Am 23. März des Jahres 1819 ermordet der Theologiestudent Karl Ludwig Sand in Mannheim den Schriftsteller August Friedrich Ferdinand von Kotzebue. Der war der erfolgreichste Bühnenautor seiner Zeit und war es selbst noch im Tod. Denn seine Ermordung beförderte, wofür er gestritten hatte: die deutsche Reaktion.
Die Folge dieses Mordes waren die Karlsbader Beschlüsse des Jahres 1819, die die öffentliche Meinungsäußerung in Deutschland unterbanden, die tief in die Universitäten eingriffen und die Turnplätze schlossen. Gegen diese um sich greifende politische Liberalität hatte Kotzebue mit scharfem Spott polemisiert, deshalb hatte ihn der Burschenschafter ermordet.
Aber der Name August von Kotzebue steht im Eigentlichen für etwas anderes, seine Ermordung ist nur das spektakuläre Ende einer spektakulären Existenz. Dieser Schriftsteller steht für einen Konflikt, der in seiner Zeit begann und der andauert bis in unsere. Er war, im Bilde gesprochen, einer jener Künstler, denen die Massen aus der Hand fressen und von denen die gebildeten Stände kein Stück Brot nehmen.
August von Kotzebue wurde am 3. Mai 1761, vor 250 Jahren, in Weimar geboren. Das ist ein biografischer Zufall, aber es liegt auch darin eine gewisse Symbolik. Denn Weimar, das ist der Goethe-Ort, der Ort, an dem sich für eine gewisse Zeit deutsches Dichten und Denken aufgipfelte. Und es ist der Ort, an dem der Dramatiker Goethe von den Erfolgen August von Kotzebues nur träumen konnte. Der Intendant Goethe, auch ein Pragmatiker, ließ an den 4136 Spieltagen seiner Intendanz 638 Abende mit Werken Kotzebues bestreiten, 87 Stücke von den etwa 200, die der erfolgreichere Weimarer schrieb, wurden hier gespielt. Und in Mannheim gab es zwischen 1779 und 1870 nach der Überlieferung 1870 Aufführungen von Kotzebue und 181 von Goethe. Es spricht für Goethe, der weder den Mann noch seine Stücke mochte, dass er ihn dennoch spielen ließ, auch wenn er im Charakter Kotzebues „eine gewisse Nullität“ zu erkennen glaubte.
August von Kotzebue war nicht nur ein kreativer, auch ein umtriebiger Mann. Paris, Mainz, Reval, Generalkonsul Russlands, Theaterdirektor in St. Petersburg und Wien, „literarischer Korrespondent“ des Zaren in Deutschland. Und für einige Monate Verbannter in Sibirien, weil die Russen ihn (ausgerechnet ihn!) für einen Jakobiner hielten. Doch dafür entschädigte ihn der Zar mit einem Gut nebst 400 Seelen.
Nicht die Seelen, aber doch wenigstens die Oberfläche des Publikums traf er mit seinen Werken, europaweit. Kotzebue verfügte über eine gewisse Virtuosität, beim Schreiben, er hatte Esprit und wie viele gute Handwerker mischte er immer auch etwas vom Zeitgeist in sein Wohlfühl-Theater. Überlebt haben diese Arbeiten nicht. „Die deutschen Kleinstädter“ hinterließen im deutschen Sprachgebrauch immerhin das Provinzsymbol „Krähwinkel“.
Erscheinungen wie August von Kotzebue gibt es in jeder Kultur zu jeder Zeit und sie sind ein legitimer Teil davon. Es ist die Spannung zwischen Hochkultur und Entertainment. Ein Theater spielt nicht für die Ewigkeit, es spielt für sein Publikum. Würden die Bühnen sich auf jene Autoren konzentrieren, denen man eine nach Jahrzehnten zu bemessende Haltbarkeit zutraut, sie wären wohl bald allein mit sich und ihrer Kunst. Es ist ein legitimes Geschäft, die Leute zu unterhalten und ein beherrschtes künstlerisches Handwerk verdient allemal Respekt. Und man soll keinen Künstler diskriminieren, nur weil er Erfolg hat. Man soll aber auch im Zeitalter des quotenbasierten Populismus niemanden einen elitären Ignoranten schelten weil er die These vertritt, es seien Goethe und Schiller am Ende vielleicht doch wichtiger als Kotzebue und Iffland.
Text: Henryk Goldberg
Text erschienen in Thüringer Allgemeine, 03.05.2011
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