Die kalte Seele
Leni Riefenstahl bleibt ein Monument der Kulturgeschichte
Sie galt damals, in den Zwanziger Jahren, als eine berühmte Tänzerin. Eine Kritik aus jener Zeit beschreibt hellsichtig, beinahe prophetisch das Eigentümliche dieser Frau. Zwar sei sie eine sehr starke künstlerische Natur, doch fehle ihr zum Höchsten das eine, das wichtigste, die Seele.
Wenn ein Mensch einhundert Jahre wird, dann ist alles anders, wenigstens für seine Zeitgenossen. Dieser mythische Gipfel individueller Lebensdauer enthebt den Menschen in der Regel der moralischen Zugänglichkeit, er befördert ihn in eine solitäre Situation. Doch Leni Riefenstahl, die am 22. August 1902 geboren wurde, hat sich diese Segnungen des Alters selbst verwehrt. So wird sie als eine zweigeteilte Person in der Erinnerung bleiben: als eine der innovativsten Persönlichkeiten der Filmgeschichte und als eine der ignorantesten Personen der Zeitgeschichte.
Leni Riefenstahl war die wohl einzig authentische Künstlerin von Rang, die der deutsche Nationalsozialismus hervorgebracht hat, ihr gelang die einzig originäre Kunstleistung des Dritten Reiches. Während andere, wie die Unterhaltungsfilme der UFA oder Künstler wie Arno Breker, Vorhandenes fortschrieben oder klassizistisch monumentalisierten, schuf Riefenstahl vollkommen Neues. Und das nicht trotz des Nationalsozialismus, sondern mit ihm als Bedingung. Denn ihr in rein formaler Hinsicht umwerfender Parteitagsfilm „Triumph des Willens“ (1935) hätte außer in Hitlers Deutschland so nur noch in Stalins Sowjetunion entstehen können und nur dort gab es vergleichbare Bilder. Diese spirituelle Inszenierung von Öffentlichkeit, die Masse, an die der Einzelne sich verliert, in der er aufgeht, die Masse, die um einen Gedanken zentriert ist, der sich in einem mythischen Repräsentanten verkörpert, das geht nur in einer ideologisch fundierten Diktatur. Nicht nur, weil sich in einer Demokratie diese Bilder nicht finden ließen, vor allem, weil sich der Gedanke nicht finden ließe. Es ist, wenn man diese Filme sieht, als wäre die Masse die unmittelbare Repräsentanz des Weltwillens, als wäre sie durch diesen beseelt. Denn nur in diesen, um eine mythische, irrationale Führerfigur zentrierten Diktaturen gab es in der Wirklichkeit die Bilder für einen solchen Film und in ihren Ideologien den stiftenden Grund. Dieser Umstand ist gleichsam eine Peinlichkeit der Filmgeschichte, er erschwert die Würdigung der bleibenden Kunstleistung, wenigstens, bis der Nationalsozialismus komplett historisiert sein wird und damit, so zynisch das klingen mag, auch moralisch entsorgt. Irgendwann einmal wird der Feuerschein von Auschwitz künftigen Generationen sein, was uns die Scheiterhaufen der Inquisition sind. Und Leni Riefenstahl hat die Rezeption ihres Werkes und ihrer Persönlichkeit erschwert, indem sie für sich beschloss, bereits seit 1945 in dieser Zukunft zu leben. Wer so zu leben, so zu denken vermag, der ist nicht nur ein Ignorant, der muss auch eine Kälte in der Seele tragen.
Dieser Satz, den sie noch im hohen Alter zu sagen vermochte, „Triumph des Willens ist ein Dokumentarfilm über einen Parteitag, mehr nicht. Das hat nichts mit Politik zu tun.“, war wohl subjektiv noch nicht einmal gelogen, nicht, wenn man die Welt mit ihren Augen betrachtet. Denn, so weit sich das sehen lässt, Riefenstahl war in der Tat keine fanatische Nationalsozialistin, sie hat einfach die Möglichkeit genutzt, ihre Vorstellungen von einer zweckfreien, kalten Schönheit zu realisieren.
Die Cineasten in aller Welt gäben etwas darum, wenn die Schöpferin dieser Filme sich einmal zu einer Art von Mitverantwortung bekannt hätte. Dann nämlich ließen sich diese Filme leichter rühmen als die innovativen
Kunstwerke, die sie auch sind. Doch so hat die Frau, die sich seit 1945 beklagt, dass sie auch moralisch bewertet wird, selbst dafür gesorgt, dass es so bleibt. Weil sie darauf besteht, nichts dazu zu können. Weil sie darauf besteht, dass Millionen andere sich auch getäuscht hätten. Das ist richtig, doch haben Millionen andere auch nicht mit einem genialen Film der Geist des Nationalsozialismus in innovative Ästhetik verwandelt. Vermutlich hing Riefenstahl der nationalsozialistischen Ideologie wirklich nicht an, und wenn, dann nur oberflächlich. Es war wohl einfach so, dass Hitler ihr die Möglichkeit bot, erfolgreich zu sein.
