Stefan Heym auf einer Lesung 1970 • Foto: Lehnartz, Quelle: Ullstein

Der Kreuzfahrer

Der 10. November 1994 ist ein Tag, der für das Unausrottbare ideologieseliger Dummheit steht. An diesem Tag konstituiert sich der 13. Deutsche Bundestag und die Eröffnungsrede bleibt, parlamentarischem Brauch folgend, dem Alterspräsidenten vorbehalten. Dieser ist 81 Jahre alt, dieser emigrierte als linker Jude aus Deutschland nach Amerika und kehrte 1944 über die Normandie zurück. Dieser lebte in der DDR als einer der Aufrechtesten, dieser sagte einem Mitglied des Politbüros 1976 ins Gesicht Die Ausbürgerung ist eine Nazipraxis. Dieser hatte einen Weltbestseller geschrieben und zwei der unversöhnlichsten Bücher, die jemals in der DDR über die DDR geschrieben wurden. Dieser war ein Mann von Ehre, doch war er als Vertreter der PDS gewählt und so einen ehrt man nicht. Nicht als christlicher Demokrat. Und so gab die Parteidisziplin übende Unionsfraktion ein Exempel politischer Kultur und verweigerte einem aufrechten Intellektuellen den Respekt. Diese dumme Ignoranz belegt, was geschieht, wenn sich Ideologie hemmungsfrei über Kultur und Menschenwürde schmiert.

Ungefähr das war ein Leben lang das Thema von Stefan Heym, der vor 90 Jahren geboren wurde: Kultur und Menschenwürde und die Hoffnung auf einen von seinen Schlacken befreiten Sozialismus. Die bittere Erkenntnis, dass diese Schlacken zur unausscheidbaren Erbmasse aller bekannten Formen von Sozialismus gehören, ließ er nicht mehr an sich heran.  Stefan Heym, am 10. April 1913 als Helmut Flieg in Chemnitz geboren, war ein Mann, dessen Sturheit etwas vom biblischen Bekennermut hatte, mitunter auch vom Raunen des Propheten. So wurde er, dem Titel seines vielleicht besten Buches folgend, eine Art von Kreuzfahrer. Und stritt gegen alles, das seinem Begriff von Wahrheit und Gerechtigkeit widersprach. Stefan Heym, Presseoffizier der US Army, verweigerte nach dem Krieg bestellte Artikel, die die Trennung von und die Konfrontation mit dem einstigen Verbündeten UdSSR begründen sollten. Dieses Land hatte entscheidend daran mitgewirkt, jenes Deutschland, in dem Juden, Kommunisten und Demokraten kein Lebensrecht genossen, zu schlagen, dieses Land schlug man nicht, wenn man Jude war und Kommunist. Amerikaner natürlich auch, nebbich. Stefan Heym war kein sehr geschmeidiger Mann. Er schrieb die Bücher, die er schreiben musste, stur und unbelehrbar durch Schmeichelei wie Drohung, und wenn sie in dem einen Deutschland nicht erscheinen durften, dann eben in dem anderen.  Aber er war ein sprachgeschmeidiger Schriftsteller, vielleicht manchmal ein wenig zu geschmeidig, zu sehr dem Effekt verfallen. Diese Art von Storytelling, seine amerikanische Prägung, erwarb ihm, neben seiner Unbedingtheit, die Leser. Bücher wie Lasalle lesen sich weg, doch neigen sie zur hoch stehenden Kolportage. Kreuzfahrer von heute ist vielleicht sein bestes, sein seriösestes Buch, eine Abrechnung mit seinen Landsleuten beider Länder, immer wieder gut lesbar in seiner traditionellen Erzählhaltung. Sein glänzendstes Buch aber ist Der König David Bericht brillant glitzernd in der Form, unversöhnlich hart in der Sache. Es ist noch immer erstaunlich, dass diese sich selbst erklärende Parabel des Stalinismus, bis hin zu den psychiatrischen Haftanstalten, 1972 in der DDR erscheinen konnte. Und beiläufig hat Heym für dieses Buch ein alttestamentliches Wissen erworben, mit dem sich gut promovieren ließe.

Der letzte Text seines Lebens, in dem gerade erschienenen Band Offene Worte in eigener Sache (Goldmann Verlag) gedruckt, handelt von der einsamen Not des Sterbens. Hier stöhnt der alte Sozialist das Schma Jisroel, das jüdische Bekenntnis. Und schreibt, der alte Fuchs, in der Syntax des Jiddischen vielleicht, dass er den lang Verschmähten am Ende doch zu gewinnen hoffte. Dreizehn Tage später, am 16. Dezember 2001, später stirbt Stefan Heym  in Israel. Gesegnet soll er sein. Was für ihn bedeutet: gelesen.


Autor: Henryk Goldberg

erschienen am 10.04.2003 in Thüringer Allgemeine anlässlich Stefan Heyms 90. Geburtstag, „Vor 90 Jahren wurde der ungeschmeidige Stefan Heym geboren“

Stefan Heym starb am 16.12.2001

Bild: via turmsegler.net