Gußstahlfabrik, 1864, Hugo van Werden

Gußstahlfabrik, 1864, Hugo van Werden

Mit einer einzigartigen Foto-Ausstellung aus dem eigenen Archiv feiert der Konzern sein 200jähriges Jubiläum – Industriefotografie zwischen Propaganda und Zeitdokument

Krupp wird 200 Jahre, und die Krupp-Stiftung feiert dieses Jubiläum mit einem Gang ins Firmenarchiv. Das Ergebnis dieser Reise ist geeignet, die in aller Welt kursierenden Vorurteile über die Deutschen, ihre Ordnungsliebe und ihren Sammelwahn auf das Schönste zu bestätigen. „Krupp. Fotografien aus zwei Jahrhunderten“ heißt die Ausstellung in der Essener Villa Hügel, und sie fördert rund 350 – weitgehend unveröffentlichte – Bilder empor.  Ein Klacks, wenn man bedenkt, dass im Historischen Archiv im Keller der Villa Hügel neben vielen anderen Dokumenten rund zwei Millionen Bilder lagern. Mutmaßlich ebenfalls perfekt erhalten. Damit ist der Mythos Krupp um eine Facette reicher. Krupp war nicht nur weltweit größter Rüstungsproduzent und Lokomotivbauer oder mächtiger Gruben- und Hüttenbesitzer im Ruhrrevier. Zum Kruppschen Sonderweg gehörte bekanntlich der Bau von mustergültigen  Arbeitersiedlungen, Krankenhäusern und Konsumanstalten. Die Familie kümmerte sich halt um die (politisch restriktiv verstandene) Wohlfahrt ihrer Arbeiter. Doch der hegemoniale Anspruch von Krupp reichte viel weiter. Die Essener Waffenschmiede besaß seit 1861 auch eine Lithographische Abteilung, die in ihren besten Zeiten bis zu 500 Angestellte zählte. Der damalige Fabrikherr Alfred Krupp hat die Fotografie sehr früh als Mittel der politischen Selbstdarstellung, aber auch der innerbetrieblichen Kommunikation entdeckt. Mit der Konsequenz: Die Krupp-Bilder oszillierten von den Gründungsjahren an zwischen Propaganda und Dokumentation.

Anlass der Ausstellung ist zwar die Firmengründung von 1811, als Friedrich Krupp mit anfänglich deprimierendem ökonomischen Erfolg in Essen eine kleine Schmiede gründete, doch die Kuratoren der Ausstellung haben die Fundstücke aus dem Archiv nicht zum wohlfeilen Vehikel einer visuellen Aufarbeitung der Konzern-Geschichte genutzt. Von einer schlichten Chronologie oder historischen Etappen-Einteilung  als Ordnungsprinzipien lässt sich beim Rundgang durch die Ausstellungsräume in der ersten Etage der Villa Hügel kaum sprechen. Deswegen liegen auch Eröffnungs-Kritiken inhaltlich daneben, die – wie im DeutschlandRadio – die „vielen weißen Flecken“ beklagen oder just umgekehrt in der Süddeutschen Zeitung  die Ausstellung als eine „Hommage“ an den „Konzern mit den zwei Gesichtern“ bejubelt.

Die Ausstellungsmacher haben einen anderen, anspruchsvolleren Zugang gewählt: „Was kann Fotografie sein?“, formuliert Ralf Stremmel, Leiter des Kruppschen Fotoarchivs, als Leitmotiv. Was Fotografie kann, ist – so lernen wir schnell – erstmal eine Frage ihrer technischen Entwicklung. Die Kindheitstage der Fotografie sind diktiert von langen Verschlusszeiten bei der Belichtung der Bilder. Dementsprechend arrangiert sind auch die einzelnen Einstellungen. Die Arbeiter der frühen Jahre, die ins Bild gerückt werden, sind gehalten, in erstarrten Posen zu verharren. „An-Ordnungen“ nennen die Ausstellungsmacher denn auch dieses Kapitel.

