Bedrohte Sicherheit
Die Terroristen dieser Welt haben etwas Wichtiges begriffen. Spät, aber immerhin. Warum, sagen sie sich, müssen wir unbedingt weite Reisen mit falschen Pässen und lächerlichen Bärten unternehmen, Flugzeuge entführen, Bomben basteln und uns auf überfüllten Marktplätzen in die Luft sprengen? Es reicht doch aus, all den Schrecken bloß anzudeuten, um Geheimdienste und Polizei auf Trab zu bringen und ganze Reichstagskuppeln zu entvölkern. Die Terroristen haben sich auf die schiere Möglichkeit beschränkt und auf Phantasieproduktion spezialisiert. Ein paar dunkle Meldungen lanciert, ein paar gefährlich tickende Postpakete verschickt, und schon ist die Aufregung global. Die Terroristen sitzen unterdessen bequem zu Hause am Computer, nippen an kühlen Getränken und erfreuen sich ihrer Wirksamkeit. Nebenbei haben sie auch noch ihre Kosten deutlich reduziert und ihre Lebenserwartung erhöht. Die mit Drohungen belieferten Staaten aber müssen Milliarden ausgeben, um die Illusion von Sicherheit wieder herzustellen.
Der moderne Terrorismus 2.0 ist virtuell. Die Angst vor dem Terrorismus aber bleibt real und körperlich. Diese Diskrepanz machen sich die professionellen Angsterzeuger zu nutze, die wir der Einfachheit halber unter dem Grusel-Namen Al Quaida zusammenfassen. Angst ist bekanntlich kein guter Ratgeber. So sinnvoll sie evolutionsgeschichtlich war, weil sie zuverlässig Fluchtreflexe auslöst, so unsinnig wird sie gegenüber einer Bedrohung mit unklarem Realitätsgehalt. Wer in der Wildnis einem Bären begegnet, weiß, dass er sich unauffällig zurückziehen sollte. Wer von einer Kofferbombenattrappe in Windhuk liest, weiß gar nichts. Doch die Angst ist die selbe, und sie bleibt auch dann, wenn dieser Koffer angeblich von der 80jährigen Schwiegermutter eines Kalifornischen Sicherheitsunternehmens zusammengelötet und womöglich vom Geheimdienst in Windhuk vergessen wurde.
Die Angst ist ebenso irrational wie derartige Meldungen. Das ist ihre evolutionsgeschichtliche Stärke und ihre Schwäche gegenüber dem virtuellen Terror 2.0. Mathematiker können uns noch so exakt vorrechnen, wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, auf einem Weihnachtsmarkt in die Luft gesprengt zu werden. Wir ertappen uns doch bei dem Gedanken, ob es nicht eventuell angebracht wäre, vorsichtshalber zu Hause zu bleiben? Dabei ließe sich niemand von der sehr viel höheren Wahrscheinlichkeit, bei einem Autounfall zu sterben, vom Autofahren abhalten.
Was also bleibt zu tun? Nichts. Und das ist das Problem. Kein Staat dieser Welt kann es sich leisten, nichts zu tun, auch wenn jeder Mensch weiß, dass Schutz vor Terror, der wie leere Pakete durch die virtuellen Räume geistert, unmöglich ist. Also zeigt die Polizei stärkere Präsenz und schnallt ihre Maschinenpistolen um. Das soll ein Gefühl von Sicherheit produzieren, demonstriert aber vor allem, für wie bedroht die Sicherheit amtlicherseits gehalten wird. Dabei kann man auf Pakete gar nicht schießen. Das macht ganz schön Angst.
Text: Jörg Magenau
gesendet: rbb-kulturradio, 24.11.2010
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