„Komm, sei doch nicht so ein Nazi!“
Der israelische Regisseur Tomer Heymann gewann 2006 auf der Berlinale den Panorama-Publikumspreis und den Siegessäule-Preis für seinen Dokumentarfilm „Paper Dolls“. Nun kommt der Nachfolger „I shot my love“ in die deutschen Kinos – ein intimes Porträt über seine Mutter Noa und seinen deutschen Lover Andreas Merk.
Tomer, welche Rolle spielt die deutsche Vergangenheit in deinem Film?
Für einige Leute ist davon im Film zuviel, anderen ist es nicht genug. Es ist da und es ist nicht da. Ich meine, es ist 70 Jahre her. Aber für viele Israeli ist Andreas immer noch eine Art Symbol: Er ist der Deutsche. Ich werde dann meistens aggressiver als er selbst und sage zu meinen Freunden: Lasst ihn in Ruhe!
Du musst ihn beschützen?
Die Idee, wir sind alle jung, cool und als Schwule so offen ist doch eine totale Illusion. Wir sind immer noch von unserer Vergangenheit gefangen. Wir wollen glauben, dass sie weit weg ist. Wir wollen nicht, dass sie Teil unseres Alltags ist. Aber in verschiedenen Momenten taucht sie immer wieder auf, und dann müssen wir damit umgehen.
Andreas, brauchtest du Beistand, weil du Deutscher bist?
In den ersten Monaten habe ich geglaubt, ich muss es einfach aussitzen. Einfach geschehen lassen, wenn man sich mir damit nähert. Und auch mit den schlechten Witzen umgehen, bei denen man nur auf meine Reaktion gewartet hat.
Was für Witze waren das?
Ein Freund von uns wird demnächst in Berlin studieren. Als er seinem Vater davon erzählt hat, hat der ihn gefragt: „Und in welches Lager stecken sie dich? Welches Ghetto machen sie jetzt für dich auf?“ Ich feuere dann zurück, um zu zeigen, wie sinnlos der Witz ist, oder wie wenig er vielleicht ändert an den wahren Schmerzen.
Was hast du geantwortet?
Ich antworte einfach mit schlechten Witzen. Wenn mich jemand blöde anmacht, sage ich so was wie „Beweg deinen Arsch oder ich fackel dich ab!“ Wir sind auf der Ebene des schwarzen Humors angekommen.
Sind die Witze nicht auch ein Versuch, die Spannung loszuwerden und eine Beziehung aufzubauen?
Das dachte ich auch erst, aber in diesem Fall ging es, glaube ich, wirklich darum, dass er nicht wusste, wie er mit der Situation umgehen sollte. Zynisch zu werden ist eine Verweigerung zu sagen: Weißt, du ich bin immer noch total angepisst, wegen dem, was passiert ist. Mir ist es lieber, wenn sie direkt sind, gerade heraus.
Tomer: Wir kommen aus zwei unterschiedlichen Kulturen. In Israel benutzen wir das Wort „Nazi“ sehr schnell. „Komm, sei doch nicht so ein Nazi!“, oder „Sei nicht so ein Nazi, nur weil ich zehn Minuten zu spät bin.“ Wir benutzen dieses Wort für viele Momente im Alltag. Negativ, klar, aber zur Hälfte auch als Witz gemeint. Was Andreas erlebt, lässt mich nachdenklich werden, ob wir es zu oft benutzen. Andreas, der von der anderen Seite kommt, denkt zweimal darüber nach, bevor er „Nazi“ sagt.
Es gibt diesen Moment im Film, wo deine Mutter sehr zurückhaltend ist, was eure Beziehung angeht. Sie sagt, ihr kommt aus unterschiedlichen Welten. War das ein Euphemismus dafür zu sagen, er ist Deutscher, du bist Israeli, lass die Finger von ihm?
Tomer: Meine Mutter ist sehr ehrlich. Sie kann nichts zurückhalten. Ich weiß nicht, ob es darum geht, dass er Deutscher ist, oder darum, dass er in Bezug auf die israelische Kultur ein Outsider ist.
Andreas: Ich habe das Gefühl, sie glaubt nicht wirklich an Beziehungen. Und dann auch noch in dieser Konstellation! Worauf lässt du dich da ein?!
Tomer, glaubst du, dass es von Seiten deiner Familie eine andere Haltung gegenüber Andreas gibt, weil ihr ein schwules Liebespaar seid, und Homosexuelle auch von den Nazis verfolgt wurden? Ist er in diesem Sinne kein „Täter“, sondern ein „guter Deutscher“?
Andreas kommt nicht als Schwuler in meine Familie. Er kommt als Andreas, der mit Tomer zusammenlebt.
Andreas: Dass ich deutsch bin, war das Ding. Dass auch Sinti und Roma in den Lagern waren, oder die Männer mit dem Rosa Winkel, dass auch sie gelitten haben, ist nicht wirklich eine große Angelegenheit für sie. Ich hatte nicht das Gefühl, dass mein Schwulsein sie dazu brachte, das Deutschsein leichter zu akzeptieren. Ich habe dadurch keinen Bonus bekommen.
Wie also war die Situation in der Familie?
Tomer: Du hast im Film gesehen, wie selbstverständlich er beim Pessach-Fest dabei war und wie nett sie zu ihm sind. Ich glaube Folgendes ist passiert: Die deutsche Seite meiner Familie (Heymanns Großvater mütterlicherseits ist in den 1930er Jahren vor den Nazis aus Berlin geflohen), die solange geschlummert hat, ist hervorgesprungen. Wenn Andreas im Film meiner Mutter das Brecht-Lied vorsingt, kannst du es sehen: Etwas passiert mit ihrem Gesicht, mit ihrem Körper. Ich habe meine Mutter noch nie so gesehen. Es ist nichts Intellektuelles, es sind diese Melodie und diese Sprache.