Doch die Motive mit Schmelzern und Gießern sind die Ausnahme von der Regel.  Der Mensch ist das Anhängsel der Maschine oder er tritt – außer bei offiziellen Anlässen – gar nicht in Erscheinung. Was nachdrücklich in Erinnerung bleibt, ist ein acht Meter langes, aus verschiedenen Einzelaufnahmen zusammengesetztes Panoramabild des Essener Stammwerks oder Bilder von Waffenmessen aus dem 19. Jahrhundert, wo großkalibrige Kanonen aus dem Hause Krupp in Reih und Glied aufmarschiert sind und ihre Rohre himmelwärts recken.

Diese Bilder wecken ambivalente Gefühle beim Betrachter. Susan Sontag, die berühmte amerikanische Essayistin, hat sich wie kaum eine andere mit den Doppeldeutigkeiten von Fotografie auseinandergesetzt und diesen ständigen Widerspruch  in dem Satz formuliert: „Das Foto fordert: Schluss damit! Aber es ruft auch: Was für ein Anblick!“. Mit aller Vorsicht gesprochen: So ergeht es einem auch mit manchem dieser Kruppschen Bilder. Der Anblick des Schmiedewerks, das – so weit das Auge reicht – nur aus Schloten und Fabrikhallen besteht, ist in seinem  gründerzeitlichen Aufbau-Elan erst mal atemberaubend. Eine Imposanz, die erst durch den Bombenhagel alliierter Flieger und/oder die  große Deindustrialisierung des Ruhrgebiets vernichtet wurde. Die unmittelbare Faszination überwiegt, das Entsetzen über das, was in dieser Fabrik an Vernichtungswaffen produziert sein mag, stellt sich erst  über spätere Reflexion ein.  Die Dialektik, die Susan Sontag quasi-ontologisch der Fotografie attestiert, will sich in diesem Fall nicht so recht  einstellen. Keines dieser Bilder ruft „Schluss damit“. Dazu sind diese Aufnahmen viel zu glatt und ihrem Auftraggeber verpflichtet. Es sind Sonntags-Aufnahmen. Die Arbeit ruhte und Ruß & Rauch störten nicht zu sehr. Die Industriefotografie stößt hier an ihre inhärenten Grenzen.

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„Das Foto fordert: Schluss damit!

Aber es ruft auch: Was für ein Anblick!“

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Diese Zeitzeugnisse sind eine Art Komplementärstück zu den Bildserien der Fotografen Bernd und Hilla Becher. Hier der Glanz und der Optimismus der Gründerzeit und der Wachstumsperioden, dort die latente Drohung von Abriss und Verschwinden. Die Ära der Kohlebergwerke, die Zeit der Schwerindustrie ist bei den Bechers unwiderruflich abgelaufen. Ihnen kann es nur noch darum gehen, auf Zelluloid festzuhalten, was morgen nicht mehr sein wird. Industrie-Relikte in menschenleerer Landschaft, über die – metaphorisch gesprochen – morgen schon Gras gewachsen sein wird. Gleich ob an der Ruhr, in Nordfrankreich oder England.

Auffällig  die veränderte Foto-Vergabepolitik bei Krupp nach dem Zweiten Weltkrieg. An die Stelle der angestellten Werksfotografen traten häufig „freie“ Fotografen, die einen unverstellten Blick auf den Konzern, seine Waren, seine Mitarbeiter werfen sollen. Männer wie Robert Lebeck oder Werner Bokelberg oder noch viel später Jupp Darchinger werden mit Aufträgen bedacht. Ein geschickter Schachzug von Krupp. Dem Konzern schlägt nach 1945 wegen seiner Rolle als Waffenschmiede des NS-Reichs viel politisches Misstrauen entgegen; der letzte Alleinbesitzer Alfried Krupp wird 1948 im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess als „Händler des Todes“ zu elf Jahren Haft verurteilt (und kommt nach drei Jahren frei); dem Konzern  selbst droht lange Zeit nach Kriegsende auf alliiertes Geheiß die  Entflechtung – was der Konzern als Zerschlagung empfindet und trickreich unterläuft. Krupp will als kleinen Baustein seiner Läuterungsstrategie – „Nie mehr Waffen“ – mit diesen Fotos neue Weltoffenheit und liberale Aufgeschlossenheit demonstrieren. Da schaut der asketisch-hagere Konzernherr zusammen mit adretten, ordentlichen gescheitelten  Lehrlingen in die Kamera und ein glänzendes Werkstück zwischen ihnen demonstriert die Tüchtigkeit der jungen Kruppianer. So politisch kann  „unpolitische“ Fotografie sein.