Es gibt keine größere Verführung als die, ein Talent leben zu dürfen, und viele von denen, die in der DDR lebten, sind gut beraten, darüber nicht hochnäsig die Nase zu rümpfen. Später, nach den beiden Olympiafilmen, hat sie keine antisemitischen Filme gedreht, sondern die Gunst, in der sie stand verwendet, um grünes Licht für ihr Penthesilea-Projekt zu erwirken, das dann dem Krieg zum Opfer fiel. Und sie war, als sie „Triumph des Willens“, ihren Schicksalsfilm, drehte gerade 32 Jahre alt. Ein Grund mehr, dass man ihr später die politische Indolenz nachgesehen hätte. Die Menschen neigen dazu, überragenden Künstlern mit Verständnis zu begegnen, es gibt Beispiele die Menge, der große Schauspieler Gründgens ist vielleicht das prominenteste. Diesen Weg hat sie sich selbst verstellt, durch anhaltende Ignoranz. Keiner, wirklich keiner, hat den eigenen Anteil an einem solchen System, die eigene Verantwortung für das eigene Verhalten je so vehement ignoriert wie Riefenstahl und das nicht erst in einem Alter, in dem Einsichten nicht mehr zu erwarten sind.
„Triumph des Willens“ war nicht ein gleichsam politischer Betriebsunfall, nichts, wozu sie gezwungen worden wäre, es war der Triumph ihres Willens sowohl in künstlerischer Hinsicht als auch als Resultat ihrer, man mag sie mögen oder nicht, faszinierender Willenskraft. In dem Parteitagsfilm verklärte sie Hitler in perfekten visuellen Kompositionen zu dem was er in gewisser Weise ja tatsächlich war: dem mythischen Wesen, das auf eine irrationale Weise zwar nicht einen Gedanken, wohl aber alle Energie erzeugt, die einen beinahe spirituellen Charakter trägt. Es gibt kein anderes Kunstwerk, das die Selbstwahrnehmung Adolf Hitlers genauer abbildet, positiver und schöner. Ein einsamer Mann, dem eine solche Aura kalter Energie umgab, musste eine Frau wie Riefenstahl einfach faszinieren, denn auch sie muss eine große Energie in sich getragen haben. Sie erarbeitete sich, nach dem Ende ihrer Karriere als Tänzerin, eine Perspektive im Film, was insbesondere für eine Frau als Regisseur eine enorme Energie und Willenskraft verlangte.
Sie spielte in Arnold Fanks Bergfilmen, ehe sie 1932 als Regisseurin debütierte, auch „Das blaue Licht“ handelt von Schönheit und Geheimnis. Sie spielt das geheimnisvolle Mädchen Junta, das weiß, weshalb der Bergkristall leuchtet. Und es ist, als wäre sie die Frau mit diesem Wissen, die Steine leuchten macht. Ihre Bergfilme verbinden Kraft und Schönheit mit Kälte. Wenn diese in den Bergen auch natürlich ist, so scheint sich das in der Retrospektive einem tieferen Sinn zuzuordnen.
Mit 72 Jahren erwarb Riefenstahl den Tauchschein, mit 98 überlebte sie einen Hubschrauberabsturz und sie schaffte es, sich eine neue Karriere als Fotografin zu definieren. Diese Bilder waren jedoch für die Öffentlichkeit stets Arbeiten der Frau, die Triumph des Willens erschaffen hatte, sie emanzipierten sich, trotz ihres eigenen Wertes, nie von Werk und Biografie der Fotografin.
Alles, was sie tat hatte zu tun mit Schönheit und mit Körperlichkeit, ihr Tanzen, ihr Spielen, ihr Filmen, ihr Fotografieren, ihr Tauchen. Sie wird keinen Unterschied erkennen, ob sie
Braunhemden ästhetisch fasst oder Schwarzmenschen. Das konnte alles passieren. Das Problem ist weniger, was sie getan hat, denn die Bereitschaft, großen Künstlern zu vergeben ist enorm. Das Problem ist, was sie nicht getan hat. Nach dem Krieg zu sagen, laut und deutlich, sie habe gefehlt und sie bedauere, als junge Frau Hitlers beste Propagandistin gewesen zu sein. Sie bedauere, das Land der Konzentrationslager so ästhetisiert zu haben. Das wäre kein moralisches Unterwerfungsritual, das wäre Anstand. Diesen gezeigt und ihr wäre lang verziehen. Ihr 100. wäre ein reiner Festtag, ihre beeindruckende und Respekt gebietende Lebensenergie wäre angemessen gewürdigt worden wie ihr innovativer Beitrag zur Filmgeschichte.
Das Erinnern an Leni Riefenstahl wird sich lang nicht emanzipieren können von ihrer Verweigerung, Verantwortung zu bekennen. So wird sie überdauern, ein Monument der Filmkunst wie der Ignoranz. Als eine Künstlerin, deren erschaffener Schönheit eine Seele fehlte, ein Grund im Menschen. Vielleicht dienst sie ja auch nur zum warnenden Exempel, was das 20. Jahrhundert und seine Ideologien mit Menschen gemacht haben. Dann hätte ihre Verweigerung von Einsicht und also Moral womöglich einen Sinn.
Text: Henryk Goldberg
Leni Riefenstahl starb am 08.September 2003.
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