The show must go on (© Joachim Tiedemann via toonpool.com)

The show must go on (© Joachim Tiedemann via toonpool.com)

Diesen Rückritt, den Thomas Gottschalk am Samstag Abend verkündete, wird man einmal seinen wichtigsten, seinen überzeugendsten Auftritt nennen. Dass Gottschalk das weiß, nimmt der Entscheidung nichts von ihrer Würde. Allerdings, sie steht wohl auch am Beginn der Chronik eines angekündigten Todes. Des Todes von „Wetten, dass…?“. Eigentlich konnte es nur schief gehen, eigentlich konnte er nur verlieren. Wie macht man eine solche Sendung nach dem tragischen Unfall vom 4. Dezember des vergangenen Jahres? Ein Unfall, der den 23-jährigen Wettkandidaten ein Leben lang zeichnen wird. Ein behindertes Leben als Folge einer fröhlichen Sendung. Thomas Gottschalk ist nicht verantwortlich für diese Wette, aber er ist der Repräsentant dieser Sendung. Frank Elstner hat sie erfunden, aber Thomas Gottschalk hat sie geprägt. So wie „Einer wird gewinnen“ Hans-Joachim Kulenkampff war, so wie „Wer wird Millionär?“ Günter Jauch ist, so ist „Wetten dass…?“ Thomas Gottschalk. Von den 193 Sendungen hat er lediglich 50 nicht moderiert. Man darf gespannt sein, wie viele es geben wird ohne ihn.

Die üblichen Plaudereien, das hätte am Samstag in Halle den Fluch der ignoranten Oberflächlichkeit über den Moderator und die Sendung gebracht. Eine durchgehend gedämpfte Stimmung, das wäre fernsehpolitisch korrekt gewesen und langweilig. Thomas Gottschalk löste dieses Problem wie Alexander das Problem des Gordischen Knotens, als er ihn zerschlug und also die unerfüllbare Aufgabe erfüllte.

Nach der Ankündigung dieses Rücktritts zum Jahresende konnte Gottschalk eine ganz normale Sendung machen, denn der Spaß und die, natürlich risikoarmen, Wetten, hatten nun gleichsam ihre Würde zurückerhalten. So hat Gottschalk nicht nur sich gerettet, er hat diesen Abend auch für die etwa zehn Millionen Zuschauer gerettet, die sich nun den Wetten und den Sprüchen und den Stars hingeben konnten ohne ein schlechtes Gewissen. Allerdings, an diesem Abend waren nicht Robbi Williams oder Naomi Campbell die Stars, nicht Anna Loos oder Jan Josef Liefers. Der Star war ohne Zweifel Thomas Gottschalk. Und er hat Sorge getragen, dass auf seinen Status als Star kein Schatten fallen wird. Weil er gesagt hat, für ihn persönlich liege seit dem 4. Dezember ein Schatten über der Sendung. Und weil er die Konsequenz daraus zog.

In gewisser Weise hat Thomas Gottschalk, das wird ohne einen Hauch von Ironie und mit Respekt gesagt, durch diese Entscheidung sein Schaffen gekrönt. Der Mann war immer ein Plauderer aus Leidenschaft, auch mit seinen 60 Jahren konnte er noch diesen blonden Jungencharme, konnte noch diese Kostüme tragen, die die meisten Männer, die zwanzig Jahre jünger sind, zur Vogelscheuche hätten werden lassen. Dieses Alter macht ihn auch zu einem der letzten Vertreter einer Unterhaltungskultur des Fernsehens, die heute schon wieder nostalgische Gefühle erzeugen kann. Vielleicht, weil er in seinen frühen Jahren schon ziemlich schrill & schräg war konnte er bleiben was er war in einer Zeit, die Dieter Bohlen, Stefan Raab und Dirk Bach Karrieren als Moderatoren ermöglicht. Hans-Joachim Kulenkampff im Anzug, das ginge heute wohl nicht mehr, aber Gottschalk in seinen bunten Klamotten erschien uns so fröhlich-brav wie die Erscheinung der frühen Beatles im Rückblick. Und auch dieses Format von „Wetten dass…“ ist schon dreißig Jahre alt, ein Gruß aus der guten alten Zeit des Fernsehabends für die ganze Familie.

Auch insofern liegt in dieser Entscheidung eine Art von Konsequenz. Denn diese Art von Fernsehen befindet sich wohl so sachte auf dem Rückzug, bei dem 14-bis 49-jährigen Zuschauern hatte „Deutschland sucht den Superstar“ am Samstag 6 Prozent mehr Marktanteil als „Wetten dass…?“Und auch für den 60-jährigen Gottschalk hätte sich die Frage des Aufhörens, so oder so, in absehbarer Zeit gestellt. Nun gab es eine Möglichkeit und er hat sie genutzt, klug und mit Würde. Wer es bislang nicht glaubte, der hat es spätestens jetzt gesehen: Der Mann ist intelligent und er hat trotz seines Millionen-Jobs tatsächlich ein Berufsethos.

Erst 60 Jahre und schon ein bisschen weise.

Text: Henryk Goldberg

Text erschienen in Thüringer Allgemeine, 14.02.11

Illustration mit freundlicher Genehmigung von Dr. Joachim Tiedemann.

Bild: „The show must go on“ (© Joachim Tiedemann via toonpool.com)