P.S.

Zwei Querverweise noch zum Thema Krupp und Ruhrgebiet. Zum einen ist pünktlich  zum Jubiläum eine Biographie über Berthold Beitz erschienen. Joachim Käppner, Redakteur der Süddeutschen Zeitung, hat ein monumentales Werk über den Krupp-Generalbevollmächtigten vorlegt und betreibt über 680 Seiten die Würdigung eines Mannes, der das Zeug zu einem deutschen Oskar Schindler hatte, der aber nie großes Aufsehen um die Rettung von Hunderten Juden in Polen machte. Beitz’  zweite Lebensleistung besteht darin, nach dem Weltkrieg den Krupp-Konzern vom schwerindustriellen Koloss zu einem Technologie-Konzern umgebaut zu haben. Auch wenn der Preis der Fusion mit dem Erzrivalen Thyssen gewesen ist. Nebenbei betreibt das Buch auch die posthume Rehabilitierung des letzten Krupp-Alleininhabers. Alfried Krupp, der in diesem Buch eher wie ein Opfer denn als Täter erscheint.

Die zweite Annäherung an den Ruhrpott, von der hier die Rede sein soll, spielt sich mit den Mitteln der Fotografie an. Zur gleichen Zeit, da viele der Kruppschen Motive entstanden sind, war auch der Fotograf Heinrich Hauser mit dem Auto zwischen Duisburg und Dortmund unterwegs. 1928 erhielt Hauser den Auftrag zu diesem Porträt einer Region. Er zeigt (und schildert in Artikeln) eine Industrielandschaft, die von anarchischem Wachstum und heilloser Zersplitterung gekennzeichnet ist. Straßenbahnlinien, die im Niemandsland enden; Wälder, die auf morastigem Grund stehen und deren Bäume nur noch tote Stümpfe sind; Bergwerke mit ein paar drangeklatschten Siedlungshäusern und sonst nur öde Brache. Selten Fotos, die erhaben die Leistungen der Ingenieurskunst zeigen und ebenso selten Menschen, die verloren und indifferent in dieser Industrie-Landschaft wirken. „Schwarzes Revier“ zeigt das Ruhrgebiet in seltener Nachdrücklichkeit als eine Gegend, in der Moderne und Vormoderne unvermittelt aufeinander prallen. Die politische Naivität mancher Textpassagen – Hauser sympathisierte nach 1933 kurzzeitig mit den Nazis – kann die Intensität dieses Buchs nicht entscheidend entstellen.

Michael André


Krupp. Fotografien aus zwei JahrhundertenEine Ausstellung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung in der Villa Hügel Essen
noch bis 11. Dezember 2011


„Krupp – Fotografien aus zwei Jahrhunderten“
Villa Hügel, Essen, 18. Juni bis 11. Dezember
Katalog (Deutscher Kunstverlag)
24,90 € ; Tel. 0201/6162917

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Joachim Käppner: Berthold Beitz: Die Biographie
Berlin Verlag Berlin 2010 Gebunden
621 Seiten, 36,00 EUR

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Heinrich Hauser: Schwarzes Revier
Hg. v. Barbara Weidle. Weidle Verlag 2010, Bonn
224 S., 19,90 €

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