Das Interview
„Ich glaube, das müsste reichen“, sagte ich und Kristina schüttelte den Kopf und schnitt Grimassen. „Nein“, sagte sie, „das Licht war nicht so toll, ich würde gern noch paar machen.“, und ihr Ton war recht dringlich. Der Mann, von dem sie gern noch paar machen wollte grinste und war guter Dinge. Der Mann war Manne.
Eigentlich bekam man keine Interviews von Manfred Krug, es sei denn, gegen Raschelndes. Und vor wenigen Wochen hätte es mich nicht nur Geld gekostet, das ich nicht hatte, sondern obendrein noch den Job, den ich hatte, noch. „Filmspiegel“, die beste, weil einzige Filmillustrierte der besten, weil einzigen DDR. Aber jetzt war alles anders, jetzt war Dezember 1989. Jetzt durften alle alles, aber nicht alle konnten alles. Manfred Krug anrufen zum Beispiel. Ich konnte es auch nicht. Aber Kristina. Kristina war eine schwedische Fotografin, die in Westberlin lebte und gelegentlich für den „Filmspiege“l arbeitete. Für die deutsche demokratische Währung bekam sie nicht viel, aber immerhin Bücher sowie Akkreditierungen für alle großen Filmfestivals der einen wie der anderen Welt. Damit konnte sie dort Promi-Fotos machen und verkaufen. Das war eine Art Joint Venture, sie hatte wenig richtiges Geld und wir hatten gar keines und jedem war geholfen. Und sie hatte Mannes Nummer, doch Manne hatte sie bisher nicht empfangen. Aber jetzt konnte sie einen Journalisten aus dem Osten ankündigen, wo nächstens „Die Spur der Steine“ wieder aufgeführt werden sollte, Manfred Krug und Egon Krenz waren angekündigt. So war ich ausnahmsweise mal schneller bei einem Prominenten als andere, es sollte sich nicht so oft wiederholen. Die Theater- und Filmkritiker, das hat Tradition, gehören in ihren jeweiligen Redaktionen eher selten zum dynamischen Drittel des Hauses. Dass es nun klappte lag wohl vor allem daran, dass ich nicht selbst anrufen und den tiefen Diener machen musste. Ich hatte schon immer ein mentales Problem damit, privat und beruflich, Menschen zu einem Gespräch zu drängeln, die eigentlich gar nicht mit mir sprechen wollen, das ist kein Vorteil in diesem Beruf. Aber Manne wollte, das war sein altes Publikum.
Krug war nie ein sonderlich sentimentaler Mensch, als es im Westen nichts war mit dem Singen, da hat er eben Serien gespielt, bis er wieder ein Star war. Ein intelligenter, sehr talentierter Handwerker, der keine Berufung hatte, nur einen Beruf, den er gut ausübte um gut zu leben. Aber er war auch ein aufrechter Mensch, er hat den konspirativen Mitschnitt der Diskussion mit dem Politbüromitglied Werner Lamberz erst nach der Wende veröffentlicht, obgleich er dafür davor noch viel mehr bekommen hätte, Geld und Öffentlichkeit. Vielleicht war er aber, den Osten betreffend, nun doch ein wenig sentimental geworden, jedenfalls, er hatte das Interview sofort zugesagt, ein intelligenter, souveräner Gesprächspartner mit viel Witz und wenig Allüren, gut gelaunt auf eine professionelle Weise. Und er tat nicht so, als wäre ich fortan sein bester Freund, das war angenehm. Das Interview, das kommt heute kaum noch vor, wollte er nicht einmal autorisiert haben. Und Manne machte fröhlich Männchen so lang sie wollte für Kristina und unser Titelbild, auf das wir mächtig stolz waren. Auf mich allerdings war sie nicht sonderlich stolz. Bist du verrückt, säuselte sie in ihrem Schwedendeutsch, der macht sonst Homestories nur gegen Cash, und jetzt hatte ich ihn mal umsonst weil du aus dem Osten bist, und da sagst du, ich soll aufhören. Das Licht war übrigens gut, aber irgendwas musste ich ja sagen. Die Fotos kann ich mehrfach verkaufen. Mann, ich dachte, ich falle um. Du wirst noch viel lernen müssen bei uns im Westen. Da wusste ich noch nicht, wie recht sie hatte.
Autor: Henryk Goldberg
Text: veröffentlicht in Thüringer Allgemeine
Filmografie Manfred Krug
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