Hat die Erinnerung an die gemeinsame Sprache die Begegnung leichter gemacht?
Andreas: Ich habe mich mit Onkel Werner, der seit 1948 in Israel lebt und auch aus Deutschland kommt, unterhalten und habe dann der ganzen Familie die Haggada auf Deutsch vorgelesen. Und so schön das vielleicht für Onkel Werner war, weil es seine Kindheit zurückbrachte, kam es mir fast blasphemisch vor.
Tomer: Es war eine Freak-Show. Wir haben nie zuvor in meiner Familie die Haggada auf Deutsch gehört.
Andreas: Dass ich mit Onkel Werner in meiner Muttersprache reden konnte, hat es einfacher für mich gemacht. Das ist mit Tomers Mutter genauso. Auf der einen Seite ist das Deutsche die Hürde, aber es gibt uns auch die Chance, in Verbindung zu treten. Denn sie spricht kein Englisch und mein Hebräisch ist immer noch nicht gut genug, um einen näheren Kontakt aufzubauen.
Im Film gibt es die Szene, wie ihr beide Andreas’ Familie zu Weihnachten in Süddeutschland besucht. Das Schweigen und die unterdrückte Spannung am Tisch im Unterschied zu der Fröhlichkeit der jüdischen Familie beim Pessachfest, das ist schon fast klischeehaft. Wie habt ihr diesen Unterschied erfahren?
Andreas: Ich war das erste Mal seit mehreren Jahren Weihnachten wieder Zuhause – und dann auch noch in Begleitung eines Freundes. Als ich hinterher das Material gesehen habe, war ich geschockt. Meine Familie sitzt da wie versteinert und kann überhaupt nicht mit der Situation umgehen. Ich weiß nicht genau, wie sehr die Anwesenheit der Kamera dazu beigetragen hat.
In Holocaust-Studien wird auf die zunächst paradox erscheinenden Ähnlichkeiten im Umgang mit den Nazi-Verbrechen aufmerksam gemacht: Familien der Opfer wie Familien der Täter möchten über die Verbrechen oft lieber schweigen, so dass sich auch in der zweiten oder dritten Generation die Konstellationen manchmal ähneln. Könnt ihr etwas Ähnliches über Eure beiden Familien sagen?
Tomer: Ich sehe es als die zwei Seiten einer Medaille. In meiner Familie wird alles nach außen getragen, in Andreas’ Familie alles unterdrückt. Aber es ist das Gleiche.
Andreas: Ich glaube das hast du gut gesagt: Es Herauszuschreien oder völlig zu unterdrücken, ist letztendlich nicht soweit voneinander entfernt.
Tomer: Ich sage oft zu Andres: Guck dir meine Mutter, guck dir meinen Vater an, sie sind vollkommen meschugge. Guck dir deine Familie an, sie sind auch vollkommen meschugge. Wir sind der normale Teil der Familie.
Der Film berührt sehr viele verschiedene Aspekte. Ein Thema, das sich durchzieht scheint mir die Frage nach dem Zuhause zu sein. Es geht darum, dass Tomers Brüder Israel verlassen haben, ihr sprecht aber auch über eure Beziehung als ein Zuhause.
Tomer: Wo ist mein Zuhause? Ist es das Dorf, wo ich geboren bin? Tel Aviv, wo ich fast die letzten 20 Jahre verbracht habe? Berlin, wo ich jetzt ein paar Mal war, und wo ich mich sehr heimisch fühle? Zuhause ist eine Reise. Zuhause ist der Ort, wo wir unsere Beziehungen gestalten.
Tomer, als du während der Berlinale hier warst, hast du Nachforschungen über deine Familie angestellt?
Ich versuche nicht zu diesen Orten wie dem Holocaust-Denkmal zu gehen. Ich mag dieses Ritual nicht. Manchmal erscheint es mir aufgesetzt. Als wir durch Frankfurt und Berlin gegangen sind, hat Andreas mir die „Stolpersteine“ gezeigt, die markieren, wo Juden gelebt haben und was aus ihnen geworden ist. Solche Begebenheiten im Alltag sind für mich viel stärker. Ich habe auch ein Problem damit, welche Schlussfolgerungen zuletzt in Israel aus dem Holocaust gezogen werden. In Israel wird es systematisch in der Schule unterrichtet. Du bekommst es in dein System, in deinen Körper. Ich habe den Holocaust in meinem Körper. Ich denke, wir sollten vorsichtig damit sein, welche Schlüsse wir daraus ziehen. Vielleicht ist das eine Enttäuschung, aber es ist eine zu schwere Last, als dass Andreas und ich das auf uns nehmen könnten. Wir sind nur zwei Männer. Wir müssen eine Lösung für unsere Beziehung finden, und nicht für die deutsch-isrealischen, oder christlich-jüdischen Angelegenheiten.
Tomer, was ist dein nächstes Filmprojekt?
Tomer: Andreas möchte gerne etwas über Jesus machen. Aber ich weiß nicht so genau, was das soll mit diesem Jesus-Typen…
Andreas: (lacht) Es ist nicht notwendigerweise eine Zusammenarbeit.
Interview:Dr. Peter Rehberg
Bilder: W-film;
zur website: wfilm.com
- I shot my love (Interview mit dem Regisseur Tomer Heymann) - 10. März 2011
Schreibe einen Kommentar