Beinahe alle Rollen gespielt, beinahe alle Ehrungen erhalten, beinahe alles Leben gelebt. Und dann? Dann ist Erfolg ein anderes Wort, dann ist Leben ein anderes Wertesystem.
Dann tut einer was er schon immer tun wollte. Malen, Schreiben. Und Lieder singen, die er schrieb vor 45 Jahren. Dann tritt einer, der die Goldene Kamera gerade erhielt und den Ehrenbären der Berliner Filmfestspiele gleich erhält, in Erfurt auf. Die vier Herren kommen in Schwarz. Auch die Hüte. Und niemand würde sich wundern, sängen sie jetzt gleich den Blues, wie sie ihr Baby unten im St. James Infirmary besuchen. Aber diese Lieder hier handeln von Spinnen, die sich verknoten, von Hüten, die klügere Köpfe wollen und vor Stahlhelmen flüchten, von einer blauen Kuh, die sich selbst austrinkt, bis nichts bleibt als ein Fleck. In gewisser Weise handeln sie also von den blauen Flecken und den Beulen, die sich Armin Mueller-Stahl holte in der DDR. Und von den Preisen dort auch. Das Publikum bestand, dem Anschein nach, aus Besuchern, die den Schauspieler Armin Mueller-Stahl wohl schon schätzen, als er „Fünf Patronenhülsen“ spielte bei der DEFA, als er das Ministerium für Staatssicherheit, der Begriff Stasi war da wohl noch nicht allgemeine Sprachregelung, als er diese Behörde also sehr erfolgreich vertrat im Westen. Sein letzter DEFA-Film hieß „Die Flucht“ und erzählte von einem Mann, der in den Westen ging und, natürlich, scheiterte.
Armin Mueller-Stahl ist nirgendwo gescheitert. Und vielleicht ist es das, der frühere Erfolg im Osten, der spätere im Westen, was Künstler wie ihn hier so besonders erscheinen lässt. Sie hatten es hier geschafft und dort auch, bei Mueller-Stahl kommt der internationale Erfolg hinzu. Der Mann ist einer der wenigen deutschen Weltstars, die den Namen verdienen. In gewisser Weise sind diese Künstler, Manfred Krug, gehört dazu, in gewisser Weise sind diese Künstler also so etwas wie das mentale Missing Link zwischen Ost und West. Zumal, das wird ihnen sehr gut angeschrieben, wenn sie sich von der Höhe ihres Ruhmes an die Tiefen ihrer Wurzeln erinnern. Diese kleine Tour, mit der Armin Mueller-Stahl seine CD „Es gibt Tage“ vorstellt, findet übrigens, mit der Ausnahme Berlin, ausschließlich im Osten statt, Meißen, Cottbus, Potsdam und eben Erfurt. Ein deutlicher Hinweis, dass die kommerziell denkenden Veranstalter das Interesse für diese kleinen, leisen Lieder überwiegend im Osten sehen, was ja bedeutet, das Interesse für diesen Schauspieler, was immer er tut. Und besonders womöglich, wenn es mit dem Damals zu tun hat.
Das traf sich, denn auch der Ort dieses Erfurter Abends, die Alte Oper, ist von Melancholie umweht. Günther Fischer, begleitet von den herausragenden Tom Götze (Bass) und Tobias Morgenstern (Akkordeon) blies wie einst im Mai, natürlich auch Sunnys Solo. Und es traf sich auch wieder nicht. Zwar ist Armin Mueller-Stahl ein Mann von 80 Jahren. Doch seine Ausstrahlung, seine Aura hat so gar nichts von der Verschlissenheit der Alten Oper. Da oben steht ein Künstler, über den, anders als über diese Bühne, niemand sagen würde, er habe schon bessere Zeiten gesehen.
Nur andere.
Und sie reichen weit zurück. Irgendwie scheinen die Spuren des Vaters wohl noch immer zu prägen, 80 Jahre später. Der Vater war Bankbeamter in Ostpreußen. Die ihm liebste Selbstbezeichnung ist für Mueller-Stahl der Gaukler, doch ist dies dann wenigstens ein Gaukler zwar nicht in den Farben, aber doch versehen mit den Sekundärtugenden Preußens. So korrekt, so seriös, so sehr auf Perfektion bedacht, auf Solidität. So streng. Vielleicht, dass er deshalb ein wenig kokett sagt, dies sei eine Probe. Das ist es natürlich nicht, oder wenn, dann eine auf die Sensibilität, die Treue und die Nostalgie seines Publikums im Osten.
Denn diese Lieder sind alt und klein und leise. So klein, so leise, dass sie damals nicht annährend den Erfolg, den Bekanntheitsgrad der Songs von Manfred Krug gewannen. Es ist also, was hier wirkt, nicht die Erinnerung an die Lieder, es ist die an den Mann und an sein Leben auch.
Diesem Leben gilt, unmittelbar, der bewegendste, der melancholischste Moment des Abends, das eindrücklichste Lied wobei das eher ein Sprechgesang als ein klassisches Singen zu nennen ist. Einst, am Vorabend seines Weggehens, entzündete er ein „Abschiedsfeuer“, in dem verbrannte, was nicht mit in den Westen durfte oder sollte. Da verbrennt manches und verflüchtigt sich in verwehenden Wolken. Dieser Wind des Vergehens, der den ganzen Abend prägt ist so melancholisch und so kraftvoll in einem, ist also wie dieser Künstler. Er kann es sich leisten, lässig auf dem Barhocker zu sitzen, entspannt am Pult zu stehen da wo er ist, ist die Spannung, die Mitte dieser Bühne. Es sind nicht nur die Lieder an sich, es ist die Aura des Mannes, seine unangestrengte Präsenz. Es ist die Summe eines Lebens, die ihn einen herausragenden Thomas Mann ermöglichte, der das Bild mindestens einer Generation prägen wird. Es ist dieses Gefühl, der Mann bewege sich mit souveräner Melancholie in verschlossenen Räumen, von deren Beschaffenheit uns nur sein Spiel eine Ahnung verschafft.
„Es gibt Tage“, singt er, „da bin ich so unversöhnt, da hätte ich mir die Menschen am liebsten abgewöhnt“. Dieser Abend gehörte wohl nicht dazu.
Text: Henryk Goldberg
Text erschienen in Thüringer Allgemeinen, 11.02.2011
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