit steht noch etwas Anderes. Die Sender fühlen sich von der Politik nicht mehr richtig geliebt. Aber in einer zunehmend rauen Medien-Landschaft erscheint eben diese Politik der einzig verbliebene Bündnispartner. Die hat ihnen mit der Umstellung der Gebühren auf die Berechnung nach Haushalten einen großen Gefallen getan, hat ihnen auf weite Sicht gesehen Luft verschafft. Die Sender entgelten es der Politik durch eine herrschaftskonforme Berichterstattung, die das Gebot auf Staatsferne täglich aufs Neue dementiert. Dabei geht es in diesem Zweckbündnis nicht ohne Knirschen und Tränen zu. Aber ohne großes Lamento nimmt es ein Sender wie der WDR hin, per Rundfunkgesetz in seinen Werbezeiten beschnitten zu werden. Und das von einer sozialdemokratisch geführten Landesregierung! Von der neuen schwarz-gelben Koalition ist da keine Besserung zu erwarten. Eher das Gegenteil.
Auch die klammheimlichen Verbündeten in den Printmedien früherer Tage sind den Öffentlich-Rechtlichen ausgegangen. Selbst ein Blatt wie die „Süddeutsche“, das zu Zeiten eines Herbert Riehl-Heyse die „Süßstoff-Debatte“ und damit den Versuch einer frühen Selbsttrivialisierung des fiktionalen Programms der ARD publik machte, steht den Sendern mit wachsendem Desinteresse wo nicht gar Fremdheit gegenüber. Da nimmt sich die Initiative von 45 Vertreter/innen von Wissenschaft und Zivilgesellschaft wie ein seit langem überfälliger Versuch aus, eine Gegenbewegung zu etablieren. Ihre jüngst veröffentlichten „Zehn Thesen zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien“ beginnen mit einem bemerkenswerten Bekenntnis: „Gäbe es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht, müsste man ihn gerade jetzt erfinden.“ Leider mangelt es dem Thesenpapier an der Fähigkeit, sich die Chancen der Umsetzung seiner Forderungen auszumalen. Ein radikaler Neuanfang, wie ihn die Grünen-Medienpolitikerin Tabea Rößner verlangt, müsste durch eine Implosion in den Sendern selbst befördert werden. Eine Zangenbewegung, die nicht nur von außen ansetzt, sondern die erstarrten Strukturen und Denkschemata auch von innen aufbricht. Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Die Sender wie auch ihre Mitarbeiter wursteln lieber still vor sich hin, leiden an sich selbst – und bieten weiter breite Angriffsflächen. Zum Beispiel in ihrer politischen Berichterstattung. Gestern die Ukraine, heute Venezuela, ganz aktuell der Bundestagswahlkampf. Immer schwingt der Verdacht auf politische Einseitigkeit oder Willfährigkeit mit.
Jürgen Kaube hat recht, wenn er die Politiker-Auftritte in Talkshows oder Gesprächen wie die derzeit grassierenden „Sommerinterviews“ als von „Einfallslosigkeit oder Opportunismus“ diktiert geißelt. Heuchlerisch aber mutet sein Vorwurf an die Sender an, wenn er sie wegen ihrer Berichterstattung bei der Flüchtlingswelle 2015 angreift: „Vom Frühstücksgeplaudere bis zu Klebers Abendstunde spielten sie schon sehr insistent und homogen die hauptamtliche Melodie ‚Wir schaffen das’.“ Die Rolle des großen Realisten, der sagt, was ist und die Kaube heute einfordert, haben aber auch die deutschen Print-Qualitätsmedien damals nicht gespielt. Den humanitaristischen Pragmatismus, die Angela Merkels große Koalition vorgab, um nicht selbst von den Ereignissen überrollt zu werden, haben die deutschen Medien mitgetragen und unterstützt. Auch wenn die FAZ konservative Bauchschmerzen verspürte. Deswegen aber nachträglich den Bildmedien die Schuld an den „Emotionen der Bevölkerung“ zuzuschieben, wie es jetzt der Kommunikationsforscher Hans Mathias Kepplinger und sein Kollege Marcus Maurer ausgerechnet in der FAZ getan haben, vereinfacht die Abläufe jener Wochen doch sehr und klingt nach einem Persilschein für die Printmedien.
Das fatal pauschalisierende Schimpfwort von der „Lügenpresse“ kam nicht umsonst in jenen Wochen wieder auf. Oder jene mildere Version, die manche Publizisten nur noch von den „Qualitätsmedien“ sprechen lässt, wobei die Anführungszeichen programmatisch für die Distanz und die Zweifel an den Leitmedien stehen sollen.
Dies alles berührt viel tiefer liegende Fragen: Wie weit haben sich die Medien von ihrem Publikum entfremdet? Wie viele Zuschauer schauen nur noch mit wachsendem Missvergnügen das Programm? Wo liegen die neuen Grenzen der Medienmacht, wo seine Kernaufgaben angesichts einer Vielzahl neuer Informationsquellen und Kommunikationswege? Das sind Fragen, die Fernsehsender und Zeitungen gemeinsam beantworten sollten statt die Gebühren-Schlachten von gestern immer wieder neu zu schlagen.
Apropos teure Gebühren: Allein das Print-Abo für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und ihre Sonntagszeitung kostet lautet derzeit 69,90 Euro pro Monat. Und ihr Geschäftsführer hat intern schon Überlegungen angestellt, wann und wie die Zeitung die Schwelle von 1000 Euro pro Jahr durchstoßen kann.
Michael André
Bild ganz oben: Der Zeitungsleser | Helmut Kolle | CC BY-SA 4.0
- Johannes Willms: Der General. Charles de Gaulle und sein Jahrhundert - 4. November 2019
- Clemens Klünemann: Sigmaringen. Eine andere deutsch-französische Geschichte - 19. September 2019
- Matthias Waechter: Geschichte Frankreichs im 20. Jahrhundert - 1. August 2019
20. September 2017 um 11:33 Uhr
Guter Artikel, aber leider ungemein lese-unfreundlich dargestellt. Ein paar Zwischenüberschriften wären das Mindeste – das Web ist ja nun echt kein Neuland mehr, die Erfordernisse des Online-Lesens sind allgemein bekannt.
Selbst ich als am Inhalt sehr interessierter und durchaus gebildeter Leser verspüre nach etwa der Hälfte des Textes die große Hinschau-Müdigkeit – trotz des interessanten Inhalts.
Schade drum, eine bessere Darstellung, evtl. noch mit einem grafischen Element, würde deutlich mehr Leser bei der Stange halten. Man kann es durchaus asl eine Form intellektuellen Dünkels ansehen, sich als Autor dem zu verweigern. Ob das Ihr Motiv ist, weiß ich natürlich nicht.