Kürzlich stiesz ich bei der Suche nach dem Stichwort „headonistischer Faschismus“ auf einen Text in der Zeitschrift Sezession. Er ist von einem gewissen Herrn Martin Lichtmesz und der Text trägt den Titel Pier Paolo Pasolini: Faschismus, Antifaschismus und Konsumgesellschaft. Die Zeitschrift Sezession wird als ein wichtiges Theoriorgan der so genannten ‚Neuen‘ Rechten bezeichnet und Herr Lichtmesz (bürgerlich ganz profan Martin Semlitsch) seinerseits firmiert als ein Protagonist der Identitären. Sezession, Lichtmesz, Identitäre, wie kommt da Pasolini ins Spiel? Schliesslich handelt es sich bei den Genannten um Erscheinungen der Rechtsextremen. Wie kommt einer wie Lichtmesz dazu, sich Pasolini anzueignen? Ich dachte immer ganz naiv, Pasolini als Schwuler, Marxist, Filmemacher, Theoretiker, Lyriker, als jemand der sich auch von Links nicht so einfach indoktrinär ausschlachten lies, sei ein emanzipativer Denker. Was könnten Rechtsextreme mit Emanzipation anfangen? Schliesslich sind ihre Werte so genannte Ewige. Wo doch Emanzipation heisst, gerade die Ewigkeit ewiger Werte in ihre allzu irdisch-historischen Wurzeln hinein zu verfolgen und festzustellen, dasz wer auf die Ewigkeit ewiger Werte setzt, allenfalls ein Ewig Gestriger sein kann.
Vielleicht versteht einer wie Lichtmesz nicht, dasz auch Werte die nicht ewig sind, durchaus ihre Werte haben können, dasz dann aber diese Werte sich gewissermaszen im Prozess befinden und dasz der Prozess emanzipativen Denkens und Handelns sich dieser Werte in einer Weise annimmt, die Pasolini auszeichnet. Wie etwa in Teorema, in der der (oder das) Unbekannte alle dermaszen durcheinander bringt, dasz daraufhin alle, alle auf ihre Weise, ins Neue aufbrechen müssen – weil die Werte sich als nicht ewig genug erwiesen und vor dem Einbruch des Neuen nicht bestehen konnten. So wie Alain Badiou auf Paulus verweist, der vermeintlich ewige christliche Werte belegend, sich in anderer Lesung, als grosser Neuerer erweist der beispielhaft anders dachte und uns damit die Möglichkeit aufweist, dasz ganz anderes Denken möglich ist – selbst aus der Mitte traditional sklerotisierter Gedanken heraus.
Lichtmesz ist dieser Auffassung vermutlich nicht. Man fragt sich schon bei seinem Pseudonym, ob hier, im Zusammenhang mit der ‚Neuen‘ Rechten, nicht etwa einfach der Rekurs auf das vermeintlich Neue in Form von neofolkloristischer Christentümelei zum tragen kommt (vielleicht noch mit gelegentlichen rechtsokkulten braunen Messen, in denen Leuten wie Lanz von Liebenfels und Rudolf von Sebottendorf geopfert wird) anstatt eines tatsächlich neue Gedankens. Letzteren jedenfalls findet man in seiner PasoliniAneignung nicht. Die gipfelt in der simplen Feststellung – und schlichten Paraphrase dessen was Pasolini vor 50 Jahren sagte –, dass die „Antifaschisten“ von heute, […] konträr zu ihrem Selbstbild, nichts anderes als Spielfiguren und Handlanger dieser „realen Macht“ [sind].
Wobei die „reale Macht“ der Konsum ist und diejenigen die ihn in den Stand des Herrschers versetzen – womit der Konsument dem „headonistischen Faschismus“ unterworfen wird. Das ist für das Jahr 2014, in dem Lichtmesz diesen Text geschrieben hat, für einen Vordenker, der seinen neuRechten Schäfchen das Nachdenken ersparen möchte, eine sehr magere Einsicht.
Der Witz bei der ganzen Sache aber ist, dasz Lichtmesz sich selbst – im Akt seiner ewigen Werten verpflichteten neuRechten PasoliniVereinnahmung – als postmodernen BeliebigkeitsFanten outet. So überzeugend können seine Werte aus sich selbst heraus nicht sein, wenn sie dann doch einen Pasolini brauchen, um sich zu rechtfertigen. Mehr noch aber kann man einen Denker wie Pasolini überhaupt nur dann auf Rechts wenden, wenn man sich in einer Welt in der man sich Alles und Jedes nach Belieben aneignet – Alles und Jedes mithin also je nach dem und höchst opportunistisch nach Gusto so oder so interpretiert – pudelwohl fühlt. Das heisst, man kann das was Lichtmesz macht, nur tun, wenn man selbst der Beliebigkeit frönt. Werte sind dann eben bei den ‚Neuen‘ Rechten auch nur Werte, wenn sie es gerade wert sind etwas wert zu sein.
Diese ‚Neue‘ Rechte ist also nichts als ein stinknormaler Opportunismus. Und damit ist man bei dem, was diese Wahren Germanen schon immer auszeichnete. So gesehen sind das banale Pudel. Allerdings darf man nicht vergessen, dasz dieses Banale bekanntlich zu allem fähig ist.
Matthias Steingass
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